Die Pressefreiheit in Deutschland und der Türkei spielte in den vergangenen Wochen keine ganz geringe Rolle in medienjournalistischen und medienjuristischen Diskussionen, weshalb an dieser Stelle erst einmal kurz vermeldet sei, wie diese beiden Länder in der aktuellen „Rangliste der Pressefreiheit“ von Reporter ohne Grenzen abschneiden: Deutschland belegt Platz 16, die Türkei rangiert an 151. Stelle.
Rang 16 wäre in der 1. und 2. Liga der Relegationsplatz, man kann die im Vergleich zum Vorjahr um vier Plätze schlechter gewordene Position also durchaus bedenklich finden. „Die größten Absteiger“ freilich sind, um es mit der FAZ sagen, „Tadschikistan (Platz 150, -34) und Brunei (155, -34)“.
netzpolitik.org geht auf einen generellen Trend ein:
„Der Indikator ‚Produktionsmittel von Medien‘ sank 2015 weltweit am stärksten ab. Das lag an den Bestrebungen einiger Regierungen, ungewollte Berichterstattung durch Internetsperren oder die Zerstörung von Redaktionsräumen und Publikationstechnik zu verhindern. Auch die juristischen Rahmenbedingungen verschlechterten sich global. In Form von Gesetzen zur Präsidentenbeleidigung, Blasphemie und Beihilfe zum Terrorismus wird die unabhängige Berichterstattung zunehmend zensiert.
Joachim Huber fragt für den Tagesspiegel Christoph Mihr, den Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen:
„Nach der aktuellen Rangliste liegen Finnland, Niederlande und Norwegen auf den Spitzenplätzen (...) Was kann Deutschland von den genannten Ländern lernen?“
Mihr meint:
„Gerade von den nordischen Ländern könnte sich Deutschland eine ganz andere Kultur im Umgang mit Behördeninformationen abschauen. Informationsfreiheitsgesetze mit einem Anspruch auf Akteneinsicht für jedermann, wie sie bei uns erst seit wenigen Jahren in Bund und Ländern Einzug halten, sind dort seit langem eine Selbstverständlichkeit. Hier erleben wir ja gerade erst, wie Journalisten diesem Recht nach und nach auf dem Gerichtsweg zu Geltung verhelfen. Auch die Medienvielfalt ist in Finnland und Norwegen beachtlich, gerade was die Zeitungsmärkte angeht. In Finnland gibt es sogar einen gesetzlichen Anspruch auf Breitbandzugang zum Internet – auch das garantiert den Bürgern den Zugang zu breit gefächerten Informationsquellen.“
Was man ja auch mal fragen kann: Wie ist es um die Pressefreiheit in der großen westlichen Industrienation Japan bestellt? Die rechtskonservative Regierung dort übe „hartnäckigen“ Druck aus, die „Selbstzensur“ sei weit verbreitet und „gleich mehrere regierungskritisch eingestellte TV-Kommentatoren“ seien „in den vergangenen Monaten vom Bildschirm verschwunden“, berichtet die taz (Mittwochs-Ausgabe) unter Berufung auf David Kaye, den UN-Berichterstatter für Meinungsfreiheit. In der ROG-Tabelle bedeutet das i.Ü.: Platz 72, -11.
Die Türkei, also der 151. der Weltrangliste, hat in einem Fall, der aus Sicht des 16. der Weltrangliste durchaus pressefreiheitsrelevant ist - die zwischenzeitliche Festsetzung des SWR-Mannes Volker Schwenck auf dem Istanbuler Flughafen (Altpapier von Mittwoch) -, ihre Argumente vorgebracht: Schwenck habe „keine Akkreditierung“ gehabt. Das ist inhaltlich wohl korrekt, aber:
„(Schwenck) sagte, noch im Herbst 2015 und auch einige Male zuvor habe er unter denselben Bedingungen und mit Wissen der türkischen Behörden einreisen und mit syrischen Flüchtlingen in der Türkei arbeiten können“,
schreibt die SZ. Auch die FAZ geht auf die neueste Wendung ein. Siehe auch „Zapp“, wo Schwenck, der das ARD-Studio in Kairo leitet, sagt, es wäre für ihn „ein Riesenproblem“, wenn er „gar nicht mehr in die Türkei kann".
Wie es türkischen Satirikern in ihrem Land ergeht, beschreibt Frank Nordhausen für die Frankfurter Rundschau. Er hat Hakan Bilginer, den Macher des Online-Satire-Portals Zaytung, getroffen:
„Auf seinem Laptop macht Bilginer die Zaytung-Homepage auf. ‚Wir produzieren eine satirische Version der täglichen Nachrichten wie unser Vorbild The Onion aus den USA‘, sagt er (...) Er deutet auf einen kürzlich erschienenen Text. ‚Türkei erklärt, sie sei das reichste und glücklichste aller Länder, in deren Hauptstädten Bomben explodieren‘, steht da in Anspielung auf die stets optimistischen Verlautbarungen der Regierung aus Ankara. Solche Witze sind möglich, weil das Internet trotz der zunehmenden Repression gegen kritische Medien in der Türkei immer noch Freiräume bietet. Mehr als 30 Journalisten sind inhaftiert, mehr als tausend haben in den vergangenen zwei Jahren ihren Job verloren, rund 2000 Personen hat Erdogan wegen Beleidigung verklagt. ‚Als gedrucktes Magazin oder als TV-Sendung hätte man uns längst geschlossen, aber die Regierung weiß, dass ihre Anhänger uns nicht wirklich wahrnehmen‘, sagt Bilginer.“
Und was ist der Grund dafür, dass satirisch arbeitende Journalisten mehr dürfen als andere?
„Die gewährte Narrenfreiheit sei Teil des Erdogan-Systems, westlichen Kritikern zu beweisen, dass die Regierung nicht totalitär sei, räumt er ein (...) Doch zunehmend sei Satire der einzige Bereich türkischer Medien, in dem überhaupt noch oppositionelle Stimmen zu Wort kämen.“
Ein nicht satirisch arbeitender Kollege Bilginers, der Hürriyet-Chefredakteur Sedat Ergin, darf sich derweil über den Freedom-of-Spreech-Preis freuen, den die Deutsche Welle vergibt. Ob Ergin die Auszeichnung „persönlich entgegennehmen kann“, sei „noch offen“, berichtet der Sender in auch eigener Sache.
Gibt es auch so eine Art Türkei Deutschlands? Nach Meinung der Bild-Zeitung wohl schon:
„Man muss nicht in die Türkei oder nach Russland schauen, wo die Justiz auf unliebsame Journalisten losgeht. Ein Blick nach Hessen reicht“,
hieß es dort neulich, weil die Frankfurter Polizei gegen einen Redakteur des Hauses zu ermitteln wagt. Stefan Niggemeier (Übermedien) erläutert uns, es handle sich um „eine typische Geschichte, in der sich die Bild-Zeitung mit größtmöglicher Dramatik zum Opfer stilisiert und die tatsächlichen Ursachen der Ermittlungen verschweigt“.
Eine Niederlage hat die Meinungsfreiheit gerade in München erlitten, und die Sache hat sowohl deutsche als auch türkische Dimensionen. Wieland Freund und Marc Reichwein (Die Welt) berichten:
„Im Mitte Februar im Herder Verlag erschienenen Buch ‚Emanzipation im Islam‘ der Berliner Autorin Sineb El Masrar muss eine Passage geschwärzt werden. Das teilte der Münchner Verlag am Mittwoch mit. Grund dafür sei eine einstweilige Verfügung, die die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. erwirkt habe. Milli Görüs gilt wegen islamistischer und antisemitischer Tendenzen als umstritten.“
Erwirkt hat die EV jener feine Topjurist, der derzeit auch Recep Erdogan vertritt (und auch schon für einen anti-antifaschistischen Journalisten tätig war): Michael-Hubertus von Sprenger.
„In der geschwärzten Stelle beruft sich El Masrar auf einen 2010 in der Welt erschienen Artikel. Darin hatte Redakteur Martin Lutz über das Verbot der ‚Internationalen Humanitären Hilfsorganisation‘ (IHH) durch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) berichtet. Diese hatte sogenannte Sozialvereine der radikal-islamischen Hamas von Deutschland aus mit Spenden in Höhe von über 6,6 Millionen Euro unterstützt. Damals wurde auch die Kerpener Zentrale der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs durchsucht.“
Ein Sieg für die Meinungsfreiheit ist dagegen aus Rheinland-Pfalz zu vermelden. Die FAZ informiert:
„Daniel Köbler, der bisherige Vorsitzende der Grünen-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag, hatte sich im Landtagswahlkampf scharf gegen die AfD positioniert. Anfang März äußerte er gegenüber der Rhein-Zeitung: ‚Es gibt in der AfD Menschen, die gegen Juden hetzen und de n Holocaust leugnen. Sie sind nicht ausgeschlossen worden.‘ Die AfD sieht darin eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung. Sie verlangte von Köbler, er möge eine Unterlassungserklärung abgeben. Weil der sich weigerte, klagte die AfD. Ohne Erfolg: das Landgericht Mainz hat ihren Antrag auf eine einstweilige Verfügung zurückgewiesen.“
Klarheit könnte bald an einer anderen juristischen Front herrschen - zumindest wenn es nach dem Hamburger Justizsenator Till Steffen geht. Der will den bis vor kurzem noch unbekannten, neuerdings aber vieldiskutierten Paragrafen 103, der die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter unter Strafe stellt, „noch vor dem Sommer“ (dpa/Hamburger Abendblatt) bzw. „früher als geplant“ (dpa/AFP/Zeit Online) abschaffen. [Nachtrag, 9.30 Uhr: Auch der Mann an der Seite von Natalia Wörner hat eine schnelle bzw. gar die "sofortige" Abschaffung im Sinn, siehe u.a. stern.de]
[+++] Eine Spiegel-interne Gegenrede zu einen Spiegel-Text Hans Magnus Enzensbergers hätte normalerweise die Chance, zum Debattenbeitrag der Woche zu werden, aber dies ist Christian Stöckers bei Spiegel Online formulierter „Replik auf einen Wutausbruch“ schon deshalb verwehrt, weil der Ausgangstext „gegen die Digitalisierung und die Sprache derer, die sie vorantreiben“, nicht relevant genug ist (um es vorsichtig zu formulieren). Beizupflichten ist Stöcker aber allemal:
„Das eigentliche Ziel von Enzensbergers Zorn sind Firmen, die elektronische Geräte herstellen und ‚Unternehmen, die der Kommunikation dienen sollen‘, kurz ‚die IT-Branche‘. Zu deren Geschäftsgrundlage gehöre es, schreibt er, "sich möglichst unverständlich auszudrücken“ (...) Was Enzensberger eigentlich meint, ist aber: Er selbst versteht die Welt nicht mehr (...) Schön zeigen das die Beispiele, die der Dichter, Dramatiker, Essayist, Übersetzer und Herausgeber aus dem offenbar umfangreichen Fundus des ihm Unverständlichen herausgegriffen hat, um den ‚eigenartigen Soziolekt' der 'Propagandisten der Digitalisierung‘ zu illustrieren. Enzensberger stört sich zum Beispiel an ‚Formulierungen wie Spotify, Instagram, Snapchat, Matse, Bot, Iversity, Moocs, d!conomy und EyeEm‘. Das sind, in dieser Reihenfolge: drei Unternehmensnamen, die Abkürzung für den Beruf des mathematisch-technischen Softwareentwicklers, ein Wort für ein autonom agierendes Stück Software, eine Plattform für Onlinekurse, eine Abkürzung für solche Kurse, ein für die IT-Messe Cebit erdachtes Werbekunstwort und noch mal ein Unternehmensname.“
Stöckers Konter:
„Ob ihn Abkürzungen und ‚Formulierungen‘ wie Chevrolet, VW, AEG, MGM, BMW, ABS, Edeka, Langnese, Pleuelstange, Glühzünder-Zweitakter oder Desoxyribonukleinsäure, die nicht der digitalen Gegenwart entstammen, ähnlich verärgern, teilt der Autor nicht mit.“
Altpapierkorb
+++ Aus einem WOZ-Text Kasper Surbers, der sich auf aktuelle Debatten in Schweiz bezieht, sei eine Passage herausgegriffen, die auch jenseits dessen instruktiv ist: „Mehr als ein Jahrhundert lang waren Journalismus und Werbung ein unzertrennbares Paar. Sie schufen zusammen, wie der Historiker David Eugster in dieser WOZ nachzeichnet, das Ideal einer kritischen Öffentlichkeit. Die Werbung gefährdete die Unabhängigkeit der Redaktionen, wie sie diese beförderte: Als Autoimporteur Frey ab 1979 zwanzig Jahre lang seine Inserate beim Tages-Anzeiger stornierte, weil die Redaktion einen zu ökologischen Kurs fuhr, trug das der Zeitung die härteste Währung ein, die es im Journalismus überhaupt gibt: Glaubwürdigkeit. Fortan hatte der Tages-Anzeiger eine Zeit lang den Ruf einer wirtschaftskritischen Zeitung. Im digitalen Wandel löst sich die Bindung von Presse und Werbung. Zuerst wanderte die Werbung ins Fernsehen, dann zur Gratispresse, und jetzt wandert sie ins Netz.“
+++ Nun auch offiziell: Ingo Zamperoni folgt im Oktober als „Tagesthemen“-Moderator auf Thomas Roth (vgl. Altpapier von Dienstag). David Denk porträtiert Zamperoni auf der SZ-Meinungsseite: „Die ‚Tagesthemen‘ hat das NDR-Eigengewächs bereits als fester Vertreter von Tom Buhrow und Caren Miosga, mit der Zamperoni sich künftig abwechseln wird, von 2012 bis 2014 moderiert und sich mit jungenhafter Unbekümmertheit, die sich von der Soigniertheit frühvergrauter Vorgänger wie Hanns Joachim Friedrichs und Ulrich Wickert deutlich abhob, bei Publikum wie Hierarchen schnell eingeprägt. Zamperoni war anders, frischer, frecher – ohne die Seriosität der Marke zu beschädigen.“
+++ Google (I). Die Supreme-Court-Entscheidung zu Google Books (Altpapier von Mittwoch) findet den Beifall Andreas Rosenfelders (Die Welt): „Es ist ein Urteil, das nicht nur im Club der toten Dichter gefeiert werden sollte, sondern auch in der Gewerkschaft der vergessenen und verkannten Schreiber. Sie alle, die sie in den Schlagwortkatalogen der Bibliotheken lebendig begraben liegen, kriegen durch die Büchersuche neue Kraft.“
+++ Google II: Der Konzern ist mal wieder „von der EU-Kommission genervt“, wie es Zeit Online ausdrückt. „Konkret geht es um vorinstallierte Dienste in Android.“ Nach Ansicht der Kommission, so ZOn weiter, verstoße Google „in drei Punkten gegen das EU-Kartellrecht: Erstens sei es eine unrechtmäßige Vorbedingung, die Google-Suche und den Chrome-Browser als Standardsoftware auf Android-Smartphones einzurichten. Dies führe zweitens dazu, dass Geräte mit alternativen Android-Versionen am Verkauf gehindert werden. Drittens gebe Google den Geräteherstellern und den Betreibern von Mobilfunknetzen ‚finanzielle Anreize‘, ausschließlich die Google-Suche vorzuinstallieren."
+++ Yahoo, vor vielen Jahren mal ein Konkurrent Googles bzw. „eines der coolsten Unternehmen der Welt“ - „in Internetjahren gerechnet, war das allerdings in der Steinzeit“ -, wird heute von einer Chefin geführt, die als „gescheitert“ gelten kann, wie Jürgen Schmieder in der SZ schreibt. „Marissa Mayer, 2012 als Rockstar von Google gekommen, ähnelt mittlerweile einer Schlagersängerin, die Möbelhäuser eröffnet und trotz des Niedergangs tapfer kämpft.“
+++ „Have Comment Sections on News Media Websites Failed?“- dazu vier Meinungen in der New York Times.
+++ In Berlin und Brandenburg wird es vorerst kein „Integrationsradio“ bzw. keine „UKW-Welle in arabischer und deutscher Sprache in Verbindung mit entsprechenden Internetangeboten“ geben, weil keiner der Bewerber der Landesmedienanstalt MABB „ein wirtschaftlich nachhaltiges und tragfähiges Konzept vorgelegt hat“, wie das zuständige MABB-Gremium findet. Das berichtet der Tagesspiegel.
+++ „Die Rolle, die die etablierten Medien bei der Durchsetzung der privaten Altersvorsorge und der Diffamierung der gesetzlichen Rente von Anfang an gespielt haben“, kritisiert der Blog Wirtschaft und Gesellschaft anlässlich eines Artikels in der Welt.
+++ Nachrufe auf Karl-Heinz von Hassel, der im „Tatort“ des HR einst den Kommissar Edgar Brinkmann verkörperte, finden sich unter anderem bei Spiegel Online, im Tagesspiegel und in der FAZ, die mehrere Fassbinder-Filme erwähnt, in denen der Schauspieler mitwirkte. Von Hassel starb am Dienstag im Alter von 77 Jahren.
Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.