King Kongtext
Die Causa Böhmermann als juristisches Proseminar. Wladimir Putin zieht in den Informationskrieg und attackiert die Süddeutsche Zeitung. Ein Geist geht um in der Gesellschaft. Die Funke-Gruppe spendet für die CDU, das Leben als freier Journalist ist die Hölle, und Horst Lichter tritt in Columbos Fußstapfen.

„Ein Graben zieht sich quer durch unsere Gesellschaft. Tiefer als das Schuldenloch von Athen. Unfassbarer als die Wahlerfolge der AfD. Gigantischer als der größte anzunehmende Leak in der ehrwürdigen Geschichte des investigativ-recherchierenden Qualitätsjournalismus (Nein, nicht der Innovationsreport des ,Spiegel’). Die Rede ist von

[TADAA!]

Snapchat.“

Ja, das hätten Sie jetzt nicht gedacht, dass wir hier auf unsere alten Tage noch mal das Altpapier mit etwas anderem aufmachen als dem Schmähdichter der Herzen. Aber wenn Richard Gutjahr bei kress.de (Teaser: „Zu Snapchat ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Aber noch nicht von Richard Gutjahr.“) daran erinnert, was die wirklich wichtigen Themen des Medienbusiness sind, können wir das nicht ignorieren. Zumal er in seinem Text so schöne Fips-Asmussen-Witzchen Bonmots wie „Snapatmung“, „Snapchat ist ein Zeitgeist“, „gehörig auf den Geist geht“ oder „Bleiben Sie jung im Geist“ versteckt hat.  

Ich persönlich bin zwar unwesentlich stärker von den Wahlerfolgen einer kleinen, zerstörerischen Partei als von denen eines Handyprogramms mit vergleichbaren Qualitäten erschüttert. Aber vermutlich fehlt mir schlicht die Begeisterungsfähigkeit, die Gutjahr trotz allem auszeichnet, wie sein geistreicher Text belegt.

Nun aber, um in dessen Dimensionen zu bleiben, zu dem Thema, das Deutschland teilt wie einst die Mauer und es auseinanderreißt wie sonst nur die Plattentektonik den Mittelozeanischen Rücken oder die Frage, ob man für oder gegen den FC Bayern ist.

Für den Fall, dass es Ihnen in den vergangenen 24 Stunden an (Tages-)Freizeit mangelte, um sich minütlich informiert zu halten, etwa aufgrund von im Informationszeitalter doch eher störenden Beiwerks wie eines Berufs, hier die aktuellen Frontverläufe.

Zum Team „Pro Böhmi“ hat sich der Redakteursausschuss des ZDF in einem Brief bekannt, der gestern morgen per Hauspost in den Büros des ZDF in Mainz verteilt wurde, wie zuerst Spiegel Online vermeldete, bis kurz darauf der komplette Wortlaut bei DWDL auftauchte.

„Welch ein Erfolg! Als ZDF-Redakteure wollen wir Aufmerksamkeit. Wir wollen Themen setzen, Diskussionen anschieben, Bildung vermitteln. Das ist gelungen. Das Duell Böhmermann vs Erdogan beherrscht die Schlagzeilen. Themen wie Pressefreiheit und der verstaubte ,Schah-Paragraf’ sind in aller Munde. Eine ZDF-Sendung bewegt Regierungschefs und ersetzt ein juristisches Proseminar. Programmauftrag erfüllt“,

heißt es darin. Und weiter:

„Bei Böhmermann, der ,heute-show’, der ,Anstalt’ und bei ,toll’ werden Politiker notorisch so angegangen, dass sie beleidigt sein könnten. Wir plädieren dafür, einheitliche Maßstäbe anzulegen, Personen der Zeitgeschichte müssen sich bitterböse Satire gefallen lassen. Wir würden es begrüßen, wenn die ,Schmähkritik’ vom Giftschrank wieder in die Mediathek gestellt wird. Als Dokument der Zeitgeschichte.“

Genau das wollen die Verantwortlichen im Sender zwar nicht tun. Aber ihre Anwälte sind zumindest der Meinung, dass die „Schmähkritik“ rechtlich zulässig gewesen sei.

„Demnach erlaube die grundsätzlich garantierte Satirefreiheit auch den Einsatz grober Stilmittel, ,unabhängig davon, ob sie persönlichen oder allgemeinen geschmacklichen Vorstellungen entsprechen’. Form und Inhalt des Beitrags hätten nicht auf eine Ehrverletzung Erdogans gezielt“,

zitiert epd (veröffentlicht in der FR) aus der Stellungnahme der Anwälte für die Staatsanwaltschaft Mainz, die für den Fall zuständig ist.

Des Weiteren hat sich aus der Ferne die Washington Post via Kommentar eingeschaltet, wie Meedia ausgegraben hat.

„We’d like to believe Ms. Merkel’s rejection of any prosecution of Mr. Böhmermann is a foregone conclusion. Even so, her waffling is likely to encourage Mr. Erdogan’s and other regimes — China’s comes quickly to mind — that are trying to suppress critical speech outside their borders as well as within. ,The cornerstone of the constitution, freedom of expression, is non-negotiable,’ Ms. Merkel had her spokesman say Monday. That should have been her only response.“

Das erinnerte mich an den Kommentar von Konrad Werner im Blog des Magazins ExBerliner vom Montag:

„It is a key tenet of democracy that you can accuse a political leader (and especially a vicious dictator like Erdogan) of fucking goats on a comedy show. And really, Erdogan should be able to manage. If David Cameron can go through ,pig-gate’ then Erdogan can cope with someone saying he sucks off sheep. Seeing as it won't stop him bombing Kurds and helping Isis and allowing his police to beat up women in the street, he should just be grateful that Merkel's government is so weak and desperate that this is the most resistance he's encountering.“

Aus englischsprachiger Perspektive erscheint der Fall also eindeutig, und wenn man genau hinschaut, entwickelt es sich auch hier in diese Richtung – Beiträge zum Team „Contra“ gibt es heute nämlich nicht zu vermelden. Dafür hat Zeit Online per Umfragetool (hier eingebettet) ermittelt, dass 88 Prozent der Leser gegen ein juristisches Verfahren gegen Böhmermann sind.

Was Chef-Kolumnist Thomas Fischer wohl dazu sagt, juristischen Entscheidungen via Umfrage vorzugreifen? Michael Hanfeld formuliert es heute auf der Medienseite der FAZ wie folgt:

„Solidarität unter Künstlern und Fernsehschaffenden ist eine gute Sache, die Gewaltenteilung in diesem Land sollte sie aber nicht aushebeln wollen.“

Womit zum Thema nur noch die neu aufgetauchten Metaebenen zu vermelden wären. Im bereits verlinkten Text zur Umfrage bei Zeit Online bemerkt Carolin Ströbele:

„Auch unter die Solidaritätsbekundungen für Böhmermann mischt sich zusehends ein subtiler Rassismus. Erdo?an firmiert als ,türkischer Sultan’, Deutschland muss sich gegen die Menschen ,hinten in der Türkei’ zur Wehr setzen. (...) Die eigentliche Debatte um das Recht auf Satire und die Meinungsfreiheit fängt an zu entgleisen. Anstelle der berechtigten Aufregung über die Einmischung eines ausländischen Staatschefs in die deutsche Pressefreiheit wird plötzlich ein diffuses Angstgefühl geschürt. Da wolle uns jemand (Erdo?an, ,Die Türken’, ,Die Muslime’) zeigen, wie wir leben sollen.“

Und im Tagesspiegel vertritt Bernhard Pörksen die These, dass die Globalisierung mal wieder schuld sei, in diesem Fall am Verbreiten von Meldungen, die in unterschiedlichen Kulturkreisen unterschiedlich wahrgenommen würden. Natürlich hat er auch einen schönen Begriff dafür: Kontextkrise.

„Es ist ein permanenter Clash der Codes, eine Sofort-Konfrontation von unterschiedlichen Systemen der Wirklichkeitsdeutung, die eine intensiv vernetzte Welt in einen Zustand der Daueraufregung versetzt. Was an einem Ort vielleicht lediglich ein schwaches Kopfschütteln auslöst, provoziert an einem anderen womöglich blutige, im Extremfall gar mörderische Proteste von Fundamentalisten und Fanatikern, die den Satiriker, diese Symbolfigur des antiautoritären, frei schweifenden Denkens, hassen oder aber gar nicht wissen, was Satire in einer liberalen Gesellschaft eigentlich ist.“

Unternehmen, die im Ausland expandieren, passen sich den dortigen Gegebenheiten an. Daher gibt es in Indien vegetarische McDonald’s-Filialen. Aber unser Mediensystem wollen wir lieber nicht darauf ausrichten, dass seine Inhalte auch in Nordkorea noch fröhlich verbreitet werden dürfen. Demnach scheint die Krise unlösbar. Andererseits weiß ich, worauf ich mich einlasse, wenn ich zum Beispiel die chinesische Staatszeitung China Daily (Themen heute u.a. Ökotourismus in Shandong und warum die chinesische Wirtschaftskrise kein Problem ist) lese. Wenn ich den Kontext zu deren Artikeln mitzudenken vermag, dann sollte ein türkischer Staatschef dazu schon lange in der Lage sein.

Zudem herrscht diese Krise natürlich auch im Inland, wenn Themen nur noch zusammenhanglos durch Snapchat geistern. Womit ich sagen will, dass jede Kommunikation die Gefahr beinhaltet, dass andere sie missverstehen. Aber „Kontextkrise“ klingt natürlich weniger banal.

Dass man auch Kontext kreieren kann, wo gar keiner hingehört, hat am Dienstag der russische Präsident Wladimir Putin bewiesen. In seiner jährlichen Bürgersprechstunde „Der direkte Draht“ räumte er ein, dass die Informationen aus den Panama Papers der Wahrheit entsprächen (wer des Russischen mächtig ist, kann das Original wohl hier nachhören).

„Allerdings habe er den Eindruck, dass nicht Journalisten die Artikel geschrieben hätten, sondern Juristen, das schließe er ,aus dem Stil und aus den Fakten’ (...) Putin unterstellte der Süddeutschen Zeitung, im Auftrag der USA zu arbeiten. Wörtlich sagte er laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax: ,Von wem kommen diese Provokationen? Wir wissen, dass Mitarbeiter amerikanischer Institutionen dabei sind. Zum ersten Mal ist dieser Artikel in der Süddeutschen Zeitung erschienen, die zu einer Medienholding gehört, die wiederum im Besitz des amerikanisches Unternehmens Goldman Sachs ist. Überall schauen die Ohren heraus, aber sie werden nicht einmal rot’“,

schreibt heute auf Seite 7 der SZ (online kürzer) Moskau-Korrespondent Julian Hans, um im Folgenden den Kontext wieder gerade zu rücken:

„Tatsächlich stehen hinter der Südwestdeutschen Medienholding eine Vielzahl deutscher Tageszeitungsverlage. Die SWMH erwarb die Mehrheit an der SZ im Jahr 2008 von vier Münchner Verlegerfamilien. Damals hatte auch der Stuttgarter Verleger Dieter von Holtzbrinck für die Anteile geboten und dazu die Investmentbank Goldman Sachs an Bord geholt. Allerdings entschieden sich die vier Verlegerfamilien damals bewusst gegen Holtzbrinck und Goldman Sachs. Ob Putin diese Information nun bewusst falsch eingesetzt hat oder seine Leute ihn falsch informiert haben, blieb am Dienstag offen. Allerdings hatte der Kreml schon vor zwei Wochen angesichts der Panama Papers mitgeteilt, man befinde sich in einem ,Informationskrieg’.“

Krise als Krieg. So kann man es auch sehen.


Altpapierkorb

+++ Das EU-Parlament hat gestern eine Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen erlassen. Warum diese nicht nur gegen Industriespione, sondern auch gegen Whistleblower eingesetzt werden kann, und wie das dem Journalismus schadet, erklärte Correctivs Markus Grill schon am Mittwochabend bei Zapp. +++

+++ „Parteispenden der Gesellschafter waren seit jeher gang und gäbe. Große Aufmerksamkeit erfuhr jene des 2007 gestorbenen Erich Schumann an Helmut Kohl. Obgleich SPD-Mitglied und einst rechtlicher Berater Willy Brandts, half der Brost-Adoptivsohn dem Altkanzler nach der Schwarzgeldaffäre mit einer Spende über 800.000 DM. Die nun dank Abgeordnetenwatch.de bekannt gewordene Spende von 15.000 Euro an die CDU wirkt dagegen mickrig, überrascht aber umso mehr, da sie nicht von einem der Gesellschafter als Privatperson gezahlt wurde. Absender ist die Funke Mediengruppe selbst. Entsprechend unangenehm ist die Sache für die Journalisten der Zeitungen“, schreibt Ulrike Simon bei Horizont. +++

+++ Die zudem in ihrer Kolumne für das Redaktionsnetzwerk mit dem schönen Namen Deutschland mal wieder bestens informiert über die Innereien des Nachrichtenmagazins Spiegel berichtet, dessen Chef Klaus Brinkbäumer derzeit lieber als Stratege denn als Blattmacher seine Zeit verbringt. Auf seiner Agenda steht „etwa ,Spiegel International’, ein englischsprachiges, kostenpflichtiges Online-Angebot. Dazu gehört auch die mobile Digitalzeitung ,Daily’, die (anders als die FAZ-App ,Der Tag’) kostenpflichtig sein soll und sich montags bis freitags jeweils zum Feierabend aktualisiert. Vor allem und in erster Linie geht es darum, ein sinnvolles, funktionierendes Bezahlmodell zu finden und auch einzuführen: nicht für das gesamte, aber für Teile von ,Spiegel Online’. Technisch sind die Voraussetzungen angeblich geschaffen. Bei der Bezahlweise wird aktuell das Modell von Laterpay präferiert.“ +++

+++ Die Freischreiber haben eine Vorauswahl getroffen, welche Auftraggeber zuletzt ihren Freien das Leben zu Hölle machten. Mit dabei: der Tagesspiegel, Gruner+Jahr, DuMont und Spiegel Online. Woraus sich in Gegenzug die Frage ergibt, wo Freie eigentlich noch in Ruhe (und gut bezahlt) arbeiten können? +++

+++ „The New York Times is to invest more than $50m in an aggressive international digital expansion to take its ,without fear or favour’ brand of journalism outside the US“, berichtet der Guardian. +++

+++ Mindestens elf Mal sind Journalisten in diesem Jahr angegriffen worden, und das immer im „Umfeld von rechtspopulistischen oder extremistischen Demonstrationen“, wie es in der Pressemitteilung des BDZV heißt. Dieser tagt dieser Tage mit anderen deutschsprachigen Verlegerverbänden in Heiligendamm und entnahm diese Information einem Vortrag von Martin Hoffmann, Studienleiter beim Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF). +++

+++ Auch die österreichischen Journalisten tagen, um in welchem Zeichen sie das tun, steht beim Standard. +++

+++ „Ich beobachte zwei Jungen, sie klettern u?ber Ma?uerchen und reden laut. Ich drehe meinen Kopf, schaue nach unten - und erschrecke: Ein Loch. Bloß nicht reinfallen, denke ich fu?r einen kurzen Moment. Um dann - wieder bei Sinnen - zu merken: Ich befinde mich nicht auf einem Haus in einem ehemaligen Kriegsgebiet in der Ukraine, sondern stehe in meiner Ku?che. Dort gibt es kein Loch, in das ich treten ko?nnte.“ Elisa Makowski im aktuellen epd Medien über virtuelle Realität im Journalismus. Ein aktuelles Anwendungsbeispiel lieferte gestern bild.de, das eine 360-Grad-Tour mit Dirk Nowitzki durch Halle und Kabine anbot. +++

+++ Zudem berichtet bei epd Medien Tilmann Gangloff von Drehbüchern, die nie verfilmt wurden. „Die meisten namhaften Autoren und Produzenten haben solche Herzensprojekte, an denen sie sich mitunter jahrelang die Za?hne ausgebissen haben. Die Gru?nde fu?r das Scheitern sind vielfa?ltig, aber ein Detail taucht immer wieder auf: die Angst der Redakteure.“ +++

+++ „Hazel Brugger bewohnt ein Design-Zimmer mit direktem Zugang zum Backstage-Bereich. Vor der Show wird eine Käseplatte geliefert, glutenfrei. Hazel Brugger trinkt Leitungswasser aus der Sigg-Flasche. Es geht alles wahnsinnig schnell.“ Noch mehr Insiderwissen über „die böseste Frau der Schweiz“, die nun bei der „heute-show“ angeheuert hat, steht auf der Medienseite der SZ. +++

+++ Sehr enttäuschend: Das von DWDL versprochene „Horst Lichter löst ,Columbo’ bei ZDFneo ab“ bedeutet nicht, dass dieser Bart gegen Trenchcoat tauscht, sondern wieder nur irgendwas mit Sendeplatz. +++

Eine neue Lieferung Altpapier gibt es am Montag.