Apple erwägt vielleicht was!
Sollte Glenn Greenwald die Snowden-Dokumente auch anderen zur Auswertung zur Verfügung stellen? Welche Folgen hat die Machtposition von Google, Facebook und Co. für Lokalzeitungen? Ist „die noble Empfindlichkeit eine enge Verwandte der schäbigen Zimperlichkeit“? Außerdem: Repressionen gegen Journalisten in der Türkei und Aserbaidschan.

Waren Markus Beckedahl und Andre Meister von netzpolitik.org in den letzten Wochen so was wie „Rockstars“? Als Motiv für eine fetzige Einstiegsfrage taugt diese Spielerei allemal, weshalb also der notorisch fetzige Richard Gutjahr im großen Nachbetrachtungsinterview zur Landesverrats-Affäre im journalist fragt:

„Wie fühlt man sich so als Rockstar?“

Beckedahl ordnet in dem Gespräch die Affäre in einen größeren rechtlichen Zusammenhang ein: 

„Dass (...) mit Landesverrat gegen uns geschossen wurde, war ja quasi der Versuch, das Cicero-Urteil von 2007 zu umlaufen. Das Verfassungsgericht hat damals festgestellt, dass man wegen einer bloßen Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses nicht wegen des Verdachts auf Beihilfe zum Geheimnisverrat gegen Journalisten vorgehen kann. Mit dem Landesverrat ging Verfassungsschutzpräsident Maaßen einfach eine Stufe höher. Und wenn er damit durchgekommen wäre, hätte das künftig für jeden investigativen Journalisten ein Damoklesschwert sein können – und das war wohl vielen bewusst (...) Von einigen konservativen Zeitungen abgesehen war es allen vollkommen egal, ob wir uns jetzt Blogger nennen oder sonst wie. Alle waren der Meinung, wir seien Journalisten, stehen unter der Pressefreiheit. Das war schon schön.“

Nicht so schön war, daran erinnert Andre Meister dann auch noch mal, wie sich der eine oder andere allgemeine Frankfurter aufführte (siehe Altpapier):

„Diese ganze Diskussion um Blogger, Journalisten – das ist so 2007. Darüber sind wir längst hinweg (...) Die ersten, die uns unterstützt haben, waren die Journalistengewerkschaften. Und dann haben auch das Innenministerium, das Justizministerium und das Kanzleramt gesagt, dass wir Journalisten seien. Was dann irgendwelche Leute in der FAZ schreiben, das kann man in dem ganzen Diskurs komplett vernachlässigen.“

[+++] Zu netzpolitik.org äußert sich auch Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison in einem ebenfalls ausführlichen Interview, das Sonja Peterandls mit ihr für die September-Ausgabe der deutschen Wired geführt hat:

„Immerhin gab es in diesem Fall mehr Aufmerksamkeit als damals, als der Geheimdienst zum Büro des Guardian ging und die Festplatte zerstört hat. Immerhin reagiert Deutschland, während man sie in England einfach damit davonkommen lässt.“

Hach, dieses Deutschland, in mancher Hinsicht ist es doch relativ supi.

Sarkasmus off. Die Kernaussage des Interviews besteht in der Forderung nach „einer Art Flüchtlingskonzept“ für Whistleblower:

„Wenn man dieses Typus von westlichen Dissidenten zu einer Gruppe von Verfolgten machen könnte, die sich für Asyl qualifiziert, wäre das ein großer Schritt“,

meint Harrison. Aus medienjournalistischer Sicht am interessantesten ist eine Glenn-Greenwald-kritische Passage des Interviews

„Greenwald zufolge wurden bisher nur ein Prozent der Snowden-Dokumente veröffentlicht — erstaunlich wenig für zwei Jahre und einen weltweiten Skandal“,

bemerkt Peterandl. Harrison antwortet nicht undiplomatisch:

„Glenn macht einen tollen Job als Journalist, aber es sind viele Dokumente und es ist zu viel für eine Person — und es betrifft die ganze Welt. Ich verstehe sein Argument, dass er die Dokumente sorgfältig bearbeiten will. Aber ich habe auch den Vorteil erlebt, der sich daraus ergibt, wenn viele Menschen interagieren und mit den Dokumenten arbeiten können. Auch wenn Journalisten eine wichtige Rolle haben, ist es sehr arrogant, davon auszugehen, dass nur ein Journalist dir sagen kann, was wichtig für dich ist — sie sind nicht die einzigen, die ein Dokument erklären können (...) Deswegen wäre es gut, wenn mehr veröffentlicht werden würde. Aber ich verstehe auch, dass sich viele gute journalistische Storys in dem Material verbergen und Glenn Headlines haben möchte.“

[+++] Kommen wir zu einem Land, in dem viele Journalisten vielleicht gern die Sorgen hätten, die Markus Beckedahl und Andre Meister kürzlich hatten: die Türkei. Mit den dortigen Repressionen gegen Medienmacher befassen sich aktuell mehrere Kollegen. Deniz Yücel (Die Welt) stellt die Verhaftung der britischen Vice-News-Reporter Jake Hanrahan und Philip John Pendlebury in den Mittelpunkt:

„Ein Gericht entschied, dass sie bis zu ihrem Prozess in Haft bleiben müssen. Vorgeworfen wird ihnen die Unterstützung des IS – und der PKK. Dass die PKK in Syrien wie im Irak erbittert gegen den IS kämpft, scheint sich nicht bis zum Gericht herumgesprochen zu haben. Es scheint, als wollten die Richter die Lesart der türkischen Regierung stützen, wonach der IS und die PKK dasselbe seien, und könnten auf Petitessen wie mangelnde Beweise keine Rücksicht nehmen.“

Der Standard und die FAZ legen ihren Fokus dagegen auf eine Razzia, die „eine Sondereinheit des Finanzministeriums“ (FAZ) in den Büroräumen der Medienholding Ipek durchführte. Anlass dürfte ein Artikel gewesen sein, der am Dienstag in Bugün, „einer kleinen konservativ-islamischen Tageszeitung“ (Der Standard), erschienen ist und „angebliche Waffenlieferungen aus Ankara an den IS“ (FAZ) zum Thema hatte. Der Standard nimmt die aktuellen Ereignisse zum Anlass, auf die generellen „Schwierigkeiten“ der Journalisten in der Türkei einzugehen:

„Bei der ehemals liberalen Tageszeitung Milliyet wurden Ende August fünf regierungskritische Journalisten entlassen. Sözcü, ein vielgelesenes kemalistisches Oppositionsblatt, erschien am Dienstag mit leeren Spalten auf der Titelseite und der Schlagzeile: ‚Wenn Sözcü verstummt, dann verstummt die Türkei.‘ Rund 60 Prozesse wurden allein im vergangenen Jahr gegen Sözcü-Journalisten eröffnet, beklagte die Zeitung.“

[+++] Dass die Zukunft des Lokaljournalismus düster ist, ist keine neue These. Eine Analyse, die Joshua Benton angesichts der aktuellen Entwicklungen in den USA für den Nieman Report geschrieben hat, enthält dennoch einige aufschlussreiche, allemal prägnant formulierte Bemerkungen und Einschätzungen:

„The most important job that local news has done for decades — providing a degree of accountability to thousands of local communities across the country — is increasingly going undone. And the chances of any true digital substitute arising seem to be on the decline.“

Die digitale Zukunft der Verlage ist nämlich nicht mehr das, was sie vielleicht einmal war:

„It’s anecdotal, but my private conversations with leaders of newsrooms across America have taken a turn for the depressing. I hear worries that, at a point when some newsrooms are finally making a shift toward digital-first workflows and structures, the digital business they were chasing is disappearing. Many of their small reasons for optimism the past few years, like paywalls, have faded.“ 

In der instruktivsten Passage geht Benton der Frage nach, welche Folgen die Macht von Google, Facebook und Co. für kleinere Medienunternehmen hat. Das scheint mir ein unterrepräsentierter Aspekt zu sein (wohingegen wir über die Folgen für die Springers dieser Welt schon viel haben lesen dürfen). Benton schreibt:

„We live in a time when there are honest questions whether companies like Twitter (...) have a big enough share of our attention to have legitimate advertising businesses. If Twitter may not be big enough for advertisers, how can The Shreveport Times be? The local advertisers who might have been the life’s blood of local news sites seem happy to advertise on Facebook instead. That trend is likely to continue as more of our online time shifts to smartphones, where Google and Facebook combine to make an estimated neraly 70 percent of all the advertising revenue on the planet Earth. Local news sites are disproportionately likely to be clunky and slow, a real issue on mobile devices, and they generally have terrible technology for targeting ads at readers.“

Kurz vor Schluss blickt Benton noch einmal zurück:

„There was a vision of the Internet, in the late 1990s and early 2000s, that imagined that the little guys could be winners. Reaching an audience would no longer mean owning a printing press (...) — it would simply mean posting to the web, using free or cheap tools, and letting the Internet’s power to connect audiences and publishers do the rest. A tiny blog could be as powerful as a giant media company!“

Diese Vision dürfte der eine oder andere Wanderprediger immer noch im Angebot haben, die Zahl der Gläubigen könnte allerdings mittlerweile geschrumpft sein, denn 2015 sieht‘s ja so aus:

„The free and open web, architected for equal access, is (...) dominated by a few large media companies who, in turn, are dominated by a few large technology platforms (...) And it’s entirely unclear, in that context, how most local communities — the cities and towns where we live, work, and play — will find the information they need to thrive.“

[+++] Und nun begrüßen wir auch die Leser, die heute nur reinschauen wegen Jockel Herrmann, derzeit Bavaria‘s most famous Urviech. Am Montagabend (siehe Altpapier) ist er bekanntlich aufgefallen mit einem Satz, 

„wie ihn sich Gerhard Polt nicht besser hätte ausdenken können für einen depperten Lackl am Biertisch, der etwas vorgeblich Ausländerfreundliches sagen will, dabei aber nur den eigenen Rassismus entlarvt“.

So formuliert es Stefan Kuzmany (Spiegel Online).

Der anregendste Kommentar stammt von Hermann Unterstöger (SZ), er hat eine elaborierte Abwägung verfasst. Dass er den Fall aus mehreren Perspektiven beleuchtet, hat mehrere Gründe: „Die sozialen Netzwerker mit ihren krassen Urteilen“ findet er nicht so prima, weshalb er den Herrn Minister gegen die „im Netz obwaltende Dumpfköpfigkeit“ ein bisschen in Schutz nehmen muss. Nicht zuletzt ist Unterstöger Bayer:

„Schaden entsteht aus der Lappalie nichtsdestoweniger, indem man es erstens der CSU (und mit ihr den Bayern) wieder einmal hinreiben kann, dass sie in der politischen Kultur leider noch recht rückständig seien.“ 

Jenseits derlei Folklore wird es aber interessant:

„Das eigentlich Üble an der Sache (ist), (dass) der Vorfall dem im Volk weit verbreiteten Ressentiment Nahrung (gibt), dass die freie, kernige Rede unterdrückt werde und dass die Empfindlichkeit das Hin und Her unserer Kommunikation bestimme. Dahinter stecken zwei Annahmen: dass die freie, kernige Rede von Natur aus auch gerecht und anständig ist und dass die noble Empfindlichkeit eine enge Verwandte der schäbigen Zimperlichkeit ist.

Man kann die Sache als Bayer aber auch ganz anders sehen als Unterstöger, zum Beispiel so wie Andreas Rüttenauer (taz):

„In ihrer ewigen Mia-san-mia-Besoffenheit träumen sie von einem abgeschotteten Bayern. Sie ziehen mentale Mauern hoch, die kein Flüchtling so schnell wird überwinden können. Und das ist es, was Joachim Herrmanns Äußerung über Roberto Blanco, neben der rassistischen Entgleisung, die sie zweifelsohne darstellt, so geschmacklos macht. Das ist es auch, was die Politik der CSU bisweilen beinahe unappetitlich macht. Für die ist schnell ein Motto gefunden: Das Mia entscheidet. Und wie schwer es ist, von der CSU zum Mia dazugezählt zu werden, das wurde bei Herrmanns Auftritt bei ‚Hart aber fair‘ nur allzu deutlich.“

Aufwallungen, wie sie Äußerungen wie die Herrmanns nach sich ziehen, veranschaulichen ja oft auch recht gut die Mechanismen und Marotten des heutigen Onlinejournalismus. Besonders hübsch ist diesbezüglich die Zwischenüberschrift dieses ND-Beitrags:

„Update 11.15 Uhr: Netz kritisiert Herrmann.“ 

Und wer wird nun der nächste Herrmann? Möglicherweise seine bayerische Ministerkollegin Emilia Müller, zuständig für Soziales. Eine Frau, die so herzenswarm ist, dass sie dereinst wohl verglühen wird.


Altpapierkorb

+++ Fast subversiv zu nennen ist die Überschrift der Online-Version eines FAZ-Medienseitentextes: „Apple soll Produktion eigener Serien erwägen.“ Selten ist Geraune schöner verdichtet worden. „Soll erwägen“ heißt ja nicht mal, dass sie bei Apple vielleicht etwas tun, sondern vielleicht darüber nachdenken, etwas zu tun. Das ist auch die Quintessenz des ersten Satzes der entsprechenden SZ-Meldung („Apple liebäugelt offenbar mit der Produktion eigener Bewegtbild-Inhalte“).

+++ Die SZ berichtet auf ihrer Medienseite kurz darüber, dass Chadidscha Ismailowa, „die bekannteste Investigativreporterin des Landes“, zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt worden ist. Ausführlicher schreibt Marcus Bensmann (Correctiv) über den Fall: „Die Verfolgung der Journalistin in Aserbaidschan hat mit uns zu tun. Das ölreiche Land am Kaspischen Meer ist Energiepartner der europäischen Union. Eine Ölpipeline führt von dort bis zum Mittelmeer, eine Gaspipeline soll folgen. Die 39-jährige Ismajilowa ist die mutigste investigative Journalistin in Aserbaidschan. Sie recherchierte und veröffentlichte zur Korruption und Vetternwirtschaft in der Familie um den Präsidenten Ilham Alijew.“ Siehe auch Spiegel Online sowie die US-Fotografin Amanda Rivkin in ihrem Blog („This is a mistake on par with the jailing of Václav Havel in the Czech Republic“). Und nicht zuletzt #FreeKhadija .

+++ Einen juristischen Erfolg in Sachen Informationsfreiheit meldet das Welt-Investigativteam unter der Headline „Sieben Jahre Kampf um die Brückendaten“. Es geht um ministerielle Informationen zum Zustand der Brücken in der Bundesrepublik, die als erstes nun in diesem Welt-Artikel Niederschlag finden.

+++ „Antisemitische Ressentiments muss man antisemitische Ressentiments nennen dürfen“, schreibt Hardy Prothmann (Rheinneckarblog) anlässlich des Umstands, dass er sich gerade mit einem Anwalt des Schlagersängers Xavier Naidoo auseinanderzusetzen hat. Es geht um eine bemerkenswert absurde Abmahnung - und die möglichen finanziellen Folgen: „Tatsache ist (...), dass der Anwalt von Herrn Naidoo (...) rund 1.800 Euro von mir will. Die Rechnung ist noch nicht gestellt, aber angekündigt. Angesichts des Streitwerts könnte mein Anwalt auch rund 1.800 Euro für seine Beratung fordern. Geht es vor Gericht, sind wir bei 7.500 Euro für den, der verliert. Geht es in die nächste Instanz, summieren sich die Kosten auf 15.000 Euro. Und der Anwalt von Herrn Naidoo will nicht nur mich verklagen, sondern auch das Rheinneckarblog.de – das ist zwar keine juristische Person, aber der Versuch ist da, aus 3.600 verdoppelt 7.200 Euro Kosten zu machen, aus 7.500 dann 15.000 Euro und aus 15.000 Euro dann 30.000 Euro.“

+++ Der Hamburger Wahlbeobachter hat die Inhalte und Reichweiten der Facebook-Seiten der Bundesländer analysiert: Auf den Seiten Berlins und Hamburgs, jenen „mit der quantitativ größten Reichweite“, fänden sich „politische Inhalte leider nicht, der Fokus liegt hier klar auf Unterhaltung und Veranstaltungshinweisen“.

+++ Über die bevorstehende Auswahl der „gesellschaftlich bedeutsamen Organisationen und Gruppen“, die im künftigen MDR-Rundfunkrat vertreten sein wollen, berichtet die Medienkorrespondenz. Insgesamt 26 Organisationen haben sich bei den Landtagen Sachsen, Sachsen-Anhalts und Thüringen beworben.

+++ Lange nichts von Münklers Herfried gehört? „Diesen Wissenschaftler à la mode kann nichts kratzen“, schreibt Kay Sokolowsky in der aktuellen Ausgabe von konkret. „Kritik an seinen paradoxen Analysen“ habe er von einer Presse, „deren Leitartikler Münkler schon zitieren, bevor er was gesagt hat“, nicht „zu gewärtigen, geschweige abzuwehren“

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.