Seit gestern wird zurückgesprochen
Facebook trifft sich mit Heiko Maas, aber entscheidet selbst. Das System Blendle braucht mehr Paywalls. In Österreich zahlt man in Popularität. Flüchtlinge müssen vielleicht Joachim Herrmann fürchten, aber nicht die GEZ. Trifft ein Jäger einen Radfahrer.

Immerhin: Heiko Maas hatte mehr Erfolg, bei Facebook mit echten Menschen zu sprechen, als beispielsweise Axel Schröder. Der Autor des Deutschlandsfunks hatte im August versucht, mit dem Internetkonzern über Fragen des Löschens oder Nicht-Löschens von Posts zu diskutieren, und darüber im Blog des Senders berichtet. Als problematisch erwies es sich dabei, überhaupt den Hamburger Firmenstandort zu finden, von gesprächsbereiten Menschen ganz zu schweigen.

Facebook ist etwas, wo man, aber nicht mit dem man kommuniziert, lautete die Botschaft des Textes. In den vergangenen Wochen bekamen wir sie vielfach bestätigt, etwa indem die Autorenschaft der Perlen aus Freital Dummheit und Hass freien Lauf lassen konnte, ohne dass das Unternehmen an Sätzen wie „Ganz ehrlich totschlagen die Ratten“ oder „schade nur das diese art der abfallbeseitigung verboten ist sonst hätte ich mir schon lange ne kalaschnikof besorgt und in berlin die assiheime mal aufgeraumt“ Anstoß nahm.

(Warum Menschen, die vorgeben, dieses Land übermäßig zu lieben, nicht einmal dessen Sprache beherrschen, werde ich nie verstehen.)

Doch nicht jeder sieht das so entspannt wie Facebook, und so traf man sich nun gestern mit dem deutschen Justizminister, was nicht bedeutet, dass das mit der Kommunikation perfekt geklappt hätte. Denn was man angesichts des Hasses zu tun beabsichtigt, wurde bereits vor dem Termin verkündet.

Es fasst zusammen: Fabian Reinbold bei Spiegel Online:

„Laut einer Sprecherin gehören zu den Maßnahmen die Einsetzung einer Task Force zum Umgang mit Hassrede, die Partnerschaft mit der ,Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter’ und eine Kampagne, um ,Gegenrede’ gegen Hetze in Deutschland zu fördern.“

Aber:

"Damit bleibt Facebook deutlich hinter dem zurück, was Justizminister Heiko Maas (SPD) gefordert hat. Maas fordert unter anderem, dass Facebook auch in Deutschland ein Team beschäftigen soll, das als Hetze gemeldete Beiträge untersucht, und dass die Zahl der gemeldeten Kommentare offengelegt wird. Dazu nahm die Firma nicht explizit Stellung. Facebook betont, dass deutsche Kommentare auch von Muttersprachlern geprüft würden - hat dafür aber in Deutschland selbst keine Mitarbeiter eingestellt.“

Ob man, um das Ausmaß des Hasses abzuschätzen, unbedingt die Facebooksche Löschstatistik braucht, oder ob dafür nicht auch beispielsweise die Zahl der angezündeten Flüchtlingsunterkünfte herangezogen werden könnte, ließe sich diskutieren. Doch stattdessen widmen wir uns noch kurz der Frage, ob die versprochenen Maßnahmen sinnvoll erscheinen.

„Solche Hassparolen werden durch die von Facebook nun vorgelegten Maßnahmen sicher nicht aus dem sozialen Netzwerk verschwinden, sondern weiter von Nutzern gepostet. Aber vielleicht trägt die Kampagne zu einer Sensibilisierung der Nutzer bei, dass sie Kommentare voller Hass und Hetze schneller melden. Diese dann aber umgehend zu löschen, bleibt weiterhin die Aufgabe von Facebook“,

meint Sonja Álvarez im Tagesspiegel. Simon Hurtz gibt sich in der SZ (Politikteil S. 6) noch kritischer:

„,Die Lösung kann nicht sein, dass man Menschen das Sprachrohr nimmt’, sagt eine Sprecherin. Statt Zensur zu fordern, sollten die Nutzer Counter Speech betreiben. Also Dialog und Argumente statt Löschen - auch bei Menschen, die ,alle diese Sozialschmarotzer ins Gas schicken’ wollen. Nach Facebooks Logik sind solche Kommentare keine ,glaubwürdige körperliche Bedrohung’ gegen einzelne Personen.“

Halten wir fest: Was überall justiziabel ist, sollte es auch bei Facebook sein. Aber indem man Menschen, die aus dem Jahr 1939 zu uns gereist scheinen, ihr Sportpalastgedächtnisvokabular streicht, wird man weder sie noch ihr Gedankengut los.

Heiko Maas beschreibt in einem, äh, Facebookpost, die Ergebnisse als „gut“ und verliert kein kritisches Wort. Vielleicht auch, weil sich das Unternehmen bei Themen, bei denen es nicht um Rassismus geht, wesentlich löschfreudiger erweist (Achtung, dies ist eine Überleitung). Zum Beispiel bei nackten Brüsten. Was die Berliner BZ gestern dazu veranlasste, sämtliche Facebookposts mit genau diesen zu versehen (für Belege bitte hier sehr weit nach unten scrollen).

Chefredakteur Peter Huth erklärt mit Bezug auf die rechte Hetze:

„Bislang hat Facebook bis auf Einzelfälle nicht darauf reagiert, dass immer mehr Nutzer das Unternehmen auch in einer Verantwortung für die Inhalte sehen, die veröffentlicht werden. Auch die B.Z. ist dieser Meinung. Wir meinen, dass für Facebook und Twitter die gleichen Standards gelten sollten wie für Medienunternehmen. Rigoros geht der Konzern allein gegen Inhalte im sexuellen Kontext vor. Begründung: User könnten sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt sehen. Übersetzt heißt das: Man kann Muslimen den Anblick eines Aktes (beispielsweise die ,Geburt der Venus’) nicht zumuten, durchaus aber Hass, Hetze und kollektive Morddrohungen.“

Yep. Bei Facebook tobt der rechte Mob und die BZ erkennt das als Chance für schamlose Eigen-PR und Verlegerlobbyismus.

Der Springer-Verlag enttäuscht eben nie.

Bleibt nur die Frage, warum sich die Zeitung nicht bei ihrer Schwester namens Bild bediente, die über eine ausreichende Anzahl an Fotos von echten Brüsten verfügen sollte, sondern stattdessen jahrhundertealte Ölgemälde ins Rennen schickte, an denen nicht mal Facebook Anstoß nahm. Oder, wie Huth es in seinem Fazit formuliert:

„Ein kleiner Sieg für die Freiheit, ein großer Triumph für die Kunst!“

Franz Josef Wagner hätte es nicht besser sagen können.

[+++] Wechseln wir das Thema endgültig und kommen zum nun in Deutschland gestarteten Online-Kiosk Blendle und dem, was nach dem quasi-monothematischen Altpapierkorb gestern noch hinzuzufügen wäre: nämlich die vermeintliche Sollbruchstelle des Projektes.

„So schön es ist, wenn ich nun das fulminante Essay oder das eindrucksvolle Dossier aus der Zeitung kaufen kann — wie zufrieden bin ich noch, wenn ich dann feststelle, dass ich das Stück auch kostenlos online hätte lesen können, vielleicht sofort, vielleicht ein paar Tage später? Weicht das angenehme Gefühl, sich auf einer Plattform zu bewegen, in der man guten Journalismus entdecken kann, dann nicht dem Eindruck, dass man immer wieder unnötig Geld ausgibt? Konsequent wäre es, wenn Verlage, die ihre kostenpflichtigen gedruckten Inhalte über Blendle anbieten, sie nur noch in Ausnahmefällen frei online stellen — aber dafür möchte ich aus Leserperspektive (und als Journalist, der sich möglichst viele Leser für seine Artikel wünscht) auch nicht plädieren“,

schreibt Stefan Niggemeier in seinem Blog.

Machen wir noch einmal einen Schritt zurück zu den Gründen, die Marten Blankesteijn Blendle gründen ließen, wie er im Interview mit der Medienwoche erklärt:

„Im Web gibt es zwar tonnenweise Lesestoff. Doch die überwiegende Mehrheit der journalistischen Texte sind verhältnismässig kurze und schnell geschriebene Artikel aus dem Nachrichtenbereich. Das ist zwar hilfreich um zu verstehen, was in der Welt gerade läuft. Aber warum etwas geschieht, erfährt man so nicht. Dafür braucht es eben andere Angebote. Wenn das Angebot klar besser ist als das, was es kostenlos im Web sonst gibt, sind die Leute auch bereit, dafür zu zahlen.“

Betonen wir mal das Wort „wenn“ und schalten zu dem, was Jochen Wegner bei Meedia zum gestern – mit einigen technischen Wacklern - erfolgten Relaunch von Zeit Online sagt:

„,Wir hatten zwei Leitmotive für den Relaunch: einerseits unser massives Mobil- und Social-Wachstum, andererseits den Wunsch unserer Leser nicht nur nach Tempo, sondern nach Tiefe’, erklärte Wegner. ,Das stellte uns einerseits vor die Frage, wie wir unsere Site besser darauf abstimmen können, und andererseits, ob wir einen völlig neuen Journalismus brauchen.’ Die Konsequenz daraus ist, dass die Berliner einige neue Formate – wie zum Beispiel das Live-Dossier – entwickelten, die genau auf dieser Erkenntnis aufsetzen.“

Ganz recht: Mittlerweile setzt jeder auf Erklärstücke mit Tiefe, und es gibt keinen Grund, für diese zu bezahlen, solange sie jemand kostenlos anbietet. Was nicht heißt, dass Blendle eine schlechte Idee ist. Sie hätte nur vielleicht vor 20 Jahren schon jemand haben können.

[+++] Ob Leser online für Inhalte bezahlen, muss sich also noch beweisen. Dass deren Erstellung nicht kostenlos erfolgen kann, erschien hingegen gesichert. Nur bis zur österreischischen Kronen Zeitung hat sich das offenbar noch nicht rumgesprochen – gestern veröffentlichte sie eine DWDL-Kritik von Hans Hoff mehr oder weniger 1:1, und das mit einer Begründung, die so frech ist, dass sie hier trotz fortgeschrittener Länge dieses Altpapiers nicht fehlen darf (Quelle: Horizont.at).

„Gegenüber HORIZONT erklärt Richard Schmitt, Chefredakteur Krone Multimedia und Berater des Herausgebers, dass man sich keines Fehlverhaltens bewusst ist. Man habe die Kritik nicht als eigene Leistung verkauft und ohnehin werde man auch nicht gefragt, wenn teilweise ganze Absätze aus eigenen Artikeln von fremden Medien übernommen würden. Hoff sei laut Richard außerdem ein ,Künstler, der davon lebt gelesen zu werden’. Man verhelfe ihm durch die Veröffentlichung zu mehr Popularität. Dass der daran gar kein Interesse hat oder zumindest vorher gefragt werden will interessiert Schmitt offenbar nicht. Man habe außerdem nicht die Zeit, immer bei Autoren nachzufragen, wenn man Artikel oder Text-Ausschnitte von ihnen verwende (sic!), so Schmitt. Der Krone-Multimedia-Chefredakteur ist sich sicher, dass das Vorgehen durch das Zitatrecht gedeckt sei.“

Ich dachte ja bislang, in Österreich hätte man den Euro. Aber Popularität ist natürlich auch ein schöner Name für eine Währung.


Altpapierkorb

+++ Falls Sie spätestens an dieser Stelle ein paar Worte über den gestrigen ARD-Themenabend Flüchtlinge vermissen: Nach fünf Minuten Brennpunkt mit Sigmund Gottlieb und Joachim Herrmann hat sich ein Hirn selbst heruntergefahren. Sorry. Kollege Frank Lübberding hat für faz.net bis „Hart aber fair“ durchgehalten. +++

+++ Für die Menschen, die derzeit mit Stapeln an unverständlichen Formularen kämpfen müssen, um zu klären, ob Ihnen hier Asyl gewährt wird, gibt es gute Nachrichten: Zumindest Post von der GEZ bleibt ihnen erspart: Nach dem Rundfunkbeitragsstaatsvertrag steht Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, eine Befreiung vom Rundfunkbeitrag zu“, heißt es in der Pressemitteilung der öffentlich-rechtlichen Sender (die nebenbei den ersten Platz im Wettbewerb um die sperrigste Behördensprache belegt. Und das will was heißen). +++ 

+++ „Main(e) Kleine“. Yep. Das ist wirklich der Name, unter dem die Bild-Zeitung eine Tabloid-Version ihrer selbst ab Oktober in Frankfurt verkaufen möchte. Es berichten Horizont, DWDL und Meedia. +++

+++ Da wir gerade von der Bild-Zeitung sprechen: Wie diese es schafft, einerseits Ressentiments zu schüren und andererseits Flüchtlinge willkommen zu heißen, erklärt Stefan Niggemeier im Interview mit dem Deutschlandradio Kultur. +++

+++ Nach dem DJV Sachsen-Anhalt (siehe Altpapierkorb) hat nun auch der Landesverband aus Berlin seinen Stasi-Skandal, Chef Bernd Lammel sei Dank. „Den Dokumenten zufolge soll Lammel seit 1984 Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR gewesen sein und den Decknamen ,IM Michael’ getragen haben. Eingesetzt wurde er demnach in der Hauptabteilung II, also der Spionageabwehr “, hat der RBB herausgefunden.  U.a. Tagesspiegel und kress.de greifen die Geschichte auf. +++

+++ „Die werdende oder gewordene Mutter soll ,Brigitte Mom’ kaufen, für Frauen jenseits der 40 ist ,Brigitte Woman’ gedacht, ,Brigitte Young Miss’ gibt es seit ein paar Jahren nur noch im Internet. Jetzt kommt noch ein Heft dazu: ,Brigitte Wir’ hieß bei seiner Ankündigung vor ein paar Monaten noch ,Brigitte Paris’, was aber egal ist, weil wirklich hübsch ja vor allem die Unterzeile ist: ,Das Magazin für die dritte Lebenshälfte’. Stünde so etwas in einer Lokalzeitung, würde es vermutlich im „Hohlspiegel“ landen.“ So steht es heute auf der Medienseite der SZ, begleitend zu einer schönen Grafik, welche Zeitschriften Frauen zwischen 3 und 93 so zu lesen haben.“+++

+++ Außerdem in der SZ: Max Hägler ist recht angetan von der neuen ARD-Miniserie „Huck“ über den gleichnamigen Privatdetektiv, die nun dienstags um 18.50 Uhr läuft. +++

+++ Auch die FAZ hat bekanntlich ein Herz für Serien. Heute dürfen das Oliver Jungen an der zweiten Staffel „Lerchenberg“ („Das ZDF kann Selbstironie, auch da, wo es weh tut“) sowie Michael Hanfeld an „Frauenherzen“ („Klischees, einmal gegen den Strich gebürstet, von links auf rechts gewendet und locker beiseitegestellt, darauf versteht sich die Serie“) und „Josephine Klick – Allein unter Cops“ (beide: Sat1) ausleben. +++

+++ Den Krautreportern (Offenlegung: für die ich auch schon geschrieben habe) scheint nach einer eher ruhigen Phase offenbar der Gegenwind gefehlt zu haben. Daher haben sie am Wochenende verkündet, eine Paywall hochziehen zu wollen. +++

+++ Wer zum Abschluss noch wissen will, was die Geschichten sind, die deutsche Lokalzeitungen unbedingt groß im Blatt haben wollen, folge diesem Link zum Twitteraccount des stellvertretenden Chefs der Lübecker Nachrichten. Spoiler: Es sind Enten und ein Jäger beteiligt. +++

Frisches Altpapier gibt es morgen wieder.