Achtung, dies ist nur eine Fußnote!
Endlich da: der Begriff „Brüllspirale“. Wie immer da um diese Jahreszeit: die Grimme-Preis-Nominierungen. Leider da: ein Dokudrama über Beate Zschäpe. Und eine nicht gerade kleine Frage: Wird der naive Glaube an die „verklärende Erzählung, die Medien seien dazu da, die Mächtigen zu kontrollieren“, ewig währen?

Das Wort des Tages aus medienkritischer Sicht - es lautet „Hofnarr“. Sechsmal kommt es vor in einer, wenig optimistischen, Abhandlung Wolfgang Michals zur Lage und zu den Perspektiven der Medienkritik. „Das generelle Problem“ der Medienkritik beschreibt der Autor darin so: 

„Sie kommt über das Stadium des Hofnarren nicht hinaus. Sie führt eine Nischenexistenz und hat sich in dieser Nische eingerichtet. Als nörgelnde Couch-Potatos leiden die Medienkritiker an der wachsenden Diskrepanz zwischen der rapide zunehmenden Bedeutung der Medien und der offensichtlichen Irrelevanz ihrer Kritik. Während die Medien den Alltag der Menschen heute rund um die Uhr begleiten und jegliche Erfahrung von ‚Welt‘ und ‚Realität‘ immer stärker medienvermittelt ist, konnte die Medienkritik mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten und ist zur Fußnote in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung geworden.“ 

Ob tendenziell nicht jeder Journalist, ob Medienkritiker oder nicht, ein Hofnarr ist, weil es kein richtiges Narrentum im falschen gibt, wäre noch mal eine andere Frage. Viele Anhänger von Karl Kraus würden sie wohl bejahen. Dies sei nur angemerkt, weil Kraus von Michal in einem Satz gewürdigt wird, der mit „In der Geschichte der Medienkritik gab und gibt es immer wieder herausragende Figuren ...“ beginnt, und in dem leider auch die Pappnase Oliver Kalkofe (Wolfgang, darüber müssen wir mal reden!) vorkommt. 

Michal nimmt auch Bezug auf Christoph Kappes‘ „Gedanken zu einer neuen Medienkritik“ (siehe Altpapier). Eine der entscheidenden Passagen in Michals Text, dem es nicht an Passagen mangelt, die eine näheren Betrachtung Wert wären, lautet:

„Eine Medienkritik, die sich ihrer Herkunft bewusst wäre, müsste die heute dominante Medienindustrie als Charakteristikum postdemokratischer Herrschaft begreifen anstatt weiter naiv an die verklärende Erzählung zu glauben, die Medien seien dazu da, die Mächtigen zu kontrollieren.“

Voraussetzung für eine Bewusstwerdung wäre aber eine annähernd linke Haltung, und die zu haben, ist ja nun eher out (und war vielleicht nie in). Einen anderen Grund, warum die Medienkritik ist, wie sie ist, hat Güzin Kar neulich in einem anderen Zusammenhang im Magazin des Tages-Anzeigers benannt:

„Journalisten arbeiten in einem unsicheren Metier. Sie müssen laut sein, um ihren Stuhl zu verteidigen.“ 

Das ist eine hübsche, wenn auch nicht hinreichende Erklärung für den allgegenwärtigen, in sehr vieler Hinsicht närrischen Krawallsound (nicht nur zu #kölnhbf).

Michal schreibt außerdem:

„Die traditionellen Medien beschäftigen und bezahlen ihre Medienkritiker (...) nicht nur wie Hofnarren, sie bestimmen auch deren Agenda. Kaum ein Medienkritiker setzt eigene Themen – vielmehr hecheln sie den Themen nach, die von den Medien gesetzt werden (...) Die vom Dauer-Wettlauf erschöpften Kritiker konzentrieren sich auf (...) erregungs-sichere Nebensächlichkeiten: auf Geschmacklosigkeiten aller Art, auf falsches Benehmen oder tadelnswerte Vergleiche. Damit folgt die Medienkritik – wie hypnotisiert – jenen an- und abschwellenden Empörungszyklen, die sie eigentlich kritisieren müsste.“

Damit ist ein Problem benannt, das das Altpapier in besonderem Maße betrifft, weil wir hier ja einen Überblick über das medienkritische Treiben der anderen geben sollen/wollen. Wir haben hier zwar die Freiheit, ein Thema außen vor zu lassen, wenn „die Branche“, die eigene Filterblase oder Michael Hanfeld gerade kreischt und zetert und wir selbst den Eindruck haben, dass gerade allenfalls ein Sack Couscous in Schieflage geraten ist, aber vielleicht nutzen wir die Freiheit zu selten. Wobei an dieser Stelle zu ergänzen wäre, dass die Kriterien der Autorinnen und Autoren völlig unterschiedlich sind.

Ich jedenfalls erfülle heute gern die von Michal implizit formulierte Forderung, öfter mal einen „Empörungszyklus“ bzw. „erregungs-sichere Nebensächlichkeiten“ zu ignorieren. Kein Wort daher zur Sache mit den Elefanten, die nicht kommen wollen, und jenen, die selbst gern Elefanten wären.

[+++] Immer mal wieder im, äh, Fokus der hofnärrischen oder wie auch immer gearteten Medienkritik, kürzlich etwa wegen der Inszenierung „sexueller Gewalt als erotische Fantasie“ (taz): die Regenwald-Totmacher von Focus, die ab März schon wieder einen neuen Chefredakteur bekommen. Auf dem „Schleudersitz“ (Michael Hanfeld, FAZ) bei dem „mitunter“ als „Pegida-Vereinsblatt“ (Stefan Winterbauer, meedia.de) daherkommenden bzw. „runtergewirtschafteten Magazin“ (ders.) sitzt künftig der von der Super Illu kommende Robert Schneider.

Was „runtergewirtschaftet“ konkret heißt, kann man bei Christian Meier (Die Welt) nachlesen:

„(Der) Auflagenrückgang (...) nimmt (...) beim 1993 gegründeten Focus mittlerweile besorgniserregende Züge an. Vor allem im wichtigen Einzelverkauf zum Beispiel an Kiosken, in Supermärkten oder Bahnhöfen liegen mittlerweile Welten zwischen Spiegel und Stern auf der einen und dem Focus auf der anderen Seite. Nur noch rund 75.000 Hefte verkaufte der Focus zuletzt durchschnittlich an Einzelverkaufsstellen. Der Stern liegt bei 209.000, der Spiegel bei 250.000 verkauften Ausgaben über diesen Vertriebsweg.“

„Besorgniserregend“ finde ich i.Ü. ja nicht, dass „nur noch“ 75.000 Hefte im Einzelverkauf über den Tisch gehen, sondern dass es immer noch 75.000 sind.

Den Kalauer, dass Focus künftig reitzlos sei, kann man aber leider nicht bringen, denn als „Editor At Large“ soll der scheidende Chefredakteur noch in die Tasten hauen. Beziehungsweise: Er soll, wie Sonja Álvarez (Tagesspiegel) schreibt,

„den ‚Jörges‘ machen, das Magazin also als eine Art Außenminister beispielsweise in Talkshows repräsentieren.“

[+++] Reitz kommt auch vor am Anfang eines Übermedien-Textes, für den sich Stefan Niggemeier die recht gut recht viel zusammenfassende Überschrift „Die Brüllspirale“ ausgedacht hat. Der von Niggemeier zitierte Reitz-Hammer geht so:

„War es nicht mindestens ein Jahrzehnt lang gepflegter gesellschaftlicher Konsens, über Gewalt durch Ausländer weder zu reden noch angemessen zu berichten?“

[+++] Wie immer stehen um diese Jahreszeit die Nominierungen für den Grimme-Preis fest (PDF), aber dieses Mal gibt es so viel wie noch nie, weil es eine neue (vierte) Wettbewerbskategorie gibt (für Kinder & Jugend) und jeweils eine neue Subkategorie („Innovation“ bzw. „journalistische Leistung“).

Auf die Nominierungen der Kommission Information & Kultur kann ich nicht näher eingehen, weil ich einer von sieben Kommissaren war. Nur so viel: In der Kategorie Spezial ist die arabischsprachige n-tv-Sendung „Marhaba - Ankommen in Deutschland“ nominiert, und das ist erwähnenswert, weil Formate des Privatfernsehens in dieser Kommission - aus sehr naheliegenden Gründen - sehr selten gewürdigt werden. Zuletzt war das 2010 der Fall, damals aber immerhin gleich in drei Fällen. Den Macher von Marhaba hat die SZ (Paid Content) zu Beginn dieser Woche porträtiert (siehe u.a. auch diesen Altpapierkorb aus dem Dezember).

Spiegel Online stellt eine Spezial-Nominierung für Jan Böhmermanns #Varoufakefake in den Vordergrund. Die SZ tut‘s auch. Und digitalfernsehen.de sieht (mit der Hilfe von dpa) den „Grimme-Preis auf Serienkurs“. Wer Näheres wissen will zu den insgesamt acht Serien, die in den verschiedenen Kategorien und Subkategorien erwähnt sind: siehe das Serienkapitel aus Dietrich Leders Jahresrückblick (Medienkorrespondenz).

[+++] Nominiert in der Kategorie Fiktion ist unter anderem Raymond Leys Film „Meine Tochter Anne Frank“. Am kommenden Dienstag läuft im ZDF nun Leys Dokudrama „Letzte Ausfahrt Gera - Acht Stunden mit Beate Zschäpe“, das, diese Prognose sei hier mal riskiert, im kommenden Jahr nicht für den Grimme-Preis nominiert werden wird. Die Jungle World kritisiert in einem noch nicht online verfügbaren Text unter anderem die fiktionalen Szenen „aus dem Innenleben der NSU“:

„In einer Szene kommen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mutmaßlich von ihrem ersten Mord zurück in die gemeinsame Wohnung. Dort erwartet sie Zschäpe mit der Aufforderung: ‚Schuhe ausziehen.‘ (...) Stilisierte Sex-Szenen (...) zeigen das Trio ganz privat.“

Fazit:

„Der Fokus auf die Person Zschäpe ist einer Aufklärung des NSU-Komplexes nicht dienlich - weder im Film noch in der Realität.“

Ob es Kollegen gibt, die das anders sehen (auszuschließen ist‘s nicht) - das steht dann vielleicht zu Beginn der kommenden Woche im Altpapier.


Altpapierkorb

+++ „Flüchtlinge, hört und liest man ständig, überfallen wehrlose Bürger, vergewaltigen Minderjährige, stehlen schamlos.“ Wie diese Propaganda ihre Wirkung entfaltet, beschreibt Frank Patalong bei Spiegel Online. Unter anderem schreibt er: „Erfundene Vergewaltigungen gibt es seit Monaten bundesweit. Wenn es dann - wie in der Silvesternacht 2015 in Köln - wirklich zu sexuellen Übergriffen kommt, erhöht das die Bereitschaft, auch die erfundenen Fälle für wahr zu halten. So gut wie jede Lokalzeitung im Land musste schon dagegenhalten, wenn über Flüchtlinge in ihrer Region solche Gerüchte verbreitet wurden. Doch Dementis von Polizei und Medien verpuffen, oder werden gleich als von oben verordnete Lügen umgedeutet, während Gerüchte nachwirken.“

+++ Welche Themen sind mittlerweile „durch“ bzw. so durch, dass wir die entscheidenden Details vergessen haben? Machen Sie mit beim Slow-Journalism-Quiz! Es geht um den Oktober 2015. 

+++ Neues von der Scheinselbstsändigkeitsfront: „Die Süddeutsche Zeitung und deren Onlineredaktion stellen ihre Pauschalisten jetzt fest an“, weiß die taz. Anne Fromm schreibt: „Auffällig ist (...), dass zurzeit mehrere Verlagshäuser, darunter auch Gruner + Jahr und die Funke-Gruppe, daran arbeiten, ihre Pauschalisten fest anzustellen. Hintergrund könnte ein Referentenentwurf für ein neues Gesetz gegen den Missbrauch von Werkverträgen sein, den SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles im vergangenen November vorgelegt hat. Der Entwurf definiert enge Kriterien, ab wann jemand scheinselbstständig ist. Bisher war diese Definition wesentlich schwammiger.“

+++ Was auch in der taz steht: Der Kreml hat für seine Website ein Interview der Bild-Zeitung mit Wladimir Putin übersetzt, und in der russischen Version klingt es nun „zahmer als im Original“.

+++ Mein ungeliebter Ohrwurm zur Zeit: „Fastnacht im Frankenland / Ist überall bekannt / Von Lindau bis Berlin / Und hoch zur Norderney". Schuld daran sind Recherchen zum Thema Karnevals-Fernsehen für die SZ

+++ Was Sie vielleicht noch nicht wussten: Lutz Marmor „fährt (...) gerne Zug. Sein Vater arbeitete bei der Bahn." Ganz großer Medienjournalismus mal wieder in der aktuellen Ausgabe der Zeit (Wirtschaftsteil, Seite 25)

+++ Wer wird RBB-Intendantin? Die derzeit in London stationierte Annette Dittert „bestätigt, sich beworben zu haben“, weiß Ulrike Simon (horizont.net). Auch im Rennen: ARD-Generalsekretärin Susanne Pfab.

+++ In der unter Medienjournalisten nicht unberühmten Jahres-Hitliste der „Tagesthemen-Kommentatoren“, die die Medienkorrespondenz zusammenstellt, ist „im vierten Jahr hintereinander“ Rainald Becker vom SWR „Tabellenführer“. Er war 2016 20-mal im Einsatz. Das heißt: „Schon lange sprach jemand nicht mehr so viele Kommentare in einem Jahr wie diesmal Becker.“ Und wie schaut‘s aus in Sachen Gender Diversity? „Bei den 215 Kommentaren des Jahres 2015 wurden insgesamt 69 Sprecherinnen (23) und Sprecher (46) eingesetzt. Das heißt, der Frauenanteil betrug genau ein Drittel (33,3 Prozent). Die exakt gleichen Zahlen gab es übrigens im Jahr 2013.“

+++ Außerdem in der Medienkorrespondenz: „Zweifel“ daran, dass es gelingen wird, dass, wie von „Union und SPD im August 2014 in ihrer ‚Digitalen Agenda‘ festgelegt (...), im Jahr 2018 (...) deutschlandweit Haushalte und Unternehmen mit einer Download-Geschwindigkeit von mindestens 50 Megabit pro Sekunde (...) das Internet nutzen können“. Und wer zweifelt? Die aus SPD, Grünen und SSW bestehende schleswig-holsteinische Landesregierung. Nicht unbrisant ist das möglicherweise, weil an der Regierung, die von der Kieler Regierung kritisiert wird, ebenfalls die SPD beteiligt ist.

+++ „Niemand hat mehr Kriege fotografiert als David Douglas Duncan“, und weil dieser am Sonnabend 100 Jahre alt wird, würdigt die FAZ heute im Feuilleton den früheren Fotografen des Magazins Life: „Etliche seiner Konterfeis unrasierter, erschöpfter GIs wurden zu Ikonen, und ohne Übertreibung kann man behaupten, dass Duncan es war, der den amerikanischen Soldaten ein Gesicht gegeben hat. Bis heute beruft sich Hollywood auf seine Vorlagen. Dabei war es ihm nie um Heroisierung zu tun“, schreibt Freddy Langer.

+++ Und zur Geschichte der Mittelwelle, die am 31. Dezember nach mehr als 90 Jahren zuende ging, hat Joachim Güntner für die NZZ was Nostalgisches geschrieben.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.