Triumphales "Ha!"
Junges Angebot wird langsam reif (und bekommt Begleitkanal), Toralarm als Push, neuer Chefredakteur: was bei der ARD so geht. Was beim Spiegel nicht geht (Leser halten). Wie es einst beim Spiegel ging. Porsches, Pferde und Abendsonne sowie Ulrike Meinhof: Große, in den 1940ern geborenen Journalisten feiern (Geburtstag oder Ruhestand).

Was macht eigentlich Steffen Grimberg, der Tausendsassa, der einst das TAZ-Medienressort großgemacht hat und später das Grimmeinstitut "fluchtartig" verließ? Unterstützt er die Suche nach Nachfolgewörtern für "Eiforbibbsch" (eins der sächsischen Wörter des Jahres 2015), und was die Presseabteilung des MDR halt sonst so tut?

Durchaus nicht. Vielmehr führt er souverän und mit charmanten Flughafeneröffnungs-Witzen durch ARD-Pressekonferenzen. Die, die am Dienstag stattfand, bereichert nun das Online-Bewegtbild-Angebot der ARD. Zwar wurden die wenigen harten News von der vorangegangenen ARD-Intendantensitzung in den Medienmedien bereits abgearbeitet, abgesehen von einer lang angekündigten, nun eintretenden leichten Bewegung in den  Beförderungsspiralen der ARD-Führungsebenen. Davon berichtet Hans Hoff heute in der SZ. Man muss den Artikel konzentriert lesen, um zu erkennen, ob eher beim nun ehemaligen ARD-Chefredakteur Thomas Baumann, oder beim künftigen, Rainald Becker "Esprit ... nicht unbedingt als zweiter Vorname taugt" (falls nicht einfach bei beiden).

Unabhängig davon lohnt es sich für Medienbeobachter jedoch, das ARD-Video im ungewohnten 67-Minuten-Format reinzuklicken. Für den Stand der vielfältigen Diskussionen um öffentlich-rechtlichen Medien ist es aufschlussreich - vom Anfang, an dem Programmdirektor Volker Herres ab Minute 0.13 anhand einer ARD-App, "die neue Facilities bietet. Sie können dort Top-News bekommen, Toralarm als Push ...", derart routiniert Slangkenntnis demonstriert, dass die Gebrüder Samwer ihm sofort die Leitung von ein paar Startups anvertrauen wollen und jeder Verlegerverbands-Justiziar noch mal überprüfen dürfte, ob Klagen gegen diese Auslegung des Auftrags nicht Erfolg versprächen, bis zum Schluss. Da geht es um Dagmar Reims Rente, um die angebliche, aus Hamburg dann aber dementierte "Atlantik-Brücke"-Mitgliedschaft eines künftigen "Tagesthemen"-Hauptmoderators und immer wieder darum, was genau Fußballreporter und -experten bei der ARD verdienen (was Herres natürlich immer wieder nicht sagt, sondern durch die wahrlich beunruhigende Ansicht, das ZDF könne Mehmet Scholl abwerben wollen, sobald es erst sein ARD-Honorar kenne, zu zerstreuen versucht).

Ein Bündel unterschiedlichster Fragen zu den Öffentlich-Rechtlichen beschäftigt weite Teile der Gesellschaft immer noch in einem Ausmaß, in dem das Programm selbst es längst nicht mehr tut. Und das ist ja gut so, vielleicht gar Teil des Auftrags.

Ein bisher merkwürdig wenig beachtetes Thema ist das schon vor Jahren als "Jugendkanal" angekündigte, inzwischen, aber immer noch vorläufig Junges Angebot heißende Dings, das in circa hundert Tagen online gehen soll. Die Ministerpräsidenten als diejenigen, die über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk entscheiden, hatten bekanntlich entschieden, dass es dafür keinen Fernsehkanal geben soll. Nun aber scheint die ARD ihren unbekanntesten Digitalkanal doch in eine Art Junges Angebot-Begleitfernsehsender umzumodeln. "Für die Produktion des jungen Programms holt sich die ARD nun den Spartensender Eins Festival ins Boot, dessen Profil geschärft werden soll", formuliert es digitalfernsehen.de. Aktuelle Entwicklungen dieses Eins Festival haben die Fernsehfreunde von dwdl.de zusammengefasst.

Und was Senderchef Helfried Spitra auf der ARD-PK über Eins Festival-Sendungen wie "Miss Fishers mysteriöse Mordfälle", ein neues "Comedy-Gossip-Format" mit einer "Comedienne", die man aber nicht "Comedienne" nennen sollte, sowie die Ausstrahlung von "'Sturm der Liebe', wir sagen so schön: from the very beginning", sagt, erlaubt ins sogenannte Profil interessante Einblicke. Über das Junge Angebot wird in zwei, drei Monaten in dieser Nische viel diskutiert werden. Und der "stets mitschwingende Vorwurf der Beitragsverschwendung" dürfte auch in diesem Boot wieder Platz haben.

Letzteres Zitat stammt aus einer dwdl.de-Zusammenfassung der aktuell heißestdiskutierten Frage, was Mehmet Scholl und Olli Kahn denn nun verdienen (siehe Altpapier gestern). Falls die Entwicklung interessiert: Die Bild-Zeitung hat "Die Gehaltsliste von ARD und ZDF" mit niedrigeren Zahlen als Kress Pro, aber immer noch hohen Honoraren veröffentlicht. Weil sie das jedoch in ihrem kostenpflichtigen Segment tat, refereriert die Bild-Zeitung des kleinen Mannes, stern.de, sie auch gratis (sofern man nicht darauf besteht, auch noch die angebliche Gage des Taktik-Kaspers Holger Stanislawski zu erfahren).

Außerdem hält ein Tweet eines WDR-Verwaltungsratmitglieds die Spannung aufrecht, zumal er einerseits offenkundig gelöscht wurde, was andererseits bei digitalen Informationen bekanntlich selten ganz gelingt.

[+++] "Aber wir wissen alle, dass wir uns dem Strukturwandel in der Medienbranche nicht entziehen können"

Das ist nur eine von vielen stimmigen Aussagen in der "Brandrede" der seit März amtierenden Sprecherin der Spiegel-Mitarbeiter KG, Susanne Amann. Dieser KG, der bekanntlich nicht alle Mitarbeiter des Spiegel-Verlags angehören, sondern vor allem die, die früh genug dabei waren, gehört bekanntlich die Hälfte des Verlags. Das heißt, die, für die Amann spricht, haben in dem Verlag, der von allen deutschen Presse-Verlagen immer noch mit am meisten durch Geschäfte mit gedruckten Medien verdienen dürfte, am relativ meisten zu sagen. Nicht nur deshalb ist die bei horizont.net in Textform wiedergegebene Rede lesenswert, sondern auch, weil Amann so offen sprach, wie man es von Medienunternehmens-Managern (auch öffentlich-rechtlichen) nicht gewohnt ist.

"Alarmierend ist: Trotz eines nachrichtenstarken Jahres ist die verkaufte Auflage weiter deutlich gesunken. Sie lag im Schnitt nur noch bei 833T Exemplaren (inkl. digital). Auch der beschleunigte Rückgang bei den Abos macht uns große Sorgen. Es wird immer schwieriger, Leser zu halten und neue zu gewinnen",

lautet eine der Aussagen. Die Redaktion sei, also vor allem die schreibenden Mitarbeiter seien

"stärker denn je in der Pflicht, die Erlöse durch attraktive publizistische Produkte zu stabilisieren",

sagt Amann Und die operative Geschäftsführung des Verlags kritisiert sie u.a. mit Bezug auf die im März vom SWR "geleakte" heiße und "dicke Luft" (Altpapier) mit:

"Zentrale Projekte dauern zu lange, die Verantwortlichen drücken sich um schnelle Entscheidungen und wir haben schon wieder ein Jahr verloren."

Tatsächlich werden die zahlreich angekündigten neuen digitalen Projekte des Spiegels noch etwas weniger gespannt erwartet als das öffentlich-rechliche Junge Angebot, und das will etwas heißen.

[+++] "Aus dem Nebenzimmer holt Aust einen Zettel. Drei Kurven sind darauf zu sehen: Sie zeigen, wie sich 'Spiegel', 'stern' und 'Focus' im Abo und am Kiosk verkauft haben. 1990 ist der 'stern' die Nummer eins, sinkt danach aber wie auch der 'Spiegel'. Von 1994 an, dem Jahr, in dem Aust Chefredakteur wird, bleibt der 'Spiegel' bis etwa 2007 stabil, während die Auflagen von 'stern' und 'Focus' sinken. Dann wurde Aust rausgeworfen – und es ging mit der Auflage des 'Spiegels' abwärts. Aust entfährt ein triumphales 'Ha!'".

Dieses Intermezzo steht nun heute in der Zeit, im großen 70.-Geburtstags-Interview, das die Wochenzeitung mit dem ehemaligen Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust geführt hat. Bei Blendle ist es für für Blendle-Zeit-Verhältnisse stolze 0,89 Euro zu haben. Der Kauf lohnt sich - mindestens für Nostalgiker, die die guten Print-Jahrzehnte noch einmal eine Seite lang Revue passieren lassen wollen. Gleich die ersten Zeilen zeigen die enorme Spannbreite des von Jana Goia Baurmann und Götz Hamann geführten Gesprächs. Da geht es, im Vorspann, um die Marke vons Austs hellblauem Button-down-Hemd und kurz darauf um Hitler (über dessen allerersten Biografen, Konrad Heiden, Aust sein neuestes Buch schreibt). Um Pferde, Porsches und "Haben Sie mal gekifft?" geht es überdies.

Die nächste Frage nach der Kiff-Frage lautet dann "Was genau haben Sie mit der Welt vor?" und bezieht sich darauf, dass Aust aktuell ja Chefredakteur der gleichnamigen Springer-Zeitung ist. (Das ist ein Problem von Medien, die sich einmal entschieden, Medien-Markennamen nicht in Anführungszeichen zu setzen, wie wir hier im Altpapier auch: Leser könnten instinktiv erst mal denken, es ginge um die Zeit oder Welt an sich ...).

Für seine Antwort holt Aust aus in eine der Vergangenheiten, die er gut beherrscht:

"Ich möchte ein besonderes journalistisches Angebot machen. Das Wichtigste ist und bleibt die journalistische Qualität und: Online weiter zu versuchen, mit den Geschichten und den Abos Geld zu verdienen. Das ist schwer, aber ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg. Journalismus hat sich im Grunde noch nie nur durch den zahlenden Leser finanziert. Ulrike Meinhof hat das, als sie noch Journalistin war und keine Terroristin, mal auf den Punkt gebracht: Zeitschriften sind Unternehmungen, die Anzeigenraum produzieren als Ware, die durch redaktionellen Inhalt absetzbar wird. Das klingt hart, aber da ist etwas dran."

An dem, was Aust zu allem, was die im Freitagabendtalkshow-Modus fragenden Zeit-Interviewer so wissen wollen, darunter auch der Gegenwart der Medien, souverän sagt, ist auch etwas dran. Wer seine Pferde und Porsches im Trockenen hat, kann dem gelassen entgegensehen.


Altpapierkorb

+++ Eine Heroine derselben Generation, drei Jahre jünger als Aust, geht in den Ruhestand. "Die Abendsonne leuchtet in den prächtigsten Farben, ein mildes Licht legt sich auf die Gesichter der in die Jahre gekommenen Zelebritäten, und man weiß nicht, wer schöner ist, die fast faltenfreie Kanzlerin oder die ewige Buhlschaft in Form von Veronica Ferres. Ob das alles nicht ein Tick zu viel ist? Ach, hier geht eine Ära zu Ende, da darf man schon seufzen", berichtet Christian Mayer auf der SZ-Medienseite von der "grandiosen Dankesfeier am Münchner Arabellapark". +++ Die Kanzlerin faltenfrei ist in der aktuellen Bunten zu sehen, die Michelis Pantelouris aus demselben Anlass für uebermedien.de gelesen hat.+++ "Print wirkt!" ("Nice Bastard" Dorin Popa-Tweet). +++

+++ Wiederum 70 wird die "Jüdische Allgemeine", die und deren Geschichte der Tagesspiegel vorstellt (in dessen Politikredaktion ein ehemaliger Chefredakteur der JA arbeitet). +++ Wer der JA in derselben gratuliert: Angela Merkel.+++

+++ Die Frage, was eigentlich Blogs sind, "ein 'öffentliches, für jeden zugängliches Diskussionsforum', in dem 'jedermann' Beiträge veröffentlichen könne", oder dagegen ein "Organ der Presse" schien schon lange passé, wurde nun aber vom Verwaltungsgericht Augsburg aufgeworfen. Und zwar zulasten von zeit.des Neonazi-Watchblogs "Störungsmelder", berichtet ebenfalls der Tsp.. +++

+++ Wer jetzt auch mal wieder ein bissl Medienpolitik macht: Bundesverkehrsminister Dobrindt. Er unterstütze Kabelnetzbetreiber, die doch wieder was vom Rundfunkbeitrags-Kuchen haben möchten, berichtet netzpolitik.org. +++

+++ Wer außer denen, für die das Junge Angebot gedacht ist, "den Ton in von deutschen Institutionen für sie produzierten Medien oft als zu pädagogisch empfindet": Flüchtlinge. In der SZ stellt Moritz Baumstieger Medien vor, die sie, in Deutschland, selber machen. +++

+++ Wem Michael Hanfeld in der FAZ "juristisches Vorgehen im Erdogan-Stil" vorwirft: Luxemburg, anlässlich des Prozesesses gegen die Luxleaks-Enthüller, dessen Ausgang (faz.net) freilich zum Glück recht un-erdoganig war. Dennoch rät Hanfeld den zu Bewährungsstrafen Verurteilten: "Sie sollten in Berufung gehen, bis zum Europäischen Gerichtshof, der liegt ja gleich um die Ecke. Jean-Claude Juncker wird derweil wieder bloß mit der Schulter zucken." +++"Europa ist, wenn Juncker lacht" (faz.net-Talkshowkritik, auch von Hanfeld). +++

+++ Groß auf der FAZ-Medienseite: ein neuer Beitrag zur "Radio-Debatte", nun mit einer Stimme gegen den digitalen DAB+-Standard. "Die digitale Terrestrik bietet keinen signifikanten Mehrwert, insbesondere nicht für die Zielgruppen, die verstärkt Radioangebote und Zusatzdienste über ihr Smartphone nutzen und dort Personalisierung, Interaktion, Multimedialität und Vielfalt erwarten", und da "es mehr als unwahrscheinlich ist, dass die vorhandenen hundertvierzig Millionen UKW-Radios in Haushalten und Autos nahtlos ausgetauscht und durch DAB+-fähige Geräte ersetzt werden, würden nach dem Umstieg auf DAB+ deutlich weniger Menschen Radio hören", meint der RTL Radio Deutschland-Geschäftsführer Gert Zimmer, der als Konkurrenz "Online-Musikdienste mit viel größerer Reichweite" sieht, die "unreguliert im Markt agieren können und durch die zunehmende Einbindung von Wortinhalten und Personalities dem klassischen Radioprinzip immer ähnlicher werden". +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.