Tiefer als die Oberfläche
Wir begrüßen neues und ziemlich neues Gedrucktes an den Kiosken (Hartes von Axel Springer, "360-Grad-Journalismus" von eher links). Viel weibliches Lächeln trotz Sorgenfalten. Neue Definitionen für "Animationsarbeit" und "Nichtjournalismus". Eine Regel für alle, die sich über Journalismus und/ oder Medien äußern. Und was gegen Hassmails hilft.

"Freitag ist Test-Tag" leitet Georg Altrogge im "Publishing"-Ressort von meedia.de seine Besprechung der ganz neuen Zeitschrift ein, die heute in der stolzen "Druckauflage von 300.000 Exemplaren" an die Presseverkaufsstellen kommt.

Das Heft heißt Testbild und ist nach Angaben seines Verlags, der sich eigentlich erfolgreich von vielen Geschäften mit Gedrucktem getrennt hat, Axel Springers also, "Deutschlands erstes Magazin mit einer perfekten Mischung aus kompetenten und unabhängigen Experten-Tests und überprüften Käufer-Rezensionen zu aktuellen Produkten". Die von Springer frisch freigeschaltete Webseite testbild.de versteht, noch knackiger zu formulieren: "Deutschland härtestes Testmagazin" sei es.

Es lohnt sich jedenfalls, die Besprechung zu lesen, weil Altrogge kenntnisreich formuliert ("der gelackte Titel" ist keine kritische Metapher, sondern ein im Gegenteil als Lob gemeinter Fachbegriff aus der holzverarbeitenden Industrie), aber durchaus kritisch ist, sowohl klassisch-blattmacherisch ("'Snackable Content', wie die Info-Häppchen im Web genannt werden, hilft da wenig. Testbild hat zu viel davon"), als auch medienmedial:

"... Dennoch kommt kein kundiger Leser umhin zu registrieren, dass beim auf neun Seiten präsentierten Test der Smartphones Samsung sowohl in der Premium-Kategorie wie in der günstigeren Preisklasse Testsieger wird - und damit ausgerechnet ein Konzern, mit Axel Springer eine weitreichende Kooperation eingegangen ist",

also die App namens Upday (vgl. Altpapier aus dem September '15). Und wer das immer noch erfolgreichste seiner insgesamt gar nicht mehr vielen Printprodukte, die Bild-Zeitung, außer als Medium auch noch als "gigantischen Vertriebsmotor ('Volksprodukte')" benutzt, dürfte es ohnehin schwer haben, beim Produkte-Testen genug Glaubwürdigkeit zu entwickeln, um der Stiftung Warentest auf Augenhöhe gegenüber zu treten.

Wie oft dieses Testbild erscheinen wird, scheint übrigens noch nicht ganz klar. Beim auf testbild.de verlinkten Abo-Dienstleister magazineshoppen.de heißt es "Heftfolgen pro Jahr: 1", was bemerkenswert unterambitioniert wäre. Die Mediadaten auf mediaimpact.de besagen: "Erscheinungsweise: mindestens 4x im Jahr". Ein irre gewagtes Unterfangen ist das jedenfalls nicht.

[+++] Apropos (und da unser Name Altpapier ein bisschen ja auch Verpflichtung ist): Einstweilen ist Freitag auch weiterhin frei!-Tag. Das heißt, die im Februar (Altpapier) mit noch höherer Auflage und in der sensationellen Erscheinungsweise wöchentlich gestartete Illustrierte namens frei! kommt weiterhin heraus - auch wenn Horizont Anfang Mai eine "Zwischenbilanz mit Sorgenfalten" zog und der ohnehin nicht enorm hohe Preis zumindest zeit-, orts- und testweise wohl gesenkt wurde (meedia.de).

Keine Sorgenfalten gibt's zumindest auf den frei!-Covern zu sehen. Wer keine Angst vor sehr viel strahlendem (bislang ausschließlich weiblichen) Lächeln auf einmal hat, kann hier auf die Übersicht klicken. Im Heft selbst pflegen dann aber auch zumindest zwei männliche Experten zu lächeln.

Zwar mag "Spitz das neue Breit" sein, wie der u.a. für frei! zuständige oder zuständig gewesene Gruner+Jahr-Manager Soheil Dastyari inzwischen vielleicht oft genug zitiert wurde, und womöglich ist "nichts ... tiefer als die Oberfläche", wie aktuell das Twitter-Motto eines der beiden frei!-Chefredakteure, Philipp Jessens, lautet. Aber im Einzelnen ist es oft verdammt schwierig, ein neues Medium, selbst ein schlichtes bis schlechtes, in den Markt zu drücken.

[+++] "Der Umstand, dass journalistische Arbeit etwas kostet und deshalb finanziert werden muss, ist das eine. Mit Journalismus lukrative Geschäfte zu betreiben, ist etwas ganz anderes; gute Gründe und alle Erfahrung zeigen übrigens, dass mit Journalismus alleine keine Geschäfte zu machen sind."

Das schreiben nun Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz in der aktuellen epd medien-Ausgabe. Darin stellen sie ihre inzwischen erschienene neue Otto-Brenner-Stiftungs-Studie "Journalist oder Animateur - ein Beruf im Umbruch" (hier als PDF runterladbar) vor.

Im März hatten sie ihre Thesen in Berlin vorab vorgestellt; darüber hatte ich im Altpapier und in epd medien geschrieben. Es geht den beiden um eine Unterscheidung zwischen Journalismus und "Nichtjournalismus". Letzteres nennen sie "Animationsarbeit". Dazu noch mal aus ihrer gut vierseitigen Zusammenfassung ihrer 122-seitien Studie zitiert:

"Animationsarbeit hat den einzigen Zweck, die Aufmerksamkeit des Publikums zu wecken, zu mehren und daraus direkt Geld zu machen oder - und genau das nimmt zu: indirekt, indem die Aufmerksamkeit an Werbetreibende weiterverkauft wird. Es geht nicht mehr um den Verkauf von Informationen und Nachrichten, um Journalismus zu finanzieren. Es geht nur ums Geschäft, um ein Geschäftsmodell, das auf dem Verkauf von Publikumskontakten (Aufmerksamkeitsökonomie) basiert."

Und:

"Animationsarbeit lehnt in ihrer Praxis die meisten journalistischen Merkmale nicht völlig ab, sie biegt sie für ihre Zwecke zurecht. In ihrer Selbstdarstellung beruft sie sich sogar bewusst auf den Journalismus und versucht, nicht die Unterschiede, sondern Gemeinsamkeiten zu thematisieren. So will sie von der Reputation des Journalismus zehren - die auf diese Weise aufgezehrt wird. Journalismus hat es bisher nicht zu einer klassischen Profession im Sinne einer geschützten und zertifizierten Berufsbezeichnung gebracht. Die Expansion der Animationsarbeit schreit danach, berufliche Standards zu fixieren."

Ein wenig leidet Arlts/ Storz' epd medien-Beitrag darunter, dass ihre Beispiele nicht allesamt taufrisch sind (z.B. "auffällige Wortschöpfungen wie etwa 'Boxenluder' oder Wortspielereien wie der Appell an Fußball-Bundestrainer Rudi Völler 'Rudi haudi Saudi'" als "Animationsarbeit"-Kennzeichen).

Und ob so eine Standardisierungsarbeit sich überhaupt noch sinnvoll machen lässt, und vor allem, wer sie übernehmen sollte und dann noch über die eigene Nische hinaus Anerkennung erhalten will - das wären natürlich Diskussionsfelder von gewaltiger Größe. Aber auch frische Ansätze für die insgesamt gewiss weder zu wenigen noch durch besondere Frische gekennzeichneten sowieso immerzu stattfindenden Journalismus- und Journalismuszukunftsdiskussionen.

Einige ihrer Forderungen aber, z.B. nicht immer einfach "Die Medien" zu sagen, wenn man einen bestimte gesellschaftliche Aufgaben erfüllenden Journalismus meint, sollten alle, die sich über Journalismus und/ oder Medien äußern, sofort übernehmen.

[+++] Wer aktuell Wolfgang Storz' Ansprüche erfüllt?

Zumindest Oxi. Das ist noch ein ganz neues, auch gedrucktes Medium, das Storz selbst gemeinsam mit dem Neues Deutschland-Chefredakteur Tom Strohschneider herausgibt. Und unter "360 Grad-Journalismus" verstehen die beiden Träger undigitaler Durchguck-Brillen nichts mit Virtual Reality.

Dieses Oxi sucht auch noch, wie in der Randspalte rechts steht, Autoren bzw. sozusagen Semi-Whistleblower ("Einige Oxi-AutorInnen schreiben anonym. Weil ein Beitrag für Oxi sie mit ihrer Arbeit für andere Medien in Konflikt bringen könnte. Das geht Ihnen ähnlich? Wenn Sie Ihr Wissen, Ihre Argumente, Ihre Einschätzungen teilen möchten, das in Ihren Medien aber nicht oder nur eingeschränkt möglich ist, melden Sie sich ...").

Frei online gibt es Oxi-Texte auf oxiblog.de. Was auch immer passieren wird im Journalismus und in den Medien: Für Lesestoff in vermutlich weiter wachsendem Überfluss dürfte gesorgt bleiben.


Altpapierkorb

+++ Heute auf der FAZ-Medienseite: neue Äußerungen zum von Arte sehr kurzfristig abgesetzten Dokumentarfilm "Der Fall Magnizki" des russischen Filmautors Andrej Nekrassow (siehe zuletzt dieses Altpapier). Mit Argumenten für die Absetzung zitiert Michael Hanfeld den CSU-Politker Bernd Fabritius aus dem Menschenrechtsausschus des Europarats (Es sei "falsch, zu behaupten, die Berichterstatter des Europarats hätten zu dem Fall keine eigenen Untersuchungen angestellt ... Es habe zwei Besuche in Moskau gegeben, Gespräche mit Behördenvertretern, Menschenrechtsanwälten und die Einsichtnahme in amtliche Dokumente. 'Eklatant wahrheitswidrig' sei Nekrassows Behauptung, Magnizki habe nichts enthüllt und niemanden angezeigt") und die Grünen-Politikerin Marieluise Beck. +++

+++ Die SZ hat "diejenige Autorin" des Guardian, "deren Texte die meisten Beleidigungen, Drohungen und Verunglimpfungen anzogen", die feministing.com-Gründerin Jessica Valenti interviewt ("... Ich habe auch schon beleidigende Emails und Drohungen an Vorgesetzte und Familien der Absender weitergeleitet. Und wenn ich ernsthaft bedroht werde, melde ich das natürlich der Polizei." - "Können Sie sagen, was hilft?" - "Hassmails auf diese Art weiterzuleiten, funktioniert. Die Absender entschuldigen sich danach oft ..."). +++

+++ Die EU-Kommission, um deren erste Digital-Gesetzes-Vorschläge es gestern hier ging, arbeitet natürlich weiterhin an weiteren. An eine davon, derentwegen die Lobbys weiterhin antichambrieren, erinnert Stefan Niggemeier bei uebermedien.de: das Leistungsschutzrecht für Verlage. (Wer auch noch die sechst- bis zwölft-"beste Lüge" lesen will, muss bezahlen.) +++ Gratis dagegen: die Studie "Changing the Rules of the Game: Strategic Institutionalization and Legacy Companies’ Resistance to New Media", die auf englisch auf einen vergleichbaren deutschen Fall der 1920er Jahre aufmerksam macht. "Damals versuchte Wolffs Telegraphisches Bureau, damals wichtigste deutsche Nachrichtenagentur, sich durch die Schaffung eines neuen Nachrichtenschutz-Gesetzes gegen die Verbreitung von Agenturmeldungen durch öffentliche Radiostationen zu wehren" (netzpolitik.org). +++

+++ "Die Unternehmen der Gruppe schrieben schwarze Zahlen, sagte Stampen-Geschäftsführer Martin Alsander. ... Das Problem seien die Schulden. Von Jobabbau war nicht die Rede, es hatte bereits in den vergangenen drei Jahren Entlassungen gegeben. Es sei kein neues Sparprogramm geplant und die Löhne würden wie gewohnt gezahlt, so Alsander. Ausstehende Honorare für freie Mitarbeiter werden allerdings wohl eingefroren, so wie alle offenen Rechnungen": Mit der Verlage-typischen Egal-Haltung gegenüber freien Mitarbeitern berichtet nun auch die SZ-Medienseite über die Insolvenz des schwedischen Verlags. Siehe auch TAZ. +++

+++ Außerdem geht es in der SZ um ägyptische Repressalien gegen ausländische Reporter u.a. "während der Proteste am 25. April gegen die Abtretung zweier Inseln an Saudi-Arabien". +++ Und Lob gibt's für die "prima Boulevardschauspielerin" Jutta Speidel und die neueste Freitagsfilm-Reihe der ARD-Degeto. +++

+++ ... welches die FAZ relativiert: Die "Erbschafts-Klamotte" "erfüllt die Hoffnung auf große Unterhaltung nur bedingt, obwohl der Film mit Jutta Speidel als Fanny passabel besetzt ist", schreibt Matthias Hannemann und zitiert dazu aus den offiziellen ARD-Sendeplatzprofilen. +++ Wenn Tilmann P. Gangloff den Film hier nebenan nicht empfiehlt, kann er wirklich nicht toll sein ...

+++ Lieber empfiehlt die FAZ die zugleich (20.15 Uhr) bei Arte gezeigte franko-iranische Komödie "Unter dem Teppich" (Ursula Scheer: "Das alles ist exzellent gespielt und trotz aller dem Handy huldigenden Poppigkeit so subtil inszeniert, wie man es sich von deutschen Multikulti-Komödien wünschen würde"). +++

+++ Was machen R.T. Erdogan und seine deutschen Sparringspartner? Weiter (meedia.de). +++ Währenddessen twitterten die internationalen Reporter ohne Grenzen, dass in der Türkei nun auch gegen ihren Repräsentaten ermittelt werde: wegen "spreading propaganda". +++

+++ "Der 73-jährige Wallraff erinnert an 'jahrelange Prozesse, Bespitzelungen und Rufmordkampagnen'. Darüber könne er nicht nonchalant hinweggehen, zugleich betont der Journalist und Autor, Diekmann habe 'sicher zwischenzeitlich versucht, das Blatt auf einen anderen Kurs zu bringen'. Die 'Bild' sei nicht mehr die pure Häme und Hetze wie früher. Das Boulevardblatt hat sich einer Metamorphose unterzogen – politischer, so sachlich, wie Boulevard sein will, der am Kiosk reüssieren muss, fragwürdige Schwarz-Weiß-Kampagnen nicht als durchgängiges Auflagensteigerungsmittel und populistisches Doping für den aufputschwilligen Leser. Umgekehrt hat sich Wallraff dem Boulevard angenähert": Einschätzungen des alten Fuchses Joachim Huber (Tagesspiegel) zu einem ulkigen Wallraff-Diekmann-Duell, das heute mittag gewiss so was von viral gehen wird. +

+++ Eine neue "Diversity-Managerin" "komplettiert den gesamtstrategischen Ansatz des WDR" (dwdl.de). +++ Noch weniger divers wird indes der Radio-Inhalt des WDR, der künftig "auf gleich vier seiner Wellen einheitliche Radio-Nachrichten senden" wolle. "Betroffen sind WDR 2, WDR 3, WDR 4 und WDR 5, wo künftig tagsüber jeweils ein Nachrichten-Anchor und ein Sprecher gemeinsam innerhalb von vier Minuten über aktuelle Themen berichten werden". Allerdings sollen partiell "spezielle Klangelemente" die eigentlich identischen Nachrichten der Programme mit den geraden von denen mit ungeraden Ordnungsnummern unterscheiden (auch dwdl.de). +++

+++ Und "wir freuen uns schon auf's Binge Watching dieser neuen tollen Hauptstadt-Serien!", lässt dann noch die Berliner Filmförderung zum Drehstart der ersten deutschen Amazon-Serie ausrichten. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.