Manchmal möchte man doch bei der Bild-Zeitung anheuern. Also nicht wirklich, denn damit erscheint einem der Weg in die Hölle noch vorprogrammierter als etwa für den Erfinder von Kaffeepads und Selfiestick. Aber für Bild-Mitarbeiter ist die Welt einfach: Entweder, Du bist für uns. Oder Du bist gegen uns und damit gegen alles, für das wir sind.
„Kein Herz für Flüchtlinge: Schade eigentlich, @fcstpauli! #refugeesnotwelcome St. Pauli boykottiert ,WIR HELFEN’“,
twitterte gestern Kai Diekmann, dieser Logikkette folgend: Am Wochenende sollen alle Bundesligaclubs ihr Hermes-Logo am Ärmel mit dem der Bild-Aktion „Wir helfen“ tauschen. -> Der FC St. Pauli möchte das nicht. -> St. Pauli ist gegen Flüchtlinge.
In der Langfassung lässt sich diese Geschichte bei den 11 Freunden nachlesen; beim Bildblog kommt Moritz Tschermak zu folgendem Schluss:
„Gerade dem Kiezklub aus Hamburg vorzuwerfen, sie würden Flüchtlinge nicht willkommen heißen, ist selbst für Diekmannverhältnisse ausgesprochen dreist. Fans des FC St. Pauli standen schon mit ,Refugees welcome’-Aufnähern und -Transparenten im Stadion, als ,Bild’ und Bild.de noch gegen Ausländer und Asylbewerber zündelten.“
Der Verein selbst verweist in einem Statement auf genau dieses Engagement
(„Der FC St. Pauli ist seit vielen Wochen auf verschiedenen Ebenen zu einem Thema, das seit Monaten alle emotional bewegt, aktiv, um den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, zu helfen. Unser Testspiel gegen Borussia Dortmund, das private Engagement unserer Spieler sowie verschiedenste Aktionen unserer Fans und Abteilungen für die Flüchtlinge in Hamburg sind Beleg dafür. Daher sehen wir für uns nicht die Notwendigkeit, an der geplanten, für alle Clubs freiwilligen Aktion der DFL teilzunehmen.“);
seine Fans tragen auf dessen Facebookseite die Argumente, die gegen den Urheber der Aktion sprechen, nach (und beweisen nebenbei, dass man tatsächlich auch mit nachvollziehbaren Argumenten und richtiger Schreibweise bei Facebook kommentieren kann. In anderen Zusammenhängen drängten sich daran zuletzt Zweifel auf).
Es ist noch nicht allzu lange her – oder vielleicht schon ein wenig, damals trug Diekmann zur Hipsterbrille noch Bart -, da sah ich ihn auf einer Veranstaltung umringt von Journalistenschülern, die gerne ein Handyfoto von ihrem Idol machen wollten. Irgendwie hatte er es geschafft, mit kleinen äußeren Veränderungen vom schmierigen Bild-Mann zum Internetdarling zu werden. Doch eine neue Frisur ändert nichts an den Windungen im Kopf, und irgendwie ist es doch auch gut, dass Diekmann selbst ab und an daran erinnert, dass die von ihm verantwortete Zeitung auf der Sympathieskala noch hinter Gargamel, Sepp Blatter und Alexander Dobrindt rangiert.
Noch ein Beweisstück gefällig?
„Um ein Zeichen für die Flüchtlingshilfe zu setzen, hatte Hermes vom kommenden Freitag bis Sonntag bei allen deutschen Fußball-Profiklubs auf seine prominente Werbefläche verzichtet und dafür von den Klubverantwortlichen viel Lob geerntet. Hertha-Manager Michael Preetz: ,Wir Fußball-Bundesligisten müssen unseren Einfluss nutzen, um den vielen Flüchtlingen, die schon so unglaublich gelitten haben, zu helfen. ,Wir helfen – #refugeeswelcome‘ ist eine großartige Initiative, die wir sehr gern unterstützen!’ Schade, dass das nicht alle so sehen...“
So steht es bei bild.de. Wer sich darüber öffentlich aufregen möchte, dem sei die Verwendung des Hashtags #bildnotwelcome empfohlen.
[+++] Wer etwas verspricht, der muss es auch halten. Daher kommen wir jetzt, wie gestern angekündigt, zum neuesten Facebook-Zugang, bei dem es sich, wie wir zuerst lernen, nicht etwa um einen Gefällt-mir-nicht-Knopf handelt:
„Trotzdem werden User auch in Zukunft keinen klassischen Dislike-Button für ihr Facebook-Interface bekommen. Was Zuckerberg eigentlich meinte, war etwas anderes. ,Nicht jeder Moment im Leben ist ein guter Moment’, so Zuckerberg, weshalb es beim neuen Button vor allem darum ginge, Empathie für spezielle Augenblicke auszudrücken. (...) Auf Facebook geäußerte Meinungen und geposteter Content sollen also nicht einfach eine Möglichkeit zum Downvote erhalten, wie etwa bei Reddit oder bei Foren mit dem Daumen-hoch-/Daumen-runter-Prinzip. Facebook will einen anderen Weg gehen. Tatsächliche weitere Anwendungsgebiebte gibt es erst, wenn man weiß, wie das exakte Wording für die neue Möglichkeit, Gefühle abseits von ,Gefällt mir’ zu zeigen, lauten wird.“
So schreibt es Teresa Hammerl bei Vice, und sie muss es wissen, denn sie war dabei, als Marc Zuckerberg diese weltbewegende Nachricht verkündete.
Von dieser aus lassen sich nun verschiedene Analysewege gehen.
Beim Guardian hat man sich für die Ausfahrt Empathie entschieden und Roman Krznaric auf das Thema losgelassen, der nicht nur einen Bestseller, sondern auch ein Museum dieses Namens zu verantworten hat.
„Empathy must matter if it’s got Facebook’s attention. But what is it? As psychologists will tell you, it’s the ability to step into the shoes of another person, understand their feelings and perspectives, and – crucially – to use that understanding to guide our actions. Of course we should respond to a friend whose mother has just died or who has lost their job, but the best way to do it isn’t to click a button: it’s to pick up the phone and give them a call, or at the very least to write them a meaningful message. The danger is that an ,emote’ function will erode our efforts to genuinely communicate with others, leaving us both emotionally inarticulate and illiterate.“
Wenn wir unsere Fähigkeit zur Empathie an Facebook auslagern, werden wir so emotional unfähig, wie wir uns bislang nur als Teilnehmer des Straßenverkehrs aufführen. Das ist doch schon mal eine lebensbejahende Herangehensweise.
Bei der Süddeutschen Zeitung (Seite 2) fokussiert Simon Hurtz sich lieber auf Facebooks Beweggründe.
„Wer den Daumen nur für positive Nachrichten hebt, wird mittelfristig auch deutlich mehr schöne oder lustige Fotos und Videos zu Gesicht bekommen. Facebooks Algorithmen setzen den Nutzern eine rosarote Brille auf, selbst wenn diese lieber doch die reale Welt sehen würden. Aus Sicht von Facebook ist das der Beginn einer gefährlichen Entwicklung: Je weniger relevante Nachrichten die Nutzer bei Facebook finden, desto weniger Zeit verbringen sie dort, desto weniger Werbung wird ihnen angezeigt, desto weniger Geld erhält Facebook. Dem könnte ein Mitgefühl-Knopf entgegenwirken.“
Dieser Argumentation folgend wittert man bei den ganz speziellen Facebook-Freunden von der FAZ schon Morgenluft:
„Ob das reicht, um das Suchtpotential des sozialen Netzwerks weiterhin hochzuhalten? Der Schritt kommt spät, und junge Kunden sehen die Seite längst nicht mehr als trendig an. Im Internet wechseln die Vorlieben schnell. Hier sind auch eine Milliarde Nutzer kein Garant für immerwährenden Erfolg“,
schreibt Thiemo Heeg im Wirtschaftsteil (Seite 26), während Ursula Scheer die Gelegenheit nutzt, sich auf der Medienseite noch einmal generell an dem Unternehmen und den Nachrichten der vergangenen Wochen abzuarbeiten:
„Eine Anerkennung der komplexen Realität wäre, wenn in den Büros von Facebook echte Menschen rassistische Beiträge und demokratiefeindliche Hetze herausfiltern würden, statt es Computerprogrammen zu überlassen, das Netzwerk nach nackten Brüsten (Achtung, stillende Mütter) abzuscannen. Doch Zuckerberg setzt auf künstliche Intelligenz. Ein Komplexitätsgewinn wäre es weiterhin, wenn Facebook Gespräche mit der Politik in dieser Sache nicht ins Leere laufen ließe. Da könnte es einem schon fast egal sein, dass ,Gefällt mir’ und ,Mitgefühl’ nichts weiter sind als Verstärkermodule für mediale Erregungskurven.“
Den schönsten Satz in diesem Zusammenhang hat aber die dpa bei dem Versuch formuliert, auch noch die anderen von Zuckerbergs Marc angesprochenen Themen im Artikel unterzubringen:
„In Antworten auf andere Fragen sagte Zuckerberg unter anderem, dass er an eine positive Rolle künstlicher Intelligenz in der Zukunft glaube und sich als werdender Vater für seine Tochter eine Welt ohne Krieg und unnötigen Schmerz wünsche.“
Nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie sich nach dieser Zusammenfassung noch nicht umfassend informiert fühlen, empfiehlt sich ein Blick auf die Seite 2 der SZ, wo die Sache mit der künstlichen Intelligenz ausführlicher aufgedröselt wird.
Der Wunsch nach Weltfrieden ist hingegen sicher selbsterklärend.
+++ Bereits in der vergangenen Woche ist Rudolf Radke gestorben, dessen Beruf in seinen Nachrufen, etwa bei DWDL und dem Tagesspiegel, als „Vater der ‚heute’-Nachrichten“ angegeben wird. +++
+++ „Der WDR muss sparen und Stellen abbauen, ist aber immer noch so groß, dass der Pförtner, wie ich gerade feststellen musste, nicht weiß, wer Herr Buhrow ist.“ Ist die schöne Einstiegsfrage Michael Hanfelds in sein Interview mit Tom Buhrow, das den Bogen vom Finanzbedarf über Thomas Gottschalk und die „Lindenstraße“ bis hin zum WDR-Kunstfundus zu schlagen vermag und auf der FAZ-Medienseite steht. +++
+++ Der DJV hat zwar in manch einem Landesverband ein Problem mit Stasi-Vergangenheiten, aber keins damit, seinen Mitgliedern schöne Presserabatte zu vermitteln. Das – und wie Redaktionen das handhaben – war gestern Thema bei Zapp. +++
+++ „Eine gute Heimatberichterstattung ist eben auch was wert, das weiß der Regionalmedien-Spezialist Funke. Im zweiten Jahr nach dem Wechsel kann man jedenfalls feststellen, dass das Medienhaus keine wilden Sachen macht mit seiner prominentesten Neuerwerbung.“ Schreibt Thomas Hahn heute auf der SZ-Medienseite über das mittlerweile zu Funkes gehörende Hamburger Abendblatt. +++
+++ Außerdem auf der Seite – und jetzt halten Sie sich fest: eine Rezension des neuesten Serienzugangs von Sony Entertainment TV! Aber wenn „The Honourable Woman“ synchronisiert nach Deutschland kommt, gehört das wohl so. +++
+++ Die Serienbesprechung der Tages bei der FAZ: „Mr. Robot“ („ist bei iTunes verfügbar“). +++
+++ By the way: Wer in den USA lebt und für Amazon Prime bezahlt, bekommt nun für sechs Monate die digitale Washington Post gratis dazu. Am besten an der Pressemitteilung der Zeitung gefällt mir, glaube ich, dass darin nicht erklärt wird, was Amazon Prime, aber sehr wohl, was die Washington Post ist („an award winning news organization with more than 60 Pulitzer Prizes, offers readers engaging national and international reporting, striking photography, and informative graphics. It combines journalism with the latest technology and tools so readers can engage with trustworthy news at any time.“). Karoline Meta Beisel und Viola Schenz meinen dazu in der SZ: „Allerdings drängt sich die Frage auf, welchen Wert Bezos seiner Zeitung eigentlich beimisst, wenn er sie für derart wenig Geld unter die Leute bringt. Der Qualitätsjournalismus, für den die Post bekannt ist, lässt sich von 3,99Dollar pro Monat jedenfalls nicht finanzieren.“ +++
+++ Für den Tagesspiegel hat Bernhard Pörksen, den wir hier beim Altpapier als Bernd, das Pörk kennen und schätzen, aufgeschrieben, was er von Facebooks Umgang mit den Hassbotschaften hält. +++
+++ „Eine interessierte Community aufzubauen, ist ganz schön schwierig in Zeiten von vielen etablierten Marken wie ,Zeit’, ,Spiegel’ und ,Bild’“, ist nur eine von vielen Erkenntnissen, die Pauline Tillmann für Message aufgeschrieben hat. Warum? Weil sie Anfang August vor ihrem selbstgegründeten Online-Magazin Deine Korrespondentin die Bezahlschranke heruntergelassen und seitdem sensationelle zehn zahlende Leser gewonnen hat, wie sie ebenfalls berichtet. +++
+++ Apropos Paywall: Diejenige, die die Krautreporter jetzt herunterlassen wollen, sei nicht das Problem der Zeitung, meint Georg Altrogge bei Meedia: „Die Krautreporter vermittelten das Bild einer Mitmach-Plattform freier Journalisten. Das war vielleicht genug, um einen Achtungserfolg zu landen; es ist definitiv zu wenig, um ein Medium auf Dauer am Markt zu halten.“ +++
+++ Mann, Mann, Mann. Das Zeitungen, je nach plötzlich gebuchten oder gestrichenen Anzeigen, gerne mal weit im Voraus ein Fernsehereignis ankündigen, daran haben wir uns gewöhnt. So extrem wie beim Tagesspiegel läuft es aber normalerweise nicht, der schon heute auf den „Mord mit Aussicht“-Film hinweist, der am 28. Dezember laufen soll. Als Grund wird dessen Präsentation beim Krimi-Festival „Tatort Eifel“ genannt und gleich die Gelegenheit genutzt, über die Zukunft der Serie zu spekulieren. +++
+++ Zum Abschluss noch die Top-Erkenntnis, dass die FAZ tatsächlich Menschen einlädt, um sie diskutieren zu lassen, ob das Internet böse sei. Das Journal Frankfurt hat den Spaß dokumentiert und ich frage, was als nächstes kommt: Ist das Fax böse? Ist Papier böse? Oder sind es etwa alte, weißhaarige Männer in Frankfurter Schreibstuben, die jemandem böse sind, nämlich dem Netz? Wir bleiben dran. +++
Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.