Wenn in deutsche Landesparlamente plötzlich mit zweistelligen Ergebnissen eine Partei einzieht, die ein problematisches Verhältnis zu so ziemlich allen Menschen hat, die nicht weiß, deutsch und an einer heterosexuellen Ehe samt Jägerzaun und Schäferhund interessiert erscheinen, dann darf man schon einmal kurz in Schockstarre verfallen und sich fragen: Was zur Hölle sollen wir jetzt tun?!
Zum Glück muss dieser Zustand jedoch nicht lange anhalten, denn für solche Situationen haben wir ja Journalisten, die immer gleich Meinung und Rat zur Hand haben, was und was auf keinen Fall angesagt ist. Nämlich Folgendes.
1. Den Kontakt zu AfD-Anhängern nicht abbrechen.
Das Entfreunden bei Facebook erscheint als eine einfache Lösung, sich das blaue Pack aus dem Gesichtsfeld zu halten und nebenher AfD-Likern zu signalisieren, dass man mit ihresgleichen wenig zu tun haben will. Leider ist diese Strategie jedoch ebenso einfach wie falsch, erklärt Simon Hurtz bei sueddeutsche.de:
„In Sachsen-Anhalt ist die AfD bei den Unter-60-Jährigen mit Abstand stärkste Kraft. Alles Nazis? Die AfD spielt mit Ängsten und bietet einfache Lösungen für komplexe Probleme an. Es ist traurig, dass das bei so vielen verfängt. Doch wer ausgrenzt und schimpft, erreicht gar nichts. Kein Dialog ist auch keine Lösung. (...) Gerade von rechter Seite fällt häufig der Begriff ,Gesinnungsterror’. Die ,Gutmenschen’ würden mit Hilfe der ,Systempresse’ alle abweichenden Stimmen mundtot machen. Es wäre fahrlässig, den ,Linksfaschismus’-Rufern auch nur den geringsten Anhaltspunkt zu liefern, dass ihre Behauptungen eine wahre Grundlage haben könnten. Wer zum Entfreunden aufruft, tut genau das.“
Da die gleichen Argumente auch Carsten Drees bei Mobile Geeks formuliert, werden sie schon stimmen.
2. Den Kontakt zu AfD-Anhängern nicht abbrechen, sondern das Gespräch suchen.
„Das ignorante Verhalten von großen Teilen des politisch-medialen Komplexes treibt das unzufriedene Publikum zur AfD – bei Facebook und an der Wahlurne. Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk missachtet in Sachen AfD seinen Auftrag einer echten Grundversorgung. (...) Medien und Politiker müssen dann aber die Debatte mit der AfD auf der berühmten Sachebene suchen. Die Vertreter der AfD reden lassen und dann die Aussagen hinterfragen. Das ist nicht immer einfach. Manche erinnern sich vielleicht noch daran, wie Friedrich Küppersbusch, nicht gerade der dümmste Vertreter der Medienzunft, seinerzeit im Interview mit dem Chef der rechtspopulistischen Partei Die Republikaner, Franz Schönhuber, unterging. Aber nur, weil es nicht einfach ist, entbindet das Medien und Politik doch nicht von ihrem Job. Wer immer nur ,Nazi’ ruft, wenn ein Rechtspopulist das Haupt hebt, erweist seiner Sache einen Bärendienst.“
Diesen Tipp formuliert Stefan Winterbauer bei Meedia, was prinzipiell durchaus die Möglichkeit zulässt, dass genau das Gegenteil richtig ist. In diesem Fall übernehmen wir die Argumentation jedoch, zumal sie den Boden für Tipp 3 bereitet:
3. Den Kontakt zu AfD-Anhängern nicht abbrechen, sondern das Gespräch suchen und mit Fakten dagegenhalten.
„Die Rechtspopulisten sind nun also da. Seit gestern noch deutlicher als vorher. Journalisten werden nun nicht umhin kommen, ebenso wenig wie Politiker, sich mit der Partei und ihren Abgeordneten, auch face-to-face in Wahlrunden, auseinanderzusetzen. Am Ende hilft da nur eins: Sie mit Fakten zu konfrontieren, sie zu stellen, statt der AfD Vorlagen zu liefern, sich als Opfer einer Medienkampagne aufzuspielen. Vielleicht kommt dann auch die AfD irgendwann auf den Zweig, dass sie nun liefern muss, statt die Medien pauschal zu diskreditieren. Mit Klagen ist es nun auf allen Seiten vorbei.“
Das schreibt Boris Rosenkranz am Ende eines langen Textes bei Übermedien, der auseinanderdröselt, dass die Medien sich am Wahlabend mit dieser hier empfohlenen Taktik eher schwer taten.
4. Den Kontakt zu AfD-Anhängern nicht abbrechen, sondern das Gespräch suchen und mit Fakten dagegenhalten, aber bei allem Entgegenkommen darauf achten, die Partei nicht zu verharmlosen.
„Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wiederum sehr viele von ihnen sich längst von dem so typisch rechten Denken in Feindbildern haben anstecken lassen. Dem gilt es entgegenzutreten, anstatt, wie man nun vielfach liest, ,Ängste’ ernst zu nehmen. Sachdebatten muss man führen, keine Frage, gerade auch in der Flüchtlingsfrage. Irrationalen, durch Scharfmacher ausgelösten Phobien wie der vor einer ,Islamisierung’ hingegen muss man durch Fakten entgegentreten, namentlich durch Statistiken. In Zeiten, in denen weit abgedriftete bürgerliche Intellektuelle und Publizisten radikale neurechte Topoi sprachlich abschattieren und so in die Mitte der Gesellschaft hineintragen, wie etwa Peter Sloterdijk mit seinem Gerede vom ,Lügenäther’ (vulgo: ,Lügenpresse’) oder Cicero-Kulturchef Alexander Kissler mit der von ihm zitierten ,Umstrukturierung der Bevölkerung Deutschlands’ (vulgo: ,Umvolkung’), trägt der moderate Teil der bürgerlichen Publizistik erst recht eine große Verantwortung dafür, der jetzigen besorgniserregenden gesellschaftlichen Entwicklung durch eine klare Analyse dessen, was die AfD ist, entgegenzutreten.“
So geht die Analyse von Liane Bednarz bei (ja, das gibt es tatsächlich noch) Carta.
5. Den Kontakt zu AfD-Anhängern nicht abbrechen, sondern das Gespräch suchen und mit Fakten dagegenhalten, aber bei allem Entgegenkommen darauf achten, die Partei nicht zu verharmlosen, ohne dabei jedoch in einen so schrillem Tonfall zu verfallen, wie AfD und ihre Anhänger ihn kultivieren.
„Wer bei Facebook seine Abscheu und seinen Ekel vor der AfD postuliert, der grenzt sich ab; wenn wir uns gegenseitig unseren Ekel vor dieser Politik bestätigen, werten wir uns in den Augen ähnlich Denkender auf. Das Fatale daran: Unsere Abgrenzung schürt wiederum auch den Ekel der AfD-Sympathisanten auf den angeblichen Meinungs-Mainstream. Schon haben die Demagogen etwas, mit dem sie arbeiten können.“
Diese Warnung hat ein dreiköpfiges Autorenteam mit Hilfe von Susan Mücke bei den Krautreportern formuliert, die sich somit zumindest autorenzeilenmäßig endlich dem Spiegel annähern, doch das nur am Rande. Wir haben hier nämlich noch einen sechsten Punkt, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte:
6. An die Marke Deutschland denken.
Das kommt jetzt vielleicht überraschend und erscheint zwei Tage, nachdem eine rechtslastige Partei in drei Landesparlamente eingezogen ist, eventuell nicht als oberste Priorität. Andererseits haben wir ja nun ausführlich gelernt, dass man den sich selbst als bürgerlich Bezeichnenden zuhören sollte, und ein Argument wie „Was sollen denn die Nachbarn dazu sagen?!“ scheint von dieser Seite durchaus denkbar.
Also:
„Das tatsächliche Markenimage eines Landes im Ausland bezeichnet man im Marketing als Markenwahrnehmung. Unternehmen gehen davon aus, dass eine positive Markenwahrnehmung bis zu 50 Prozent zum Unternehmenserfolg bzw. Wert eines Unternehmens beiträgt. Der Schaden, den ein schlechtes Markenimage für eine Volkswirtschaft wie Deutschland haben kann, erscheint da zu Recht besorgniserregend. So kann ein schlechtes Markenimage dazu führen, dass Investoren oder Touristen künftig einen Bogen um ein Land machen. Darüber hinaus kann die Attraktivität der Waren und Dienstleistungen sinken, welche von diesem Land auf dem Weltmarkt angeboten werden. Ein plötzlich ,schwarz-rot-goldbraun’ gefärbtes deutsches Markenzeichen ist also nicht nur ein gesellschaftliches Armutszeugnis, sondern auch in höchstem Maße geschäftsschädigend.“
Diese Sorgen macht sich Roland Bös, Geschäftsführer von Scholz & Friends, bei horizont.net, und auch, wenn er selbst zugibt, dass es „[a]ngesichts der großen Not so vieler heimatloser Menschen [...] beinahe zynisch [wirkt], sich jetzt um das Markenimage unseres Landes zu sorgen“, kann es doch nicht schaden, für nun anstehende Diskussionen mit Faktenbedarf im Hinterkopf zu behalten, dass die AfD die deutsche Wirtschaft gefährdet.
Denn, fassen wir zusammen: Die AfD ist da, und man sollte das zur Kenntnis nehmen und alle kommunikativ zur Verfügung stehenden Mittel dazu einsetzen, dass das nicht so bleibt. Denn darin sind sich alle schlauen Ratgeber einig: Bleiben dürfen die nicht.
+++ Auf den Einzug ins Parlament könnte für die AfD der Einzug in den Rundfunkrat folgen, erklärt Markus Ehrenberg im Tagesspiegel. +++
+++ „Der Abend des Superwahlsonntags im Fernsehen hatte schon etwas Frappierendes. Denn wo man auch hin schaltete, bekam man den Eindruck, es gebe nur noch ein Programm – ein Fernsehprogramm, eine Meinung, eine politische Partei.“ Michael Hanfeld hat herumgezappt und berichtet darüber heute auf der Medienseite der FAZ. +++ Wo zudem Adrian Lobe das Kunstprojekt „Citizen Ex“ vorstellt, das über eine Staatsbürgerschaft nach Browseraktivität nachdenkt. „Bridle hat ein Plug-in für Browser entwickelt, das die besuchten Websites der Nutzer festhält und nach den jeweiligen Hosting-Ländern – dem Staat, in dem die Domain registriert ist – eine digitale Staatsbürgerschaft errechnet. Man ist also zum Beispiel zu fünfzig Prozent Deutscher, zu dreißig Prozent Amerikaner und zu zwanzig Prozent Ire. Ein echter Kosmopolit. Denn dort, wo unsere Daten sind, sind auch wir. Und je länger wir im Internet unterwegs sind, desto mehr werden wir zu algorithmischen Bürgern.“ +++
+++ Morgen steht einmal wieder der Rundfunkbeitrag vor Gericht. „Insgesamt drei Verfahrenskomplexe sind beim Bundesverwaltungsgericht anhängig, darunter die Klagen von Unternehmen wie dem Autovermieter Sixt, über die wohl im Herbst verhandelt wird. Nun jedoch, im ersten Durchgang, geht es um den ganz normalen Gebührenzahler – und damit um die zentrale Frage: Muss ein Bürger einen Beitrag für etwas zahlen, das er nicht will und nicht nutzt?“, erklärt Wolfgang Janisch auf der Medienseite der SZ. +++ Dort berichtet Karoline Meta Beisel außerdem von einer Tagung, die das Lemming-hafte Verhalten von Medien nach Katastrophen thematisierte. „Als Schlüssel zu besserer, sensibler Berichterstattung empfahlen gleich mehrere Redner übrigens nicht strengere Regeln, sondern ein höchst menschliches Mittel: mehr Empathie.“ +++
+++ „Schnelles Internet auf Glasfaser-Basis soll ausgebaut werden, es soll eine neue Digitalagentur geben und Milliarden-Förderung für junge Firmen.“ So lautet laut Spiegel Online Sigmar Gabriels „Digitale Strategie 2025“, die er gestern auf der Cebit präsentierte. +++
+++ „Wir haben Bilder, Überschriften und Texte. Diese drei Elemente collagieren wir zu einer Interpretation der Wahrheit.“ Sagt BZ-Chef Peter Huth im Interview mit Boris Rosenkranz von Übermedien über Titelseiten und Boulevard. +++
+++ Pressesprecher als Berufsbezeichnung erscheint oft vor allem eines zu sein, nämlich irreführend. Viele von ihnen wollen gar nicht mit der Presse sprechen, sondern deren Anfragen am liebsten ignorieren und ihre eigene Agenda fahren. Ronnie Grob hält nun bei der Medienwoche ein Plädoyer dafür, solche fehlende oder mutwillig falsche Kommunikation öffentlich zu machen. „Wer unter den Journalisten ein echtes Interesse hat an einer kritischen Öffentlichkeit, muss die bezahlte Öffentlichkeitsarbeit demaskieren – gerade dann, wenn es auch um Steuergelder des Bürgers geht. Dass Journalisten im Dienste der Wahrheit immer schlechter bezahlt werden und immer genauer unter die Lupe genommen werden, ist ein Fakt. Aber muss es denn sein, dass Kommunikationsarbeiter immer besser bezahlt werden, ihre teilweise die Öffentlichkeit täuschende und manipulierende Arbeit jedoch von der Öffentlichkeit unbeachtet bleibt?“ +++
+++ „Komplett falsche Artikel, manipulierte Überschriften, Bilder aus dem Kontext gerissen – all diese und mehr Varianten gibt es im Netz.“ Darüber berichtet Christian Meier in Springers Welt. +++
+++ Warum die ARD mit einem Fernsehpreis ausgezeichnete Produzenten denjenigen mit einem Grimme-Preis vorzieht, steht bei DWDL. +++
+++ Die Berichterstattung über und das Gespräch mit Flüchtlingen macht auch etwas mit den Journalisten. Davon berichtet die Kollegin Alena Jabarine in diesem kleinen Video, das die Volontäre der Deutschen Welle am Rande der Fachkonferenz „Im Visier der Meute“ gedreht haben. +++
+++ Mit der Meedia-eigenen Begeisterung berichtet Marvin Schade dort von der Wahlsendung, die bild.de am Sonntag auf Facebook performte: „Was wegen eines manchmal unscharfen und wackeligen Bildes wie auch durch die ein oder andere Verirrung vielleicht etwas unbeholfen aussah, war letztlich ein kluges und nicht ganz berechenbares Experiment, bei dem Bild erneut gezeigt hat, welches Potential in Mobile-Reporting steckt.“ +++
+++ Außerdem berichtet bei Meedia Helmut Markwort über sein Engagement fürs Radio. +++
+++ So traurig wie die Geschichten der Detroiter Auto-Schrauber und der Kumpel aus Newcastle seien diejenigen, die Dale Maharidge von ehemaligen Journalisten zusammengetragen hätten, hieß es am Wochenende im Quartz-Newsletter. Das stimmt, und weil das so herzzerreißend ist, wird an dieser Stelle eine Ausnahme gemacht und mal auf einen Text verwiesen, der schon Anfang März bei The Nation erschien. +++
+++ Der Fernsehtipp zum Schluss: Arte sendet heute einen Themenabend „Syrien“. Was einen da erwartet, steht im Tagesspiegel sowie bei der dpa/Hamburger Abendblatt. +++
Neues Altpapier gibt es morgen wieder.