Wenn das Jahr zu Ende geht, wird zurückgeblickt. Das ist eine gute, alte Tradition. Bei DWDL kann man sich daher die von Thomas Lückerath und Torsten Zarges zusammengetragenen „Aufsteiger des Jahres“ anschauen; bei Horizont gibt es einen mit Hilfe von dpa zusammengekehrten Blick auf das vergangene „Tatort“-Jahr.
Derartiges ist erwartbar. Dass wir im Dezember 2015 jedoch auch auf die Karriere von Stefan Raab zurückblicken, hätte Anfang des Jahres keiner erwartet – egal, wie oft nun ein zwanzig Jahre altes Fernsehinterview mit Raab zitiert wird, in dem er ankündigt, mit 50 aufzuhören.
So wie heute kein 30-jähriger Journalist wissen kann, ob im Jahr 2035 noch mit diesem Job Geld zu verdienen ist, konnte ein 30-jähriger Viva-Moderator damals ja nicht ahnen, dass er dank des kreativen Einsatzes einer chinesischen Bratpfanne (u.a.) mal Bestandteil deutscher Fernsehkultur werden würde.
So ist es aber gelaufen, und so wird es sich in den nächsten Tagen auch überall nachlesen lassen. Denn morgen läuft das letzte Mal „TV total“, am Samstag „Schlag des Raab“. Da sind große Erinnerungstexte Pflicht.
In der FAZ (Blendle-Link, da derzeit nicht online) hat Michael Hanfeld schon heute den großen Aufschlag gemacht, und neben der Rekapitulation der Raabschen Karriere und ihrer Absonderlichkeiten („wie er vom Kamel fiel; wie er als vermeintlicher Rainer Calmund am Telefon einen Zentner Nürnberger Würstchen bei Uli Hoeneß bestellte; wie er mit Rüdiger Nehberg mit bloßen Händen auf Wildschweinjagd ging und ein Jauchebad nahm“) auch geklärt, was Pro Sieben mit dem großen Loch im Programm zu tun gedenkt, das Raab hinterlässt:
„Denn das Programm des Senders ruht auf nur wenigen Säulen. Da gibt es amerikanische Serien, vor allem Comedy, Kino-Blockbuster und selbstgemachte Show-Unterhaltung, darüber hinaus läuft kaum etwas. Serien und Filme lassen sich kaufen, die Unterhaltung jedoch muss – auch wenn man die Formate woanders erwirbt –, selbst gestaltet werden, damit Leben in der Bude ist. Dafür sorgt bei Pro Sieben heute nicht mehr ein ,last man standing’, sondern der Zweikampf zwischen Joko (Winterscheidt) und Klaas (Heufer-Umlauf). Ihr Wettstreit reicht per Showdefinition inzwischen ,um die ganze Welt’ und ist mitunter ein Spiel ohne Grenzen. Im Vergleich zu ihnen wirken Raabs Spartakiaden wie Kaffeekränzchen.“
Außerdem wäre Hanfeld nicht Hanfeld, wenn er nicht eine Gelegenheit erkennte, den Öffentlich-Rechtlichen noch einen mitzugeben:
„Das Prinzip Versuch und Irrtum steht bei den Privatsendern zwar unter dem Diktat der Quote, aber immerhin – es existiert. Bei den Öffentlich-Rechtlichen hat man es mit einem Verwaltungs- und Gremienapparat zu tun, an dem Kreative irre werden können. Wo hätte da für jemanden wie Stefan Raab jemals Platz sein sollen?“
Eine andere Facette des Raab-Rückzugs hat schon am Wochenende Alexander Kühn im Nachrichtenmagazin Der Spiegel beleuchtet (noch ein Link zu Blendle, wo der Artikel 1,99 Euro kostet, worüber man auch mal reden sollte. Zwei Euro? Für einen Text in einem Magazin, das ich mir für das Doppelte komplett herunterladen kann?). Dafür verbrachte er im November einen Tag im Kölner Arbeitsgericht, wo für Raabs Mitarbeiter der Spaß aufhörte.
„Brainpool wird durch Mitgeschäftsführer Andreas Scheuermann vertreten, den Personalchef und einen Arbeitsrechtler. Scheuermann versucht den Eindruck zu erwecken, die Mitarbeiter hätten fast ausschließlich für Raabs Sendungen gearbeitet. Dann wäre es einfach, sie zu kündigen. (...) Nach und nach legen Kläger jedoch dar, wie viel sie für Nicht-Raab-Sendungen gearbeitet haben. Für Kebekus. Oder Mockridge. Dann hätte Brainpool die eigenen Arbeitsverträge nicht erfüllt. (...)
Außerdem gibt Brainpool an, für 2016 bislang nur einen Auftrag zu haben, die Gestaltung der Jahreshauptversammlung des Fußballvereins Schalke 04, was so wohl nicht ganz stimmt. Die Sendungen von Kebekus und Mockridge werden vermutlich fortgeführt. Eine Kindershow mit Elton könnte 2016 auf dem Kika laufen. Angeblich überlegt ProSieben auch, einige Raab-Shows ohne Raab weiterzuführen, ,Schlag den Star’ oder den ,Bundesvision Song Contest’. Gegen Ende der Verhandlung wird der Klägeranwältin Jeanette Nolte eine Mail zugespielt: Brainpool soll für die ARD den ESC-Vorentscheid 2016 gestalten. Scheuermann sagt jetzt nichts mehr.“
Das ist der unwürdige Teil des Raab-Abschieds. Vom Rest werden wir in den nächsten Tagen sicher noch hören.
[+++] Eine Überleitung von einem Wok-Spezialisten zum nächsten Thema zu ziehen, wäre möglich, aber angesichts der Ernsthaftigkeit der Lage unangebracht. Schließlich scheint Hongkong ein weiteres Stückchen seines Sonderstatus zu verlieren und China (das Land, in dem laut dem heute veröffentlichten Bericht der Reporter ohne Grenzen derzeit die meisten Journalisten in Haft sitzen) seine Kontrolle auszuweiten.
Handlanger ist dabei Alibaba, hierzulande als chinesisches Amazon bekannt. Für 242 Millionen Dollar ist das Unternehmen nun in den Hongkonger Zeitungsmarkt eingestiegen und Besitzer der South China Morning Post (SCMP) geworden, wie u.a. der Tagesspiegel meldet.
Die englischsprachige Zeitung hat lange die Aufgabe übernommen, die Medien in China nicht erfüllen dürfen, nämlich kritisch zu berichten. Man vergisst das so leicht angesichts der leuchtenden Fassaden chinesischer Großstädte. Aber im Herzen sind deren Medien immer noch Lenins Ideen von der „Presse neuen Typs“ verpflichtet, die eine wichtige Rolle beim Aufbau des Kommunismus spielt, aber dafür keine Pressefreiheit im westlichen Sinne kennt.
„Alibaba ist eine private Firma, aber in China wird kein Unternehmen groß ohne die Nähe zur Kommunistischen Partei“,
schreibt heute Kai Strittmatter auf der Medienseite der SZ. Folglich wird davon ausgegangen, dass mit dem Verkauf auch die SCMP ihre Unabhängigkeit verliert und in den Dienst der chinesischen Propaganda tritt. So lassen sich zumindest folgende, ebenfalls von Strittmatter zitierten Äußerungen deuten:
„Alibaba-Manager und ihre Berater erklärten nun gleich nach dem Kauf, die SCMP solle in Zukunft ein Gegengewicht zur ,ideologisierten und voreingenommenen’ Berichterstattung der westlichen Medien über China werden (so Eric X. Li, ein bekannter Shanghaier Investment-Manager und KP-freundlicher Autor, der Alibaba bei dem Kauf beriet). Zu dem Zweck will Alibaba der Zeitung mit der im Moment eher bescheidenen Auflage von knapp 100000 helfen, eine ,globale Leserschaft’ zu finden: ,Egal ob in New York, London oder Sydney’, erklärte Alibaba-Vizechef Joseph Tsai im Interview mit seiner neuen Zeitung: Wer auch immer sich für China interessiere, solle nicht mehr an der SCMP vorbeikommen. Als erstes wird dafür die Online-Paywall abgeschafft.“
Da ist er wieder, der ideologische Kampf zwischen Kommunismus und Demokratie, nur diesmal auf beiden Seiten finanziert vom Kapitalismus. Und das ist nicht der einzige Unterschied zu den alten Zeiten, wie Marko Martin schon am Wochenende in Springers Welt bemerkte.
„Paradoxerweise könnte das weltweit beklagte Zeitungssterben in diesem Fall jedoch auch eine Chance sein: Die jüngste Generation politisch bewusster Hongkonger, die letztes Jahr mit ihrer Forderung nach freien Wahlen ganze Straßenzüge der Glitzerstadt lahmlegten, kommuniziert eh über Facebook und Twitter.“
[+++] Wie oben bereits angedeutet, neigt sich das Jahr dem Ende zu und bringt Weihnachten mit sich, was wiederum für viele jüngere Menschen gleichbedeutend ist mit der Zeit, in der man den Eltern die Computer wartet und liegengebliebene Technik-Fragen beantwortet.
Falls eine davon den Begriff „Meme“ betreffen sollte, der sich mittlerweile bis in die „Tagesschau“ vorgearbeitet hat, lohnt sich heute ein Blick auf Seite 13 des SZ-Feuilletons, wo sich Dirk von Gehlen und Johannes Boie dem Phänomen widmen und folgende, bildungsbürgertaugliche Erklärung mitliefern:
„Der Begriff wurde 1976 zum ersten Mal verwendet, von Richard Dawkins in seinem Buch ,Das egoistische Gen’. Der britische Biologe schuf das Wort analog zum Begriff Gen (englisch: Gene): eine Art Erbinformation der Kultur, wie ein Begriff, eine Mode, eine Abfolge von Tönen. Die israelische Professorin Limor Shifman führt in ihrem Buch ,Meme’ zudem einen altgriechische Ursprung an: Er leitete sich demnach auch von ,mimema’ ab, auf Deutsch bedeutet das ,etwas Nachgeahmtes’. Und damit ist ein Meme im Grunde schon recht genau beschrieben.“
Jeder Berliner Social-Media-Redakteur mit Schwierigkeiten, im provinziellen Familienkreis ernst genommen zu werden, sollte das auswendig lernen. Womit wir vom erfüllten Bildungsauftrag direkt übergehen können zum
+++ Wer hätte das gedacht? Tilo kann zu den ihn auszeichnenden Adjektiven jung und naiv guten Gewissens auch noch reim- und schnittfreudig hinzuzählen. Das beweist dieses Video aus der „Bundez GangzTa KonfERenTzZ“. Wer dazu noch Kontext braucht, kann diesen hier und hier finden. +++
+++ Eher nicht als Investigativmagazin abgespeichert hatten wir bislang Burdas Bunte. In der aktuellen Ausgabe sowie seit gestern online deckt diese jedoch knallhart auf, dass Carmen Nebel gerne First Class fliegt, wenn sie beruflich Elendsviertel besucht. „Juristisch kann man Carmen Nebel absolut nichts vorwerfen. Sie scheint den finanziellen Rahmen, der ihr vertraglich zusteht, voll auszuschöpfen. Aber gehört sich das? BUNTE hat mehrfach versucht, mit Carmen Nebel zu sprechen. Leider wollte sie sich nicht äußern.“ +++
+++ Das von der CSU gewünschte Integrationsfernsehen ist es nicht geworden. Dafür ist das arabischsprachige Programm der Deutschen Welle seit heute auch in Westeuropa zu empfangen. „Anfangs wird das Programm von DW Arabia unverändert in Westeuropa ausgestrahlt. In den kommenden Monaten soll das Programm zu einem Integrations- und Informationskanal für Flüchtlinge – auch durch Zulieferungen deutscher und europäischer Partner – ausgebaut werden. Noch ist allerdings die Finanzierung ungeklärt, die Verhandlungen laufen“, erklärt Kurt Sagatz im Tagesspiegel. +++
+++ Anja Reschke hat Post vom Ersten Generalsekretär des Vereins gegen Korruption in der Politik und gegen Flüchtlinge bekommen und die „Panorama“-Redaktion hat diese auf Facebook gestellt. Woraus wir lernen: Mancher Troll beherrscht vielleicht keine Rechtschreibung, hat aber verstanden, dass man in Deutschland wesentlich mehr Aufmerksamkeit bekommt, wenn man einem Verein vorsteht +++
+++ Dem Wissenschaftsjournalismus in der Krise widmet sich auf Carta Mike S. Schäfer. +++
+++ Sich mit Armbändern und Apps beim Laufen zu tracken, ist nicht mehr genug. Nun kann man sich dafür auch noch bezahlen lassen, erklärt Adrian Lobe auf der Medienseite der FAZ – natürlich nicht, ohne folgende skeptische Einordnung: „Allein, das Laufen selbst ist kein Glied in der Wertschöpfungskette. Der eigentliche Wert, der gewissermaßen als Nebenprodukt entsteht, sind die geobasierten Daten wie Standort, Laufwege, Strecken. Daraus können detaillierte Bewegungs- und Verhaltensmuster abgeleitet werden. (...) Der Nutzer verkauft bei diesem Vergütungsmodell nicht wie gewöhnlich seine Arbeitskraft, sondern seine Privatsphäre. Es ist im Grunde ein Total Buy-out.“ +++
+++ Auf der Medienseite der SZ bespricht Gustav Seibt die Arte-Doku „Das gefährliche Buch“ über Hitlers „Mein Kampf“ und meint: „Der Arte-Film von Manfred Oldenburg serviert eine unglückliche Mischung aus drei unterschiedlichen Themen: Er erzählt summarisch, mit konventionellem Histo-Grusel die Geschichte des Buches; er fragt düster nach seinen heutigen Wirkungsmöglichkeiten; und er stellt das Ringen des Staates Bayern mit seinem Urheberrechtsproblem dar.“ Außerdem analysiert David Steinitz, warum Adam Sandler vier Filme für Netflix dreht (mit „The Ridiculous 6“ steht der erste nun online). „Während die großen Hollywoodstudios also einen sündteuren Blockbuster nach dem anderen durch die Kinos hetzen, und schon ein einziger Flop ganze Jahresbilanzen ruinieren kann, setzt Netflix mit Sandler wesentlich vernünftiger auf eine Art mittelständische Film-Eigenproduktion.“ +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.