Es ist nicht so, als ob es irgendwas brächte, wenn John Oliver sich eines Problems annimmt. In seiner Late-Night-Show „Last Week Tonight“ hat er alles gegeben, um Donald Trump die Lächerlichkeit zu verleihen, die ihm gebührt. Mit dem Ergebnis, dass Donald trotz passender Kampagne nicht Drumpf again wurde (siehe auch die Google-Chrome-Erweiterung Drumpfinator), sondern Präsidentschaftskandidat.
Er hat ein Barbershop-Quartett den Hass der Briten auf die EU besingen lassen, um diesen endlich mal zu kanalisieren, damit aber auch den Ausstieg aus der Union überflüssig zu machen. Ohne Erfolg.
Und wenn jetzt alle Journalisten, wie in den vergangenen Stunden, begeistert seinen zwanzigminütigen Beitrag aus der Sendung von Sonntagnacht teilen, weil da endlich jemand einem breiten Publikum mitteilt, wie mies es ihnen seit Jahren geht, und dass die Leser für guten Journalismus bezahlen müssen, dann wird das auch nichts helfen (wer die Zeit gerade nicht hat, liest die Zusammenfassung von Katharina Riehl in der SZ bzw. frei online). Außer, zu belegen, dass alle den Beitrag, der ursprünglich auf dem kostenpflichtigen Kabelkanal HBO lief, umsonst bei Youtube oder Facebook gesehen haben.
Aber für die geschundene Journalistenseele ist es natürlich schön, zu sehen, wie sich jemand mal richtig für sie reinhängt – zumindest für diejenigen, die wadenbeißerisch und aufdeckend unterwegs sind, und zwar nicht im Sinne von Welpenberichterstattung. Womit wir zu den tagesaktuellen Beiträgen überleiten können und damit zur Beweislage, dass die von Oliver so apokalyptisch beschworene Zukunft, in der eine Irak-Berichterstattung nur möglich ist, wenn die Welpen genug Traffic und damit Einnahmen generiert haben, längst Wirklichkeit ist.
Ein Klickgarant neben Tierbabys sind schlechte Nachrichten. Das hat aktuell Jens Schröder bei Meedia aus den Online-Zahlen für den Juli herausgelesen. Auch so erklärt sich, warum am Sonntag in Saarbrücken bei manchen Journalisten die Leitungen durchbrannten, als ein Sondereinsatzkommando in der Innenstadt einen leicht verletzten, schlafenden Mann aus dem Keller eines Lokals von Verwandten herausholte. Was vor allem daran lag, dass es Gerüchte gab, der Mann sei bewaffnet, blutüberströmt und Geiselnehmer.
Aus diesem Grund dokumentierte auch ein Reporter der Bild-Zeitung den Einsatz – oder was er davon zu sehen bekam – per Live-Video, wie Boris Rosenkranz bei Übermedien beschreibt.
„Es war wackeliger Sensations-Voyeurismus, bisher fast eine halbe Million Mal abgerufen, und so inhaltsleer wie eine ausgetrunkene Flasche Korn. Zittrig filmte der Reporter mehr als eine Stunde lang in eine weitgehend leere, weil abgesperrte Straße, an deren Ende vage Polizei zu erkennen war.“
Doch die Inhaltsleere war nur ein Teil des Problems, wie eigentlich alle wissen müssten, die die vergangenen Wochen mit ihren Terror-Berichterstattungs-Analysen nicht in einem Nachrichtenvakuum verbracht haben. Zur Erinnerung für sie noch mal Rosenkranz:
„Von Amokläufen, Anschlägen, Banküberfällen oder ähnlichem live zu berichten, während sie noch laufen, ist ein toller Service – für die Straftäter. Sie bekommen aufs Smartphone geliefert, was draußen gerade passiert, wo sich das SEK bereithält, wie viele so da sind, auf welchen Dächern sie hocken. Polizisten haben das schon häufiger beklagt, zuletzt in München – es passiert trotzdem. Neben dem ,Bild’-Reporter hat die Polizei in Saarbrücken noch einen weiteren Journalisten gebeten, das Streamen einzustellen.“
Nun ist es nichts Neues, sondern Programm, dass man bei der Bild-Zeitung Recht und Vernunft ignoriert, wenn irgendwo das Versprechen auf mehr Leser bzw. Käufer lauert. Richtig übel wird es aber, wenn man in der Saarbrücker Zeitung nachliest, welche Lehren die Polizei daraus zieht:
„,Die Niederträchtigkeit, mit der manche Medien mit der Angst der Menschen Auflage machen, ist erschütternd’, sagt Georg Himbert, Sprecher des Landespolizeipräsidiums, am Tag danach. (...) ,Falls es noch einmal zu einem solchen Einsatz kommen sollte, wollen wir künftig stärker über die sozialen Medien kommunizieren.’ Den Hype in den sozialen Netzwerken hätten die Beamten so nicht richtig wahrgenommen. ,Wir lernen noch’, sagt der Sprecher. Die Saar-Polizei habe erst seit einigen Wochen einen Facebook-Account. Ende September soll Twitter dazukommen.“
Ganz recht: Im Angesicht von klickgetriebener Sensationsberichterstattung der Medien möchte die Polizei in Zukunft deren Aufgaben übernehmen, also für sachliche Informationen und Aufklärung sorgen. Damit würde die Polizei die vierte Gewalt kontrollieren statt die vierte Gewalt die Polizei.
Bei solchen Aussichten dreht sich einem doch ganz entspannt der Magen um.
[+++] Zeit für eine Pause mit guten Nachrichten über eine Zeitung, in die nicht nur investiert wird, sondern die darüber auch wächst. So ergeht es der Washington Post, seitdem Amazon-Gründer Jeff Bezos die Zeitung 2013 erwarb, beschreibt Stephan Russ-Mohl im Tagesspiegel:
„Die Redaktion wurde um 140 Journalisten aufgestockt. Außerdem wurden 35 Ingenieure neu eingestellt, sodass inzwischen 80 IT-Spezialisten im Newsroom arbeiten. (...) Das Engagement von Eigentümer und Verlag zahlt sich zumindest in Ansehens- und Reichweiten-Gewinnen aus: Die ,Washington Post’ hat jüngst zwei Pulitzer-Preise bekommen und mit ihrer aggressiven Berichterstattung über den Vorwahlkampf hat sie so viel Aufmerksamkeit erzielt, dass der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump wutschnaubend ,Post’-Reporter aus dem Begleittross seiner Kampagne ausschloss. Washingtonpost.com konnte seit 2013 die Clicks verdoppeln und hat im Oktober 2015 erstmals die ,New York Times’ beim Web Traffic überrundet.“
Und das, zumindest aktuell, ohne einen einzigen Welpen auf der Startseite!
Andererseits passt Bezos in das ebenfalls von John Oliver aufgezeigten Szenario, nach dem irre Unternehmer mit eigenen Interessen Zeitungen aufkaufen und in ihrem Sinne ummodeln.
„Bezos hat, als er sich als neuer Eigentümer der Redaktion vorstellte, diese ermuntert, über ,Amazon und Jeff Bezos’ zu publizieren, was sie wolle. Das freilich schließt vorauseilenden Gehorsam und die Schere im Kopf nicht aus, denn in jedem Medienunternehmen gibt es Machtstrukturen – und damit einhergehend blinde Flecken der Berichterstattung.“
Auch wenn Chefredakteur Martin Baron Beeinflussungsversuche nach Russ-Mohl glaubhaft von sich weist – richtig schön sind die „Jeffrey P. Bezos, chief executive of Amazon, owns The Washington Post“-Einschübe in Artikeln über das Unternehmen nicht.
[+++] Womit bewiesen wäre: Gute Nachrichten über Journalismus zu finden ist echt schwer. Und ob Berichterstattung wirklich unabhängig ist, können die Berichterstattenden selbst nicht unbedingt am besten beurteilen.
Ein aktuelles Beispiel dafür steht auf der Medienseite der FAZ (Blendle-Link), wo Ursula Scheer erste Ergebnisse aus einer noch laufenden Studie der Hamburg Media School dokumentiert, die 34.000 Pressebeiträge über Flüchtlingspolitik zwischen 2009 und 2015 analysiert.
„Die Studie untersucht auch die Tonalität von Beiträgen reichweitenstarker Medien im Sommer 2015. Zwanzig Prozent der Berichte der ,Tagesschau’ seien implizit wertend gewesen, bei ,Spiegel Online’ an die vierzig Prozent, bei der Online-Ausgabe der ,Welt’ fünfzehn Prozent. (...) Rund zwei Drittel der tonangebenden Medien hätten zunächst ,übersehen’, dass die Aufnahme von Flüchtlingen in großer Zahl und die Politik der offenen Grenzen die Gesellschaft vor neue Probleme stellen würden. Nur ein Drittel der Berichte hätten von September 2015 an Probleme aufgegriffen.“
Man sieht schon die „Lügenpresse“-Rufer sich in diesen Ergebnissen suhlen. Wobei, und das ist das verzwickte, ihre Existenz vermutlich die etwas zu positive Sicht auf die Realität mit verursacht hat, eben weil man den Horroszenarien von Pegida und Co etwas entgegensetzen wollte.
Aufklären, unabhängig bleiben, die Ruhe bewahren: Alles nicht so leicht, wenn einem gerade das Erlösmodell unter den Füßen wegrutscht. Wie wichtig es wäre, dass sich endlich Lösungen auftun, sollte nun, einmal mehr, bewiesen sein.
+++ Ist da nicht gerade irgendwas mit Sport in Rio? Stimmt, und daher gibt es bei Meedia eine erste Zwischenkritik, dass Randsportarten bei der Übertragung zu wenig Beachtung finden, im Tagesspiegel werden die angebotenen Live-Streams gelobt, und Frederic Huwendiek trägt bei Medium zusammen, was Medien aus aller Welt Spannendes zum Thema anstellen - beim Guardian kann man etwa seine persönliche Schwimmgeschwindigkeit mit der von Leistungssportlern und Killerwalen vergleichen. +++
+++ Wenn die Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden und Facebook nicht funktioniert, ist nicht immer Facebook Schuld, meint Facebook, meldet die dpa/Zeit Online. +++
+++ „Es ist ein Stück der Selbstvergewisserung, dass alles richtig ist, wie man es macht, notdürftig verkleidet mit einem dünnen Mäntelchen der Nachdenklichkeit.“ Meint Stefan Niggemeier bei Übermedien über den hier gestern schon erwähnten Spiegel-Essay (Blendle-Link) zur Amok-Berichterstattung. +++
+++ „Hier lassen sich Untiefen einer Branche erahnen, die unsere Gesellschaft aufklären, ihre Entfaltung abbilden und einen Beitrag zu unserer Zukunftsfähigkeit leisten will. Wie wollen wir glaubwürdig gesellschaftliche Missstände kritisieren, wenn wir selbst in alten Rollenbildern steckenbleiben?“ Anna von Garmissen auf kress.de zur dort seit ein paar Wochen geführten Debatte, ob Frauen eigentlich auch Chefredakteurinnen sein Chefredakteurinnen eigentlich auch halbtags arbeiten können. +++ Zudem erklärt dort dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger, wann Bilder aus Gerichtssälen verbreitet werden, und ob er sich dabei von den Gerichten zensiert fühlt. Diesen Vorwurf hatte Bild-Chefin Tanit Koch Anfang August vorgetragen. +++
+++ Über den Bild-Reporter, der beim Bundesamt für Migration Mitarbeiter war (und dessen mehrteiliger Erlebnisbericht seit gestern in der Bild-Zeitung sowie online erscheint), berichtet Horizont. +++
+++ Die Süddeutsche Zeitung macht jetzt PR, zumindest mit ihrer nun gegründeten Content-Marketing-Agentur, wie W&V sowie Horizont vermelden. +++
+++ Derweil auf der Medienseite der geduckten SZ: Während das deutsche Fernsehen gerne mal ins Sommerloch verfällt, wird die Zeit in den USA für Experimente genutzt, schreibt Jürgen Schmieder. Außerdem rezensiert Sebastian Schoepp die Doku „Fidel Castro - Ein Leben für die Revolution“, die morgen Abend zur besten Sendezeit um 23.25 Uhr im WDR läuft. +++
+++ Auf der Medienseite der FAZ berichtet Bülent Mumay von der Kundgebung „für Demokratie und Märtyrer“ in Istanbul und Don Alphonso widmet sich mal wieder als Rainer Meyer dem Umgang des Netzprojektes „Tor“ mit den Vorwürfen zu sexuellen Übergriffen seines einstigen Mitarbeiters Jacob Appelbaum. Schon eindrucksvoll, wie Don Meyer die Unschuldsvermutung beschwört und in ihrem Schatten Feministinnen beschimpft. +++
+++ „Was aber hat sich sonst durch den Wechsel zu Spotify verändert? Inhaltlich nicht viel. Und das ist absolut positiv gemeint. Denn so sehr die beiden auch über die Öffentlich-Rechtlichen jammerten und stöhnten, dass sie doch nicht all das sagen durften, was sie wollten, so fühlt sich die Show beim digitalen Wettbewerber kaum anders an - sieht man mal vom spürbaren Ausbau des Schimpfwörtergehalts in den Dialogen ab.“ Kevin Hennings zieht bei DWDL ein „Fest & Flauschig“-Zwischenfazit. +++
+++ Lokaljournalisten, die immer noch keine Idee haben, was man zum Thema „Flüchtlinge“ vor Ort machen könnte, können sich das studentische Projekt „Zum Beispiel Eichgraben“ aus Österreich anschauen. Ein Interview, was die warum wie machen, hat die Drehscheibe geführt. +++
+++ „,Crisis in Six Scenes’ erzählt in sechs Folgen das Leben einer Mittelklasse-Familie in den USA der 60er Jahre, das durch den Besuch eines Gastes auf den Kopf gestellt wird. Mehr verrät Amazon nicht“, schreibt Joachim Huber im Tagesspiegel über Woody Allens erste Amazon-Serie, die am 30. September starten wird. +++
+++ Was Sie schon immer über den albanischen Medienmarkt wissen wollten, steht auf der Seite des Europäischen Journalismus-Observatoriums. +++
+++ Berichtet das Schweizer Radio und Fernsehen weniger über Politik als ARD und ZDF? Ein Bericht aus der Aargauer Zeitung über eine Studie legt das nahe; Kritik an dieser steht in der NZZ. +++
+++ Die Facebook-Teaser der Bravo sind die Klickbait-Pest, belegt Moritz Tschermak im Bildblog. +++
+++ Jürgen Klopp spricht nicht mehr mit dem Boulevardblatt Sun, und bei Meedia war man der Meinung, das sollten Sie wissen. +++
Frisches Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.