Seifenblasen im Sinkflug
Wie lautet Alexander Bommes’ Spitzname? Hat das Magazin für Unerwachsene namens Neon noch eine Zukunft, und ist der Abgang der aktuellen Chefredakteurin dafür Voraussetzung? Sollten deutsche Journalisten die Pressefreiheit am Bosporus verteidigen? Was erlauben Postillon? Und von was sind tote alte Männer in Schwarzweiß das Gegenteil? Die Antwort steht irgendwo da unten.

Liebe Leser, wo erreichen wir Sie gerade? Wir hören im Hintergrund Möwen kreischen.

Halt, Stopp, hiergeblieben! Das ist eine völlig berechtigte Einstiegsfrage! Zumindest, wenn man Thomas Eckert und diesem Interview im Tagesspiegel Glauben schenkt, das er mit dem Moderator Alexander Bommes geführt hat. Darin darf dieser über seine Arbeit bei den kommenden Olympischen Spiele sowie seine Meinung zu den Honoraren freier Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Sender, zu denen er auch zählt, berichten („Wer die Besten haben will, der muss auch etwas dafür bezahlen. Und wenn man die Besten hat, könnte man ja auch stolz darauf sein, wie wäre es damit?“).

Aber viel schöner sind definitiv Eckerts Fragen.

„Sie sind also kein Fernseh-Chamäleon.“

„Ist doch immer schön, Komplimente zu bekommen, oder?“

„Wie haben Sie sich auf Rio vorbereitet? Schnell noch einen Waffenschein gemacht, einen Nahkampfkurs absolviert?“

„Was ist risikoreicher: drei Wochen Rio oder eine Karriere im Fernsehen?“

„Wo wir gerade bei Experten sind: Wie war’s mit Effe während der EM? Hat’s Spaß gemacht?“

„Was hat Ihnen eigentlich die Charakterisierung als journalistische ,Allzweckwaffe’ eingebracht?“

„Hübsch, ein Aufruf zum Fernsehmacher-Bashing! Letzte Frage: Sie habe doch sicher einen Spitznamen. Verraten Sie ihn uns?“

Und das sind nur die absoluten Highlights. Lassen Sie also die Möwen Möwen sein und schauen Sie sich das Original an. Zumal es einer der raren Augenblicke dokumentiert, in der ein Sportreporter der souveränere Gesprächspartner ist.

Dass Rio für Bommes die vorerst letzte Gelegenheit für eine öffentlich-rechtliche Olympia-Übertragung sein könnte, steht derweil heute auf Seite 19 im Unternehmensteil der FAZ (und gekürzt online).

„Nach einigen Monaten der Verhandlungen wundere ich mich aber über die grundsätzliche Zurückhaltung der öffentlich-rechtlichen Sender. Es wachsen die Zweifel, wie ausgeprägt ihr Interesse an der Olympia-Berichterstattung tatsächlich ist. Der Ball liegt in ihrem Feld“,

zitiert Michael Ashelm Jean-Briac Perrette, Chef fürs internationale Geschäft bei Discovery, wo bekannterweise die Rechte für die Sommer- wie Winterspiele zwischen 2018 und 2024 liegen. Und wohl auch liegen bleiben, wenn ARD und ZDF sich nicht bald zum Erwerb einer Sublizenz aufraffen.

„Vielleicht ist das Interesse von ARD/ZDF schon deshalb geringer, weil nach Rio die folgenden drei Spiele nacheinander in Asien stattfinden werden: Südkorea, Japan, China. So wäre der Übertragungsaufwand für Olympia wieder ausgesprochen hoch und die zu erwartende Zuschauerquote mit der Zeitverschiebung wohl weniger attraktiv. Aus Rio werden 320 Stunden live im Fernsehen berichtet, im Einsatz sind für ARD und ZDF 480 Mitarbeiter“,

heißt es weiter. Falls man sich nicht einigt, läuft in zwei Jahren Olympia in Pyeongchang auf Eurosport und beim Pay-Sender Eurosport 2. Die Öffis könnten derweil vom eingesparten Geld einen Nachrichtenkanal aufmachen so viele Dokus drehen, dass sie gar nicht genug Sendeplatz dafür hätten. Wahrscheinlicher wäre aber, dass doch nur wieder neue Regionalkrimis bei rumkommen (WaPo Bodensee – seriously?!) Dann doch lieber Stabhochsprung im Morgengrauen.

[+++] Um beim Thema ungewisse Zukunft zu bleiben: Die Neon, einst lebender Beweis, dass Print für junge Menschen doch nicht tot ist, tauscht seine Chefredakteurin aus. Ruth Fend, bislang Redaktionsleiterin bei Business Punk, kommt, die erst im Mai 2015 angetretene Nicole Zepter geht, da „sie sich nun wieder eigenen Projekten zuwenden möchte“ (Quelle: PM G+J). Was Pressemitteilungsdeutsch für „sie war dem Job nicht gewachsen“ zu sein scheint.

„In der Redaktion ist Kritik an der Chefredakteurin weit verbreitet (...). Tenor: ,Neon’ habe ein Führungsproblem, das sich in einem schlecht geplanten Redaktionsalltag äußere. ,Wir haben uns von Heft zu Heft gerettet’, klagt ein ehemaliger Redakteur und verweist auf den mittlerweile recht knappen Stehsatz des Heftes. Außerdem habe Zepter zwar viele Ideen, doch diese seien zumeist sehr wolkig oder würden von ihr nicht umgesetzt. ,Sie pustet Seifenblasen in die Luft, dann dreht sie sich um und geht’, sagt der Ex-Redakteur.“

So beschrieb Henning Kornfeld bereits im Januar die Lage gedruckt in KressPro, von wo es die Redaktion nun aus aktuellem Anlass online gehoben hat.

Allerdings deutet Kornfeld an, dass Zepter im Jahr 2016 nicht allein die Schuld am Niedergang eines Printtitels auf sich nehmen muss. Das gipfelt in diesem schönen Zitat eines Marktforschers:

„Selbst bei jungen Frauen übernehme das Internet mittlerweile Funktionen, die früher Zeitschriften hatten“.

Und wenn junge Frauen freiwillig was mit Computern und Technik machen, dann muss es echt ernst sein!

Georg Altrogge steuert bei Meedia einen weiteren Aspekt aus der Zeit vor Zepter bei:

„Dass das junge Pendant zum großen stern seine Auflage innerhalb von fünf Jahren halbiert hat, ist indes auch einer Reihe Fehlentscheidungen auf Verlagsseite zuzuschreiben. Die wohl folgenreichste davon war der Umzug der Redaktion von München in die Zentrale nach Hamburg im Jahr 2013. Das passte damals wunderbar in die g+J-Strategie der ,Communities of Interest’, aber gar nicht zum Selbstverständnis einer Gruppe von jungen Magazinmachern, die das Münchner Lebensgefühl auf der DNA hatten und aus ihrem dortigen Sozial-Biotop etliche Geschichtenideen abschöpften. Der von oben verordnete Wechsel traf die Journalisten ins Mark. Fast die Hälfte der Redaktion machte den Umzug nicht mit, darunter das Chefredakteurs-Duo Vera Schröder und Patrick Bauer – die bessere Hälfte, wie mancher am Baumwall sagt.“

Und Katharina Riehl hat in der SZ noch folgende Erklärung:

„Und wahr ist natürlich auch, dass die Auflage von Neon schon vor der Ära Zepter sank - und man die Frage stellen kann, ob sich das vor 13 Jahren so neue und schwer erfolgreiche Konzept des Heftes möglicherweise überlebt haben könnte. Klar ist jedenfalls: Die Lebensrealität junger Menschen ist heute eine andere.“

Wie wahr, und nicht nur, weil in der Zwischenzeit eine kleine Medienrevolution Printprodukte aus dem Wasser geblasen hat. Sondern auch, weil die größte Sorge der Mitte 20-Jährigen aktuell nicht mehr sein kann, ob sie denn nun erwachsen werden wollen.

[+++] Nur eins von vielen Beispielen dafür sind die aktuellen Entscheidungen in der Türkei – oder wie Silke Burmester in ihrem Text in der taz formuliert:

„Die Bezeichnung ,in der Türkei’ ist für sich genommen falsch. Denn nicht ,die Türkei’ hat beschlossen, alle Medienvertreter, die jenseits der Regierungslinie sprechen, schreiben oder senden könnten, mundtot zu machen, sondern Recep Tayyip Erdo?an.“

Sie wundert sich, warum deutsche Journalisten darüber zwar berichten, es dabei aber belassen.

„Es ist an der Zeit, zu begreifen, dass es bei der Idee von Europa und der einer demokratischen Welt die Pressefreiheit der anderen nicht gibt. Ihre Pressefreiheit ist unsere Pressefreiheit. Und die muss zur Not auch am Bosporus verteidigt werden.“

Vielleicht können wir uns am Sonntag zu einer Demo in Köln zum Thema treffen?

Dass auch in Deutschland beunruhigende Dinge vor sich gehen, dröselt Gerret Von Nordheim von der TU Dortmund auf der Seite des Europäisches Journalismus-Observatoriums auseinander. Am Beispiel des Amoklaufs in München legt er dar, wie sich bei Twitter zwei voneinander weitgehend unabhängige Filterblasen entwickelten – einmal rund um die Münchner Polizei und die etablierten Medien, einmal rund um AfD-Politiker, die die Gelegenheit nutzten, um Politik und Medien anzuprangern.

„Die Neigung der Selbstbestätigung durch Medien, beispielsweise durch die Wahl der Tageszeitung, bestand sicherlich schon vor der Zeit sozialer Medien. Ein Unterschied scheint indes darin zu bestehen, dass klassische Medienangebote nur bis zu einem gewissen Maße individualisierbar waren. So wurde der zur Selbstbestätigung neigende Rezipient auch immer mit Informationen konfrontiert, die ihn veranlassten, seine Meinungen neu zu verhandeln. Dem kann der User in den sozialen Netzwerken heute entgehen. (...)

Ein weiterer Unterschied zu analogen Medien ist der interaktive Charakter neuer Medien, der gegenseitige Bestätigung ermöglicht. Sozialpsychologen sprechen in diesem Zusammenhang vom Effekt der Gruppenpolarisierung (vgl. Warner & Neville-Shepard, 2011), bei der sich Ansichten von Akteuren während einer Diskussion mit Gleichgesinnten verstärken. Richtigkeit ist dabei offenbar ein untergeordneter Wert; der primäre Wert der Information ergibt sich vor allem aus dem Maße, in dem sie bestehende kognitive Schemata bestätigt.“

Wie gruselig.


Altpapierkorb

+++ In Berlin ist alles prima, da braucht keiner mehr Lokaljournalismus. Daher gönnen sich die Berliner Zeitungen einen Auflagenschwund von zehn Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr; Spitzenverlierer ist die Berliner Zeitung mit 12,5 Prozent. Aber auch in anderen Regionen will keiner mehr ausgedrucktes Lokales, berichtet Jens Schröder bei Meedia. Alex Springer, früher auch mal Verlag, meldet derweil Umsatzsteigerungen.+++

+++ Wir dachten, das Thema sei durch, aber mit dem MDR ist tatsächlich mal wieder jemand auf eine Meldung des Postillon hereingefallen. Den Beweis gibt es hier ab Minute 1.52; via Flurfunk Dresden. +++

+++ Über den aktuellen Stand im Streit DJV versus Verlag Rommerskirchen über das Fachmagazin Journalist berichtet Benedikt Frank in der SZ. Spoiler: weiter alles offen. +++

+++ Die FAZ treibt derweil ihre Debatte über das Digitalradio voran. Nun argumentiert Rainer Henze vom Bundesverband Digitale Wirtschaft, dass nur im Internet die Zukunft liege. „DAB+ hingegen ist eine fast dreißig Jahre alte Broadcast-Technologie, der entscheidende Merkmale digitaler Medien abgehen“. Zudem empfiehlt Michael Hanfeld auf der Seite die ZDF-Komödie „Treffen sich zwei“ – es fallen tatsächlich Formulierungen wie „hinreißend“ und „es ist ein Riesenspaß“. +++

+++ Mit der Frage, ob man Bilder von Attentätern nun zeigen sollte oder nicht, beschäftigt sich in der NZZ Rainer Stadler. „Wenn man eine Entscheidung bzw. eine Regel als moralisch richtig und wichtig erkannt hat, ist es nicht nur sympathisch, sondern auch eine Frage der persönlichen oder institutionellen Konsequenz, ohne Berücksichtigung der allenfalls minimen Wirkung entsprechend zu handeln. Aus der Summe der kleinen richtigen Handlungen kann ja auch das grössere Gute entstehen. Das Prinzip Hoffnung soll gelten.“ +++

+++ Aus einem aktuellen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: „Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Schmähkritik ist ein Sonderfall der Beleidigung, der nur in seltenen Ausnahmekonstellationen gegeben ist. Die Anforderungen hierfür sind besonders streng, weil bei einer Schmähkritik anders als sonst bei Beleidigungen keine Abwägung mit der Meinungsfreiheit stattfindet.“ Nein, es geht nicht um den Fall Böhmermann, aber wenn irgendwo der Begriff „Schmähkritik“ fällt, können wir das natürlich nicht unbeachtet lassen. +++

+++ „Ich hätte keine Scheu, morgen auch nach Nord-Korea zu reisen, wenn ich dort einen Termin bekommen könnte. Wichtig ist doch, dass Sie die richtigen Fragen stellen.“ Sagt Spiegel-Redakteur Dieter Bednarz im Interview mit Paul-Josef Raue zum Thema: Interviewen von Despoten. Ganz recht: PJR interviewt für seine kress.de Kolumne nun. Ist wohl sicherer, als sich ein Thema zusammenzugoogeln. +++

+++ „Tote alte Männer in Schwarzweiß sind das Gegenteil von neu. Und ich glaube, daran zeigt sich ein Grundproblem des gesamten Heftes.“ Michalis Pantelouris in seiner Übermedien-Kolumne über den Rolling Stone. +++

+++ Erst wurde ihre Scheinselbständigkeit beendet, nun erhalten manche freien Journalisten auch noch Geld von der Krankenkasse zurück: Warum dabei alles seine Ordnung hat, erklärt Tina Groll bei Zeit Online. +++

+++ Im „Tagesschau“-Blog ist eine neue Folge „Verifizieren von Videos“ erschienen. +++

+++ Zum Abschluss noch das ganze Dilemma des deutschen Online-Journalismus, gegossen in eine Meedia-Überschrift: „Nach TV-Ausstieg: Tobias Schlegl postet Facebook-Foto vom ersten Tag als Rettungssanitäter“. Damit Sie nicht klicken müssen: Zu sehen ist ein Foto von Tobias Schlegls Hand und einer Schultüte. Informationen, die über die aus dem Stern von Mitte Juli hinausgehen, gibt es nicht. Aber wenn Tobias Schlegl was bei Facebook postet, muss der deutsche Online-Journalist natürlich berichten. #isso +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.