Besorgte Bürger, die Sorgen machen
Akif Pirincci bringt gängige Facebook-Kommentare auf die Bühne und verdeutlicht damit, wie volksverhetzend diese sind. Die ARD checkt sich selbst und deutsche Autobahnen - mit vergleichbarem Ergebnis. Nach der Spiegel-Enthüllung vom Wochenende kämpft die Bild-Zeitung gegen den Spiegel, Titanic gegen die Bild-Zeitung und Jens Weinreich gegen Nebelkerzen. Außerdem Weiteres zu Adblockern, Shitstorms und Oberschwester Hildegard.

Vielleicht hätte man Facebook-Kommentare schon viel früher einmal auf die Bühne holen sollen. Denn wenn Menschen von „KZ“ oder „Gas“, von „Öfen“ oder „abschlachten“ sprechen statt schreiben, und andere Menschen dazu applaudieren statt liken, dann stellt sich nicht mehr die Frage, ob das eigentlich volksverhetzend sei und Konsequenzen bedürfe.

Gestern Abend, zur Feier des ersten Pegida-Geburtstags, hat Akif Pirincci das Reenactment des Facebookstranges übernommen, wie tagesschau.de. berichtet:

„Eine Rede auf der gestrigen ,Pegida’-Kundgebung in Dresden könnte ein juristisches Nachspiel haben. Der rechtspopulistische deutsch-türkische Schriftsteller Akif Pirincci sagte, nachdem er von Protesten gegen das Engagement eines hessischen Politikers für ein Erstaufnahmelager berichtet hatte: ,Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert.’ Nach ,Widerstand’-Rufen aus dem Publikum fiel dann der Satz: ,Es gäbe natürlich andere Alternativen, aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb’. Von Zuhörern vor der Bühne bekam er dafür Applaus.“

Klatschen für KZs – da fehlen einem doch die Worte.

„Das sind nicht besorgte Bürger, sondern das sind Bürgern, die uns Sorgen machen müssen. Das sind Problembürger,“

formulierte es gestern im „Tagesthemen“-Interview zum Thema der Historiker Norbert Frei von der Universität Jena. Er forderte ein hartes Durchgreifen des Staates, war hier vor allem erwähnt wird, um den Bogen zum aktuellen Medienaspekt der Debatte zu schlagen – denn genau das wird mittlerweile ja auch nach rassistischen, menschenverachtenden und demagogischen Kommentaren bei Facebook gefordert. Da das Unternehmen sich schwer tut, die Beiträge auch nur zu löschen, hat nun ein Anwalt drei Facebook-Manager wegen vorsätzlicher Beihilfe zur Volksverhetzung angezeigt:

„Der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun, der Anzeige erstattet hat, argumentiert, dass ohne die Werbeeinnahmen, die die Firma erzeugt, das Portal nicht betrieben werden könne. ,Die Facebook Germany GmbH fördert somit die Verbreitung von volksverhetzenden, strafbaren Inhalten durch Handlungen in Deutschland ausgehend vom deutschen Unternehmenssitz in Hamburg’, heißt es in seiner Anzeige“,

schreibt Fabian Reinbold bei Spiegel Online.

Heribert Prantl kommentiert dazu auf der Meinungsseite der SZ:

„Facebook spreizt und ziert sich, wenn es um die Löschung rassistischer Ausfälle geht, und fabuliert von Meinungsfreiheit und davon, dass man den Dreck stehen lasse, um ihn dann von den Nutzern verdammen zu lassen. Das ist aber nur bei fremdenfeindlicher Hetze so. Wenn dagegen ein nacktes Hinterteil zu löschen ist, dann geht das ziemlich flugs. Solche Doppelstandards empören nicht nur den Bundesjustizminister Heiko Maas. Die Zivilcourage eines Staatsanwalts kann da den Standards vielleicht auf die Sprünge helfen.“

Der Vollständigkeit halber sei zudem erwähnt, wie die Bild-Zeitung dem Thema begenet. Nämlich durch Errichtung eines Facebook-Prangers, wie etwa Meedia dokumentiert. Sie ernten, was sie säen, aber schimpfen, dass aus dem gepflanzten Unkraut kein schönes Getreide geworden ist. Interessante Taktik. Oder Bild halt. 

[+++] Es folgt: ein harter Themenwechsel zum anderen Medienthema des gestrigen Abends, genannt „ARD-Check“. 90 Minuten lang stellten sich die beiden Intendanten Tom Buhrow und Lutz Marmor dringlichen Fragen wie der Absetzung des „Wunschkonzerts“, fehlender medialer Begleitung von Segel-Ereignissen und dem halbstündlichen Senden von Nachrichten auf den Radiowellen, was einem bei mehrstündigen Autofahrten ganz schön auf den Wecker ginge.

Ganz recht: Wenn man diese Sorgen der Beitragszahler gegen das erste Thema dieses Altpapiers stellt, wirken sie wie Faultierbabys, die man streicheln und zu ihrer Niedlichkeit beglückwünschen möchte. Denn wer solche Sorgen hat, hat keine. Was allerdings im Fall der ARD nicht der Wahrheit entspricht. Schließlich sind die Zuschauer alternd, das Programm verstaubt und die paar Milliarden Euro, die jedes Jahr zu seiner Erstellung zur Verfügung stehen, reichen hinten und vorne nicht, wie Buhrow und Marmor zu wiederholen nicht müde wurden. Aber wie formuliert es Michael Hanfeld in seiner FAZ-Nachtkritik?

„Wer denkt, der ,ARDcheck’ sei dazu angetan, den Intendanten einmal wirklich auf den Zahn zu fühlen, ist mit der Choreographie einer solchen Veranstaltung nicht vertraut. Diese folgt dem Rezept der aus dem DDR-Fernsehen bekannten Unterhaltungssendung ,Ein Kessel Buntes’: Es gibt von allem etwas, für jeden Geschmack ist was dabei, doch bleibt alles im selben Rhythmus.“

Arno Frank wählt bei Spiegel Online einen anderen Vergleich:

„Der ,ARDcheck’ wirkte weitenteils wie eine Hauptversammlung vor Kleinaktionären, die versehentlich ins Abendprogramm gerutscht ist und bei der zwei blasse Manager auf Entlastung des Vorstands hinwirken - die Geschäftsführung soll gebilligt, die Arbeit gewürdigt und das Vertrauen ausgesprochen werden. Eine Übung in Transparenz, ein beflissenes Ausstellen staatstragender Relevanz. Das mag man traurig, verlogen oder rührend finden. Zum Vergleich sähe man aber auf jeden Fall jetzt gerne mal einen ,RTLcheck’.

Und Christian Meier meint bei Springers Welt:

„Leider kann dem "ARD-Check" noch nicht einmal das Prädikat ,Gut gemeint’ angeheftet werden. Denn auch eine theoretisch richtige Idee wie die öffentliche Befragung der Senderchefs von Zuschauern ändert etwas an der Tatsache, dass sich das öffentlich-rechtliche System aus sich selbst heraus nicht grundlegend verändern kann. Es gibt zwar immer wieder Reformen, aber die über Jahrzehnte gewachsene Struktur kann und will niemand ernsthaft infrage stellen.“

Nun ja. So wie ein Arzt wegen Befangenheit nicht seine eigenen Familienmitglieder behandeln soll, so wenig hilfreich ist es, wenn die ARD sich selbst durchcheckt. Könnte man meinen. Andererseits habe ich gestern Abend vorher noch „Reise-Check: Autobahn“ gesehen und weiß daher, dass dieses Format auch bei der Betrachtung Dritter nicht zu überraschenden Ergebnissen führt. (Außer, man hat in seinem Leben noch keine Autobahn samt dazugehöriger Raststätte gesehen. Aber warum sollte man sich dann für deren Check interessieren?)

[+++] Wesentlich konfrontativer geht es derweil im Nachgang zur Spiegel-Enthüllung vom Wochenende daher, wie auch gestern schon hier Erwähnung fand.

Die aktuellen Kampflinien verlaufen

1. zwischen Jens Weinreich und Sky, wo Weinreich zu einem Interview zugeschaltet wurde, dem wiederum ein Statement des DFB-Anwalts Christian Schertz vorangestellt war, was zu folgender, beim Schweizer Tagesanzeiger dokumentierten Eskalation führte:

„,Haben Sie sich mit der Geschichte zu weit aus dem Fenster gelehnt?’, fragte Wasserziehr. Antwort Weinreich: ,Zuerst muss ich sagen, dass mir gar nicht gesagt wurde, dass der Honorarprofessor vor mir spricht und seine Ergüsse loslässt. Das finde ich merkwürdig vom Beckenbauer-Sender Sky.’ Wasserziehr: ,Warum? Es ist doch nicht ungewöhnlich, dass wir alle Seiten zu Wort kommen lassen.’ Weinreich entgegnete: ,Der Honorarprofessor wird dafür bezahlt, dass er Nebelkerzen zündet. Dafür ist er ja bekannt. Das ist oft ein Mischmasch aus Drohungen und Nebelkerzen. Wenn er hier jetzt von einem ,einmaligen Vorgang’ spricht – als hätte der ,Spiegel’ unsauber gearbeitet.’“

2. zwischen der Bild-Zeitung und dem Spiegel, wie Oliver Fritsch für Zeit Online dokumentiert

(„Geradezu bewundernswert, wie sich die Bild-Redaktion heute für den DFB in die Kugeln wirft und die Spiegel-Recherche von allen Seiten abklopft. Sie entdeckt in diesen Tagen die Berufsethik. Der konkrete Vorwurf lautet, der Spiegel stütze sich auf Indizien, Plausibilität und Verdachtsmomente. Gleichzeitig spekuliert die Bild gerade, ob Theo Zwanziger der Informant der Story war.“)

und Imre Grimm bei der HAZ beschreibt

(„Und wer wäre der Springer-Verlag, wenn er diese offene Flanke der Konkurrenz nicht für eigene Interessen nutzen würde? (...) Tatsächlich macht niemand eine gute Figur in dieser Affäre. Der ,Spiegel’ nicht, in dessen Story mehr Fragezeichen hätten auftauchen müssen. Und ,Bild’ nicht, wo man sich fragen lassen muss, ob eine saubere Recherche zum Verbleib des Geldes nicht sinnvoller wäre als Sticheleien gegen Weinreich. Der erleidet in dem Drama das klassische Hiobs-Schicksal: die Hinrichtung des Boten, der die schlechte Nachricht überbringt.“).

3. und zwischen der Bild-Zeitung und der Titanic, die selbst die WM 2006 durch die Bestechung mit Schinken und Kuckucksuhren ins Land holen wollte und dafür wüst von Bild-Lesern beschimpft wurde, nachdem die Zeitung dazu aufgerufen hatte. Nun lautet der Konter:

„Doch jetzt, da klar ist, wer die wahren Vaterlandsverräter und Nestbeschmutzer sind, nämlich die Bild-Redakteure, wird zurücktelefoniert! Rufen Sie, liebe TITANIC-Leserinnen und -Leser, in der Bild-Zentralredaktion unter (030) 25 91-0 an und sagen oder brüllen Sie Ihre Meinung! Wichtig: Mitschnitte von Telefongesprächen sind rechtlich heikel. Sollten Sie Ihren Anruf aus Versehen aufgezeichnet haben, senden Sie die Audiodatei bitte lieber an info@titanic-magazin.de; unsere Rechtsabteilung wird sich dann darum kümmern.“

Extra-Punkte gibt es übrigens, wenn man den Anruf mit „Zum Kuckuck nochmal“ einleitet.


Altpapierkorb

+++ Da wir gerade schon bei der Bild-Familie sind: Seit der Entscheidung, bild.de für Nutzer von Adblockern unlesbar zu machen, über die im Altapapier am Donnerstag berichtet wurde, sind ein paar Meinungen angefallen: Adblocker-Nutzer haben schlechte Argumente (Lousy Pennies), Adblocker werden zu Gatekeepern (kress.de), die ganze Diskussion ist unsinnig (Internet-Law). Im Meedia-Interview hat bild.de-Chef Julian Reichert zudem erklärt, dass der Hass sich bislang in Grenzen hielte und die Ergebnisse bislang „ausgesprochen motivierend“ seien. +++

+++ „Im Shitstorm. Allein gegen alle – Überleben in den sozialen Netzwerken“ heißt die Webstory, die das ZDF zum Thema gebaut hat. Beispielshitstormopfer ist Ex-Piratin Julia Schramm. +++

+++ Auf der Medienseite der SZ arbeitet sich Ulrike Nimz an der „Günther Jauch“-Ausgabe vom Sonntag und dem Auftritt des AfD-Politikers Björn Höcke ab. „Wie der Zauberer auf einem Kreuzfahrtschiff zieht er ein Deutschlandfähnchen aus seinem Anzug und hängt es über die Lehne seines Sessels. Ganz wie Touristen ihr Badetuch über eine Sonnenliege werfen würden, um zu signalisieren: Hier beweg‘ ich mich erst mal nicht mehr weg. Hier werd‘ ich jetzt schön braun.“ Auf der Medienseite der FAZ argumentiert Frank Lübberding, warum es richtig gewesen sei, dem rechtslastigen Höcke eine sonntagabendliche Bühne zu bieten: „Mit wem will er dann über Rechtspopulismus diskutieren? Mit Linkspopulisten? Solche Aussagen sind ein Armutszeugnis für die etablierte Politik, der mit der Flüchtlingskrise allmählich die Maßstäbe für die Funktion der Öffentlichkeit verlorengehen. Sie hat nicht über „Spinner“ zur besten Sendezeit in der ARD zu lamentieren, sondern muss sich ihnen stellen – mit ihrer Politik und der besseren Argumentation.“ +++

+++ Ebenfalls auf der Medienseite der SZ: Anke Sterneborg über die neue Arte-Reihe über Steine als „Gedächtnis des Planeten“.+++

+++ Ebenfalls auf der Medienseite der FAZ: Matthias Hannemann wirft einen Blick auf das vielsprachige Angebot der Deutschen Welle für Flüchtlinge, von dem hier schon die Rede war. Und Jürg Altwegg fragt sich, welche Werte der frisch ins Schweizer Parlament gewählte Chef der Weltwoche, Roger Köppel, eigentlich verteidigt. +++

+++ Günter Wallraff ist mittlerweile ein Fall für Spiegel Onlines Eines Tages. Ist schließlich schon 30 Jahre her, dass er „ganz unten“ war. Aus diesem Anlass hat Michael Sontheimer Wallraff interviewt. +++

+++ Ebenfalls schon 30 Jahre her: die erste Folge „Schwarzwaldklinik“. Für die dpa (veröffentlicht u.a. im Tagesspiegel) erinnert sich Jürgen Ruf. +++

+++ Hat ein freier Autor eigentlich auch etwas vom zusätzlichen Artikel-Verkauf bei Blendle, und wenn ja, wie viel? Diese Frage beantwortet Michael Hirschler auf der Website des DJV. +++

+++ „Klartext heißt: Fakten und Positionen aus erster Hand, unverfälscht, schnörkellos, direkt, kontrovers. Persönlichkeiten, die etwas zu sagen haben, schreiben exklusiv auf XING“, erklärt Roland Tichy selbst sein neuestes Projekt, das Xing-Online-Magazin Klartext in eben diesem. Weitere Infos haben DWDL und Horizont. +++

+++ Warum man in der Mediathek auch heute noch bequem „Blochin“ abrufen kann, während „Weißensee“ längst daraus verschwunden ist, hat sich bei DWDL Alexander Krei gefragt und folgende Erkenntnis gewonnen: „,Reihen, serielle Angebote und Mehrteiler bleiben bis sechs Monate nach Ausstrahlung der letzten Folge im Angebot, wenn sie ein feststehendes Ende haben’, heißt es im Falle des ZDF. ,Alle anderen Sendungen, einschließlich Folgen von Reihen und Serien ohne feststehendes Ende, bleiben für die Dauer von maximal drei Monaten nach Ausstrahlung im Angebot.’“ Ah ja. +++

Neues Altpapier gibt es am Mittwoch.