„Correct“ heißt nicht „korrekt“
In der Expertenhonorardebatte teilen ARD und ZDF mit, welche verbreiteten Informationen unwahr sind, rücken aber nicht mit der Wahrheit heraus. Außerdem: Ist der Mann, der den Wirbel ausgelöst hat, ein Minnesänger des Bezahlfernsehens? Wer ist eigentlich gemeint, wenn in der Brexit-Berichterstattung von „wir“ die Rede ist? Fehlt im Netz möglicherweise eine Art Wirt, der keinen Ärger will?

Lügt Kress pro? Ja, sagen ARD und ZDF. Okay, wir müssen an dieser Stelle vielleicht noch einmal erklären, was Kress pro ist: ein zehnmal pro Jahr erscheinendes Branchenmagazin, das in seiner aktuellen Ausgabe behauptet, man wisse, wie hoch die Honorare von Mehmet Scholl und Oliver Kahn bei ARD und ZDF seien. kress.de, die kostenfreie Schwester von Kress pro, hat die wichtigsten Informationen des Artikels am Dienstag verbreitet (siehe Altpapier), demnach „verdienen Scholl und Kahn pro Einsatztag bis zu 50.000 Euro Honorar“.

„Die Zahl ist unwahr und meilenweit von der Wirklichkeit entfernt“, 

sagt dazu laut Hans Hoff (SZ) ARD-Programmdirektor Volker Herres.

„Wie viel Scholl genau erhält, wollte Herres nicht sagen und berief sich auf Verschwiegenheitsklauseln in den entsprechenden Verträgen. Er wollte nicht einmal die Frage beantworten, ob Scholl Vertragspartner der ARD oder eine Tochterfirma ist“,

berichtet Hoff des weiteren. 

Jemandem vorzuwerfen, er sage nicht die Wahrheit, aber dann nicht mit der Wahrheit herauszurücken, wirkt natürlich nur bedingt überzeugend. Auf diese von Volker Herres an den Tag gelegte uralte Taktik setzt in einem ähnlichen Kontext (Bundesliga-Rechte) im Übrigen heute auch die ARD-Vorsitzende Karola Wille im großen FAZ-Medienseiten-Interview: 

„Wie ist es mit der Transparenz des öffentlich-rechtlichen Systems? Wie viel Geld gibt die ARD für die Bundesligarechte aus? Zuletzt wurde geschätzt, es seien pro Saison 134 Millionen Euro.“

„Wir befinden uns in einem wirtschaftlichen Wettbewerb mit privaten Konkurrenten und würden unsere Position schwächen, wenn wir von Beginn an alles offenlegen. Der Bundesliga-Vertrag muss noch von den Gremien der ARD genehmigt werden. Dort wird die Summe thematisiert.“

Auf Nachfrage Michael Hanfelds sagt Wille nur:

„Ich verrate Ihnen zumindest, dass die Summe, die Sie hier aufrufen, bei weitem nicht stimmt.“

Zurück zu den Expertenhonoraren: Michael Hanfeld (faz.net) zitiert aus einem „schriftlich formulierten Wutausbruch“ des ARD-Sportkoordinators Axel Balkausky. Bei faz.net und auch bei meedia.de ist zudem erwähnt, dass Oliver Kahn sich „rechtliche Schritte“ vorbehält. Das sagen Leute in so einer Situation immer gern mal, angesichts von Kahns Klagefreude sollte man das aber nicht als verbales Revolverheldentum abtun.

Kress-pro-Chefredakteur Markus Wiegand reagiert auf die Entgegnungen unter anderem, indem er bei kress.de über sich selbst schreibt:

„Kress-pro-Chefredakteur Markus Wiegand hält fest: ‚Wir haben die Geschichte nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und vertrauen unseren Quellen.‘ Er fordert die ARD und ZDF auf, die Verträge von Oliver Kahn (ZDF) als auch Mehmet Scholl (ARD) offenzulegen.“

In einem weiteren Text, im Editorial von Kress pro, schreibt er:

„Hätte die Politik Mut, würde sie zulassen, dass Fußballspiele exklusiv nur noch im Pay-TV zu sehen sind. Die Anbieter würden wohl schon im eigenen Interesse viele abgestufte Bezahlmodelle bis zu Einzelspiel-Käufen anbieten.“

Damit entpuppt sich Wiegand dann doch bloß als ein Minnesänger des Bezahlfernsehens. Der Umsetzung solcher marktradikalen Ideechen steht glücklicherweise noch Paragraph 4 des Rundfunkstaatsvertrags entgegen, in dem festgeschrieben ist, dass „die Ausstrahlung im Fernsehen von Ereignissen von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung (Großereignisse)“ eben nicht dem Pay-TV vorbehalten sein darf. Daniel Bouhs weist angesichts der von Kress pro ausgelösten Debatte in einem kurzen Facebook-Post auf diesen RStV-Paragraphen hin. 

[+++] Großer thematischer Schnitt: Vor 20 Jahren ist Diedrich Diederichsens Buch „Politische Korrekturen“ erschienen. Für die Jungle World war das Anlass, ein drei Textseiten umfassendes Interview mit dem Autor zu veröffentlichen. Worum geht es? Unter anderem darum, wie sich die Anti-Political-Correctness-Kombattanten seit den 1990er Jahren in Szene setzen und inwieweit sich das konservative Feuilleton verändert hat:

„Auch in solchen Intellektuellenkreisen, wo man früher oft schon rechts empfand, aber auf keinem Fall als rechts gelten wollte, fühlen sich manche durch die AfD-Erfolge gestärkt. Ulrich Greiner von der Zeit hat Anfang des Jahres das Manifest ‚Vom Recht, rechts zu sein‘ geschrieben. Einerseits haben solche Leute immer noch Bedenken, andererseits überwindet Greiner sich und gibt sich einen Ruck: Jetzt ist es nicht mehr so schlimm, man kann es sagen. Peter Sloterdijk, Rüdiger Safranski, Botho Strauß und Martin Mosebach seien ehrenwerte Menschen, zu denen er jetzt auch gehören möchte. Offen rechts wollte außer Botho Strauß in den Neunzigern niemand sein.“

Für das Verständnis heutiger Debatten möglicherweise hilfreich ist auch folgende historische Einordnung: 

„Anti-PC (war) immer zunächst mal eine Kritik am ‚Unnatürlichen‘, ‚Verkrampften‘ der PC-Position (…) In unserem Popkritik-Milieu war die Kritik an Authentizitäts- und Natürlichkeitsideen das tägliche Brot in den neunziger Jahren, entsprechend gefiel uns, dass PC Sprache regeln und aus der Natürlichkeitszone herausmanövrieren wollte. Leute, die sich in einer Machtposition befinden, sehen aber ihre Position unterwandert, wenn die Normalität der Sprache, die ihre Machtposition stützt, überhaupt nur Thema wird. Die Macht ist dabei noch nicht einmal angegriffen worden, sie wird lediglich Thema (…) Dass sie sich dann als Opfer empfinden oder inszenieren, ist das Neue, das sich in den neunziger Jahren entwickelt hat. Man konstruiert einen hegemonialen Feminismus, Gutmenschentum, PC etc. und erklärt sich für verfolgt.“

Und möglicherweise basiert das ganze Anti-PC-Bashing ja auf einem „Übersetzungsfehler“, der bereitwillig „instrumentalisiert“ wurde;

„‚Correct‘ heißt übersetzt schließlich nicht ‚korrekt‘, sondern ‚richtig‘, also meint ganz basales Im-Recht-sein, nicht bürokratische Regelkonformität. Insofern habe ich das Buch damals auch ›Politische Korrekturen‹ genannt, um auch dieses Wort ein wenig zu öffnen. Es gehörte zur Selbstinszenierung der PC-Gegner als verfolgte Rebellen, dass sie dem Gegenüber so ein Pedanten- und Oberlehrer-Image zuschusterten.“

Diese Selbstinszenierung gehört ja weiterhin zum Markenkern mancher Publizisten. Darum, was, grob gesagt, den Stammtisch vom Internet unterscheidet, geht es in dem Interview auch noch: 

„Ich denke, dass die Textform des Ausbruchs, wie der Netzkommentar ihn bietet, für die Rechtsradikalisierung sehr hilfreich ist (…) Am Stammtisch gibt es zwar auch Radikalisierung, dort entstehen Mobs, aber es gibt auch eine soziale Kontrolle und einen Wirt, der keinen Ärger will – das gibt es im Netz alles nicht.“

[+++] Im Altpapier kommen solch langen Beiträge wie der eben zitierte in der Regel zu kurz, die Tagesaktualität, die eher kürzere Texte hervorbringt, steht im Mittelpunkt. Das liegt bei einer Kolumne, die einen tagesaktuellen Überblick übers medienjournalistische und medienkritische Geschehen liefern soll, durchaus nahe. Man kann es aber auch als im weiteren Sinne unsolidarisch gegenüber den Machern sehr umfangreicher Beiträge empfinden, schließlich gehören Altpapiere ja ebenfalls zu jenen beträchtliche Durchdringungszeit erfordernden Textkörpern, die in Debatten nicht immer wahrgenommen werden. Kommen wir daher gleich mal zu einem weiteren Longread. Der Blog Geschichte der Gegenwart konstatiert:

„Die gängige Rede, dass sich Histo­ri­ke­rinnen und Histo­riker in ihrem sprich­wört­lichen Elfen­beinturm wenig für die Belange histo­ri­scher Sinnstiftung und öffent­liche Debatten inter­es­sieren, lässt vergessen, dass ihre Forschungs­er­geb­nisse häufig gar nicht zur Kenntnis genommen werden. Und je weiter die Themen geogra­phisch entfernt sind, desto weniger Expertise braucht es offenbar.“ 

Anlass für die Abhandlung ist einer in der Spiegel-Ausgabe 24/16 erschienener Artikel des Afrika-Korrespondenten Bartho­lomäus Grill zum Völkermord der Deutschen an den Herero.

„Ausführlich gibt (…) Grill dort seine Plauder­stunden mit dem namibi­schen Farmer Hinrich Schneider-Waterberg auf der Gästefarm Okoson­go­mingo wieder, der sich als verkannter Histo­riker der ehema­ligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, und insbe­sondere des Koloni­al­kriegs präsen­tiert. Grill räumt dem von ihm so bezeich­neten Hobby­his­to­riker ausführlich Platz ein und bereitet ihm argumen­tativ immer wieder die Bühne. Dabei wirft er Fakten und Fiktionen munter durch­ein­ander. Zwar werden die wesent­lichen Tatsachen zum Koloni­al­krieg gegen die Nama (die regel­mässig vergessen werden) und Herero gar nicht angezweifelt. Ignoriert oder schlicht auch denun­ziert jedoch werden die Inter­pre­ta­tionen dieser Fakten durch die Geschichts­wis­sen­schaft.“

Ich würde mal vorsichtig die These andeuten, dass es nicht auszuschließen ist, dass es für diese Art von journalistischer Geschichtsschreibung auch noch andere Beispiele gibt. Krüger schreibt weiter:

„Anstatt die breite Forschung mit ihren unter­schied­lichen Facetten, Frage­stel­lungen und Einschät­zungen zu referieren oder auch nur zu konsul­tieren, werden einzelne Figuren oder Positionen heraus­ge­griffen, die dann fürs Ganze stehen. Zudem werden popula­ri­sierte Darstel­lungen, die nicht zuletzt auch die Medien anlässlich des 100. Jahres­tages des Krieges 2004 in grosser Zahl produ­ziert haben, wiederholt und fälsch­li­cher­weise als die dominante Forschung ausge­geben.“

[+++] Der Longread, der aktuell wohl die größte Reichweite in der Altpapier-Leserschaft erreichen dürfte: die Rekonstruktion der Ereignisse in der Kölner Silvesternacht, in der vergangenen Woche im gedruckten Zeit-Magazin erschienen und seit Dienstag nun auch frei online verfügbar. „Über Monate hinweg“ haben zehn Autorinnen und Autoren „mit Dutzenden betroffenen Frauen, Tätern, Polizisten, Staatsanwälten, Richtern, Anwälten, Politikern und Kölner Lokalgrößen gesprochen“. Das Ergebnis der Recherche sind 15 Kapitel, aus denen sich nicht so leicht Einzelnes herausgreifen lässt. Versuchen wir es mal hiermit:

„Die Pressemitteilung der Kölner Polizei vom Neujahrsmorgen, in der von ‚ausgelassener Stimmung‘ die Rede ist, markiert den Anfang eines Debakels, das bis heute andauert. Sie ist mangelhafter Kommunikation geschuldet, Sprecherin Martina Kaiser weiß am Morgen schlicht nichts von den sexuellen Übergriffen. Im Laufe des 1. Januar trudeln Informationen ein, trotzdem berichtet die Pressestelle erst am 2. Januar darüber. Kaiser bittet später um Versetzung, entschuldigt sich bei den Opfern. Es hilft nichts: An den Behörden klebt seither der Vorwurf, sie hätten etwas verschweigen wollen (…) Der 4. Januar, ein Montag, ist der Tag, an dem alles zu kippen beginnt. Übers Wochenende sind kaum Artikel über die Silvesternacht erschienen, und die wenigen, die es gibt, beschreiben nicht das gesamte Ausmaß, von 30 bis 50 Krawallmachern ist die Rede. Am 4. Januar wird der Polizei die Dimension allmählich klar; über 90 Anzeigen liegen mittlerweile vor.“

Wie es dann medial weiter ging, lässt sich in sehr vielen Altpapieren nachlesen.

[+++] Bewegen uns wieder aufs tagesaktuelle Feld. Eine Polemik zu den leicht irrwitzigen Auswüchsen der Berichterstattung über den Brexit - unter besonderer Berücksichtigung der Verwendung des Begriffs „wir“ und der Art des Schreibens über die „Jungen“ oder die „Jugend“ - hat Robin Detje für Zeit Online verfasst:

„Die Zeitung Die Welt erklärt am 27. Juni, dass die Jungen die Gelackmeierten des Brexit sind, dass sie aber auch selbst Schuld haben. Twitter wusste schon am 24. Juni, dass die Jungen die Gelackmeierten des Brexit sind. Am selben Tag schrieb Mathias Müller von Blumencron (56) in der Onlineausgabe der FAZ, dass die Jungen die Gelackmeierten des Brexit sind, dass sie aber auch selbst Schuld haben. Am 25. Juni schrieb Wolfgang Gründinger (32) auf Zeit Online, dass ‚wir‘ Jungen die Gelackmeierten des Brexit sind, dass ‚wir‘ aber auch selbst Schuld haben. Bei Müller von Blumencron haben die Jungen selbst Schuld, weil sie zu viel Snapchat machen. Bei Wolfgang Gründinger haben ‚wir‘ Jungen selbst Schuld, weil ‚wir‘ zu viel auf Facebook waren.“

Über Müller von Blumencron äußert sich Detje noch anderer Stelle:

„‚Es wird Zeit für eine neue Rebellion‘, schrieb er. ‚Es wird Zeit, dass die Jüngeren wieder härter mit den Älteren abrechnen.‘ Seine Überschrift lautete: ‚Warum wir eine neue Rebellion brauchen‘. Aber wer sind da ‚wir‘? Die Einkommensklasse, in der Mathias Müller von Blumencron operiert, wurde für die Jugend abgeschafft, außer für die Kinder reicher Eltern. So hat seine, so hat meine Generation das geregelt. Gegen Ende seines Textes kommt dann die erwartbare paternalistische Anti-Internet-Schleife: ‚Es wird Zeit, dass aus den Snapchat-Ichs Menschen erwachsen, die ihre Verantwortung für ihre Zukunft in ihre eigene Hand nehmen und den Populisten Einhalt gebieten.‘"

[+++] Noch mehr Brexit-Berichterstattungs-Kritik: „What the media gets wrong about Brexit“, erläutert uns die Washington Post. Zum Beispiel:

„The idealists want pure sovereignty; the hedge funds want deregulation; the voters voted for the welfare state. The result is chaos. The leave campaign does not have a common vision and does not have a common plan because its members wouldn’t be able to agree on one.“

Anne Applebaum geht zudem auf die finanziellen Verhältnisse einiger Pro-Brexit-Protagonisten aus dem Medienmilieu ein:

„Boris Johnson and Michael Gove, the two leading conservative supporters of Brexit, are both political columnists. Johnson, a former mayor of London who was famously pro-business and pro-immigration, is still paid to write a weekly column for the pro-Brexit Daily Telegraph. Gove, formerly of the Times, is married to a columnist on the pro-Brexit Daily Mail. I am not objecting to their transition from newspapers to politics, just pointing out that neither is accurately described as poor, provincial or anti-establishment. Nigel Farage, the leader of the U.K. Independence Party, is a former commodity broker who doesn’t look like he’s starving either. The newspaper editors and proprietors who backed the loudly anti-elitist Brexit campaign are even more well-heeled. On the eve of voting day, the Daily Mail ran this headline: ‚Lies. Greedy Elites. Or a great future outside a broken, dying Europe: If you believe in Britain, vote Leave.‘ The Daily Mail’s editor, Paul Dacre, earned £2.4 million pounds in 2014. Its proprietor, Viscount Rothermere (a.k.a. Jonathan Harmsworth), is worth £$1.21 billion, according to Forbes, a sum which does not make him a victim of global free trade.“

Eine weitere Variante der Medienkritik im Brexit-Kontext liefert Franco Rota, Prorektor der Hochschule der Medien Stuttgart, bei Cicero Online:

„Deutsche und auch andere europäische Medien, TV?Formate, Websites oder Zeitungen berichten kaum über den Sinn, den Wert, die Notwendigkeit des Zusammenhalts der EU, deren potenzielle Gegner oder die Rolle der Europäischen Union in der multipolaren Weltpolitik (…) Am Niedergang der europäischen Idee und der drohenden Zerstückelung der EU durch den Brexit sind deshalb auch die deutschen Medien und andere europäische Medien nicht unbeteiligt. Denn seit Bestehen der Europäischen Union und trotz einer immer stärkeren Integration der EU?Länder auf wirtschaftlichen, monetären, rechtlichen und sozialen Gebieten haben es weder die EU?Staaten noch deren öffentlich?rechtliche Sender vermocht, eine EU?weite Medienlandschaft zu erschaffen, die der EU gewidmet ist und die die Belange der EU thematisiert.“

Wer das jetzt ein bisschen zu trocken findet, der wird sich möglicherweise durch die von der Cicero-Redaktion mitgelieferte Information aufheitern lassen, dass der Autor einst einen wahrlich famosen Job hatte: Er war mal „Wirtschaftsressortleiter bei der Zeitschrift Bunte“.


Altpapierkorb

+++ Mehr als 25 Jahre lang hat der Verfassungsschutz die für die taz arbeitende Hamburger Fotografin Marily Stroux beobachtet. Die Nord-Ausgabe der Zeitung berichtet darüber: „Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass die 31 auf­ge­zähl­ten Er­eig­nis­se, die die Ver­fas­sungs­schüt­zer zu der Be­wer­tung ver­an­las­sen, dass Stroux als ‚be­deu­ten­de Per­son in­ner­halb der links­ex­tre­mis­ti­schen Szene ge­wer­tet‘ wer­den müsse, nicht die ein­zi­gen Daten sind, die noch von ihr ge­spei­chert sind – zumal die of­fi­zi­el­le Samm­lung völ­lig feh­ler­haft ist.“ Die Betroffene empfindet die Spionage sowohl als skandalös als auch als lächerlich. In letztere Kategorie fällt auch der Sachverhalt, dass, wie die taz schreibt, der „In­lands­ge­heim­dienst einige „Da­ten­sät­ze als Ver­schluss­sa­che (behandelt), da sonst ‚Nach­rich­ten­zu­gän­ge des Ver­fas­sungs­schut­zes ge­fähr­det sein kön­nen‘“.

+++ Die SZ stellt im Feuilleton die vom Deutsche Kulturrat vorgelegte, im Auftrag von Kulturstaatsministerin Monika Grütters entstandene Studie „Frauen in Kultur und Medien" vor: „Es gibt (…) im letzten Teil Zitate aus Gesprächen mit Frauen aus dem Kulturbetrieb, Künstlerinnen und Autorinnen, die beschreiben, wie ihr Werk medial gespiegelt wird, als Randfiguren, deren Bücher nicht mithalten können mit denen von Männern. Nun kann zwar keine Autorin nachweisen, dass ihr Buch doch so gut ist wie das von einem männlichem Kollegen - aber ernst nehmen kann man den Einwand dennoch. Die San Diego State University hat gerade eine Studie veröffentlicht, für die sie die Filmkritiken aus drei Monaten auswertete - Kritiken werden überwiegend von Männern geschrieben, die sich überwiegend für Filme mit männlichen Protagonisten entschieden.“

+++ Lange nichts über die Zukunft des Journalismus gelesen? Daniel Fiene, ein alter Hase der Journalismuszukunftsdeuterei, haut im Interview mit t3n  - Nachtrag, 12.20 Uhr: Ein Leser weist per DM dankenswerterweise darauf in, dass das Gespräch zuerst im Blog einer PR-Agentur erschienen ist, was zur Einordnung des Gesagten nicht unwichtig ist - die eine oder andere Hammer-, um nicht zu sagen: Holzhammerthese raus: „Das Denken in Artikeln ist altmodisch, sie sind nicht mehr zeitgemäß. Im Hinblick auf Darstellungsformen passiert gerade sehr viel. Snapchat ist da natürlich wahnsinnig interessant. Was die Liveticker in den 2000er-Jahren waren, ist 2016 Snapchat. Die App prägt gerade eine ganze Generation – das ist unglaublich spannend! Ein Blick in die USA, wo 50 Prozent der bis zu 35-Jährigen über Snapchat erreicht werden, zeigt die große Relevanz dieser Form der Ansprache. Um nicht als altbacken, angestaubt oder langweilig daherzukommen, müssen die Medien ihre Geschichten zukünftig ähnlich darstellen.“ Matthias Müller von Blumencron zum Beispiel („Es wird Zeit, dass aus den Snapchat-Ichs Menschen erwachsen, die ihre Verantwortung für ihre Zukunft in ihre eigene Hand nehmen“, siehe oben) wird das vermutlich anders sehen.

 +++ Und was macht die Kunst, und zwar die teure, die man auch „Siegerkunst“ nennen kann, und die „sich allein an den Bedürfnissen einer reichen Kundschaft (orientiert) und dabei all die Imagevorteile (nutzt), die Kunst gegenüber anderen Luxusgütern besitzt“, wie es der Kunsthistoriker und -kritiker Wolfgang Ullrich formuliert? Dazu ein Verweis auf einen weiteren Longread, und zwar auf ein Interview mit Ullrich aus der Juli-Ausgabe von konkret, das derzeit nicht frei online steht: „Siegerkünstler wollen möglichst konsequent kontrollieren, wo und wie ihre Arbeiten auftauchen und diskutiert werden. (…) Generell verleiht ihnen ihre ökonomische Potenz die Möglichkeit, viel zu kontrollieren, Publikationen in Auftrag zu geben (…) Mit einer unabhängigen Kunstkritik oder -wissenschaft können sie daher nicht gut umgehen (…) Standen die Künstler der Avantgarde in einer Komplizenbeziehung zur Kunstkritik, so wird daraus immer mehr eine Gegnerschaft. Man verweigert Abbildungsgenehmigungen, um die eigene Macht abzusichern (…) Es scheint mir jedenfalls an der Zeit zu sein, diesen Missbrauch des Urheberrechts zu Zwecken der Zensur breiter zu diskutieren (…) Sonst kann man über einige Künstler vielleicht bald gar nicht mehr schreiben.“

+++ Zum Schluss noch Reklame in eigener Sache: Für die Medienkorrespondenz habe ich einen Nachbericht zum Hamburger Mediensymposium geschrieben, das in diesem Jahr den Titel „Und nun zur Werbung! Wie neue Techniken und Akteure die Finanzierung medialer Inhalte beeinflussen“ trug. Um die Hoffnung, dass sich Werbetreibende von neuen Verbreitungswegen wie HbbTV begeistern lassen, und darum, dass Werbung den Journalismus nicht nur finanziert, sondern ihn auch bedroht (Stichwort Content Marketing, siehe Altpapier), geht es in dem Beitrag unter anderem.

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.