Schon Napoleon ließ Zeitungen sterben
Heute auf der Agenda: die Behinderung der Pressefreiheit in Heidenau; die Darstellung von Einwanderern in der Regionalpresse; die Bedeutung von Print in Weltregionen, in denen es nur wenige Stunden am Tag Strom gibt; die Pöbeleien eines Meinungsforschers

Michael Kretschmer ist Generalsekretär der CDU in Sachsen, und im Bundestag sitzt er auch. Keineswegs auf einen hinteren Bank, er ist laut der Kurzbio, die er für seinen Twitter-Account verfasst hat, „MdB, stellv. Fraktionsvorsitzender für Bildung und Forschung sowie Kultur und Medien“. Die Zeichenfolge M-e-d-i-e-n lässt vermuten, dass er weiß, was die Junge Freiheit ist. Dennoch hat er einem Schriftleiter dieser Zeitung gerade was gesagt, zum Beispiel:

„Pauschale Wertungen, die von weit entfernt getroffen werden, sind hier wenig hilfreich.“

Damit reagiert er auf folgende Äußerungen aus einem Interview der DuMont-Presse mit Thomas Krüger, dem Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung (das bei der Berliner Zeitung komplett frei online steht):

„Der Freistaat Sachsen sollte sich noch mal die Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung angucken, die politische Bildung in den Schulen der Bundesländer miteinander vergleicht und leider feststellt, dass Sachsen da am Schluss steht. Sachsens Zukunft hat nicht nur mit dem Ingenieurs-Gen zu tun, sondern auch mit Basis-Kompetenzen, wie man mit den Herausforderungen einer Gesellschaft von heute umgeht.“

Markus Decker, der das Interview mit Krüger geführt und nach dem Junge-Freiheit-Artikel (der hier natürlich nicht verlinkt wird) einen Nachdreher für die FR geschrieben hat, twittert dazu: Indem Kretschmer die Junge Freiheit als Forum nutze, bestätige er „willentlich jenen Vorwurf, den er zu widerlegen meint. Das sind sächsische Zustände 2015“. 

Oder, um es im Politikerjargon zu sagen: 

„Wer ausgerechnet dieser Zeitung in den Block diktiert, der hat Nachhilfe offensichtlich dringend nötig."

Die Formulierung stammt von Antje Feiks, Landesgeschäftsführerin der Linken in Sachsen. Das größere Problem sind aber wahrscheinlich nicht einmal CDU-Mitglieder, die mit der Jungen Freiheit reden, sondern, solche, die wie die Junge Freiheit twittern.

Dass auch die sächsische Polizei „Nachhilfe“ (Feiks) nötig hat, ist die Quintessenz eines Beitrags der Fotografenorganisation Freelens, der sich mit der Behinderung der Freiheit der Berichterstattung von den Geschehnissen in Heidenau befasst - und speziell mit der kurzzeitigen Festsetzung des Fotografen Nick Jaussi am Wochenende:

„Er fotografierte Beamte der 2. Hundertschaft aus Dresden. Einer von ihnen trug ein Abschussgerät für Tränengasgranaten. Nach dem Jaussi die Szene ohne Probleme fotografieren konnte, wollte er noch ein schnelles Twitter-Bild mit dem Smartphone machen. Das bemerkte einer der Beamten. Mit den Worten: ‚Das wird nicht fotografiert‘, versuchte er den Journalisten von der Berichterstattung abzuhalten. Als dieser dennoch ein Bild anfertigte, intervenierte der Beamte mit den Worten ‚Jetzt haben sie auch noch ein Porträt gemacht, zeigen sie das mal sofort her‘. Nick Jaussi wies den Beamten darauf hin, dass er sein Handy sicher keinem Polizisten zur Sichtung überlassen würde und dass es keine rechtliche Grundlage für eine Durchsuchung des Handys eines Journalisten gäbe. Bevor es zu einer weiteren Diskussion kam, sagten die Beamten recht forsch, er müsse jetzt mitkommen. Zu zweit nahm man Jaussi ohne weitere Ankündigung in einen schmerzhaften Polizeigriff und führte ihn ab (...) An einem Polizeitransporter musste er sich wie ein mutmaßlicher Straftäter mit erhobenen Händen an den Wagen stellen und wurde dabei von zwei Beamten fixiert.“ 

Dass die Hetze auf der Straße und all die Anschläge - auch - damit zusammenhängen, wie etablierte Medien den Flüchtlings- und Einwanderungsdiskurs gestalten, ist eine Binse. Nicht verkehrt ist es, in diesem Zusammenhang einen Blick auf die Regionalpresse zu werfen. Das hat nun migazin.de getan - bzw. das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS), das für eine Studie (PDF)„Zeitungsartikel über die Einwanderung aus Süd-Ost-Europa im Zeitraum vom April 2014 bis Juni 2014 ausgewertet“ hat, die unter anderem in der Westdeutschen Zeitung und der Rheinischen Post erschienen sind. migazin.de fasst zusammen:

„In der Westdeutschen Zeitung etwa werden die Einwanderer ‚stets als eine primitive Problemgruppe dargestellt, die sich durch Nomadentum auszeichnet. Sie kommen nie zu Wort, sind passiv und die Kriminalität eines Teils dieser Personengruppe wird ethnisiert‘, heißt es in der Studie. ‚Einheimische‘ hingegen sind der Studie zufolge stets aktiv, haben Ziele, gehen, begleiten, versuchen und helfen. Sie mahnen, denken, urteilen und unterstützen (...) Nicht besser schneidet die Rheinische Post ab: Die Wissenschaftler bescheinigen dem Blatt eine ‚starke Problematisierung der Zuwanderung‘. ‚Die Zuwandernden werden als Menschen gesehen, die die Stadt vor Herausforderungen stellen, weil sie kinderreich und schwer zu kontrollieren, ungebildet, arm und häufig kriminell seien‘, so ein Resultat der Studie. Einwanderer seien in der Rheinischen Post keine Duisburger und hilfsbedürftig.“

[+++] Auf der SZ-Medienseite findet sich heute ein instruktives Stück über die Journalisten der syrischen Wochenzeitung Souriatna, die „täglich ihr Leben riskieren“:

„Souriatna gibt es kostenlos inzwischen auch in Flüchtlingslagern im Libanon und in der Türkei (...) Das Geld kommt größtenteils von ausländischen Organisationen, darunter auch der deutsche Verein ‚Adopt a Revolution‘, der seit 2011 Projekte der gewaltfreien Opposition in Syrien unterstützt. Gleichwohl steht die Finanzierung auf brüchigem Fundament: Nach vier Jahren Bürgerkrieg stehen kaum noch Gelder für Demokratieförderung bereit, gerade staatliche Geber beschränken sich zumeist auf humanitäre Hilfe.“

Interessant ist an Lea Frehses Text nicht zuletzt die Beobachtung, dass von einer „Printkrise“ in Syrien nicht die Rede sein kann. Nicht nur, weil man andere Sorgen hat:

„Im Ausland kaum beachtet, sind seit 2011 Hunderte neue Zeitungen, Radio- und Fernsehsender im Land entstanden. Mehrere Dutzend oppositionelle Zeitungen erscheinen in Syrien auch nach vier Jahren Krieg, schätzt Alan Hessaf, ein syrischer Medienaktivist, der heute in Deutschland lebt. Viele Medien, so Hessaf, berichteten nur lokal oder ausschließlich im Netz. Souriatna aber soll Syrer überall erreichen – und setzt deshalb auch auf Print. ‚In Städten wie Aleppo haben die Leute nur zwei, drei Stunden Strom am Tag. Da haben Zeitungen auf Papier neuen Wert‘, erklärt er.“

[+++] Einen anderen Blick auf das Thema Printkrise könnte man vielleicht auch bekommen, wenn man den aktuellen Artikel des eifrigen Debattenbeitragsverfassers Veit Dengler (siehe Altpapier) gelesen hat. Geschrieben hat ihn der NZZ-Chef der NZZ-Mediengruppe für nzz.at:

„Wir kennen ‚das große Zeitungssterben‘, wie es Der Spiegel nennt, als Folge der Entstehung und Verbreitung der sogenannten Neuen Medien in den letzten beiden Jahrzehnten des eben vergangenen Jahrhunderts. Wer sich jedoch etwas in der einschlägigen Literatur umsieht, entdeckt Erstaunliches: (...) ‚Schwedische Regierung will das Zeitungssterben aufhalten‘ liest man bereits 1967; 1966: ‚Zeitungssterben in Dänemark‘, derselbe Titel findet sich schon 1951 im Hamburger Abendblatt; ebenfalls 1966: ‚Zeitungssterben in Holland‘ (...); 1948 liest man im Sozialdemokratischen Pressedienst Hannover unter dem Titel ‚Zeitungssterben in Paris‘: ‚Die französische Presse befindet sich augenblicklich finanziell in einer verzweifelten Lage. Eine Reihe von Zeitungen ist bereits eingegangen, andere haben ihren Betrieb zusammengelegt, um die Kosten zu verringern‘ usw.“

Dengler blickt aber noch weiter zurück:

„Von den insgesamt 1.600 Zeitungen, die zwischen 1789 und 1799 in Frankreich das Licht der Welt erblicken, haben im Jahr 1800 bereits über 1.500 wieder das Zeitliche gesegnet. Und die überlebenden reduziert Napoleon zunächst auf 13 Titel, 1803 gibt es noch acht, 1811 noch sage und schreibe vier Zeitungen in Frankreich, d. h. weniger als in vorrevolutionären Zeiten. Das war kein Zeitungssterben, das war ein veritables Zeitungsgemetzel.“

Dass „Gemetzel“ in diesem Kontext die richtige Metapher ist, muss man allerdings nicht finden.


Altpapierkorb

+++ Klaus Theweleit spricht in einem Interview für die September-Ausgabe von konkret (S. 44 ff.) über sein Buch „Das Lachen der Täter“, es geht unter anderem um die mediale „Ausstellung demonstrativer Tötungen“. Die gebe es, genau genommen, zwar schon seit der Antike, aber: „Eine wirkliche neue Qualität liegt in den Verbreitungsmöglichkeiten im Netz. Noch vor 20 Jahren wären die IS-Enthauptungen kaum eine Zeile wert gewesen, beziehungsweise sie wären gar nicht passiert. Wozu enthaupten, wenn ‚wieder kein Schwein guckt‘. Einfaches Erschießen hätte gereicht. Mit der Kamera dabei und der Ausstellung der Enthauptungen auf You Tube ‚müssen‘ es nun alle sehen, und die Inszenierung ‚lohnt‘ (...) Die Ausstellung des ungestraften Mordens ist auch dazu da, das Machtgefühl des einzelnen, den Durchbruch in einen neuen Körper der Unverletzlichkeit zu feiern, gesteigert im jubelnden Gruppenerlebnis: Die Killer erleben sich als riesenhaft und unsterblich in den Momenten medialer Inszenierung.“

+++ Gegen das „Netz“ bzw. Communities, die „meist (...) aus Extremisten jedweder Couleur, Querulanten (und) in der Gesellschaft zu kurz Gekommenen“ bestehen“, wettert der Volksbefrager Manfred Güllner (Forsa), wobei es ihm auch ein Anliegen ist, in diesem Zusammenhang einen „‚Medienjournalisten‘, bei dem es zu einem ordentlichen Journalisten nicht gereicht hat, (und) (...) solch undurchsichtige Gebilde wie Lobby-Control“ zu dissen. Das erfahren wir aus dem Blog jenes Medienjournalisten, den der Geschäftsführer des nicht undurchsichtigen Meinungsforschungsinstituts höchstwahrscheinlich gemeint hat: Stefan Niggemeier

+++ In der SZ kritisiert der Staats- und Medienrechtler Christoph Degenhart zwar, dass die „Hart aber fair“-Sendung zum Thema Gender in der Mediathek nicht mehr zugänglich ist (siehe zum Beispiel dieses Altpapier), sagt aber auch mit Blick auf die lautesten Blöker: „Es gibt keine zwingende rechtliche Verpflichtung, bestimmte Fernsehbeiträge nach ihrer Ausstrahlung weiter in der Mediathek vorzuhalten.“ Oder, um es in den Worten von Autorin Karoline Meta Beisel zusammenfassen: „Den Vorwurf der Zensur, der von einigen Medien und Politikern erhoben wurde, teilt Degenhart (...) nicht: die Anstalt habe die Sendung ja aus eigenem Antrieb entfernt.“ Zumal man ja noch, wie das Neue Deutschland, hinzufügen könnte: „Wirklich verschwunden ist die Ausgabe, dank unbekannter Hilfe und Youtube, allerdings nicht aus dem Netz.“ Die Luft aus der Debatte wäre vielleicht raus, wenn der WDR zur Online-Resonanz für die umstrittene Sendung Konkreteres mitteilen würde, als dass sie „kaum mehr abgerufen wurde“ (Programmdirektor Jörg Schönenborns Sendung, zitiert u.a. laut Tagesspiegel). Meine These ist ja, dass der WDR die Zahlen vor allem deshalb nicht nennen will, weil sie so niedrig sind, dass man befürchtet, die Öffentlichkeit bekäme ein falsches Bild von der Attraktivität der Mediatheken.

+++ „Es gibt eine Denkungsart, eine Fühlweise, die nimmt so sehr Anteil an etwas, dass sie irgendwann wie ertappt vor einer peinigenden Wahrheit steht“, lautet der Auftakt eines Artikels im Neuen Deutschland, und obwohl  Hans-Dieter Schütt nicht schreiben kann, lohnt es sich, den Text zu lesen, denn man bekommt einen Einblick in das von Ex-Altpapier-Autor Matthias Dell mitherausgegebene Buch „Über Thomas Heise“, das einen der derzeit wichtigsten deutschen Dokumentarfilmmacher würdigt.

+++ Die FR befasst sich mit jenem Sportsfreund, der seinen Bekanntheitsgrad gerade dadurch erhöhte, indem er twitternd fragte: „Mit welchem Mandat stellen sich deutsche Medien eigentlich so massiv gegen den Innenminister?" (siehe Altpapier gestern). Der Artikel, der Auslöser für die „Mandat“-Wortmeldung gewesen war, war ebenfalls in der FR erschienen.

+++ FAZ-Medienressortchef Michael Hanfeld heute mal nicht als Angreifer, sondern als Verteidiger: „Für eine Meldung zu den Krawallen in Heidenau, in der von ‚vermutlich Rechten‘ die Rede war, kassiert die Deutsche Presse-Agentur auf Twitter jede Menge Häme. Bei genauem Hinsehen zeigt sich: zu Unrecht, kommentiert er. Peter Zschunke (agenturjournalismus.de) weist in einem Überblick zur Debatte (siehe Altpapier von Dienstag) darauf hin, dass die Kritik an der dpa-Meldung auch damit zu tun haben könnte, dass die Überschrift „sprachlich holperig“ war. 

+++ Wie neulich bereits die SZ, berichtet nun auch mediashift.org, dass die Washington Post die Zusammenarbeit mit freien Mitarbeitern nicht mehr über direkte Kontakte zwischen Redakteur und Autor organisiert, sondern über eine Art internen Online-Marktplatz.

+++ Und „bei der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) beginnt Ende August das Verfahren zur Neubesetzung des Direktorenamts“. Das berichtet die Medienkorrespondenz. Der Nachfolger Jürgen Brautmeiers, dem eine zweite Amtsperiode „infolge der Neufassung des nordrhein-westfälischen Landesmediengesetzes im Juli vorigen Jahres verwehrt ist“, muss am 1. Oktober 2016 seine Arbeit antreten.

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.