An Weiterungen und Volten zu Themen, die mit Jan Böhmermann zu tun haben, herrscht kein Mangel, weshalb es vielleicht hilfreich ist, zumindest zu versuchen, das Ganze chronologisch anzugehen:
Zunächst einmal entschied sich Böhmermann, nicht bei der Grimme-Preisverleihung zu erscheinen, was sich gleich zweifach auswirkte, weil er nicht nur, wie vorher bereits bekannt war, für seinen #Varoufake eine Auszeichnung in der Kategorie Unterhaltung bekam (Jurybegründung), sondern - und das war vorher nicht bekannt - auch noch mit der sogenannten Besonderen Ehrung des Grimme-Preis-Stifters, also des Deutschen Volkshochschul-Verbands (DVV), bedacht wird.
„Ja, diese Ehrung ist verdient, sie ist deshalb verdient, weil er (...) mit Sicherheiten, mit Gewissheiten, mit Genres, mit Medienkategorien spielt und den Boden entzieht, uns in diese Unsicherheit stößt und damit aber auch ein Beispiel dafür gibt, wie neue, intelligente Mediengestaltung, Medienunterhaltung auch aussehen kann.“
Das hat die DVV-Vorsitzende, die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU,) auf der Bühne des Marler Theaters gesagt, und sie hat unter anderem betont, dass mit der „Besonderen Ehrung“, anders als sonst, dieses Mal kein „Lebenswerk“ gewürdigt werde. Und dass die Entscheidung schon vor vielen, vielen Monden gefallen sei, nämlich im November. Die Medienkorrespondenz hat transkribiert, was Kramp-Karrenbauer bei der Preisverleihung gesagt hat, die komplette Begründung des DVV steht hier.
Nachdem die Christdemokratin Kramp-Karrenbauer Böhmermann gewissermaßen zu einem Großmeister der Erwachsenenbildung geadelt hatte, umarmte ihn am Wochenende dann auch noch der ihrer Partei nicht fern stehende Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner. In einem von der Welt publizierten Offenen Brief an Böhmermann schrieb der Konzernchef, er habe „leider bisher Ihre Sendungen nicht sehen können“, und diese Einschränkung kann man ihm durchaus anrechnen, denn es haben sich in den vergangenen Tagen nicht wenige Autoren zu Böhmermann geäußert, die diese Bildungslücke nicht eingeräumt haben.
Irritierend dann aber, dass Döpfner en passant den „ziemlich lendenlahmen Erdo?an-Veräppelungs-Song“ von „extra 3“ erwähnt. Wir sind dann mal gespannt, was Döpfner künftig als lendenflotte Satire bezeichnen wird. Maßgeblich ist aber was anderes:
„Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen. Vielleicht lernen wir uns auf diese Weise vor Gericht kennen.“
Diese Sätze erlangten dann noch einmal zusätzliches Gewicht, als am Sonntag eine „Verbalnote“ an das Auswärtige Amt bekannt wurde, derzufolge die türkischen Regierung eine Strafverfolgung Böhmermanns erwartet (Tagesspiegel, FAZ). Unter anderem darum ging es dann auch in der gestrigen Anne-Will-Sendung, siehe Frank Lübberding (faz.net) und Arno Frank (Spiegel Online).
Dass Böhmermann Unterstützung von Mathias Döpfner bekommt, sei „eine satiremäßige Höchststrafe“, findet Georg Diez (Spiegel Online). Da ist was dran, trotzdem lohnt es sich, eine bisher kaum zitierte Passage aus dem Döpfner-Brief aufzugreifen:
„Mich erinnert Ihr Auftritt im Zweiten Deutschen Fernsehen ein wenig an die vermutlich berühmteste Arbeit des Künstlers Martin Kippenberger. Sie zeigt, in verschiedenen Versionen in Holz geschnitzt, einen ans Kreuz genagelten lächelnden Frosch. Ganz im ästhetischen Duktus süddeutscher Herrgottsschnitzerei.“
Näheres zum Frosch findet sich hier. Bemerkenswert ist, dass Döpfner betont, Böhmermann produziere Kunst. Was das betrifft, ist er einer Meinung mit Diez‘ Kollegen Markus Brauck, der für den gedruckten Spiegel einen Leitartikel (Blendle-Link) verfasst hat:
„Um Kunst (...) geht es in diesen Fall. Und die Freiheit der Kunst geht weiter als die Freiheit der Presse (...) Was die Presse darf, ist in Gesetzen geregelt. Was die Kunst darf, kein Gesetz regeln. Erst wenn ein anderer Verfassungswert in Gefahr gerät, kommt die Freiheit der Kunst an ihre Grenzen.“
Und was wollte uns der Künstler sagen? Auch dazu gibt es viele weitere Einschätzungen. Harald Staun (in einem von gleich drei aktuellen FAS-Texten zu Böhmi):
„(Man) kann (...) in diesem Fall das Gedicht (...) nicht als Beleidigung lesen, sondern eben als Satire auf eine Beleidigung, als Text, der eben nicht meint, was er sagt.“
Jost Müller-Neuhof, der in der Anfangsphase der Debatte bereits einen sehr klugen Text beisteuerte, schreibt im Tagesspiegel:
„Böhmermanns Satire (...) richtet sich weder gegen Erdogan noch gegen die Türken, sondern gegen uns und unsere blinden Flecken beim Betrachten und Bejubeln unseres demokratischen Großbegriffs, den wir in alle Welt exportieren möchten – und der bei uns schnell kleiner werden kann, wenn Politik und Institutionen ihn einschnüren wollen, wie es jetzt droht. Wir sind der Witz. Dass derzeit kaum jemand lachen mag, zeigt nur, wie gut er ist.“
Grundsätzlicheres zu JB ist auch im Angebot, von Felix Stephan (Zeit Online) etwa:
„(Böhmermann) macht die Regeln sichtbar, nach denen die Aufmerksamkeitsökonomie funktioniert. Um die Figuren, die von diesen Regeln herumkommandiert werden, kümmert er sich kaum. Er hält sie selbst für Gefangene ihrer Umstände. Da ist Jan Böhmermann ganz bei Marx.“
Antonia Baum baut ihr FAS-Porträt auf einer imho falschen, weil die Ironieebenen weitgehend ausblendende Analyse von Böhmermanns „Be deutsch“ auf (siehe Altpapier, oben im Korb), kommt aber zu einem Schluss, den ich, so widersprüchlich das klingt, nicht ganz falsch finde:
„Böhmermann (ist) ein absolut staatsgläubiger Vorzeige-Bürger, der seinen Bildungsauftrag sehr, sehr, sehr ernst nimmt (...) Er ist (...) kein Rebell. Er ist ganz und gar ein Sohn Deutschlands, und zwar so einer, wie es ihn sich dieses moderne Germany wünscht.“
An dieser Stelle ein erstes Zwischenfazit der aktuellen Würdigungen, Interpretationen und Porträts: Böhmermann ist also ein von Marx und Kippenberger beeinflusster, volkshochschul-kompatibler „Vorzeige-Bürger“. Wenn jemand derart unterschiedliche Zuschreibungen - weitere divergente werden sich nicht allzu schwer finden lassen - auf sich vereinen kann, ist über seine Qualitäten schon einiges gesagt.
Zwei Texte, die Böhmermanns Wirken in den Kontext des sonstigen TV-Humorbetriebs stellen, stehen aktuell auf der Agenda. Friederike Haupt nimmt die aktuelle Debatte zum Anlass, ihrer Sorge darüber Ausdruck zu verleihen, dass „Leute Politik nur noch als das verstehen, was Satire-Shows davon zeigen“ (wie es im Vorspann heißt). Beziehungsweise:
„Interessant ist, was für ein Bild von Politik Menschen bekommen, die keinen anderen Zugang mehr zu Politik haben wollen als diese Shows und das, was auf deren Kanälen im Internet ab Sprüchen und Bildern dazukommt.“
Für den SZ-Humorbeauftragten Hilmar Klute scheint Böhmermann nur der Ausgangspunkt zu sein, um mit heiligstem Zorn und viel Schaum vorm Mund aufschreiben zu können, was ihn an herkömmlicheren Humorformaten stört. Besonders „Die Anstalt“ des ZDF mag Klute nicht. Ein „Trauerspiel“ sei die Sendung, dargeboten von „Pleistozän-Brettlmännchen“ bzw. „traurigen alten Männern mit Hawaiihemd und Weißbierglas“, die „stubenfliegenhaft Politiker ärgern“. Es sei
„unfassbar, wie sich diese Sendung allen Ernstes als Volksaufklärungsinstanz begreift“.
Stefan Gärtner (Titanic) hat den Text bereits eingeordnet:
„Der wilde Haß, den einer auf die ‚deutsche Satire im gebührenfinanzierten Fernsehen‘ hat, wirkt, 30 Jahre nach Henscheids Hüsch-Erledigung, seinerseits wie Kabarett.“
Außerdem äußert Gärtner den
„Verdacht, dass Klutes als ästhetischer Vorbehalt sich gebender Abscheu vor der ‚Volksaufklärungsinstanz‘ Kabarett als ‚Gewerkschaftertagung von 1976‘ ein ganz ordinärer vor so zombiehaften Dingen wie Gewerkschaften und Aufklärung ist“.
Ein weiteres Zwischenfazit gefällig? Hierfür ziehen wir mal ein Zitat von Georg Diez aus seiner bereits Spiegel-Online-Kolumne heran:
„Die aktuelle Böhmermann-Affäre ist ein typischer Placebo-Streit, ein Wohlfühl-Ereignis für ein müdes Meinungsmilieu, das sich hier nochmal beweisen kann, dass es auf der richtigen Seite steht. Sonst halten sie eher gern die Klappe, wenn es um die autoritären Tendenzen in diesem Land geht, wenn es darum geht, wie sich das Klima verändert hat, wie sich das Reden verändert hat, etwa über Flüchtlinge, über Fremde, über das andere überhaupt.“
Das würde ich nicht komplett unterschreiben, aber der Position, dass die im zweiten Satz genannten Themen mehr Aufmerksamkeit verdienten als die „Böhmermann-Affäre“, ist natürlich nicht zu widersprechen.
Diez geht auch noch einmal ein auf Böhmermanns aktuelle Sendung bzw. die Anne-Will-Passage (siehe bereits Altpapier von Freitag), diesen
„ziemlich brillanten 12-Minuten-Akt der medialen Dekonstruktion, der Selbstentzauberung, der Selbstauflösung“
bzw. diesen (um es mit Dietrich Leder/Medienkorrespondenz zu sagen)
„rasend schnell geschnittenen und in sich vollkommen absurden Parforceritt durch die derzeitige Fernsehlandschaft, bei dem sich die beiden Gesprächspartner mal bei ‚Anne Will‘, mal im ‚Promi-Dinner‘, mal in der Folge einer Serie wiederfanden“.
[+++] Keine Strafverfolgung drohte bislang den Verantwortlichen jener Dauerwerbesendung für die deutsche Musikwirtschaft, die einmal pro Jahr in der ARD zu sehen ist.
„Seit mittlerweile 25 Jahren lädt der Bundesverband der deutschen Musikindustrie zur öffentlichen Betriebsfeier, nennt es Echo (und) lässt die ARD stundenlang übertragen (...)“
Das schreibt Jens-Christian Rabe (Wochenend-SZ), der sich die „grauenvolle deutsche Schlagerparade“ angetan hat, die bereits am Donnerstagabend über die Bühne ging. Sie fand auch im Altpapier schon Erwähnung, aber es bietet sich an, darauf heute noch einmal kurz einzugehen, weil der Status eines Jan Böhmermann ja nur dann zu begreifen ist, wenn man sich immer mal wieder die Mickrigkeit der televisionären Großunterhaltung vor Augen führt.
„In den besten Momenten war es sterbenslangweilig, in den schlimmsten - also meistens - stümperhaft und lieblos“,
schreibt Rabe, der dann auch noch einen Bogen zur aktuellen Großdebatte schlägt:
„Barbara Schöneberger gab dazu etwas, das man vielleicht ‚wandelnde Kumpeldiva‘ nennen könnte, eine Figur, die in ihrer lockeren Krampfigkeit wirklich nur in einem Land erfunden werden kann, in dem Staatsanwälte auf Jan Böhmermann losgehen, wenn er einen Witz über einen Witz gemacht hat.“
Jens Balzer (FR) berichtet, dass es „viele rätselhafte, beschämende, aber auch einige ekelerregende Momente“ gab, welche wiederum zu einem nicht kleinen Teil mit einer „Heimatschutz-Band“ (Rabe) zu tun haben:
„Vor drei Jahren wurde der Auftritt von Frei.wild noch dadurch verhindert, dass einige andere Gruppen und Künstler für diesen Fall mit ihrem Fernbleiben drohten. Inzwischen ist der drohend-nationalistische Ton der Freiwild-Musik (‚Ich dulde keine Kritik / an diesem heiligen Land, / das unsere Heimat ist‘) so unübersehbar in der Mitte der Gesellschaft angelangt, dass die Echo-Verantwortlichen sich offenbar zu diesem Kotau vor dem Soundtrack von AfD und Pegida genötigt fühlten (...) So konnte man bei dieser Echo-Verleihung immerhin noch einmal erleben, in welcher Geschwindigkeit sich unser Land gerade verändert.“
[+++] Und jenseits von Böhmi und anderer Unterhaltung? Gibt es natürlich noch die Panama Papers. Die haben, andererseits, vielleicht auch was mit Unterhaltung zu tun, nicht nur, weil bereits zwei Drehbuchautoren daran sitzen, basierend auf den Recherchen eine Fernsehserie zu entwickeln, sondern auch, weil bei der Präsentation der Ermittlungsarbeit der Unterhaltungsaspekt zumindest mitgedacht ist. Letzteres ist für Andreas Bernard ein Grund, sich in der FAS mit der Inszenierung der Panama Papers zu beschäftigen:
„Warum müssen die brisanten und die Welt bewegenden Informationen der anonymen Quelle mit derart hohem Aufwand inszeniert werden? Die Antwort auf diese Frage hängt sicher mit der fundamentalen Krise zusammen, in der sich der Zeitungsjournalismus seit fünfzehn Jahren befindet und die er in jüngster Zeit vor allem auch mit der Stärkung von Enthüllungsgeschichten überwinden möchte.“
Bernard weist in den Zusammenhang darauf hin, dass der „Investigativreporter“ noch ein „sehr junges Phänomen“ sei, und tatsächlich wäre es mal interessant zu klären, wann genau es damit losging, dass man auf Recherche spezialisierte Reporter „Investigativreporter“ zu nennen begann.
„(Die) überdeutliche Inszenierung der Enthüllung (war) in den 1970er Jahren, als große Tageszeitungen wie die New York Times oder die Washington Post den konkurrenzlosen, ungefährdeten Ort solcher Aufdeckungen darstellten, (...) nicht nötig. Die Form der ‚Pentagon Papers‘ oder ‚Watergate‘-Artikel war diskret und unaufgeregt, weil sich das Medium seiner souveränen Position sicher sein konnte.“
Ein aus anderen Gründen hilfreicher Wochenend-Beitrag zur Debatte:
„At root, the Panama Papers are not about tax. They’re not even about money. What the Panama Papers really depict is the corruption of our democracy.“
Das schreibt Aditya Chakraborty im Guardian - also auch in eigener Sache, weil die Zeitung an der Auswertung beteiligt ist.
Altpapierkorb
+++ Bernd Gäbler (Zeit Online) hat sich die medienpolitischen Ideechen der AfD angeschaut, unter anderem die Forderung nach einem „steuerfinanzierten Rundfunk“ (die ja auch aus etwas anderen Ecken schon kam): „Wer würde dann über den Einsatz der Mittel entscheiden? Das Parlament, stets mit der regierungsbildenden Mehrheit. Das würde wirklich alle Türen für die direkte Einflussnahme der Politik öffnen. Sie wäre viel stärker als gegenwärtig, weil institutionell vorgegeben. Wer etwas von der Sache versteht und die Unabhängigkeit von Medien wirklich (und nicht nur propagandistisch) stärken will, muss gegen Steuermodelle sein. Das zeigen auch die Länder, in denen es Staatsmedien gibt: Die italienische Rai war zu Berlusconis Zeiten nur noch Knetmasse in den Händen der Regierenden.“
+++ Der Angriff auf den Lokaljournalismus in Thüringen, den die Funke-Gruppe in Thüringen gestartet hat (siehe unter anderem dieses Altpapier) kommentierte Sergej Lochthofen, der frühere Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, auf einer Veranstaltung, bei der kress.de zugegen war, folgendermaßen: „In Essen glaubt man nicht mehr an die Zukunft der Regionalzeitungen. An der Spitze steht ein Zeitschriften-Mann, der es gewohnt ist, dass eine Redaktion zwölf Blätter macht." Eine Anspielung auf die Herkunft des Funke-Hierarchen Manfred Braun, der 35 Jahre bei Bauer wirkte (und dort dann unter nicht allzu schönen Umständen ausschied), einem Unternehmen also, in dem Chefredakteure sehr viele Hüte aufhaben, wenn auch nicht zwölf, so doch, wie dieser hier, sechs.
+++ Ganz bestimmt kein Zuckerschlecken: im Kuratorium der Friede-Springer-Stiftung zu sitzen. Joachim Sauer, der Gatte Angela Merkels, erhält dafür 10.000 Euro jährlich, berichtet der Spiegel (Teaser-Meldung).
+++ Im Tagesspiegel würdigt Thomas Gehringer die Dokumentation „Die Macht der Pharmaindustrie“, die zum Auftakt der zweiten Staffel der Reihe „Akte D“ läuft, in der „ein wenig weiter ausgeholt wird als sonst im Fernsehen üblich“. wolfsiehtfern.de dazu: „Die erste Staffel bekam 2015 den Grimme-Preis. Unter anderem mit der Begründung, es handle sich um eine neue Form des Geschichtsfernsehens, nicht personalisierend und auf Erinnerungen beruhend, sondern faktenbasiert und auf langer historischer Linie angelegt. Freilich auch unterhaltend. ‚Akte D‘, das klingt nach Kriminalermittlung und Wiedervorlage – und sowas Ähnliches ist es ja auch.“ Ich habe mir für die Samstags-SZ die neue Staffel angeschaut.
+++ Für die heutige Medienseite der SZ hat Kathi Riehl Nicole Zepter getroffen, die Chefredakteurin des Magazins Neon, dessen „ohnehin schon bröckelnde Auflage in den vergangen Monaten rasant nach unten rauschte“ und dessen „Mitarbeiter von mieser Stimmung und von mangelnder Organisation erzählen“. Anlass des Treffens ist der Relaunch des Magazins. „Wenn Zepter ihren Relaunch vorführt, erfährt man mehr Abstraktes über die Welt als Konkretes über das Heft“, meint Riehl. Und: „Es fällt beim Zuhören nicht ganz leicht zu verstehen, wie sich dieser theoretische Überbau in konkreten Geschichten wiederfindet.“ Immerhin: „Das Relaunch-Heft, das soll an dieser Stelle deutlich gesagt sein, ist kein Flop.“
+++ Ärger gibt es um den seit Oktober bei Netflix zu sehenden und in diesem Jahr für den Oscar nominiert gewesenen Dokumentarfilm „Winter on Fire: Ukraine’s Fight for Freedom“. Einige Kameraleute beschweren sich über Regisseur Evgeny Afineevsky. „Sie hätten ihm ihre Aufnahmen zwar kostenlos zur Verfügung gestellt – aber in dem Glauben, dass Afineevsky einen Film daraus machen würde, der später umsonst zu sehen sein sollte, damit möglichst viele Menschen erfahren würden, was auf dem Maidan geschehen ist. Ursprünglich habe man noch zusammengearbeitet. Dann aber sei Afineevsky mit dem Rohschnitt abgehauen und habe den Film in den USA noch einmal neu bearbeitet. Auch mit dem Verkauf an Netflix sei man nicht einverstanden gewesen“, berichtet Karoline Meta Beisel im SZ-Feuilleton.
+++ Mittlerweile frei online: Harald Welzers zeozwei-Essay „Menschenfeinde sind das Problem“, der im Altpapier vor rund einem Monat der Aufmacher war. Die zeozwei-Mutter taz hat ihn nun unter der Überschrift „Gespenstische Gegenmenschlichkeit“ republiziert, und gerade angesichts aktueller gegenmenschlicher Wortmeldungen von "Hetzern und Schwätzern" (Spiegel Online) hat der Text an Relevanz nichts verloren.
+++ Über Inga Wagners Dissertation „Informelle politische Kommunikation. Eine Rekonstruktion des Falls Nikolaus Brender“ schreibt der Tagesspiegel.
+++ Ralf Heimann (Operation Harakiri) hat das Buch „Wortwalz“ rezensiert, in dem die Journalistin Jessica Schober beschreibt, wie sie nach dem Vorbild der Wandergesellen durch Deutschland gereist ist und auf diese Weise neue Einsichten in den hiesigen Lokaljournalismus gewonnen hat: „In Harburg trifft sie auf der Straße eine Frau, die sie zu Peter schickt. Peter ist, so stellt sich heraus, auch Lokaljournalist. Nachdem die Zeitung, bei der er 20 Jahre lang gearbeitet hatte, eingestellt wurde, gründete er vor drei Jahren seine eigene, das Harburger Blatt. 2000er Auflage. Die Zeitungen bringt er selbst zu den 60 Verkaufsstellen. Beim ihm schläft Jessica Schober in einem grünen Holzhaus." Und was ist dieser Peter für einer? Heimann zitiert Schober: „Peter ist bereit, für sein Blatt alles zu geben. Inzwischen wurde ihm das Wasser abgedreht und das Internet abgeschaltet. Er kann die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Deshalb aufgeben? Niemals? Eine Woche lang frage ich mich bei den Nachbarn durch, wo ich duschen darf. (…) Peter jucken die Zustände am finanziellen Abgrund kaum. Die Toilette spült er mit der Gießkanne.“
Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.