Das drängendste Thema seit der Mehrwertsteuerreform
Wenn das Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert, muss die Politik helfen, meint der BDZV. Geheimnisverrat und die Beihilfe dazu sollten eventuell, vielleicht straffrei bleiben, könnte man mal überlegen. Ein Jugendkanal ohne Youtube-Präsenz macht keinen Sinn. So toll sind Zentralredaktionen. Kai Diekmann schon wieder. Liliana Matthäus’ Nachrichtenwert wird vor Gericht bestimmt.

Helmut Heinen versteht es, Prioritäten zu setzen. Das bewies der BDZV-Präsident gestern in seiner Eröffnungsrede beim Zeitungskongress in Regensburg (die der Verlegerverband dankenswerterweise online gestellt hat, schließlich weiß er, dass im Netz die Zukunft liegt. Dazu später mehr).

Wenn ich recht informiert bin, beginnt man eine Rede mit einem Thema, das einem besonders am Herzen liegt. Was könnte das sein in Zeiten von Flüchtlingsströmen, Facebook-Hass und Landesverrat? Ganz recht: Die Mehrwertsteuer bzw. deren noch zu reduzierender Satz für digitale Angebote. Das hat, Gott sei’s gedankt, die EU nun im kommenden Jahr im Zuge einer Mehrwertsteuerreform vor.

„Wir hatten uns seit langem für diese überfällige Anpassung eingesetzt“,

sagte Heinen, um dann eine Überleitung zu platzieren, die – ach, schauen Sie doch selbst:

„Unser Land hat heute allerdings weiß Gott drängendere Themen als die Mehrwertsteuer. Ich spreche von den Flüchtlingen, die derzeit zu Zehntausenden, ja zu Hunderttausenden nach Deutschland kommen und hier Schutz, Frieden und Freiheit suchen.“

Von Mehrwertsteuer zu Flüchtlingen in drei Sekunden. So viel Herzenswärme muss man erst einmal zu erzeugen verstehen.

Es folgt dann viel Lobhudelei, wie toll die Zeitungen die Flüchtlingskrise begleiteten (die genannten Beispiele finden sich auch bei Horizont zitiert), wie toll sie mit der Digitalisierung umgehen und dass sie dabei das Gedruckte doch im Herzen zu tragen vermögen. Kleine Highlights boten folgende Absätze:

„Im Mittelpunkt steht der Kunde – also unsere Leser und Nutzer ebenso wie unsere Werbekunden. Aufgabe unserer Unternehmen ist es, für unsere Kunden da zu sein und zu liefern, was sie brauchen, wann sie es brauchen und wo sie es brauchen. In sehr guter Qualität und zu einem angemessenen Preis.“

Wenn man bedenkt, dass der größte Wunsch mancher Werbekunden die ungekennzeichnete Nennung im redaktionellen Teil ist, gruselt es einem bei diesem Serviceverständnis schon kurz.  

Sowie:

„Es stehen im kommenden Jahr wichtige Entscheidungen an: im Datenschutz- und Urheberrecht genauso wie bei der Mehrwertsteuer und im Pressefusionsrecht, bei der Sicherstellung von Vielfalt und Auffindbarkeit im digitalen Zeitalter, bei der Neutralität von Intermediären genauso wie bei der auch politisch zu lösenden Frage, wie die Werbemärkte sich entwickeln werden. Nicht zuletzt brauchen wir eine Klärung, wie die flächendeckende Zustellung von Zeitungen nachhaltig gesichert werden soll.“

Um nur auf zwei Punkte dieses Potpourris einzugehen: Die Verlage haben vor Jahren vor lauter Gier mit Klickstrecken und Co. die Werbeflächen im Internet verzigfacht und mit dieser Inflation die Werbepreise online in den Keller getrieben, und jetzt soll die Politik da gegensteuern? Verstehe ich das richtig?

Und ist es wirklich der richtige Weg, die flächendeckende Zustellung von Ausgedrucktem nachhaltig zu sichern, indem man diejenigen, von denen man die Sicherung erwartet, unterirdisch bezahlt (mal ganz abgesehen von der Frage, wie nachhaltig so ein Distributionssystem sein muss, wenn das zu Verteilende stirbt. Yep. Die ausgedruckte Tageszeitung hat wenig Zukunft. Deal with it)?

Man wird den Eindruck nicht los, dass der BDZV nicht nur ein mieser Lobbyverband ist, sondern ein mieser Lobbyverband gefangen im Jahr 2005.

Wer dafür noch weitere Beweise sucht, kann die bei Newsroom veröffentlichten Top 8 der Trends anschauen, die der Multimedia-Referent des BDZV, Holger Kansky, im Jahrbuch „Zeitungen 2015/16“ herausgearbeitet hat. Nur echt mit den Premiumtipps, Social Media zu nutzen, mit den Lesern zu kommunizieren sowie – man muss es zitieren, es ist einfach zu schön:

„5. Daten sind das neue Öl: Durch die Einführung von Paid Content werden die bisher anonymen Online-Leser erstmalig identifizierbar. Verlage, die sich konsequent an den Daten orientieren, können die Kündigungsquoten reduzieren, personalisierte Angebote entwickeln und auf weitere Produkte des Verlags aufmerksam machen.“

Einen Witz mit „Datenmissbrauch“, „Zeitungsverlage“ und „letzter Ölung“ können Sie sich nun selbst ausdenken. Und wer jetzt noch wissen will, wie so ein Zeitungsverlegertreffenbericht aussieht, wenn er in einer Publikation eines Zeitungsverlags erscheint, schaut bei Jan Hauser im FAZ-Medienwirtschafts-Blog vorbei.

[+++] Ebenfalls beim Zeitungskongress anwesend: Justizminister Heiko Maas und ein Thema, das Journalisten im Jahr 2015 tatsächlich umtreibt:

„Auf dem BDZV-Zeitungskongress begrüßte Maas am Montag (21.09.15), dass die Ermittlungen gegen die beiden Blogger von netzpolitik.org wegen Beihilfe zum Landesverrat eingestellt worden seien. Er wolle sich nun mit einer gesetzlichen Änderung mit dem Thema auseinandersetzen. Vermutlich müsse man wie beim Geheimnisverrat die Beihilfe dazu straffrei stellen“,

formuliert es vorsichtig der BR online. Bei Meedia klingt der gleiche Satz wesentlich entschlossener. Ein Blick ins Manuskript zeigt, dass die Wahrheit in der Mitte liegt.

Diejenigen, die sich mit dem Vorwurf des Landesverrats konfrontiert sahen, machen derweil einfach weiter. Andre Meister gestern Morgen bei Netzpolitik.org:   

„Glasfasern abschnorcheln, Internet-Daten in Echtzeit rastern, Verschlüsselung knacken, Computer hacken: Der BND baut seine Internet-Überwachung massiv aus. Das geht aus dem 300 Millionen Euro teuren geheimen Programm ,Strategische Initiative Technik’ hervor, das wir veröffentlichen. Abgeordnete und Zivilgesellschaft kritisieren die neuen Befugnisse und fordern einen Stopp des Aufrüstungsprogramms.“

[+++] Wenn man jetzt noch auf etwas Lust hat, dann doch auf die Poesie aus der sachsen-anhaltinischen Staatskanzlei, die gestern einen – es geht schon los – Sachstandsbericht zur Debatte über den geplanten Jugendkanal von ARD und ZDF veröffentlichte. Im Oktober soll der Rundfunkstaatsvertrag novelliert werden; nun haben die Rundfunkkommissionen der Länder Folgendes erwogen:

„Der Forderung eines Verbots der Nutzung von Drittplattformen durch das Jugendangebot kann nicht entsprochen werden, da dies den anhand der vorstehend zitierten Studien nachweisbaren Nutzungsgewohnheiten der Zielgruppe widerspräche und somit ein solches Verbot der Nutzung von Drittplattformen den Erfolg des gesamten Vorhabens in Frage stellen könnte. (...) Auch die Forderung nach einer eingeschränkten Nutzung der Drittplattformen lediglich für sog. ,Teaser’, wäre nach der festgestellten grundsätzlichen Bedeutung der Drittplattformen und den Nutzungsgewohnheiten der Zielgruppe voraussichtlich von erheblichem Nachteil für den Erfolg des Jugendangebots.“

Die Übersetzung für Menschen, die „Drittplattformen“ nicht zu ihrem aktiven Wortschatz zählen: Das Angebot soll auch etwa auf Facebook und Youtube laufen, weil das die Orte sind, an denen sich diese jungen Menschen© aufhalten und es, übertragen gesprochen, wenig Sinn macht, den neuen Spielplatz im Garten des Altenheims zu platzieren, wo ihn die Zielgruppe nicht findet.

[+++] Keine Sorge: Wir kommen gleich zum Altpapierkorb. Aber vorher sei noch auf die eigentlich ja löbliche aktuelle Serie bei Meedia verwiesen, in der Marvin Schade und Thore Barfuss sich anschauen, wie diese Zentralredaktionen der Lokalverlage eigentlich funktionieren, von denen man sonst nur hört, wenn mit deren Einrichtung einhergeht, dass Journalisten ihren Job und Lokalzeitungen ihren lokalen Bezug verlieren. Denn wie viel Leipzig kann noch in der dortigen Volkszeitung stecken, wenn sie ihren Mantel aus Hannover bezieht?

Man merkt den drei Texten über Madsack, Funke und DuMont an, dass mit dieser Kritik im Hinterkopf an die Recherche herangegangen wurde. Doch am Ende ist doch viel Platz für das Wiedergeben von Unternehmens-PR draufgegangen – hier aus dem Text über das Madsackssche Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND):

„,Wir haben das Redaktionsnetzwerk gegründet, um die Qualität unserer eigenen Regionalzeitungen zu steigern’, erklärt RND-Geschäftsführer Uwe Dulias, der das Projekt als Entwicklungs-Chefredakteur mit aufgebaut hat. Das drücke sich, so ergänzt sein Chefredakteur Koch, durch die Bündelung der publizistischen Kraft und der Reichweite aus. Madsack beziffert sie bei einer Auflage von einer Million Exemplare auf rund drei Millionen Leser, durch die man einerseits größere Chancen auf besondere Interviews habe. Ein weiterer Vorteil sei eine ausgeruhte Herangehensweise an Themen. Politikredakteure könnten sich bei Hintergründen tiefer in das Thema einarbeiten, ohne die Inhalte auf die regionalen Unterschiede herunterbrechen zu müssen. Ein Argument, das gleichzeitig gerne als Kritik angeführt wird: kaum noch regionaler Bezug. Ein Vorwurf, den Koch nicht stehen lassen möchte: ,Wir versuchen, das Überregionale mit dem Regionalen möglichst intelligent zu verbinden.’“

Na dann ist doch alles gut.


Altpapierkorb

+++ Ist das noch das Altpapier oder schon das Bildblog ist eine berechtigte Frage angesichts der übermäßigen Präsenz des Blattes hier in den vergangenen Tagen. Wir versprechen: Das wird auch wieder besser. Aber einen haben wir noch! „Leid tut mir vor allem, dass es einigen wichtiger war, pseudo-ideologische Grabenkämpfe auszufechten als hier ein klares Zeichen zu setzen.“ (Kai Diekmann im Meedia-Interview zur Wir helfen“-Debatte). Wenn man sich von jemanden belehren lassen möchte, sich auf die Sache statt die Ideologie zu konzentrieren, dann doch vom Bild-Chef. +++

+++ Liliana Matthäus gehört jetzt nicht unbedingt zu dem Personal, das man hier im Altpapier oder sagen wir auf der Medienseite der SZ vermutete. Heute hat sie es aber genau dorthin geschafft – weil sich ab Mittwoch der Bundesgerichtshof damit beschäftigt, ob ihre Bekenntnisse kurz vor dem Ehe-Aus mit Lothar, die sie Sat1 in die Kamera sprach, so weltbewegend waren, dass ihre Verwendung im Vox-Magazin „Prominent“ auch ohne Sat1-Erlaubnis gerechtfertigt war. Falls Sie sich selbst ein Urteil bilden mögen: „Unerhörtes kam zutage (,Ich habe ihm meine Jungfräulichkeit geschenkt’), bestürzende Einsichten nach anderthalbjähriger Ehe (,Ich kenne diesen Menschen nicht’) und eine mithin verständliche Reserviertheit gegenüber dem Neuen (,Ich kenne ihn nicht so gut’).“ +++

+++ Das zweite Thema der Medienseite ist die Emmy-Verleihung vom Sonntagabend, die laut Jürgen Schmieder „170 Minuten lang eine nervige Veranstaltung“ war. +++

+++ Bei der FAZ beschränkt sich Nina Rehfeld zum gleichen Thema darauf, die Preisträger aufzuzählen. Der Aufmacher der Seite ist ein Interview mit dem Filmemacher Hubertus Koch, der erklärt, warum er in seiner sechsteiligen, auf Youtube verfügbaren Doku „Süchtig nach Jihad“ auf Emotionalität setzt: „Die Jungen erreiche ich nicht mit einer politischen Analyse. Außerdem gibt es einen furchtbaren Gewöhnungseffekt. Die Leute wissen bestenfalls, dass es in Aleppo nicht so geil sein kann. Mit konventionellen Mitteln breche ich das nicht auf.“ +++

+++ „Es ist immer dasselbe Spiel mit gefühlt immer denselben Akteur_innen: Rassistische Sprache wird geäußert, dies wird kritisiert, diese Kritik wird ins Lächerliche gezogen, bis am Ende alle wieder darüber lachen können – also die Weißen zumindest – und in ein paar Monaten geht alles wieder von vorne los.“ Über diesen Teufelskreis macht sich Daniel Doublevé bei Kleinerdrei ein paar Gedanken. +++

+++ Wenn die Berliner Zeitung sich Medienthemen besinnt, dann muss es wichtig sein. Wie der Jahrestag der Wiedervereinigung zum Beispiel, der zwar erst übernächsten Samstag begangen, aber schon ab heute mit Fernsehsendungen bedacht wird, wie die Berliner als äh, interessante Klickstrecke aufbereitet hat. +++

+++ „Die elfte DJV-Tagung ,Besser Online’ bot wie immer eine Vielzahl an sehr unterschiedlichen Themen zum aktuellen Stand des Journalismus.“ Einen schöneren Einstiegssatz hätte kein Lokaljournalist formulieren können. Wer wissen möchte, was denn nun diskutiert wurde, und ob für das leibliche Wohl gesorgt war, kann sich im Blog des DJV informieren. +++

+++ Wem es aktuell trotz Schließung mancher Bezahlschranke noch an Möglichkeiten fehlt, sein Geld im Netz für Inhalte loszuwerden, für den hat die europäische Ausgabe von Politico nun einige Angebote, schreibt u.a. DWDL. +++

+++ Dass Springer und ProSiebenSat1 auch ohne Fusion gemeinsame Sache machen können, beweisen sie gerade mal wieder mit der gemeinsamen Investition in die Virtual-Reality-Firma Jaunt VR (Pressemitteilung, DWDL, Meedia). +++

+++ Außerdem möchte Springer offenbar Business Insider übernehmen, wie das Handelsblatt meldet. +++

+++ Heute Abend bringt Sixx „Big Brother“ zurück, und die erste Kritik gibt es bereits jetzt, wie Alexander Krei bei DWDL schreibt: die Bewohner sind zu prominent. „Da wäre etwa der ehemalige Mr. Thüringen zu nennen, der es immerhin schon zu einer eigenen Wochenserie bei ,Punkt 12’ gebracht hat, oder der 21-jährige Tim Heilig. Dieser zählt schon vor seinem Einzug fast eine halbe Million Fans auf Facebook und ist in einer gewissen Zielgruppe also kein Unbekannter. Klassische Normalos sehen gewiss anders aus.“ Die dpa-Meldung zum Thema hat das Hamburger Abendblatt online gestellt. +++

Frisches Altpapier gibt es morgen wieder.