Die "Lügenpresse" lädt ein
Journalisten träumen vom goldenen Zeitalter des Paid Content, während die erwünschten Kunden gar nicht wissen, wie entsteht, was sie bezahlen sollen. Die Nicht-ganz-so-Unabhängigkeit von Medien und Politik erklärt am Beispiel von Werbung bei WDR und Privaten. Beate Zschäpe reist nach Gera und spricht. Facebook radikalisiert, Buzzfeed macht’s vor, Völkerball wird samstagabendtauglich.

Wenn man wie über sechs Millionen andere Fernsehdeutsche die vergangenen Abende in der philosophischen Tiefe eines David „Die Dinosauerer haben viel Scheiß gebaut“ Ortegas herumdümpelte, wächst zunehmend das dringende Bedürfnis, Kant zu zitieren, oder zumindest Shakespeake. „But thinking makes it so“, sagte zum Beispiel dessen Hamlet, was die zentralen Aspekte der vier Thesen zur Zukunft des Digitaljournalismus erklärt, die faz.nets Mathias Müller von Blumencron aufgestellt und horizont.net festgehalten hat.

„Die glaubwürdige Information von einem Medium des Vertrauens wird den Lesern immer wichtiger.“

„Wir erleben im Digitalen eine Offensive der Exzellenz. Das wird dazu führen dass sich noch mehr Leser digital orientieren und auch bereit sein werden, dafür zu zahlen.“

„Artikel werden direkt auf einer der globalen Online-Plattformen veröffentlicht, dafür erhalten die Redaktionen die Werbeerlöse.“

So sieht bzw. wünscht sich Müller von Blumencron die Zukunft, so wie schon viele vor ihm von der Exzellenzinitiative Internet und den zahlwilligen Lesern träumten. Realität geworden ist es jedoch bislang nicht.

Stattdessen durften Medienmenschen vor ein paar Wochen erschreckt zur Kenntnis nehmen, dass der Begriff „Paywall“, den sie ebenso selbstverständlich im Wortschatz führen wie ein Thorsten Legat „Kasalla“, etwa unter „Wer wird Millionär“-Kandidaten und –Zuschauern nicht bekannt ist. Während die einen von goldenen Bezahlinhaltszeiten träumen, wissen die anderen gar nicht, dass es so etwas gibt. Und es kommt noch schlimmer, denn wir Journalisten scheinen nicht nur unser Refinanzierungsproblem bislang unzureichend kommuniziert zu haben. Manche unserer Leser und Zuschauer haben zudem keinen blassen Schimmer, was das für Tätigkeiten sind, die sie mit ihren Zahlungen bereits ermöglichen oder ermöglichen sollen. Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man zwei Dresdner Rentnern beim Besuch in der Nachrichtenredaktion des MDR zusieht.

Chefreporter Danko Handrick hatte die beiden direkt vom „Lügenpresse“-Skandieren bei der Pegida-Demo engagiert. Ihren Tag in der Redaktion dokumentierte das ARD-Morgenmagazin, dessen ZDF-Pendant Anfang Januar bereits Dunja Hayali ins Gespräch mit Facebook-Kommentatoren geschickt hatte, was die Sendung gerade zur Speerspitze der Volksverständigung werden lässt.

Redaktionskonferenz und Blattkritik, Nachrichtenauswahl und Schnitt, alles bekamen sie gezeigt und durften mitmachen.

„Der Tag war für mich sehr interessant, weil ich bisher noch niemals wusste, wie so etwas funktioniert“,

erklärt zum Abschluss der Eine.

„Das Verständnis ist bei mir größer geworden. Ich will durchaus die Arbeit von Journalisten anerkennen und akzeptieren“,

sagt der Andere.

Wenn es schon das ewig geforderte Fach Medienkompetenz nicht auf den Stundenplan schafft, so sollte man doch einen Besuch in einer Nachrichtenredaktion in Schulen verbindlich machen. Auf Wunsch auch als Tagesausflug für die Seniorenfreizeitstätte verfügbar. Im Redaktionsalltag könnte das zwar etwas anstrengend werden. Aber wenn im Gegenzug Reporter nicht mehr um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müssen, wäre es das wert.

Ergänzend dazu sollte man die Arbeit immer wieder erklären und damit Gelerntes auffrischen. Über das Wochenende übernahm das einmal wieder Armin Wolff, stellvertretender Chefredakteur des ORF und ZiB2-Moderator. Auf seiner Facebookseite stellte er das Konzept der Nachrichtenfaktoren vor.

„Ich kenne keinen einzigen ernsthaften Journalisten, der absichtlich Fehler macht. Oder dem Fehler in seiner Arbeit egal sind. Also, wenn wir etwas falsch machen: Bitte sagen Sie es uns. Möglichst konkret. Wenn geht, wäre es ohne persönliche Beschimpfungen nett. Aber die Forderung ,Medien dürfen keine Informationen weglassen’ ist absurd. Medien dürfen nicht nur – sie sollen ganz viel weglassen: Das Unwichtige, das Unwahre und das Unsinnige.“

[+++] Dass Journalisten in ihrer Arbeit Schwerpunkte setzen und Themen auswählen, ist schon heute auch jedem Dresdner Rentner bewusst. Das Problem ist, dass sie glauben, dass wahlweise Angela Merkel, der BND oder die Macher der Chemtrails hinter diesen Auswahlprozessen stecken. Das lässt sich zwar mit gutem Gewissen abstreiten und widerlegen. Doch das ein oder andere Unabhängigkeits-Problemchen besteht durchaus, wie zuletzt die SWR-Duell-Debatte zeigte. (Um einmal nicht groß in dieses Thema einzusteigen nur kurz der aktuelle Stand: 

„Die MDR-Intendantin und amtierende ARD-Vorsitzende Karola Wille lehnt es ab, allgemein gültige Regeln für die Besetzung der ,Elefantenrunden’ im Fernsehen vor der Wahl zu verabschieden. Sie würden ,einen Eingriff in die redaktionelle Autonomie der jeweiligen Programme bedeuten und journalistische Spielräume einengen’, sagte sie auf unsere Anfrage. ,Das ist mit der in den einschlägigen Gesetzen verankerten Rundfunkfreiheit nicht vereinbar.“, schreibt Stefan Niggemeier bei Übermedien.)

Auf Seite 11 im FAZ-Feuilleton arbeitet sich Michael Hanfeld an der Verquickung der öffentlich-rechtlichen Sender mit der Politik ab. Beim HR habe die CDU zum Beispiel ihren Wunschkandidaten für den Posten des Fernsehdirektors schneller in Position gebracht, als man habe gucken können.

Ein besonderer Dorn im Auge ist ihm jedoch das neue WDR-Gesetz in NRW, das am Mittwoch verabschiedet werden soll und unter anderem die Zusammenarbeit des WDR mit der SZ legitimiert sowie die ursprünglich versprochene Werbefreiheit im Rundfunk kassiert (dass SPD und Grüne Werbefreiheit im WDR versprechen können, hilft jetzt auch nicht gerade, wenn man die Unabhängigkeit des Senders von der Politik demonstrieren möchte). 

„Mehr Geld bekommt der WDR von der Politik also, er kann auch im Internet – was ein Streitpunkt mit den Presseverlagen ist – unternehmen, was er will, hat aber in einem wichtigen Punkt weniger Beinfreiheit: Über die großen finanziellen Fragen entscheidet künftig nicht mehr der Rundfunkrat, in den viele gesellschaftliche Gruppen ihre Vertreter entsenden, sondern der Verwaltungsrat als kleines Fachgremium. Wer in diesem Aufsichtsrat hinter verschlossenen Türen sitzt, kann den Intendanten des Senders an der kurzen Leine halten.“

Selbst wenn man den üblichen Groll des Michael Hanfelds auf die Öffentlich-Rechtlichen abzieht, bleibt ein ungutes Gefühl.

Doch die Einflussnahme geht nicht nur von der Politik Richtung Medien, sondern auch umgekehrt und von dort wieder zurück, wie Peer Schader bei DWDL erklärt, indem er rekonstruiert, wie es zum Verbot der regionalisierten Werbung für private Fernsehsender kam, das seit dem 1. Januar mit Inkrafttreten des 18. Rundfunkänderungs-Staatsvertrags gilt.

„[...]Regionalzeitungsverlage, Radiosender und regionale TV-Stationen [...] befürchten, dass bisherige Kunden seltener bei ihnen buchen, wenn sie ihre Werbebudgets bei RTL, Sat.1 oder ProSieben lassen. [...] Um sich nicht den Unmut der für die Landespolitik besonders wichtigen Regionalmedien zuzuziehen, strebten die Politiker deshalb ein Verbot der regionalisierten Werbung für nationale Anbieter an – nur Bayern sperrte sich dagegen. (Es liegt nahe, dass Edmund Stoiber als Beiratsvorsitzender von ProSiebenSat.1 daran nicht ganz unbeteiligt war.)

Im Juni 2015 allerdings zerbröselte der Widerstand und die bayerische Landesregierung kündigte an, den Weg für das Verbot im Staatsvertrag doch noch freimachen zu wollen. Vorausgegangen waren u.a. massive Beschwerden des Verbands Bayerischer Zeitungsverleger (VBZV), dessen Hauptgescha?ftsfu?hrer Markus Rick von der bayerischen Verweigerung als ,Desaster’ gesprochen hatte. Die Angelegenheit demonstriert anschaulich, wie Medienpolitik in Deutschland auf der Länderebene vor allem lobbygetrieben funktioniert.“

So unabhängig, wie wir es uns mit gutem Gewissen verteidigen zu können wünschen, funktioniert es also nicht. Nur eins muss sich etwa der SWR nicht vorwerfen lassen: dass er einseitig zu Gunsten im politischen Spektrum eher links zu verortender Parteien berichtete. Meint zumindest Marvin Oppong, der bei Meedia einen zwei Wochen alten Beitrag aus „Zur Sache Rheinland-Pfalz“ nacherzählt.

„Die AfD gebe ,vielen Wählern eine neue politische Heimat’, so der Beitrag in den höchsten Tönen. ,Wenn es die AfD nicht gäbe, würde mehr als die Hälfte der AfD-Anhänger bei der Landtagswahl gar nicht wählen oder wüsste nicht welche Partei’. Am Ende hört sich der Beitrag fast an wie Wahlwerbung. Während Junge und der AfD-Bundesvize Alexander Gauland die deutsche Nationalhymne singen, sagt die SWR-Autorin: ,Die AfD bietet die Rückbesinnung auf National-Konservatives an’.“


Altpapierkorb

+++ Heute Abend läuft im ZDF das Dokudrama „Letzte Ausfahrt Gera - Acht Stunden mit Beate Zschäpe“, das am Freitag hier schon Thema war. Die Geschichte des NSU wird um eine achtstündige Autofahrt herum erzählt, die Zschäpe 2012 tatsächlich unternommen hat, um ihre Oma in Gera zu treffen bzw. zum Sprechen bewegt zu werden. „Wenn man unterstellt, dass diese Dialoge tatsächlich so stattgefunden haben, wie sie aufgeschrieben wurden, dann hört man Beate Zschäpe also jetzt zum ersten Mal reden. Das scheinbar Belanglose, ihre Selbstkontrolle lässt Züge ihres Charakters ahnen. Mehr als Ahnungen sind es nicht, aber genau das ist richtig so, denn der Zuschauer bleibt in der Freiheit, sich die Ahnungen zum eigenen Bild zusammenzusetzen.“ (Renate Meinhof, SZ) „Das Ineinander und Nebeneinander der Ebenen könnte kaum besser zu einem Ganzen arrangiert werden, als es hier geschieht.“ (Ursula Scheer, FAZ) „Alle wesentlichen Fragen bleiben offen.“ (Heike Hupertz, epd medien) „Die Film-Zschäpe ist ein lakonisch introvertierter Studentinnentyp, permanent cool, meistens genervt.“ (Frank Jansen, Tagesspiegel) „So ist ,Letzte Ausfahrt Gera’ bei aller Virtuosität der Dialoge doch ein Lastkahn, der schwer an seiner umfänglichen Fracht trägt“ (Klaudia Wick, Berliner Zeitung) +++

+++ Zum neuen jetzt.de geht es hier entlang. +++

+++ Auch der Guardian muss sparen, und zwar 20 Prozent seiner Kosten. „Executives said that annual operating costs had reached £268m, up 23% over the five-year period, compared with a 10% growth in revenues“, heißt es im dazugehören Artikel. „As part of a strategy for the future called Project 2021, the management team is to focus on enhancing the Guardian’s membership offering, international growth in the US and Australia, and better data management.“ In Deutschland wird ähnlichen Problemen begegnet, indem die Bild der Frau nun auch Diätmahlzeiten vertreibt. ++

+++ Wem der Kampf Print gegen Online zu durchdekliniert erscheint, kann sich an einer neuen Medienfront erfreuen: Etablierte Onliner gegen die, die neu auf den Markt drängen. Lars Budde erläutert das bei t3n am Beispiel Buzzfeed (Offenlegung: für den deutschen Ableger habe ich auch schon geschrieben) genauer. „Das Erfolgsgeheimnis von Buzzfeed sind aber nicht allein Listicles und Katzenbilder. Eine große Rolle spielen neue Ansätze, von denen die gesamte Branche lernen kann – auch die lästernden Kollegen“, meint er. +++

+++ „Es gibt deutliche Hinweise, dass die Sortieralgorithmen der sozialen Medien zur Meinungsbildung beitragen. Wer bei Facebook und anderswo nur noch radikale Ansichten und Behauptungen zu sehen bekommt, wird womöglich selbst zunehmend radikal. Die sozialen Medien verändern damit vermutlich bereits jetzt die Gesellschaft“,  lautet die Zusammenfassung dieses Artikels bei Spiegel Online. +++

+++ Am Sonntag ist der ehemalige Fernsehdirektor des BR, Hemlut Oeller, verstorben. DWDL erinnert in einem kleinen Nachruf an ihn. +++

+++ Bill Gates hat die Bilderbibliothek seiner Agentur Corbis an die Visual China Group (VCG) verkauft, die sich zudem mit Getty Images verpartnerte. „Damit fließen durch ihre Kanäle künftig Millionen Bilder, die nicht nur tagesaktuelle Nachrichten darstellen, sondern auch ein Gutteil der großen Ereignisse der westlichen Geschichte zeigen“, erklärt Stephan Finsterbusch in der FAZ. +++

+++ Bento.de als Bremsklotz des Jahres, der Postillon als Politikblog des Jahres, Lorenz Maroldt als bester Blogger ohne Blog aber mit Newsletter: Gestern Abend wurden die Blogger des Jahres 2015 gewählt. Noch mehr Preisträger stehen in Daniel Fienes Blog. +++

+++ Bei kress.de rekonstruiert Heike Rost, wie Rechtspopulisten aus einem Reuters-Foto aus Paris von 2006 eine Mannheimer Straßenschlacht machten. +++

+++ Auf der Medienseite der SZ stellt Jürgen Schmieder Jimmy Fallon vor, dessen „Tonight Show“ ab heute Abend auch auf Eins Festival läuft. +++

+++ "Eine meiner weltweit liebsten Städte", so nennt Mark Zuckerberg Berlin. Was das nun wieder bedeutet, will man gar nicht wissen (hinterher sind Berliner noch die mit dem geringsten Datenschutzbedürfnis). Auf jeden Fall wird Zuckerberg die Stadt im Frühjahr besuchen, vermeldet der Tagesspiegel. Frédéric Schwilden hat bei Springers Welt schon einmal wie wichtigsten Fragen an ihn zusammengetragen: „Wie gelingt das perfekte Selfie? Wenn Ihnen Berlin so gefällt, warum wohnen Sie nicht hier? Ist Berlin das neue Silicon Valley? Und wie geht das, mit 31 noch wie mit 21 auszusehen? Warum heißt ihr Hund eigentlich Beast, obwohl er doch so niedlich ist.“ +++

+++ Eben noch auf dem Grundschulhof, jetzt schon Samstagabendunterhaltung: Völkerball. Pro Sieben hat sich das so ausgedacht, steht bei DWDL. +++

+++ Immer, wenn man denkt, jetzt habe man aber alles gesehen, kommt „Passend zur Schnupfenzeit präsentieren wir einen Serienguide durch die schönsten Arztserien der Fernsehgeschichte - von der Schwarzwaldklinik bis Dr. House. Welcher TV-Arzt für welche Symptome zuständig ist.“ Die komplette 13-teilige Klickstrecke gibt es beim Kölner Stadtanzeiger. +++

Neues Altpapier gibt es morgen wieder.