Meine Lieblingsserie im MDR heißt „Echt“, vom Sender versehen mit der Unterzeile „Das Magazin zum Staunen“. Das ist nicht zu viel versprochen, denn tatsächlich lässt einen jede Folge staunend zurück, weil man vorher nicht geahnt hatte, wie gefährlich dieses Mitteldeutschland eigentlich ist. Mal geht es um die „Alarmstufe rot: Deichbruch in Mitteldeutschland“, mal um „Gefährliche Eroberer – Tierische Invasoren in Mitteldeutschland" (dabei sind diese Waschbären doch einfach nur niedlich!).
Wo soll uns diese Einführung hinführen? Wir kommen gleich dazu, nachdem wir einen Blick auf diese Meldung geworfen haben, die gestern Abend via Mitteldeutscher Zeitung verbreitet wurde und überschrieben ist mit
„Thüringen erwägt den Austritt aus dem MDR“.
Oder, wie man bei „Echt“ sagen würde: „Risikofaktor Thüringen – Ein Land will nicht mehr“.
Wieso denn bloß?
„Intendantin Karola Wille will mit der Reform ,MDR 2017’ den öffentlich-rechtlichen Sender umbauen, um die Möglichkeiten des Internets effektiver nutzen zu können. (...) Den Thüringern ist dabei aufgestoßen, dass in Halle künftig digitales Kinderradio produziert werden soll - das sähen die Thüringer lieber in Erfurt beim Kika angesiedelt, dem TV-Kinderkanal von ARD und ZDF. Von den mehr als 2.000 fest angestellten Mitarbeitern des MDR entfallen nur 100 auf Thüringen, in Sachsen-Anhalt sind es etwa 400. Mit gut 1.500 Mitarbeitern arbeitet der übergroße Teil der MDR-Belegschaft in Sachsen.“
Wer jetzt glaubt, ja, das mit den Arbeitsplätzen sei schon irgendwie ungerecht, aber mei, wo will er denn hin, der Thüringer? Der hat das Potential dieser Austrittsdrohung noch nicht erfasst. In den Worten von „Echt“:
Achtung HR! Die Thüringer kommen!
Mehr als die Nachricht der MZ und diese daraus generierte Pressemitteilung gibt es zur Stunde noch nicht zum Thema. Verkürzen lässt sich die Wartezeit, bis sich das ändert, mit einem Blick auf die Deutschlandkarte und der Frage, ob nicht ein hessisch-thüringischer Sender das Wort „Mitteldeutschland“ im Titel für sich beanspruchen müsste, und was dann aus dem heutigen MDR würde: Der Südostdeutsche Rundfunk SOR? Der sachsen-sachsen-anhaltinische Rundfunk SSAR? Oder ehrlicherweise der Reste-Rundfunk RR?
Wir bleiben dran.
[+++] Bzw. noch ein wenig beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen und dessen nachrichtlichem Aushängeschild ARD aktuell, dessen Chefredakteur im „Tagesschau“-Blog seine Aussicht auf fünf weitere Amtsjahre zelebriert.
Beispiel gefällig?
„Die sozialen Medien werden einen deutlich größeren Stellenwert bei der Nachrichtenvermittlung bekommen. Deshalb wird es unsere Aufgabe sein, unsere Präsenz im linearen TV stark zu halten und gleichzeitig denjenigen Menschen ein Nachrichtenangebot zu machen, die nicht um 20 Uhr auf dem Sofa sitzen. Dazu müssen wir neue Video-Angebote machen, die eine Ästhetik und Ansprache haben, die der jeweiligen Plattform angemessen ist. Und dazu werden wir uns trauen, unter der Marke Tagesschau auch mal etwas auszuprobieren und uns der Kritik der Nutzerinnen und Nutzer aussetzen.“
Da kann man sich doch schon richtig gut etwas drunter vorstellen. Nämlich: irgendwas mit Internet.
Apropos: Dass eben dieses immer mehr an Verbreitung gewinnt, haben ARD und ZDF erst gerade wieder in ihrer Online-Studie herausgefunden, deren Ergebnisse gestern veröffentlicht wurden – nicht, ohne dabei noch einmal zu erklären, was dieses Internet überhaupt ist:
„Das Internet ist eine Universalplattform, die es dem Anwender ermöglicht, zu kommunizieren, Medieninhalte zu nutzen, zu spielen oder Transaktionen zu tätigen.“
Am besten gefällt mir an diesem Satz, dass ich ihn online gefunden habe. Falls Sie sich darüber hinaus fragen: Das, auf dem sie gerade sitzen, heißt Stuhl, und das vor Ihnen ist ein Computer. Das Wort dürfen Sie ruhig Englisch aussprechen. Dabei handelt es sich um eine fremde Sprache.
Wie dem auch sei: ARD/ZDF-Onlinestudien-Ergebnisse!
„Die Anzahl derer, die das Internet täglich nutzen, ist 2015 um 3,5 auf 44,5 Millionen (63%) gestiegen. Zugenommen hat auch die Unterwegsnutzung: mittlerweile greifen 30,7 Millionen (55%) unterwegs auf Netzinhalte zu, das sind 3,2 Millionen (+5%-Punkte) mehr als im Vorjahr. Auch die Nutzung von Videoinhalten und Fernsehsendungen sowie von Audioinhalten ist angestiegen: 53 Prozent sehen sich inzwischen mindestens einmal pro Woche Bewegtbildinhalte im Netz an, 33 Prozent nutzen Audioinhalte.“
Das ist doch alles gut zu wissen, wenn auch in der Aussagekraft vergleichbar mit der Erkenntnis: 80 Prozent der Deutschen verlassen täglich das Haus. Ob sie von dort zur Arbeit gehen, zur Pegida-Demo oder zum Hundefrisör, wissen wir leider nicht. Aber hey, ziemlich viele Menschen sind täglich draußen, und diese Erkenntnis sollte zum Beispiel für die Produzenten von Rasensprengern, Fahrrädern oder Hausschuhen schon irgendeine Bedeutung haben.
[+++] Kleiner Test:
„,Safe Harbor’ - sicherer Hafen. So heißt ein Abkommen, das seit 15 Jahren den Austausch persönlicher Daten zwischen der EU und den USA regelt und vereinfacht. Für Internet-Unternehmen wie Facebook oder Twitter ist das toll, für uns Nutzer oftmals nicht. Denn in den USA gelten nicht so hohe Datenschutzstandards wie hier. Seit gestern ist der Daten-Selbstbedienungsladen EU geschlossen, das Mitlesen für die NSA deutlich schwieriger.?“ (Quelle)
Na, fühlen Sie sich an diesem Punkt schon besser angesprochen als bei jedem anderen Artikel zum Thema, den sie in der vergangenen Woche gelesen haben? Nicht? Dann bleibt Orange by Handelsblatt an dieser Stelle nur die Hoffnung, dass Sie sich selbst nicht mehr als jung bezeichnen. Ansonsten wäre das gestern vorgestellte Projekt des Handelsblatts (by Handelsblatt), das auf den Spuren von Ze.tt und Bento und BYou und BNow wandelt, ziemlich für die Füße.
Ende Oktober soll der Betrieb auf der Seite, die einen schon jetzt unerträglich ankumpelt und „Dein Wirtschafts-Update, das dich über aktuelle Themen informiert und dir Insights bietet. Kein unnötiges, langweiliges Blabla sondern kurz, einfach & verständlich!“ verspricht, starten. Einen Vorgeschmack, aus dem oben zitiert wurde, gibt es schon heute auf der Facebookseite.
Wie bei allen derartigen Portalen stellen sich zwei Fragen: Dieses unnötige, langweilige Blabla, von dem die Rede ist: Steht das im Handelsblatt? Und warum zur Hölle brauchen jüngere Menschen andere Zeitungen als ältere Menschen (und bin ich wirklich die einzige, die sich noch daran erinnert, wie schief das damals bei Zoomer.de gelaufen ist)?
Frank Dopheide, Geschäftsführer der Verlagsgruppe Handelsblatt, erklärt bei Meedia:
„Das Problem ist: Wann entdeckt ein junger Mensch sein Interesse für Wirtschaft? In den meisten Fällen erst nach dem Abitur, wenn er anfängt BWL zu studieren. Wir möchten die Zielgruppe früher für uns gewinnen und für die Wirtschaft rekrutieren. Das bedeutet: vor dem Abschluss des Abiturs. Nun ist das Handelsblatt für junge Leser vielleicht etwas schwere Kost und auch sehr kostenintensiv. Deshalb müssen wir die Themen neu aufbereiten, was zukünftig unser junges Team von Orange macht.“
1. Der Einsatz von Begriffen wie „toll“ oder „Daten-Selbstbedienungsladen“ macht noch keine Zielgruppen-gerechte Ansprache.
2. Blöd, dass gleich nebenan, also ebenfalls bei Meedia, Jeremy Caplan, Journalismus-Professor an der City University of New York, in einem Interview mit Nora Burgard-Arp die Überlegung formuliert, dass es sich bei dem neuen Jugendwahn der Verlage um ein großes Missverständnis handeln könnte:
„Generell ist es so, dass sich Menschen natürlich mehr für Nachrichten interessieren, die persönlich auf sie zugeschnitten sind. Ich glaube auch, dass es in Zukunft immer mehr Produkte geben wird, die eine ganz bestimmte Zielgruppe ansprechen. Hier denke ich aber doch eher an Interessens- als an Altersgruppen. In den USA zum Beispiel ist Cooks Illustrated enorm erfolgreich, ein Hochglanzmagazin für Hobbyköche. Eine Newsseite für Millennials zu starten, ist zwar ein verständliches Experiment, ich persönlich bin jedoch skeptisch, ob Millennials im Allgemeinen eine sinnvolle Zielgruppe sind. Ich frage mich, ob sie so viel gemeinsam haben, dass sie sich auf ein Angebot einigen können. Eine 27-jährige alleinerziehende Frau hat ja zum Beispiel ganz andere Interessen als ein 19-Jähriger, der gerade ein Studium startet.“
3. Woher kommt eigentlich diese unerträgliche Annahme, dass jungen Menschen einem Text nicht gewachsen sind, wenn dieser nicht hauptsächlich aus Tweets besteht und eventuell sogar mal einen Nebensatz enthält?
Oder, in anderen Worten: Wer in der Lage ist, Mathearbeiten bei Instagram zu begleiten und das Tafelwischen im Lateinunterricht bei Youtube hochzuladen, kann nicht ganz dumm sein. Zumal ich an dieser Stelle zu bezweifeln wage, dass die verantwortlichen Lehrer das hinbekämen.
(Wer eine etwas weniger zugespitzte Meinung zum Thema sucht, kann sich hier anhören, was Daniel Bouhs dem Info-Radio erzählt hat.)
+++ Marten Blankesteijn hat bei Medium ein erstes Blendle-Deutschland-Fazit veröffentlicht, das jeden Qualitätsetztsichdurch-Prediger erfreuen dürfte: „Worin sich die Nutzer in Holland und Deutschland aber kaum unterscheiden: Sie sind jung und sie lieben Qualitätsjournalismus. Unsere Liste der populärsten Artikel sieht dramatisch anders aus, als die man von Facebook, Buzzfeed oder Twitter kennt. Keine Listicles. Keine Newshäppchen. Keine Werbung. Nur der beste Journalismus des Landes.“ +++
+++ Wer schon immer behauptete, der Playboy käme nur wegen seiner gehaltvollen Interviews ins Haus, hat endlich gute Chancen, dass ihm das auch geglaubt wird: „In a wood-paneled dining room, with Picasso and de Kooning prints on the walls, Mr. Jones nervously presented a radical suggestion: the magazine, a leader of the revolution that helped take sex in America from furtive to ubiquitous, should stop publishing images of naked women.Mr. Hefner, now 89, but still listed as editor in chief, agreed. As part of a redesign that will be unveiled next March, the print edition of Playboy will still feature women in provocative poses. But they will no longer be fully nude“, berichtet die New York Times. +++
+++ Für Spiegel Online war Dana Buchzik beim zweiten Bundeskongress der Neuen Deutschen Medienmacher - ein Zusammenschluss von Medienschaffenden mit Migrationshintergrund. „Jeder fünfte Einwohner Deutschlands hat einen Migrationshintergrund; in den Redaktionen deutscher Medien trifft das nur auf jeden 50. zu. Die wenigen, die es in die Medienhäuser schaffen, würden, so schreiben es die Neuen Deutschen Medienmacher auf ihrer Webseite, häufig als ,Ausländer vom Dienst’ behandelt und bei jeder Asyl- oder Islamdebatte automatisch als Gegenspieler deklariert.“ +++
+++ Wer sein Auto liebt, sollte besser rechtzeitig den Rundfunkbeitrag zahlen. Ist nur eine Erkenntnis aus diesem Artikel, den Sonja Álvarez für den Tagesspiegel geschrieben hat. +++
+++ Der (unsicheren) Lage von Journalisten und Bloggern in Bangladessh widmet sich heute die FAZ-Medienseite mit einem Interview mit Christian Mihr, dem Geschäftsführer der Reporter ohne Grenzen. Außerdem berichtet Adrian Lobe über Googles Interesse an der Technisierung der Politik: „Staaten sind für Google überkommene Konstruktionen, die mit der richtigen Software programmiert werden müssten. Die Tech-Giganten im Silicon Valley sind von der Idee beseelt, dass sich alle Probleme dieser Welt durch eine App oder technologische Innovation lösen lassen.“ +++
+++ In der SZ geht es derweil um Lena Gercke, die fast zehn Jahre nach ihrem Sieg bei „Germany’s next Topmodel“ die Moderation von „The Voice" übernimmt, sowie um die neue Amazon-Prime-Serie „Red Oaks“. +++
+++ Die Bild-Zeitung hat mit ihrer „Wir helfen“-Kampagne einfach kein Glück. Nach der Debatte über den Bundesligaeinsatz des Logos (u.a. dieses Altpapier) ist nun auch ein sogenannter „Fan Run“ nur so mittel zum Erfolg geworden, heißt es im Bildblog. +++
+++ „Wie sehen Online-Journalisten, Blogger und Chefredakteure den Fall heute? Welchen Stellenwert haben Blogs und Websites in der Branche? Und gelten die rechtlichen Privilegien von Journalisten eigentlich auch für Blogger?“ Diese Fragen hat Sebastian Grundke post #Landesverrat für kress.de diversen Journalisten gestellt. +++
+++ Schöner Wohnen renoviert und verlängert seine Marke bis hin zu einem Onlineshop – ach, auf Meedia ist doch immer Verlass beim Einsatz besonderer Sprachbilder. Als Anlass dienen diesmal die aktuellen Versuche von Gruner + Jahr, in Zukunft noch mit seinen Living-Titeln Geld zu verdienen, obwohl das mit dem Zeitschriftenverkauf nicht mehr so flutscht. +++
+++ Wer nach der Meldung gestern noch die Frage beantwortet haben möchte, in welche Richtung die Personalie des Tages Spiegel Online verlässt: „We are excited to announce that Katharina Borchert will be transitioning from our Board of Directors to join the Mozilla leadership team as our new Chief Innovation Officer starting in January“, steht seit gestern im Mozilla-Blog. +++
Neues Altpapier gibt es wieder am morgigen Mittwoch.