Es gibt zahlreiche Medienkongresse und -konferenzen in Deutschland, bei denen hochrangige Experten und gar nicht mehr selten auch die eine oder andere Expertin auf Podien beisammensitzen, um in engagierten Debatten die besten Lösungen für die Probleme, ach was: für die Herausforderungen der bekanntlich zusammenwachsenden Branche zu identifizieren. Wer kann all die "Innovationen, um den digitalen Wandel zu meistern" (meedia.de), die bereits gefunden wurden, noch zählen?
Der wichtigste Medienkongress bleibt aber der in München. Gestern begannen die Medientage wieder, auf Twitter trenden sie als #mtm15, und wer dieses Foto gesehen hat, bereut tief, nicht auch dorthin gereist zu sein.
Topstar der Eröffnungskonferenz, traditionell wie liebevoll "Elefantenrunde" genannt, war Thommy Gottschalk. Wären seine Gags immer so maßgeschneidert gewesen wären wie der, den dwdl.de am Anfang seines Eröffnungs-Berichts dokumentiert (ohne dann allerdings, wie doch kritisch angemerkt werden muss, die eigentlich doch gewohnte Analyse zu Gottschalks Outfit zu liefern ...) würde er wohl immer noch am ARD-Vorabend leuchten.
Spaß beiseite, schließlich wurden auch ernste Herausforderungen besprochen. "Digitale Disruption - Medienzukunft erfolgreich gestalten" heißt dieses Jahr das Thema. Was die Teilnehmer der Elefantenrunde so sagten, ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler etwa "verwies immer wieder auf Jan Böhmermann" (schreibt im Tagesspiegel Jörg Seewald, nachdem er einen weniger zündenden Gottschalk-Gag dokumentiert hat ...), blieb im Rahmen des sehr üblichen.
Aber Miriam Meckel "trug eine fabelhafte Rede vor, die vom aktuellen Konflikt zwischen werbebasierten Geschäftsmodellen und dem rasanten Zulauf für Adblocker ausging, aber weit grundsätzlicher wurde", lobt in der Süddeutschen Claudia Tieschky (die sich auch zu einem eigenen Gottschalk-Gag inspiriert fühlte: "Gottschalk ist also selbst eine Disruption, aber keine digitale, weil er schon schwer auf die Rente zugeht").
Noch ausführlicher als in der SZ ist die Meckel-Rede, die dwdl.des Alexander Krei als "klug und zugleich erschöpfend" empfand, bei meedia.de (selber Link wie oben) dokumentiert.
Ebenfalls am ersten Tag traten auf: Bayerns Medien-Staatsministerin Ilse Aigner (dwdl.de: "stellenweise aus der Zeit gefallene Rede") und der Bundeswirtschaftsminister . "Wer wartet noch auf den Zeitungsboten, wenn er etwas wissen will?", sagte Sigmar Gabriel. Insgesamt zeigte sich der SPD-Chef
"zwar zuversichtlich, dass die Medienwirtschaft in der Lage sei, auf der Digitalisierungswelle zu reiten und sie für sich zu nutzen, räumte zugleich aber ein, dass man erst lernen müsse, die neue Plattformökonomie zu verstehen. 'Was hat es für Folgen, wenn Uber den Taximarkt umkrempelt, ohne ein eigenes Auto zu besitzen? ...'",
fasst horizont.net zusammen. Falls Ihnen das Uber-Beispiel auch als Ausschnitt aus Ilse Aigners Rede begegnet ist und Sie sich fragen, wer es denn nun verwandte: beide. Was ja nur zeigt, wie vertraut unsere Politiker mit der digitalen Gegenwart sind.
"Den Medien selbst empfahl Gabriel, unabhängig von der redaktionellen Arbeit stärker in der Vermarktung zu kooperieren",
schreibt noch immer horizont.net (und ähnlich wuv.de am Ende seiner Zusammenfassung, deren Einstiegs-Gag Sie nun natürlich kennen ...). Da könnte man wissen wollen, inwiefern der Wirtschaftsminister das Bundeskartellamt, das z.B. ein Gemeinschafts-Videoportal der deutschen Privatsender bekanntlich aus solchen Gründen untersagt hat, in Betracht gezogen hat. Wer das genau wissen will, kann sich hier Gabriels Rede anhören. Ich habe gut zwanzig von knapp 40 Minuten angehört und immerhin mitbekommen, wie der Minister, der ja viel um die Ohren hat, von der oben zitierten Zeitungsboten-Frage den Bogen zu "Lügenpresse"-Vorwürfen und natürlich in der Tat gesamtgesellschaftlich gesehen viel wichtigeren Fragen schlug (EPD-Meldung). "Unsere komplexe Welt verlangt geradezu schreiend nach unabhängigen Medien", sagte Gabriel so bei Min. 23.50.
[+++] [+++] Insofern nur noch rasch erstens der Hinweis, dass der nüchternste Kongress-Bericht auf der FAZ-Medienseite steht, aber von Henning Peitsmeier aus dem Wirtschaftsressort verfasst wurde. "Droht dem Fernsehen digitale Adipositas?", heißt er. Adipös könnte der Zuschauer werden, dem Amazon (dessen Vizepräsident Roy Price Gelegenheit zu einem "großen Werbefeldzug durch das ach so phantastische Programmangebot des Internetriesen" bekam) künftig "Medieninhalte liefern" will, "nach denen dieser noch gar nicht gefragt habe".
Und zweitens der Hinweis, dass Lutz Marmor, der NDR-Intendant und aktuelle ARD-Vorsitzende, der ja "immer ein wenig schüchtern und also sympathisch" wirkt (wie Dietrich Leder in seiner lustigen Besprechung des am Dienstag hier erwähnten ARD-Selbst-"Checks" bei medienkorrespondenz.de schreibt), zwar nicht in der Elefantenrunde saß, aber doch bereits in München weilte. Das dokumentiert der Youtube-Kanal des Bayerischen Rundfunks (und dauert nur acht Minuten).
[+++] Disruption ist ja zumindest im Deutschen kein extrem prägnanter Begriff, sondern einer, der sich nach Bedarf benutzen verwenden lässt. Vielleicht ist's auf einer anderen Ebene auch Disruption, wenn Stefan Niggemeier, der sich immer sehr genau überlegt, wohin er verlinkt, in seinem Blog ganz oben "die rechte Wochenzeitung 'Junge Freiheit'", die oft auch als noch rechter als nur rechts bezeichnet wird, verlinkt.
"Aber die haben's recherchiert und sind die Quelle",
lautet bei Twitter seine Rechtfertigung. Und so weit wie focus.de, keines unserer linkesten Medien, die News einfach ohne Originalquellenmeldung zu bringen, wollte Niggemeier natürlich nicht gehen.
Nun die News selbst: Die ARD-"Tagesschau" hat schon wieder Bilder aus ihrem Archiv in ziemlich irreführender Weise verwendet. In einem Filmbericht über eine Berliner Lichterkette, um Flüchtlinge symbolisch zu unterstützen, wurden Bilder einer erheblich älteren und erheblich größeren Lichterkette gezeigt. Die genauen, rein produktionstechnisch nachvollziehbaren Gründe stehen im Blogbeitrag. Man darf schon jetzt gespannt sein auf den "ARD-Check" 2016.
Vielleicht es auch Disruption, wenn bei SPON Sascha Lobo, während er den "braunen deutschen Netzfrühling", dem "man entgegentreten [muss], überall, jederzeit, entschlossen und unerbittlich", wortgewaltig ausmalt, zwischendurch spekuliert, was der Kölner Attentäter Frank S. getan hätte, wenn er "cleverer gewesen" wäre.
Einer, der den Fehler begeht, bei Rechtsextremen mangelnde Cleverness anzunehmen, ist Lobo eigentlich ja nicht. Und solche Spekulationen, oder muss man sie Prophezeiungen nennen?, könnten bestenfalls dazu führen, dass Lobo Recht behalten wird, was aber der schlimmste Fall wäre.
Unsere komplexe Welt verlangt geradezu schreiend nach unabhängigen Medien, da hat Sigmar Gabriel absolut recht, die aber auch bei allen Formulierungen (und bei Nachrichtenfilm-Zusammenschnitten) verdammt aufpassen müssen.
+++ "Facebook-Hetzer muss ins Gefängnis", und zwar für sage und schreibe zwei Jahren und drei Monaten - eine Zeitspanne, die "über der Grenze liegt, bis zu der eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann" (Tagesspiegel). Eigentlich stand die Meldung in der Süddeutschen, aber dort nur im Bayern-Teil (da das Urteil in Nordbayern erging). Um nicht schon wieder "gesamtgesellschaftlich" zu schreiben: Die überregionale Bedeutung erkannt hat Sonja Alvarez aus der Tsp.-Medienredaktion. +++
+++ Wobei beim Tagesspiegel, wie das (Hamburger) Abendblatt meldet, gerade "sämtliche freien Mitarbeiter ... mit sofortiger Wirkung freigestellt" worden sein sollen. +++
+++ Ein Biotop, in dem insgesamt keine Stellen entfallen (auch wenn der ZDF-Fernsehrat verkleinert wird): die Rundfunkaufsichtsgremien. Die geplante Vergrößerung des WDR-Rundfunkrats ist einer der Kritikpunkte der Opposition am neuen rot-grünen WDR-Mediengesetz (Medienkorrespondenz). +++
+++ "Für Facebook kommt es langsam dicke", freut Michael Hanfeld sich in der FAZ über "die epochale Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs" (und das noch ohne den jüngsten "Etappensieg", den der europe-v-facebook-Streiter Max Schrems auch daheim in Wien errungen hat, zu berücksichtigen). +++
+++ Wobei, regelmäßig dicke und jedes Quartal noch dicker kommt es auch für Zeitungen. "Besonders hart traf es im abgelaufenen Quartal die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung' (FAZ), die mehr als 13 Prozent ihrer Auflage verlor und nur noch 264.628 Exemplare verkaufte (Montag bis Samstag) ..." (evangelisch.de/ EPD). +++
+++ Ein neues kleines, wohl eher symbolisch gemeintes US-amerikanisches Gesetz, um das europäische Geschäft kalifornischer Konzerne am Laufen zu halten, umreißt heise.de. +++
+++ Wer die Formulierung "Gerade rauscht es mal wieder gewaltig im Blätterwald" verwendet, scheint nicht zu eng mit der jüngeren Medienentwicklung vertraut zu sein. Aber Dirk Popp ist doch "CEO von Ketchum Pleon", einer großen PR- u.a. -Agentur. Für horizont.net äußert er die Ansicht, "dass nun der Markenkern" des Spiegels "unter Beschuss steht". Es geht um die noch aktuelle Titelgeschichte zur Fußball-WM 2006. +++
+++ Petra Sorge hat für cicero.de mit Akif Pirincci gesprochen, der Bertelsmann dankbar bleibt und seinen nun ehemaligen Verlag wegen der Kündigung (Altpapier gestern) nicht verklagen will. +++
+++ Auf der SZ-Medienseite geht's dann noch um Facebooks "Instant Articles", die ihren Lesern jetzt immer "drei bis acht Sekunden" schenken. +++ Und um den Deutschen Comedypreis: Hans Hoff, den Dietrich Leder im o.g. Text "zu eitel" nennt, ist hin und her gerissen zwischen nicht nur von einer begeisternden Moderatorin, die "weiß, wie man einen Saal bannt, wie man erdbebengleich startet und sich dann noch steigert", und den Vergaben der Preise "im unübersichtlichen Kategorienwald an die üblichen Verdächtigen". +++
+++ Auf der FAZ-Medienseite berichtet Oliver Jungen über den heutigen ARD-Hauptabend-Regionalkrimi, dessen "Handlung beinahe vollständig im Küstennebel" untergehe, "dem hier mittels Digitaltechnik und Rauchbomben kräftig nachgeholfen wird". Das Versprechen, dass der Film oder seine Besprechung zeigen würden, "was schiefläuft im Programmraster", muss allerdings jemand anders über den Artikel geschrieben haben. +++ Außerdem beschäftigt sich Jörg Thomann mit einer der immer alberneren Vorabmeldungen der Zeit, dieser: "Die wahre Nachricht also hätte lauten müssen: Herbig dreht mit der 'Bullyparade' noch eine richtige Klamotte. Ob seine Haribo-Spots künftig als ernsthaft-schwarzweiße Kunstfilme daherkommen, können die Kollegen vom 'Zeit-Magazin' ja noch recherchieren". +++
+++ Der Zeitungs-Internetauftritt, der selten etwas bringt, was andere Zeitungs-Internetauftritte nicht bringen, aber verlässlich alles, was alle bringen, lobt in seinem Medienressort per Autorentext die "Zurück in die Zukunft"-Sondersendung der "Tagesschau". +++
+++ Und noch weiteres Lob für die neue Barbara: "Der Transfer von Schönebergers Temperament und Tonfall auf Papier" klappe "überraschend gut", findet Michaela Hütig (epd medien). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag