Der Unkumpelige
ARD-Einzelkämpfer Hajo Seppelt zwischen größtem Triumph, deutschem Getalke und russischen Interviews. 4:1 für die TAZ oder Achtungserfolg für Björn Höcke? Jedenfalls ist der AfD-Mann fast überall nur noch mit zwei ausgestreckten Armen (oder keinem) zu sehen. Neues von Er-/ Dogan und Springer. Außerdem: eine hypnotische Tommy-Buhrow-Ernst-Ludwig-Kirchner-Fotomontage, die TAZ in einer Reihe mit bild.de.

"Das Kumpelige, das Gefühlige, das Fansein" im Sportjournalismus - in Wochen wie diesen wissen Millionen Fernsehzuschauer noch besser als sonst, was damit gemeint ist.

Der tagesaktuell viralste Schnipsel zur Fußball-EM, der bereits redaktionelle Textartikel in Internetauftritten gedruckter Zeitungen nach sich zog ("Isländischer Kommentator rastet nach Sieg komplett aus"/ "Im Netz wird Gummi Ben bereits als Legende gehandelt. Das isländische Mobilfunkunternehmen Siminn, das die Rechte an der Übertragung der EURO 2016 besitzt, beschreibt ihn auf Twitter als ... ..."), den aber auch kritische Geister gerne weiter teilen, wird deutsche Fernsehreporter vermutlich nicht dazu anstacheln, sich zu zügeln, falls zum Beispiel, rein hypothetisch, Thomas Müller ein Tor gegen die Slowakei gelingen sollte. Eher im Gegenteil.

Der Grund, aus dem im Aufmacher-Artikel der SZ-Medienseite vom Kumpeligen, Gefühligen, Fansein, die Rede ist, ist aber, das Objekt des Artikels davon abzusetzen. Bernd Dörries, NRW-Korrespondent der SZ, porträtiert Hajo Seppelt, den unkumpeligen "Doping-Jäger der ARD", wie die Online-Überschrift lautet. Die Print-Überschrift lautet "Erntezeit". Denn nachdem Seppelt als Doping-Experte lange Jahre in der großen ARD-Sportabteilung eher wenig gelitten war, etwa zu Zeiten des Sport-Koordinators Hagen Boßdorf, der Karriere "im System ARD" gemacht habe, "indem er sich möglichst nah an das vom Doping verseuchte System Telekom ranwanzte", befinde er sich nun auf dem Zenit, glaubt Dörries: Es war

"der Abend vor dem größten Triumph seiner Journalistenkarriere, der Donnerstagabend vergangener Woche, wenige Stunden bevor der Internationale Leichtathletikverband russische Athleten von Olympia ausschließen wird."

Wobei bekanntlich sowohl die Details des Ausschlusses noch ungewiss sind, als auch, zumal international, unterschiedliche Ansichten darüber bestehen, wie gerecht so ein Aussschluss in welchem Ausmaß wäre. Schon zum Interview, das Seppelt dem russischen Staatsfernsehen zumindest anfangs gab, gibt es unterschiedliche Ansichten. "Seppelt hat offenbar ziemlich unvorbereitet und ohne Begleitperson russische TV-Reporter in ein für ihn angemietetes Apartment gelassen und anschließend die Contenance verloren. In deutschen Medien ist mittlerweile von einem 'Überfall' die Rede. Das scheint mir in der Verkürzung kaum überzeugender als die Berichterstattung eines russischen Propagandasenders", meinte vor zehn Tagen Jens Weinreich in seinem Namensblog (mit Links zu zwei deutschen Medienberichten und dem vom deutschsprachigen Zweig des russischen Fernsehens auf Youtube gestellten Clip). Dörries beschreibt's nun so:

"Das russische Fernsehen [hat] eine Kollegin nach Deutschland geschickt, Seppelt eine Falle gestellt, in die er ein bisschen naiv hineintappte. Die Reporterin will in einem Kölner Hotelzimmer Beweise sehen, fragt, ob Seppelt gekauft wurde von den Geheimdiensten. Die Sache eskaliert, Seppelt will das Interview beenden, die Reporterin nicht, bleibt einfach da, Seppelt drängt sie nach draußen, nimmt ihr den Mikrofonschutz weg, liefert ihr die Bilder, die sie haben wollte: Westlicher Provokateur kann keine Beweise für Doping vorlegen und wird handgreiflich."

Seppelts Einzelkämpfer-Alltag besteht zurzeit darin, sowohl solche Situationen meistern zu müssen als auch die üblichen ARD-Talkshows ("Ein paar Tage zuvor hatte Sandra Maischberger in ihrer Sendung einen Mitarbeiter von Russia Today neben Seppelt platziert, dessen Theorien ihn zur Weißglut brachten"). Schließlich ist er zu einem Aushängeschild der ARD avanciert und hilft als solches den Anstalten, wenn sie wieder für irgendwas kritisiert werden (und sei es für stundenlange Fußballpalaver).

"Vielleicht kann man den Job, so wie ihn Hajo Seppelt macht, gar nicht anders nehmen als sehr persönlich. Er ist ein Ein-Mann-Unternehmen, das sich mehr Gedanken über neue Akten macht als über den letzten Fernsehauftritt",

lautet Dörries' Fazit. Seine News besteht darin, dass Seppelt "künftig wohl ... über seine eigene Produktionsfirma beauftragt werden" soll statt einfach als freier Mitarbeiter - genau wie Sandra Maischberger und viele weitere Talk- und Quizshowmoderatoren. Für Seppelt, der auf seinem Internetauftritt hajoseppelt.de bereits jetzt zwölf seiner Fernsehreportagen von 2002 bis in die Gegenwart in voller Länge anbietet, könnte das eine gute Sache sein.

Der SZ-Artikel ist auch ein gutes Porträt. Bloß einen Hinweis auf Seppelts kürzlich gestartetes Projekt sportsleaks.com, dessen Mission ("dedicated to whistleblowing in sports ...") er in einer Videoansprache erläutert, über die er sich offensichtlich durchaus Gedanken gemacht hat, könnte es noch enthalten. Doch halt, Leaks anziehen, recherchieren und die Ergebnisse dann verkaufen, das macht die Süddeutsche ja selbst, zum Teil auch gemeinsam mit dem Kumpels vom keineswegs unangefochtenen (Altpapier) NDR-WDR-Rechercheverbund ...

[+++] Gestern ging's an dieser Stelle auch um den medienjuristische 2:0 Mathias Döpfners gegen R.T. Erdogan (bzw. 0:2). Kurz darauf begann die nächste medienjuristische Neuigkeit die Runde zu machen. Vor dem Landgericht Erfurt hat die TAZ "in vier von fünf Punkten" gegen den AfD-Politiker Björn Höcke gewonnen. Leicht anders lässt sich dieses Urteil aber auch lesen: "Teilerfolg für Höcke" lautet die Überschrift über der knappen DPA-Meldung auf der SZ-Medienseite.

Um was es in Erfurt ging, zeigt ein TAZ-Hausblog-Eintrag (vom 17. Juni, weiter unten ums gestrige Urteil und eine kleine Medienschau aktualisiert). Es ehrt die TAZ, dass sie um diesen eigenen Erfolg kein größeres Bohei veranstaltet. Denn der TAZ-Erfolg besteht in diesem Fall vor allem darin, dass das Foto weiterhin verwendet werden darf. Höckes Teilerfolg besteht darin, dass die Implikation, es zeige einen Hitlergruß, untersagt wurde.

Dass die Szene wirklich keinen Hitlergruß zeigte, nicht ganz so eindeutig wie die ebenfalls als Hitlergruß verbratenene Geste des österreichischen Bundespräsidentschafts-Kandidaten Norbert Hofer, aber auch eindeutig, hat Anfang Juni Boris Rosenkranz bei uebermedien.de dargelegt. Der Text steht nun vollständig frei online. Und die TAZ hatte diesen Aspekt ihres Onlineartikel bereits früh verändert.

Insofern zeigen die meisten Medien Höcke nun mit zwei ausgestreckten Armen (faz.net: "Der Höckegruß", Tagesspiegel) oder ohne ausgestreckte Arme (meedia.de, das eigentlich ja vor keine Fotomontage zurückschreckt, wie aktuell diese hypnotische Tommy-Buhrow-Ernst-Ludwig-Kirchner-Montage zeigt).

Bloß Spiegel Online zeigt zur Illustration seiner Meldung per Screenshot einen Ausschnitt aus dem taz.de-Artikel - mit dem nicht verbotenen Foto vom Gruß mit einem Arm, ohne die Überschrift, jedoch mit genau zwei Zeilen Text, durch die die eigentlich verbotene Implikation wieder reinrutscht. Sollten Höcke und seine Anwälte sehr gerichtsstreitlustig sein, könnten sie dagegen womöglich wieder vorgehen. Könnte sein, dass SPON das auch gerne hätte. Erst mal aber, darauf weist die Meldung dort auch hin, ist "noch eine Klage Höckes gegen Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) auf Schadensersatz anhängig. Dieser hatte das 'taz'-Bild von Höcke mit erhobenem Arm auf dem Kurznachrichtendienst Twitter über seinen privaten Account kommentarlos weitergeleitet".

Und für wie justiziabel befunden wird, redaktionelle Berichte anderer, die später als justiziabel erkannt wurden, weiterzuleiten, könnte ebenfalls eine spannende Frage sein, zumal die Justiz in digitalen Dingen ja keine einheitliche Meinung verfolgt, sondern alles Brisante irgendwann in der letzten Instanz landet.

[+++] "Neue Eskalationsstufe zwischen dem ZDF und der Türkei",

meldet Springers welt.de. Schließlich ist das ZDF mit seinem Nebensender Neo ja Jan Böhmermanns Heimstatt. Dabei hat der türkische Kanal D die vom ZDF übernommene, deutschsprachige Kindernachrichtensendung "logo!" offiziell nicht wegen Böhmermann (oder dessen Mitstreiter Mathias Döpfner), sondern der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages nach "fast zehn Jahren" (ZDF-Pressemitteilung) aus seinem Programm gekickt.

Daran auch interessant und weder bei welt.de, noch in einer anderen der vielen Weitermeldungen dieser News (meedia.de, faz.net, Tagesspiegel) enthalten: An der Medienholding Dogan, der dieser Kanal D gehört, ist Axel Springer beteiligt. Das hat Ulrike Simon (RND) kürzlich einer Fußnote eines Springer-Quartalsberichts entnommen und lässt sich auch Springers Internetauftritt entnehmen (in dem wegen eines Anteilskauf 2009 von Dogan die Rede ist, seither aber nicht mehr ...).

Nicht, dass Springer bei Dogan operativen Einfluss haben dürfte, den haben bei türkischen Medien der Staatspräsident und seine Anhänger vermutlich weitgehend allein, aber: Dass alle melden, was alle melden, und niemand sich die Zeit nimmt oder nehmen kann, wenigstens eine naheliegende Zusatzinformation damit zu verknüpfen, ist auch ein Zeichen der Zeit.


Altpapierkorb

+++ Jetzt noch stärker an Axel Springer beteiligt: der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner. Davon berichtet Ulrike Simons aktuelle RND-, also Madsack-Zeitungs-Medienkolumne . +++

+++ Die TAZ in einer Reihe mit bild.de: bei den jüngsten Presseratsrügen, wegen Fotos vom "mumifizierten Leichnam eines deutschen Seglers". "Die TAZ und ihre Onlineausgabe widmeten dem Toten unter der Überschrift 'Feingefühl unter Wasser' einen satirischen Beitrag, den der Ausschuss als herabwürdigend bewertete. Auch hier wurde das Foto der Leiche veröffentlicht und mit einem Werk des Malers Goya verglichen" (presserat.de auf seiner nicht tief verlinkbaren Pressemitteilungs-Seite; siehe auch Tagesspiegel, hier nebenan). +++

+++ Und falls die gestern hier ohne Not aufgeworfene Frage interessiert, ob die Türkei bei der EM weitergekommen ist: Kurz vor Ende des Spiels zwischen Irland und Italien schied sie aus... (kicker.de). +++

+++ Bei faz.net haut Michael Hanfeld den Öffentlich-Rechtlichen ihre üppigen Ausgaben für kumpeligen Fernsehsport um die Ohren (siehe ebenfalls Altpapier gestern). +++

+++ Und auf der FAZ-Medienseite erledigt Hanfeld auf 23 Zeilen die Sat.1-EM-Berichterstattung ("[Serdar] Somuncus Sticheleien pariert [Frank] Buschmann mit dumpfen Bemerkungen, die nur peinlich sind – ein krasser Kontrast zu den Fan-Boys bei ARD und ZDF, aber keiner, den man mit ansehen möchte"). +++ Und unterhält sich über fünf Spalten, also beinahe ganzseitig, mit dem Intendanten des Hessischen Rundfunks, Manfred Krupp ("Der Studentenführer Rudi Dutschke hat einst vom Marsch durch die Institutionen gesprochen. Sie haben den Marsch durch eine Institution gemacht." - "Erstens war es kein Marsch, und zweitens ist der Hessische Rundfunk für mich mehr als eine Institution ..."). Es geht vor allem um die Hessischkeit des Hessischen Rundfunks. +++

+++ Für Hessen und einst nahe Hessen Aufgewachsene gut komplementär zu lesen: das dwdl.de-Interview mit Werner Reinke, der am Wochenende 70 wurde ("Das Radio begeht gerade Selbstmord"). +++

+++ Der umfassendeste Artikel zum mutmaßlich neuem NRW-Medienwächter, dem bisherigen RTL-Lobbyisten Tobias Schmid, steht in der Medienkorrespondenz weiterhin frei online (Altpapier vor einer Woche). Jetzt auch, eher knapp, steigen der Tagesspiegel und, etwas meinungsstärker, aber nicht unbedingt gegen Schmid, Claudia Tieschky in der SZ ("Lobby-Hopper"), ein. +++

+++ Die DDVG, eine reine SPD-Tochter, "verkauft ihre Anteile am Nordbayrischen Kurier aus Bayreuth an die Frankenpost in Hof", an der sie selbst "weiterhin mit 35 Prozent" beteiligt ist. Dadurch "soll die Zusammenarbeit der beiden Zeitungen intensiviert werden" (meedia.de). +++

+++ Im aktuellen epd medien-Tagebuch beleuchtet Thomas Gehringer den sich im Kreis drehenden "Streit ums Digitalradio". +++

+++ Die gestern hier erwähnte gönnerhafte Andrea-Voßhoff-Aussage, sie hätte ja gerne mehr Zeit, um netzpolitik.org zu lesen, kontert netzpolitik.org mit "Was macht eigentlich Andrea Voßhoff?" +++

+++ Jetzt auch die kürzlich hier erwähnte Brenner-Stiftungs-Studie zum Content Marketing gelesen und seinen Bericht mit einem interessanten (Podemos-Ikea-)Foto illustriert hat der Freitag. +++

+++ "Zahlungsbereitschaft für #Onlinejournalismus steigt! Von ganz wenig auf nur wenig" (Jens Rehländer auf Twitter zu einer Bitkom-Zahlungsbereitschafts-Studie, über die auch DPA/ TAZ berichten). Auch wenn die Mitteilung beim Bitkom selbst nicht zum gründlichen Lesen einlädt, könnte es sich lohnen, ihre Sätze auf die Goldwaage zu legen. Zum Beispiel wird im fünften Absatz Bitkom-Vizepräsident Achim Berg zitiert: "'Intelligente Software kann Journalisten von eintönigen Routinetätigkeiten entlasten, ihn aber nicht ersetzen', betonte Berg". Und dass das Objekt "Journalisten" im ersten Teil des Satzes nach Plural klingt, im zweiten Teil aber Singular ist, könnte etwas zu bedeuten haben. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.