Weder Scheren noch Tabus
Eine Freie des WDR gießt Wasser auf Pegida-Mühlen und ARD aktuell hat mal wieder alles richtig gemacht. Lange nichts mehr vom Refinanzierungsproblem des Journalismus gehört. Auch die taz entdeckt Ostdeutschland, RTL stört sich an Adblockern, und die Zuschauer werden der Nonnen einfach nicht müde.

Wenn man in diesen Stunden die freie Journalistin Claudia Zimmermann googelt, so findet man deren Namen auf eher unangenehmen Seiten wie der des Kopp-Verlages, der Propagandaschau oder der Facebookseite von Pegida.  

Zu verdanken hat sie diese ausführliche Würdigung ihrem Auftritt im niederländischen Rundfunk am Sonntag, als sie den WDR kurzerhand zum Staatsfernsehen von Merkels Gnaden erklärte:

„Wir müssen natürlich ausprobieren, auch, ich sag mal, neutral über ein Thema zu berichten. Und am Anfang war es natürlich so, dass die Willkommenskultur von Merkel... noch keine negative Stimmen hatte. Es gab eine politische Mission und wir haben in die Richtung berichtet“,

lautet eine Übersetzung, die sich bei Übermedien findet, wo sich die Zusammenarbeit mit Blendle gerade doppelt auszahlt.

Das Original kann man sich hier anhören, wo auch des Niederländischen weniger Mächtige erkennen, wie überrascht ihr Interviewer auf diese Aussagen reagiert, was Zimmermann nicht davon abhält, sich immer weiter in die These vom Agenda-Journalismus zu verrennen.  

Natürlich ist die Journalistin mittlerweile zurückgerudert, hat alles zum Unsinn erklärt, auf den Druck der Live-Situation geschoben und sich peinlich berührt gegeben. Auch der WDR hat sich distanziert, wobei es vielleicht nicht die beste Idee war, beides in eine gemeinsame Pressemitteilung zu verpacken, denn so kommen die ganz oben genannten Spinner aus dem Sich-für-ihre-richtigen-Ahnungen-auf-die-Schulter-Klopfen gar nicht mehr heraus: Das Öffentlich-Rechtliche ist eigentlich das Staatlich-Gelenkte, und wer das ausspricht, bekommt gleich einen Maulkorb verpasst und die Hand beim Dementieren gehalten - sie haben es schon immer gewusst, und wir können uns nur fragen, warum eine Kollegin, die sich im Alltag mit Zirkustieren und Karnevalsfotos zu beschäftigen scheint, so etwas sagt. Verschwörungstheorien schüttelt man sich ja nicht unbedingt in Momenten besonders großer Aufregung aus dem Ärmel.

Szenario A: Sie glaubt das wirklich.

Szenario B: Sie hat es wirklich erlebt.

Szenario C: Sie wollte über das komplexe Thema sprechen, dass man als Journalist über manche Dinge lieber nicht schreiben möchte, aber muss, wie es Antonia Baum vorletzte Woche in der FAS ansprach (siehe Altpapier vor einer Woche). Schließlich ist es ein Problem, rechte Spinner als rechte Spinner entlarven zu wollen und gleichzeitig über Fakten zu berichten, die diesen in die Hände spielen. Da zeigt man doch lieber mit positiven Beispielen, dass Integration funktioniert. Das ist das Spannungsfeld, in dem man sich bewegt, ist man gleichzeitig Journalist und Demokrat.

Darüber zu sprechen, lohnt sich wirklich. Im Lärm der Empörung der vergangenen Stunden war das jedoch mal wieder nicht möglich. Beim WDR hat man es sich aber vorgenommen, wie Stefan Niggemeier wiederum bei Übermedien berichtet:

„Im WDR findet in der kommenden Woche eine Sitzung des Redakteursausschusses statt, die sich auch mit der Berichterstattung über Flüchtlinge befasst. (...) Im NDR gab es eine ähnliche Konferenz schon vor Monaten. Eingeladen hatte Fernsehprogrammdirektor Frank Beckmann. Kritiker im Haus hatten damals befürchtet, dass es darin darum gehen sollte, entsprechende redaktionelle Vorgaben zu machen, wie über Flüchtlinge zu berichten sei. Tatsächlich habe das dann jedoch keine Rolle gespielt, erzählt ein Teilnehmer. Im Gegenteil: Es habe ein offenes Gespräch darüber stattgefunden, welche Probleme es bei der Flüchtlingsberichterstattung gebe, wo es an Ressourcen fehle.“

Vielleicht kann jemand Claudia Zimmermann dazu bitten und doch noch herausfinden, was sie außer der Aufregung im Angesicht einer Live-Situation, mit der man als WDR-Mitarbeiterin offenbar wenig Erfahrung sammelt, zu ihren Aussagen brachte.

[+++] Eine Redaktion, die die eigene Arbeit nicht nur reflektiert, sondern das Ergebnis auch noch vom Chef persönlich ins Netz stellen lässt, ist die von ARD aktuell. Natürlich geht es auch in Kai Gniffkes aktuellstem Beitrag für das Tagesschau-Blog über die Berichterstattung zu den Ereignissen in Köln, und wie immer hat die Redaktion alles richtig gemacht. Was man noch ein bisschen lieber glauben würde, wäre die Art nicht so herablassend, in der diese Erkenntnis vorgetragen wird:

„Bleibt die Frage nach einem Tabu. Gab es eine Schere in den Köpfen von ARD-aktuell, die verhinderte, dass wir über Ausländerkriminalität berichten? Hier hilft am besten ein Blick in unser Programm vom 3. Januar (!). In den Tagesthemen gab es an diesem Abend - ohne Kenntnis der Ereignisse von Köln – einen Bericht über arabische Clans im deutschen Großstadtmilieu, über deren Straftaten und über rechtsfreie Räume. Als hätten wir eine Vorahnung von Köln gehabt, ein Tabu hatten wir jedenfalls nicht.“

[+++] Ein weiteres Beispiel, dass auch andere Medien wenig Scheu hatten, über ausländische Straftäter zu berichten, lange bevor die Kölner Silvesternacht zu dem wurde, als das wir sie erinnern werden, dokumentiert das Bildblog. Anders, als es Focus-Chef Ulrich Reitz in seinem Newsletter nahelegte, sah sich seine Zeitschrift nämlich nicht an den vermeintlichen „gesellschaftlichen Konsens“ gebunden, über kriminelle Ausländer lieber zu schweigen.

Wie das Magazin nach dem Fallen des angeblichen Tabus ausholt, beschäftigt Ralf Heimann in seinem Blog:

„Es macht einen Unterschied, ob man eine Information erwähnt, um dem Leser das Verständnis zu erleichtern, oder ob man sie so penetrant an jeder sich bietenden Stelle wiederholt, dass der differenzierungfaule Leser unweigerlich den Eindruck bekommen muss, dass es neben Krebs, AIDS und Naturkatastrophen eigentlich kaum eine größere Bedrohung für unsere Gesellschaft gibt als den Nordafrikaner.“

Die einen berichten also angeblich zu freundlich über Flüchtlinge, die anderen zu unfreundlich über Ausländer. Früher nannte man das wohl Medienvielfalt, heute erscheint es mehr als Grabenkampf.

[+++] Höchste Zeit, mal wieder über ein Thema zu sprechen, das im Vergleich zu unserer auseinanderdriftenden, Verschwörungstheorie-gebeutelten Gesellschaft wie ein Diamantschuhproblem* daherkommt: Die Finanzierung des Journalismus in Zeiten des Internets.

Ein Anbieter, von dem Viele Vieles erwarten, ist das oben schon als Übersetzer aufgetretene Blendle. Bei Medium zieht dessen deutscher Redaktionsleiter Michaël Jarjour eine Vier-Monats-Bilanz, die jeder Journalist mit mehr Interesse an Recherche als an Klicks gerne hören möchte: Nämlich dass es die harten Themen sind, die die Leser so begeistern, dass sie ihr Geld nicht zurückhaben möchten (obwohl sie es könnten):

„Es ist immer ein bisschen merkwürdig im Journalismus Verkäufe zu feiern. Viele dieser Geschichten drehen sich schließlich um fürchterliche Dinge, Terror, Krieg oder sexuelle Gewalt. Aber versetz dich mal in die Rolle einer Journalistin oder eines Journalisten. Die wissen, dass eine Menge über diese Themen geschrieben wurden, aber dass sich auf Blendle die richtig guten Geschichten durchgesetzt haben. Gut recherchierte, gut produzierte und gut geschriebene Artikel. Die Dinge, von denen sie jetzt jahrelang gehört haben, dass sie online ,einfach nicht funktionieren’.“

Yippee, alles wird gut. Außer vielleicht, es stimmt doch, dass Blendle bislang ein Club von Journalisten für Journalisten ist, und dass diese erkennen, welcher Text sein Geld wert ist, sollte man mindestens erwarten können.

 

*“Meine Diamantschuhe sind zu eng!“


Altpapierkorb

+++ Noch mehr Blendle gibt es heute bei den Madsack-Zeitungen von Ulrike Simon. +++

+++ Nach der ARD, die unter ihrer neuen Vorsitzenden den Osten entdecken soll (Altpapier), hat man auch bei der taz von diesem seltsamen Volk und potentiellen Leserschaft östlich der Elbe gehört (bzw. sich seiner erinnert, Ost-taz und so). Zweimal pro Woche wird ihnen nun eine Seite gestaltet und ausgeliefert, kündigt Andreas Rüttenauer im Hausblog an. „Die taz ist ein Kind der westdeutschen Alternativkultur und fremdelt bisweilen immer noch mit der Gesellschaft, die keine Erfahrungen mit dieser Gegenkultur gemacht hat. Die Gegenkulturen, die es da gibt und gab, kommen da bisweilen zu kurz. Das soll sich ändern. Wir haben uns also auf die Suche begeben.“ +++

+++ Der Ärger über Adblocker (z.B. dieses Altpapier) hat die Fernsehsender erreicht. Wer etwa bei RTL Now den Dschungel bildschirmfüllend sehen möchte, muss dafür Werbung akzeptieren, berichten Meedia und DWDL. +++

+++ Da wir gerade von Sendungen sprechen, in denen Menschen auftauchen, die wir auf dem Bildschirm eher nicht vermisst hatten: Carsten Maschmeyer wird Juror in der „Höhle der Löwen“, wie zunächst die Bild-Zeitung und später u.a. der Tagesspiegel vermeldete. +++

+++ Auslandsmedien I: Warum das griechische Staatsfernsehen zwar wieder sendet, aber von niemandem geguckt wird, erklärt Ferry Batzoglou in der taz. +++

+++ Auslandsmedien II: In der Medienwoche erzählt Antonio Fumagalli von seinen Erfahrungen als Praktikant beim nicaraguanischen El Nuevo Diario: „Ich liess mir erklären: In Nicaragua hat man als Journalist gegenüber behördlichen Stellen per se das Nachsehen. Medienschaffende sind der Regierung, die seit 2007 wieder vom einstigen Revolutionsführer Daniel Ortega angeführt wird, suspekt. Wer eine Information will, braucht einen direkten Kontakt in ein Ministerium oder muss aus den offiziellen Verlautbarungen zitieren. Eine Website mit den Ansprechpartnern, wie wir sie in der Schweiz kennen? Hier undenkbar.“ +++

+++ Auslandsmedien zum Dritten: In der Türkei muss sich mal wieder ein Journalist vor Gericht verantworten, weil er den Präsidenten beleidigt haben soll, indem er über Goolge-Vorschläge berichtete, schreibt Hasnain Kazim bei Spiegel Online. „Onur Erem, 27, Redakteur der regierungskritischen linken Tageszeitung ,Bir Gün’ (,Ein Tag’) in Istanbul, gibt ,hirsiz’ und ,katil’ in die Suchmaske ein - ,Dieb’ und ,Mörder’. Und was macht Google? Die Autovervollständigung schlägt ,Erdogan’ und ,AKP’ als zusätzliche Suchwörter vor“. +++

+++ „Constantin Schreiber ist 36 und hat eine ungewöhnliche Karriere gemacht. Er arbeitete im Libanon als Reporter, bevor er für deutsche Zeitungen schrieb. Er war ein bekannter Fernsehmoderator in Ägypten, bevor er es in Deutschland wurde. Ein blonder, blauäugiger Deutscher, der schönstes Arabisch spricht. In den Achtziger- und Neunzigerjahren konnte Peter Scholl-Latour den Deutschen noch die ferne arabische Welt erklären. Heute ist die Globalisierung einen Schritt weiter.“ Wie Schreiber heute zwischen den Kulturen vermittelt, steht auf der Medienseite der SZ. +++

+++ Malu Dreyer und Winfried Kretschmann möchten keine Fernsehduelle mit AfD-Beteiligung führen, und Michael Hanfeld erklärt das in der FAZ zum Fehler: „Wer aber mit der AfD, die mit ihren dumpfen, fremdenfeindlichen Parolen von der Lage profitiert und dafür gar nichts anderes tun muss, als ein wenig zu krakeelen, gerade in den Bundesländern gar nicht erst in den Ring steigen will, befördert den Einzug dieser Partei in die Landtage erst recht.“ +++

+++ Beim Tagesspiegel machen sich Markus Ehrenberg und Joachim Huber Gedanken über den Nachfolger von Dagmar Reim als Intendantin des RBB. Die Bewerbungsfrist auf den Posten ist gestern abgelaufen. +++

+++ Thomas Knüwer liest welt.de und sehnt sich nach dem positiven Journalismus, den Perspective Daily verspricht. +++

+++ Ob Jakob Augstein das Sparprogramm in der Spiegel-Redaktion nicht weit genug geht, wie Ulrike Simon in der vergangenen Woche in ihrer Kolumne für die Madsack-Zeitungen behauptete, oder zu weit, wie Augstein selbst daraufhin bei Facebook postete, darüber orakelt Meedia. +++

+++ „Da wir in unserer kleinen Welt in Kalthental in komödiantischer Form die Probleme der Welt spiegeln, geht uns der Stoff nicht aus", sagt Matthias Walther, Geschäftsführer der Filmproduktion ndf in diesem Text der dpa über „Um Himmels Willen“, dessen 15. Staffel heute startet. Kling nach Drohung. Auch Oliver Jungen beschäftigt sich in der FAZ mit der Serie und erklärt Folgendes zum Erfolgsrezept: „Eine ganz heile Welt ist also auch Kaltenthal nicht, aber eine heilbare und vor allem heilswürdige.“ +++

Neues Altpapier gibt es morgen wieder.