Nicht nur sauber, sondern klinisch rein
Die Sache mit der Bildauswahl der UEFA ist echt nicht okay, meinen ARD und ZDF. Was sie nicht davon abhält, an anderer Stelle deren PR-Material still und heimlich wegzusenden. Die „Tagesthemen“ haben einen Ort entdeckt, an dem man auch in Zeiten des Fußballs Nachrichten zeigen kann. Die Thüringische Polizei verweist Journalisten des Feldes. Und Windows-Nutzer staunen nicht schlecht.

Wow. Jetzt haben es ARD und ZDF der UEFA aber so richtig gezeigt!

„,Wir waren nicht zufrieden mit dem Bildangebot nach Abpfiff des Spiels England ? Russland, das haben wir deutlich angemerkt’, sagte [ZDF-Sportchef Dieter] Gruschwitz. Die Prügeleien im Stadion von Marseille hatte die UEFA nicht gezeigt. Auch der Flitzer bei der Partie Kroatien gegen die Türkei war in der ARD kaum zu sehen, weil die UEFA es so wollte. ,Wir gehen davon aus, dass wir alle relevanten Bilder bekommen’, forderte der ZDF-Sportchef: ,Das beinhaltet nicht nur Bilder vom Spielfeld, sondern auch alles, was abseits passiert.’ Die UEFA hatte dazu am Vortag mitgeteilt: ,Wir wollen nicht, dass Szenen von Gewalt im Fernsehen zu sehen sind.’ Die Sender wollen darüber aber selbst entscheiden.“

So berichtete es gestern die dpa, veröffentlicht u.a. bei Meedia. Womit bewiesen wäre: Sportjournalisten sind auch Journalisten und damit unabhängig und der Wahrheit verpflichtet und nicht etwa große Fans und zudem in der Tasche eines europäischen Fußballverbandes mit Hang zur optimalen Selbstdarstellung versenkt.

Tja. Außer, das halt doch. Denn dass die Ausrichter sportlicher Großereignisse das Fernsehbild nicht nur kontrollieren, sondern auch bewusst beeinflussen, und sich danach die öffentlich-rechtlichen Sender darüber ein bisschen Alibi-beschweren, gehört zur Folklore dieser Veranstaltungen.

„Auch bei der Europameisterschaft vor vier Jahren hatte es Streit um die von der Uefa zur Verfügung gestellten TV-Bilder gegeben. Damals war es um eine Szene gegangen, die den Bundestrainer Joachim Löw zeigte, wie er einem Balljungen von hinten den Ball stibizte. Obwohl der kuriose Moment während des Spiels zwischen Deutschland und den Niederlanden zu sehen war, entstand das Material bereits vor dem Anpfiff. Das ZDF hatte sich deshalb auch damals bei der Uefa beschwert“,

erinnert Alexander Krei bei DWDL. In der Hannoverschen Allgemeinen berichtet Imre Grimm von der selektiven Bildauswahl bei den Olympischen Spielen 2008 in Beijing.

Wenn die mediale Macht etwa der UEFA nicht mehr zu verheimlichen ist, preschen die Sender nach vorne. Doch wenn sie glauben, es fällt gar nicht auf, senden sie still und heimlich das schönste PR-Material. So dokumentierte es Daniel Bouhs in der vergangenen Woche in seinem Zapp-Beitrag am Beispiel von insgesamt acht Sendungen im Vorfeld der EM. Diese mussten ARD und ZDF zeigen, um die Vorfreude zu steigern. Dazu waren sie laut Vertrag mit der UEFA verpflichtet. Nicht gezwungen waren sie jedoch, dafür auch das Bildmaterial des Verbandes zu nutzen, was sie jedoch nicht davon abhielt, genau das zu tun, und zwar ohne Kennzeichnung, wie das beispielsweise in der „Tagesschau“ üblich ist (über ähnliche Vorkommnisse in der Schweiz berichtete die Medienwoche).

Damit konfrontiert erklärte der oben bereits zitierte ZDF-Sportchef:

„Dieses Material wird ja (...) redaktionell geprüft. Das heißt, die redaktionelle Leistung am Ende ist eine Leistung des ZDF und nicht eines Verbandes oder Vereins. An der ein oder anderen Stelle könnte man, wenn es vielleicht noch mal kritisch wird, dies noch mal kenntlich machen. Aber bei dem Material, das wir bisher zur Verfügung gestellt haben, war es nicht nötig, weil es ein sauberes, nicht gebrandetes, werbefreies Material ist.“

Gruschwitz nennt es sauber; ich würde auf hochglanzpoliert steigern. Sich selbst ein Bild machen können Sie zum Beispiel in der ZDF-Mediathek, in der „Fußball-Fieber: Das EM-Magazin“ noch nachzuschauen ist.

Womit ich sagen will: Ist ja okay, dass die öffentlich-rechtlichen Sender "rund 160 Millionen Euro" ausgeben, damit sie das PR-Material der UEFA senden dürfen. Aber dann sollen sie bitte nicht so tun, als sei das Journalismus.

Das zum einen. Zum anderen lohnt sich noch ein Blick auf die Argumentation des Fußballverbandes, der Ausschreitungen nicht zeigen mag, um keine Nachahmer auf den Plan zu rufen. Die bereits angesprochene dpa zitiert dazu den Münchner Medienwissenschaftler Michael Schaffrath:

„,Die Problematik des Nachahmens ist nicht von der Hand zu weisen.’ Die Hooligan-Gewalt sei nicht für jeden befremdlich. ,Auf den einen wirkt das abschreckend, auf den anderen motivierend. Das ist in der Gesellschaft so.’“

Wie Schaffrath nach dieser Logik die Ausstrahlung von Nachrichtensendungen zu verantworten vermag, bleibt sein Geheimnis. Imre Grimm schreibt daher folgerichtig in der HAZ:

„Bei Flitzern ohne jeden Nachrichtenwert mag Ausblenden das Mittel der Wahl sein. Bei Hooligans aber liegt der Fall anders. Ihr Ziel ist nicht mediale Präsenz. Ihr Ziel ist Gewalt. Sie auszublenden löst kein Problem. Im Gegenteil: Sie zu zeigen entreißt die Täter der sicheren Anonymität. Dafür müsste die Uefa freilich öffentlich eingestehen, dass ihr Sicherheitskonzept versagt hat. Das wird sie nicht tun.“

Micheal Hanfeld formuliert es auf der Medienseite der FAZ wie folgt:

„Um jeden Preis den schönen Schein wahren? Das Argument überzeugt nicht wirklich. Man muss Gewalt nicht sensationalistisch abbilden, sollte aber auch nicht so tun, als gäbe es sie nicht. Die Uefa zeigt indes, dass sie am längeren Hebel sitzt und Herr der Bilder bleibt, welche die Sender bloß transportieren. Sie sind nicht journalistische Beobachter, sondern Mitveranstalter, deren Rechnung, sieht man vom Informationsdefizit ab, aufgeht“.

Nur Markus Ehrenberg plagen auf der Medienseite des Tagesspiegels ganz andere Probleme mit der UEFA:

„Da werden die Kiddies monatelang mit Panini-Spieler-Sammelbildchen bombardiert, wenn es dann aber mit Thomas Müller, Manuel Neuer & Co. so richtig losgeht, heißt es von den Eltern: So, duschen, vorlesen, ab ins Bett, morgen früh ist Schule! PapaMama schleichen ins Wohnzimmer und gucken sich das deutsche Spiel an. Den Fernseh-Ton auf ziemlich leise übrigens, damit Stadion-Atmo und früher Torjubel bloß nicht ins Kinderzimmer dringen.“

Nicht nur die Auswahl der Bilder ist demnach ein Ärgernis, sondern auch die Uhrzeit, zu der sie laufen. Dass man so viel falsch machen und dennoch so gut daran verdienen kann, darum muss man die UEFA doch beneiden.

[+++] Ein Spiel dauert 90 Minuten, und die Halbzeitpause dazwischen ist zu kurz, um eine komplette, abendliche Nachrichtensendung darin unterzubringen. Sogar, wenn das Spiel auf einem anderen Sender übertragen wird (yes, I am looking at you, ZDF). Diese alte Weisheit hat nun die ARD-aktuell-Chefredaktion auf eine verrückte Idee gebracht – nämlich, nach Wiederanpfiff im Stadion einfach online weiter Nachrichten zu senden. Am Sonntag wurde diese Taktik während des Spiels der Deutschen gegen die Ukrainer erstmals eingesetzt, sodass Thomas Roth online Georg Mascolo interviewen konnte, während die Fernsehzuschauer das Spiel in Lille zu sehen bekamen.   

Im "Tagesschau"-Blog schreibt dazu Christian Nitsche:

„Die Digital-Marke ,tagesthemen’ als Hintergrundformat wird auch durch Live-Expertengespräche auf facebook gestärkt. Wir werden Fragen und Reaktionen der User in diese Gespräche integrieren. Auch zu den Olympischen Spielen werden bei Kurzausgaben die ,tagesthemen’ online vertiefen. Wir wollen dabei auch unterschiedliche Formen der Zuschauerbeteiligung testen, also auch Themen, die die Redaktion dann vertieft, hin und wieder zur Wahl stellen. Nach EM und Olympia werden wir Bilanz ziehen, welche Online-Formate sich bewährt haben. Diese führen wir weiter.“

Auf der einen Seite ist es keine schlechte Idee, denjenigen, die ihre Gebühren eher in Information als in Irgendwas-mit-Fußball-Berichterstattung investiert wissen wollen, ein solches Angebot zu machen. Zumal schon lange und damit vor der Entdeckung der „Digital-Marke ,tagesthmen’ als Hintergrundformat“ die Dritten diese Funktion erfüllen, wenn im Ersten zur besten „Tagesschau“-Sendezeit dringend aktueller Sport zu zeigen ist.

Auf der anderen stellt sich die Frage, wie groß die Gefahr ist, dass die ARD beim erfolgreichem Bilanzziehen zu dem Schluss kommt, dass diese Sendung mit den Nonnen und den super Einschaltquoten eine Viertelstunde länger dauern könnte, wenn man diese lästigen Nachrichten ins Internet abschiebt? In den Kommentaren unter dem Post wird sich zudem darüber gewundert, wofür dann eigentlich der Sender Tagesschau24 da ist?(Bonustrack: „Und was soll das mit Facebook? Facebook ist meines Wissens ein Wirtschaftsunternehmen, oder?“, Kommentar zwei von Gerlinde, leider nicht extra verlinkbar).

Zumindest diese Frage kann hier geklärt werden: Wenn etwa morgen Abend im Ersten Frankreich gegen Albanien spielt, zeigt Tagesschau24: verkürzte „Tagesthemen“. Und danach die Essensdoku „Isst denn niemand mehr normal?“ Was sicher auch wichtig ist, zumal diese nur noch bis Mai 2017 in der Mediathek abzurufen ist.


Altpapierkorb

+++ Hat die Thüringer Polizei die Pressefreiheit eingeschränkt, als sie Ende Mai bei einem Rechtsrockkonzert Platzverweise für Journalisten aussprach? Das soll nun ein Gericht klären, schreibt Konrad Litschko in der taz. +++

+++ In Springers Welt macht sie Susanne Gaschke (dort als „Reporterin“ geführt, aber auch bekannt als gescheiterte Kieler SPD-Bürgermeisterin) Gedanken darüber, warum Journalisten fast so unbeliebt sind wie Politiker. Eine ihrer Thesen: „[Journalisten] glauben inzwischen tatsächlich an das Märchen von ihrer eigenen professionellen Objektivität. (...) Sie sind nicht Teil des Systems, sie stehen nicht einmal außerhalb des Systems, sie schweben über ihm. Das führt zu einer ziemlich lästigen Schiedsrichter-Mentalität und dem permanenten Vergeben von Haltungsnoten, die jedem, der irgendetwas tut – ob in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder Kunst –, das Leben ausgesprochen schwer macht.“ +++

+++ Die Schweizer Wochenzeitung dokumentiert in ihrer aktuellen Ausgabe den bemerkenswerten Wandel der Publizistin Cora Stephan. „Heute wird Stephan, die einst für das Frankfurter Sponti-Magazin ,Pflasterstrand’ gearbeitet und im ,Linksradikalen Blasorchester’ Flöte gespielt hat, von der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) als ,sehr kluge Autorin’ gefeiert. Das ist nicht zuletzt deshalb brisant, weil man Stephans Namen seit Anfang 2016 auch regelmässig in der NZZ liest. (...) Auch im deutschen Magazin ,Wirtschaftswoche’ schreibt sie eine Kolumne, ,Stephans Spitzen’. (...) Wie andere rechte PublizistInnen auch schafft es Cora Stephan stets, die eigene Position als eine sachliche, von jeder emotionalen und moralischen Verzerrung befreite darzustellen. Hetzerinnen oder Moralisten sind immer die anderen.“ +++

+++ Der sogenannte Islamische Staat hat sich dazu bekannt, in der Türkei einen IS-kritischen, syrischen Journalisten angeschossen zu haben, meldet Der Standard. +++

+++++ Die Fußball-EM darf es noch zeigen, doch danach könnte Schluss sein für das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Bosnien und Herzegowina, schreibt Florian Hassel auf der Medienseite der SZ, die aufgrund eines Druckerstreikes heute etwas durcheinander geraten ist in ihrer Seitenstruktur (die Medien finden Sie auf S. 39 im München-Teil, falls Sie Gedrucktes mögen). „Dass es überhaupt einen übergreifenden, nationalen Fernsehsender gibt, verdankt das Land dem nach dem Bosnienkrieg von den Vereinten Nationen als oberste Autorität in Bosnien eingesetzten Hohen Repräsentanten. Der etablierte von 1999 an BHRT als nationale Anstalt. Finanziert werden sollte der Sender von Beiträgen der Zuschauer, die die beiden anderen Fernsehanstalten aus der Serbenrepublik und der bosnisch-kroatischen Föderation an BHRT weiterreichen sollen. Das aber tun sie nicht: Allein RTV schuldet BHRT dem Intendanten zufolge umgerechnet gut acht Millionen Euro, der serbische Kanal RTRS noch einmal gut vier Millionen Euro.“ Die zu besprechende, US-amerikanische Serie auf der Seite ist Netflix’ „12 Monkeys“. +++

+++ Die oben schon zitierte FAZ hat derweil als weitere Themen im Angebot: Den Biotech-Unternehmer Patrick Soon-Shiong, der für 70,5 Millionen Dollar Anteile am Verlag Tribune Publishing erworben hat, der die Los Angeles Times und die Chicago Tribune herausgibt. Die Entscheidung über die Senkung des Rundfunkbeitrags, die wohl erst im Oktober fällt. Die Insolvenzanmeldung von Gawker am Ende des von Peter Thiel mitfinanzierten Rechtsstreits um das von Gawker verbreitete Sexvideo Hulk Hogans. Und eine Rezension des Kapitalismus-kritischen Unternehmensberater-Films „Unter Kannibalen“, der heute um 22.45 Uhr die Reihe „Filmdebüt im Ersten“ für diesen Sommer eröffnet. Letzter ist auch (online) Thema (u.a.) bei Der Westen und dem Hamburger Abendblatt. +++

+++ Leider scheint der „Nicht schlecht staunte“-Tumblr nicht länger aktualisiert zu werden, der Texte mit der beliebten, aber deshalb noch lange nicht guten Einstiegsfloskel sammelte. Sonst könnte dort heute dieser Artikel von Kutz Sagatz im Tagesspiegel Eingang finden: „Viele Windows-Nutzer haben in den vergangenen Tagen nicht schlecht gestaunt, als ihnen ihr Betriebssystem mitgeteilt hat, weil man sich für Windows 10 registriert habe, sei das Upgrade nun für einen festen Termin mit Datum und Uhrzeit geplant.“ Was das jetzt konkret für die nicht schlecht Staunenden bedeutet, steht natürlich auch im Text. +++

+++ „Ich bilde mir ein, dass gerade durch diskursive Verhandlung der großen Themen Lebensarbeitszeit oder Gerechtigkeit in Zeiten permanenter Migration oder Europa in der Epoche nationalistischer Populisten oder Ethik der Robotik – zu jenen Themen also, die jenseits der Nationalmannschaft und des Dschungelcamps uns alle betreffen! – die Zeitungen oder Online-Abos höhere Auflagen erreichen könnten, dass gerade durch die Neubegründung des Diskurses die von vielen vermisste geistige Auseinandersetzung stattfindet – in einer Zeit, da Politik wieder existentiell geworden ist.“ Falls Sie an dieser Stelle Bedarf an weiteren, derartigen Thomas-Mann-Gedächtnis-Sätzen über den „kontroversen Diskurs zu zentralen Konfliktthemen in Medien und Öffentlichkeit“ und die Not, die dieser leidet, haben, lesen Sie das ganze Interview mit dem Publizisten Christian Schüle bei kress.de. +++

+++ Zum Abschluss noch ein Warnhinweis: Bei von Medien begleiteten Auftritten besser nicht zum Farbton Green-Screen greifen. Sonst ergeht es einem wie der englischen Königin an ihrem 90. Geburtstag. Die Ergebnisse hat u.a. Bored Panda zusammengetragen. Mein Favorit ist Nummer 3. +++

Neues Altpapier gibt es am Mittwoch.