Der beliebteste Phantomschmerz
Heute auf der Agenda: die Phrase von den Kapazitätsgrenzen; der Unterschied zwischen Emotionalität und Empathie: Erinnerungen an eine Zeit, in der Afrika und Entwicklungspolitik noch Prime-Time-Themen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen waren; wortgewaltige Einschätzungen zu einem EuGH-Urteil; erhöhter Kuschelfaktor bei Hamburger Wochenzeitung.

Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof, verarztet in seiner Zeit-Online-Kolumne „Fischer im Recht“ gern mal Meinungsmacher. Vor rund zwei Monaten schrieb er zum Beispiel:

„Journalisten, deren intellektuelle Fähigkeiten und Fachkenntnisse gerade eben zum Zubinden der Schuhe und zum Auftragen von Mascara ausreichen, erklären Hunderttausenden von Medien-Konsumenten die Welt (wie sie ihnen oder ihren Marionettenspielern gefällt).“

Das war eher niedlich, aber jetzt läuft Fischer zu wirklich großer Form auf. Aufgehängt ist seine aktuelle Kolumne an einer „Anne Will“-Sendung, in der der Historiker Heinrich August Winkler zu Gast war (und in der auch ein Denkerdarsteller der Zeitschrift Cicero hockte). Es geht zunächst einmal um einen putzigen Asylrechtsänderungsvorschlag Winklers, diverse andere Äußerungen von ihm und gewisse Rituale in Talkshows.

„Herrn Winkler plagte an diesem Abend ein bekannter Phantomschmerz: das sogenannte Tabu. Seine mehrfach wiederholte Schlussfolgerung: Es muss Schluss sein mit der Tabuisierung der Flüchtlingsfrage (...) Wenn der deutsche Talkgast verkündet, es dürfe etwas nicht länger tabuisiert werden, bedeutet das natürlich noch nicht, dass er eine Meinung hat. Er möchte uns vielmehr sagen, dass es nicht verboten sein sollte, einfach über irgendetwas laut nachzudenken!“ 

Man könnte sogar sagen: Wenn der deutsche Talkgast verkündet, es dürfe etwas nicht länger tabuisiert werden, dann kann man sich darauf einrichten, dass er mit den anschließenden Äußerungen Türen einrennt, die schon seit Jahrzehnten weit offen stehen.

Eingehend widmet sich Fischer dem Winklerschen Satz „Wir müssen ehrlich sagen, dass es Kapazitätsgrenzen geben könnte". Spätestens an dieser Stelle entwickelt sich der Text zu einer fulminant formulierten Abrechnung mit den in der Flüchtlingsfrage recht dickhosig auftretenden Journalisten und Publizisten aus dem nationalkonservativen Milieu:

„Die ‚Grenze der Kapazität‘ ist in aller Munde. Sie ist aber, so scheint mir, bislang nur die Grenze, bei deren Überschreiten sich an unserem eigenen Leben etwas ändern könnte. Das hat mit ‚Kapazität‘ nichts zu tun (...), sondern mit der Definition von Selbst und Fremd, Innen und Außen.“

In der folgenden Passage ist zwar explizit von „Politikern“ die Rede, aber wenn man dort „Journalisten“ einsetzt, ergibt sie ebenso viel Sinn:

„Das Erbärmlichste, was uns Politiker zurzeit liefern – ob mit oder gegen ihre Überzeugung – ist die Reaktivierung von nationalistischen Dummheiten und einer Kultur der Abschottung, die angeblich dem ‚Interesse der Menschen‘ entspricht. Das wird verbrämt mit Phrasen von den ‚Sorgen der Bürger‘ und allerhand ‚Befürchtungen.‘“

Ein kurzer historischer Exkurs ist bei dem Thema auch nicht verkehrt:

„Seit es menschliche Gesellschaften gibt, ‚produzieren‘ sie Vorstellungen und Identitäten von Innen und Außen: von den Dazugehörigen und den Fremden. Die Fremden sind die Feinde. Die Merkmale, anhand derer diese Differenzierung getroffen wird, sind nicht zufällig, aber willkürlich; sie folgen keiner übergeordneten Rationalität. Die heute verachtungsvoll ‚Gutmenschen‘ Geheißenen versuchen daher nichts anderes, als bestehende Grenzen zwischen Innen und Außen ganz oder zeitweise aufzuheben. Das ist mindestens so rational wie das Gegenteil.“ 

Jene, die andere als „Gutmenschen“ herabsetzten, „gerieren sich als Verwalter der Rationalität, sind aber nur Propheten der Angst“, meint Fischer. Wobei vielleicht noch hinzuzufügen wäre, dass jene, die sich als „Verwalter der Rationalität“ inszenieren, in der Regel die ärmsten Irren sind. 

[+++] Mit den aktuellen Wortmeldungen zweier guter alter Gutmenschenfeinde - Rüdiger Safranski und Botho Strauß - befasst sich Christian Schröder im Tagesspiegel. Es geht um Äußerungen Safranskis in der Welt am Sonntag und einen Spiegel-Text von Strauß, „der gar kein geschlossener, stringent argumentierender Text ist, sondern mehr Glossa continua, Notizensammlung, eine tägliche Tagesverachtung ohne Datumszeilen“ - um es mit Richard Kämmerlings (Die Welt) zu sagen, auf den wir gleich noch zurückkommen werden. Schröder schreibt unter der Headline „Die Angst der alten Männer vor den Flüchtlingen“:

„‚Die Politik hat die Entscheidung getroffen, Deutschland zu fluten‘, sagt Rüdiger Safranski in einem sorgenvollen Altmännergespräch mit Mathias Matussek (...) ‚Wenn die Kanzlerin sagt, Deutschland wird sich verändern, da möchte ich doch bitte gefragt werden.‘ Zum letzten Mal gefragt worden ist der Bestseller-Biograf von Goethe, Nietzsche und Schiller im September 2013, bei der Bundestagswahl. Es gehört zum Wesen repräsentativer Demokratien, dass Entscheidungen in Notsituationen von der Regierung ohne weitere Rücksprache getroffen werden. Weil es auf die Handlungsfähigkeit ankommt.“

Bevor Safranski - und auch Strauß - die „apokalyptische Formel“ von einer „Flüchtlings“- oder „Ausländerflut“ aufgegriffen haben, sei sie „zum Beispiel vom Kreisverband der NPD in Leipzig, von Demonstranten gegen ein Erstaufnahmelager in Regensburg und von einer Facebook-Seite namens „Deutsche zurück nach Deutschland“ verwendet worden, schreibt Schröder.

Richard Kämmerlings widmet sich in der Welt ausschließlich Strauß (was, auch, insofern nahe liegt, als der Text über Safranski bei einem anderen Titel der Welt-Gruppe erschienen ist):

„Ich habe eine Weile überlegt, ob ich mich zu (seiner) langen ‚Glosse‘ im Spiegel äußern soll. Es gibt so vieles daran, was mich schlicht anwidert, was mir zunächst keiner Mühe der differenzierenden Gegenrede wert schien. Nicht zuletzt die durchschaubare mediale Strategie des Magazins selbst, das, wissend um den maximalen Provokationsfaktor, die ‚Bocksgesang‘-Debatte von 1993 wiederholen möchte, also schamlos auf die finstere Ära von Mölln, Lichtenhagen, Solingen referiert.“

Kämmerlings stellt unter anderem folgende Fragen:

„Was (...) ist das eigentlich Obszöne, das Provokative (...)? Ist es die Verharmlosung des ‚Hasses Radikaler‘, der sich nämlich nur ‚vordergründig‘ gegen die Flüchtlinge richte? Und in Wahrheit ‚vor allem" eine ‚unkontrollierte Reaktion auf das Vakuumempfinden (sei), das ‚die Politik' (...) der Bevölkerung zumutet‘. Wie sähe hier eigentlich eine ‚kontrollierte Reaktion‘ aus? Wie ein Spiegel-Essay? Die Fortsetzung des Hasses mit anderen, kühl-vernünftigen Mitteln?“

[+++] Das Medienmagazin journalist hat einen Teil eines Interviews, das Svenja Siegert mit Dunja Hayali geführt hat, frei online gestellt. Es geht konkret um das Thema Flüchtlingsberichterstattung und allgemein um die immer mal wieder aufpoppende Frage, wie viel Nähe zum Gegenstand der Berichterstattung erlaubt ist. Die Moderatorin des ZDF-Morgenmagazins erzählt unter anderem von ihren Besuchen in Flüchtlingsheimen:

„Ich hätte auch nicht gedacht, dass es so einen Unterschied macht, aber die Dinge mit eigenen Augen zu sehen, die Geschichten mit eigenen Ohren zu hören, die Menschen zu spüren, das verändert. Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Wären Sie also dort gewesen, dann könnten Sie besser verstehen, warum man mitunter emotional werden kann. Aber das muss man als Journalist in den Griff bekommen. Es geht nicht um mich und meine Befindlichkeiten, sondern um die Geschichte. Wir müssen das abbilden, was passiert.“

Siegert räumt ein:

„Es gibt Journalisten, die sagen, dass Emotionalität bei dem Thema nichts zu suchen hat.“

Gemeint sein könnte damit der sehr, sehr, sehr konservative NZZ-Autor Heribert Seifert, der in journalistischen Beiträgen über die sog. Willkommenskultur - die für kurze Zeit die Berichterstattung prägte, die Älteren werden sich erinnern - „moralische und emotionale Ekstasen“ ausmachte. Hayali sagt dazu unter anderem, man solle „nicht Emotionalität mit Empathie verwechseln“.

Siegert kommt dann auf Kai Gniffke, den Chefredakteur von „ARD aktuell“ zu sprechen, der 

„gesagt (hat), die Gefahr sei, dass wir uns selbst als Beschützer der Flüchtlinge inszenieren. Das wäre unjournalistisch. Ist das, was Sie machen, unjournalistisch?“

„Ich habe mich dazu entschlossen, Menschen zu helfen. Im Grunde folge ich damit nur dem Gedanken des Grundgesetzes und der Genfer Konventionen. Oder ganz einfach dem normalen Menschenverstand.“

[+++] Eine von der Medienkorrespondenz veröffentlichte Rede, die Sabine Rollberg, Leiterin der arte-Redaktion beim WDR, anlässlich der Verleihung des Eine-Welt-Filmpreises NRW in Köln gehalten hat, wirft die Frage auf, ob all die Verfechter der „Kultur der Abschottung“, die der Zeit-Kolumnist Thomas Fischer (siehe oben) kritisiert, in den 1970er und 1980er Jahren möglicherweise einen schwereren Stand gehabt hätten - und zwar, weil damals dank des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bessere Kenntnisse über globale Zusammenhänge und den Alltag der sog. Fremden vorherrschten. Rollberg sagt:

„Den Vorwurf der Nostalgie riskierend, erinnere ich an die 1970er und 1980er Jahre, denn (...) da gab es zur Hauptsendezeit um 20.15 Uhr jeden Sonntag eine Sendung – im WDR Fernsehen das „Auslandsstudio“ – mit dem außenpolitischen Thema der Woche, 45 Minuten lang, dabei viele entwicklungspolitische Fragen. Einmal pro Woche gab es den „Auslandsreporter“ und einmal im Monat „Treffpunkt Dritte Welt“, eine Auslandsshow, in der ein entwicklungspolitisches Thema öffentlich mit Experten diskutiert wurde, eingerahmt von dazu passender Musik und Literatur. Eine langlebige Reihe in der ARD hieß: ‚Zweimal Gambia‘, ‚Zweimal Kenia‘, ‚Zweimal Tansania‘ usw.: Ein Reporter von hier und ein Regisseur aus Afrika versuchten das jeweilige Land filmisch einzufangen (...) All das klingt in unseren Ohren heute erstaunlich, angesichts der heutigen Fokussierung des WDR Fernsehens auf Nordrhein-Westfalen.“

Rollberg geht in dem Zusammenhang auch darauf ein, wie schwer es heute jene Dokumentarfilmer haben, 

„die, die sich fernen, fremden Ländern widmen, die Unterprivilegierten eine Stimme geben, mit Geduld und Langmut beobachten dort, wo Journalisten schon lange wieder abgezogen sind, als Anwälte gegen Menschenrechtsverletzungen in aller Welt“.

[+++] Was löst die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus, der europäischen Facebook-Filiale in Irland zu untersagen, europäische Nutzerdaten auf Server in den USA zu übermitteln, weil dort „ein angemessenes Schutzniveau“ nicht „gewährleistet” sei? Allemal Jubel, Trubel, Heiterkeit im 25. Stock des SZ-Hochhauses:

„Dieses Urteil ist spektakulär. Es ist mutig. Es ist wichtig. Es ist grundstürzend. Es ist eine Sensation“,

kommentiert nämlich Heribert Prantl. Dazu passt die Headline des Aufmachertextes auf Seite 1: „Historisches Urteil für den Datenschutz“. Auch Michael Hanfeld (FAZ, Feuilletonaufmacherseite) spürt einen Windhauch der Geschichte:

„Das ist fürwahr eine Zeitenwende, die man schon fast nicht mehr für möglich gehalten hätte.“ 

Prantl meint außerdem, das Urteil werde „die globale Datenwirtschaft verändern“. Das wiederum findet der NZZ-Autor Niklaus Nuspliger wohl nicht so schön:

„(Das Urteil) stellt (...) auch die Geschäftsgrundlage von Facebook oder Amazon in Europa infrage, da diese nun in letzter Konsequenz die Daten europäischer Bürger auf eigenen Servern in der EU speichern oder rasch andere rechtliche Arrangements finden müssen, um europäisches Recht nicht zu brechen. Das Urteil dürfte insofern auch kleinere Online-Firmen treffen. Die Internet-Industrie hatte in den letzten Wochen eindringlich vor einer Fragmentierung des Internets und vor Einschränkungen des freien Datenflusses gewarnt.“

Zu folgender Passage in dem Text Matthias Müller von Blumencrons (FAZ) muss man sich jene dramatische Musik - Pauken inclusive - vorstellen, die in TV-Dokus als Geschmacksverstärker eingesetzt wird: 

„Der Sieg für die Nutzer ist gleichzeitig auch eine Niederlage für das Internet, für die Idee hinter dem machtvollsten Kommunikationsnetzwerk, das die Menschheit je geschaffen hat.“

Der FAZ-Digitalchef macht aber mindestens einen Punkt:

„Statt dass in internationalen Abkommen und Verträgen die grundlegendsten Prinzipien des Netzes gesichert werden, und damit eine verlässliche Basis für Nutzer und Unternehmen festgeschrieben wird, sehen die Regierungen der westlichen Welt zu, wie die Gerichte notgedrungen die Arbeit übernehmen, weil sie sich selbst nicht einigen können.“

Zum Schluss des Textes könnte man die Musik dann wieder einblenden:

„(Die Regierungen) haben gedacht, es würde reichen, einfach die Regeln der Offline-Welt in die neue digitale Welt zu verlängern, um Ordnung aufrecht zu erhalten. Dabei ist ein digitaler Kosmos entstanden, auf den viele irdische Regelungen nur begrenzt passen. Es braucht kaum weniger als einen neuen Gesellschaftsvertrag, der das Verhältnis zwischen Bürgern, Staaten und Unternehmen im Digitalen  regelt - und zwar international, zumindest aber in der westlichen Wertegemeinschaft, in der das Internet als Wissens- und Partizipationsinstrument einstmals erdacht worden war. Sonst heißt es bald: Es war einmal das Internet.“

Da das Internet bei Redaktionsschluss dieser Kolumne noch existierte, beschäftigen wir uns noch mit weiteren politischen Implikationen der Entscheidung aus Luxemburg. Prantl once again: 

„(Das Urteil) reißt, hoffentlich, eine nationale und eine europäische Politik aus der Agonie; diese Politik hat bisher so getan, als sei die juristische Wehrlosigkeit der EU-Bürger gegenüber Facebook, Google, Amazon, Ebay und Co. ein Prinzip der digitalen Moderne.“

Svenja Bergt (taz) hofft auch. Bzw.:

„Hoffentlich grätscht nicht wieder die Politik dazwischen.“

Außerdem finden sich in den Einschätzungen diverse Würdigungen Edward Snowdens, dessen Enthüllungen das Urteil erst möglich gemacht haben: 

„Der Gerichtshof verweist in seiner Mitteilung in seltener Klarheit auf Grundrechtsverletzungen durch die US-Geheimdienste (...) Das Argument, man wisse doch noch gar nicht so genau, was die NSA und ihre Verbündeten eigentlich wirklich tun, klingt ab jetzt noch ein bisschen lächerlicher als bisher“,

schreibt Christian Stöcker (Spiegel Online).

„Auf den ersten Blick“ sei das Urteil ein Erfolg für den Kläger Max Schrems. „Tatsächlich ist es aber der erste wirkliche Erfolg für Edward Snowden“, wiederum „aber kein Sieg über die Geheimdienste“, findet Christian Tretbar (Tagesspiegel).

„(Die) USA werden – auch mit Recht – auf ihrer Vorstellung von Freiheit und Sicherheit beharren. Geheimdienste demokratischer Rechtsstaaten und deren Befugnisse sind ja nicht per se des Teufels“,

schreibt Reinhard Müller, der größte Geheimdienstfreund unter Frankfurts Sonne, ganz oben rechts auf der ersten Seite der ebd. erscheinenden Allgemeinen Zeitung.

Heraushebenswert noch ein Aspekt, den Uwe Ebbinghaus auf der FAZ-Medienseite einbringt:

„Ein weiterer Missstand, ohne den sich der von Max Schrems entfachte Rechtsstreit überhaupt nicht derart hätte in die Länge ziehen können, ist noch nicht beseitigt: der Auslegungsspielraum, den die geltende Datenschutzrichtlinie den einzelnen EU-Ländern immer noch lässt. Das Europäische Parlament und die Europäische Kommission streben seit Jahren eine Vereinheitlichung der Regeln in einer neuen Datenschutzverordnung an (...) Ohne den vollen Einsatz der bislang zögerlichen Bundesregierung, die im Europäischen Rat als Bremser von sich reden machte, werde es aber keine neue einheitliche Datenschutzverordnung geben, sagt Jan Philipp Albrecht (der innen- und justizpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament).“

Kann man nun was hoffen, um Prantls und Bergts Formulierungen aufzugreifen?

Kein Gericht der Welt wird die Bundesregierung zu einer Beschleunigung des Verfahrens zwingen können. Wie aber mit Unternehmen oder vielleicht sogar ganzen Industrien umzugehen ist, die geltende Normen durch Softwareschummeleien zu umgehen versuchen, kann sie mit Blick auf den Abgasskandal derzeit aus Amerika lernen“,  

meint Ebbinghaus, der sich im Eifer des tagesaktuellen Gefechts allerdings zu einer recht albernen Formulierung - „Die Snowden-Affäre war so etwas wie der große ‚Datenabgasskandal‘ der Vereinigten Staaten“ - hat hinreißen lassen.

Die Headline „Aus, aus, aus! Safe Harbor ist aus“, die Nina Diercks für den Text in ihrem Blog Social Media Recht gewählt hat, lässt sich auch als ironischer Kommentar zu der Wortgewalt und Dramatik diverser Urteilseinschätzungen lesen. Es bleibe „zunächst einmal abzuwarten“, was eine Analyse des, um‘s mit Prantl zu sagen, „sperrig zu lesenden“ Urteils (hier gibt es für englischsprachige Feinschmecker das 35-seitige PDF; Vorsicht, die Lektüre könnte noch länger dauern als die dieses Altpapiers) ergebe „bzw. welche Konsequenzen das Urteil im Einzelnen letztlich tatsächlich haben wird“.

[+++] Die Resonanz auf die andere große medienrechtliche Entscheidung, die am Dienstag fiel (siehe Altpapier) fällt geringer aus - was auch damit zu tun hat, dass der BGH sein Urteil in Sachen Pressegrosso zwar verkündet hat, die Begründung aber noch nicht vorliegt. Die Karlsruher haben das zentrale Verhandlungsmandat des Bundesverbandes Presse-Grosso für zulässig erklärt. Jan Hauser dazu im Medienwirtschaftsblog der FAZ:

„Das zentrale Verhandlungsmandat ist geeignet, einen flächendeckenden und diskriminierungsfreien Pressevertrieb zu gewährleisten, teilte nun das Gericht in Karlsruhe mit. Bei seinem Wegfall liegt es nicht fern, dass große Verlage bessere Preise und Konditionen durchsetzen können, so dass die Vertriebskosten kleinerer Verlage steigen. ‚In der Folge könnten sich für kleinere Verlage und unrentable Verkaufspunkte, vor allem in ländlichen Gebieten, schlechtere Vertriebskonditionen ergeben, so dass der Vertrieb von Nischenprodukten oder die Belieferung unrentabler Verkaufspunkte längerfristig gefährdet wird‘, urteilt das Gericht.“

Oder, um es mit dem von Hauser zitierten Grosso-Verbandspräsidenten Frank Nolte zu sagen:

„Das Urteil ist ein Meilenstein für unsere bunte deutsche Medienlandschaft. Es sichert den freien Marktzutritt für alle Verlage zu vergleichbaren Bedingungen“


Altpapierkorb

+++ Wer etwas über Hintergründe jenes „journalistischen Experiments“ erfahren will, das am Dienstag bei „Panorama - die Reporter“ im NDR Fernsehen zu begutachten war - der Reporter Michel Abdollahi hat sich vier Wochen im sog. Nazidorf Jamel aufgehalten -, kann das Interview lesen, das der Autor seinem Redaktionsleiter gegeben hat.

+++ Ein Nachtrag aus der vergangenen Woche: Brigitte Baetz hat für den Deutschlandfunk ein Dossier zur hiesigen Griechenland-Berichterstattung produziert: „Deutschlands Kommentatoren, Korrespondenten und Talkmaster (argumentieren) in unbefragter Übereinstimmung mit Brüssel und Berlin (...) im Muster eines selbstgefälligen ‚Wir‘, das alternativen Politikansätzen mit Diffamierungen, Ressentiments oder bestenfalls Unverständnis begegnet.“ Michalis Pantelouris sagt in dem Beitrag: „So richtig verständlich und durchargumentiert ist das allerwenigste. Es ist aber am  Ende nicht der Eindruck entstanden, das Problem wäre komplex, sondern es ist der Eindruck entstanden, man müsste sich für die eine oder andere Seite entscheiden. Das ist medienimmanent tatsächlich, dass man immer entscheiden muss, der eine hat Recht oder der andere hat Recht.“ 

+++ Neues aus der Reihe öffentlich-rechtlich-privatwirtschaftliche Bettgeschichten: kress.de berichtet von einer „umstrittenen“ Exklusiv-Kooperation zwischen dem SWR und der Allgemeinen Zeitung aus Mainz.

+++ Wer wissen will, was mein „peinlichstes Erlebnis auf einer Pressekonferenz“ war oder was ich auf die Frage „Wie kann der Journalismus auf keinen Fall gerettet werden?“ antworte - es steht im Journalistenfragebogen der Prinzessinnenreporter, den ich ausgefüllt habe.

+++ Gedanken zur Zukunft des MDR bzw. zur Rolle Thüringens im Sender macht sich die Thüringer Allgemeine anlässlich der bald bzw. Ende Mai 2016 bevorstehenden Feierlichkeiten des 25-jährigen Bestehens des MDR: „Thüringen durfte von Anfang an auf wenig hoffen – und bekam am Ende noch weniger. Ein einziges Regionalprogramm, dazu noch die kleine, für Werbung zuständige Tochter: Das war nicht einmal die Mindestausstattung. Selbst der Kinderkanal von ARD und ZDF, der einige Jahre später mit 60 Mitarbeitern in Erfurt entstand, konnte diesen strukturellen Nachteil kaum ausgleichen. Das allermeiste, was der Kika aus Thüringen sendet, kauft er anderswo ein. Wahrscheinlich war es nach der Wende trotzdem richtig, sich nach Osten zu orientieren. Die Westbindung nach Hessen, wie sie vor 25 Jahren auch besprochen wurde, hätte auch nur, wie das Beispiel der Helaba zeigt, ins Nischendasein geführt. Dennoch wurden damals die Verhandlungen mit dem HR zu schnell beendet. Wenn die Interessen dreier Länder aufeinanderprallen und wenn man selbst das kleinste und ländlichste Land ist, kann die Drohung mit einer Alternative nie schaden. Und damit sind wir in der Jetztzeit, in der plötzlich wieder vom Hessisch-Thüringischen Rundfunk gesponnen wird.“

+++ „(Die ARD) befeuert damit Islamfeindlichkeit, Hass und Rassismus“ - so kommentiert die Berliner Zeitung die prominente Verwendung eines bei Rechtsextremen beliebten Bildmotivs im „Bericht aus Berlin“ (siehe Altpapier). Die Berliner Morgenpost arbeitet in ihren Artikel einige Reaktionen aus der Politik ein.

+++ „Die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit versteht es seit Jahren höchst erfolgreich, ihre Berichterstattung mit einem gewissen Kuschelfaktor zu versehen“, spöttelt Kathi Riehl auf der SZ-Medienseite. Künftig wird sich dieser Kuschelfaktor wohl noch maßgeblich erhöhen, und zwar durch ein neues Ressort: „Vom 5. November an wird das Ressort ‚Z – Zeit zum Entdecken‘ über Freundschaft und Familie, Freizeit und Genuss berichten, ‚immer persönlich und mit dem Blick für das Unentdeckte‘, wie es vielversprechend blumig aus dem Verlag heißt.“

+++ Und um mit einem noch etwas heitereren Text auszusteigen: Im Sportteil glossiert die SZ, dass die sog. Ethikkommission des Fußballweltverbandes Fifa kürzlich eine dringende Recherchenachfrage hatte zu einem Artikel, der in der Kinderbeilage der Zeitung erschienen ist.

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.