Er hat schon wieder „Blogwart“ gesagt!
Das „Rechtsgutachten“, das die Ermittlungen gegen netzpolitik.org auslöste, ist in jeder Hinsicht dünn; der Rausschmiss Ranges reicht nicht; die vermeintlichen Landesverräter handeln in der Tradition der Verfassung. Außerdem: der Text, der 1982/1983 einen Landesverratsvorwurf auslöste; Medienjournalismus, das „interne Risiko“.

Was wurde eigentlich aus dem guten alten Sommerloch? Angesichts der Landesverrats-Anschuldigungen gegen netzpolitik.org schien es in Vergessenheit geraten zu sein, doch Dr. Ulf Poschardt (Die Welt) ist nun eine beachtliche Synthese gelungen:

„Aus Landesverrat wird peinliches Sommerlochtheater“, 

lautet die Überschrift seines Meinungsbeitrags zur Entscheidung von Justizminister Heiko Maas Generalbundesanwalt Harald Range in den Ruhestand zu versetzen. Poschardts Kommentar enthält auch die nicht völlig abwegige, in ihrer Zuspitzung aber zynische Einschätzung, die „Sieger“ der „hausgemachte Staatsaffäre“ seien

„die Kollegen von netzpolitik.org, die sich eine bessere Werbung für ihr Produkt kaum wünschen könnten“ .

Man kann Poschardt aber zu Gute halten, dass er den Begriff „Bauernopfer“ nicht verwendet. Den möchte ich jetzt echt nicht mehr lesen. Phrasen lassen sich manchmal nicht vermeiden, aber es wäre schon ganz schön, wenn in Situationen, in denen jeder und sein Hund eine ganz bestimmte Phrase benutzt, mehr Kollegen den Ehrgeiz entwickelten, sie zu umgehen.

Der „Rauswurf“ Ranges sei „notwendig“ gewesen, meint Robert Rossmann (SZ). Aber: 

„Wenn es gerecht zuginge, müsste auch (Verfassungsschutzchef) Maaßen gehen.“

Und:

„Die Netzpolitik-Affäre offenbart ein multiples Politikversagen. Bundeskanzleramt, Innen- und Justizministerium haben sich kollektiv blamiert.“

Günter Bannas (FAZ) schreibt:

„Seit Donnerstag vergangener Woche ging es – nicht zuletzt der öffentlichen Erregung wegen – vor allem um die Frage, wer Schuld sei, wer zum Sündenbock tauge – und wer zu gehen habe. Range, weil er das Ermittlungsverfahren eingeleitet habe? Oder Maaßen, weil er der Anstifter gewesen sei? Dass die beiden vorgesetzten Minister nicht in Betracht kommen wollten, verstand sich von selbst.“

Und Lisa Caspari (Zeit Online) meint:

„Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, der mit seiner Anzeige die Journalisten und den Informanten einschüchtern wollte und dennoch seltsam über den Dingen steht (und) Innenminister Thomas de Maizière, der mal wieder von nichts gewusst haben will (sind) die lachenden Dritten in diesem unwürdigen Spiel.

Der Text entstand bereits vor der (absehbaren) Entscheidung von Maas - und wirft die Frage auf, ob einer der beiden Lachenden nicht der lachende Vierte sein müsste.

Was in der Landesverrats-Sache gestern ab „morgens um 8 Uhr“, als „Range kurzfristig zu einem Pressestatement in die Bundesanwaltschaft“ lud (taz) - hoffentlich schläft der Mann länger, wenn er im Ruhestand ist -, so alles passierte:  Rekonstruieren lässt sich das beispielsweise anhand eines Artikels des ND, der immer wieder durch Updates ergänzt wurde. Zur Sprache kommt hier auch die Kritik der OSZE an den Ermittlungen (siehe des weiteren AFP/stern.de). Ebenfalls inclusive Chronologie, aber weiter ausholend: die Seite 3 der Berliner Zeitung. Was könnte kommen? Eine Sondersitzung des Rechtsausschusses des Bundestages (das fordern die Grünen) oder ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss („Linksparteichef Bernd Riexinger sagte, falls die Regierung nicht ihren Teil zur Aufklärung der Affäre beitrage“, werde man, uiuiui!, darüber „nachdenken müssen“) - siehe dazu Deutschlandfunk.

Zwischendurch noch einmal ein Blick auf die Opfer bzw. „Sieger“ (Poschardt):

„Bis vergangenen Donnerstag konnte ich mir nicht vorstellen, dass man für investigativen Journalismus in Deutschland theoretisch ins Gefängnis kommen kann“,

sagt netzpolitik.org-Macher Markus Beckedahl im Interview mit tagesschau24.

Die SZ hat sich derweil das die Ermittlungen gegen netzpolitik.org auslösende „Rechtsgutachten“ eines Verfassungsschutzmannes besorgt, von dem „nur wenige Exemplare existieren“. Aus diesem „dünnen“ (in jeder Hinsicht, das Schriftstück umfasst zehn Seiten) und teilweise „unfreiwillig komischen“  Gutachten zitieren Hans Leyendecker und Georg Mascolo auf Seite 2 genüsslich. Ihre Einschätzung:

„Bei der Lektüre des Gutachtens kann man sich in eine andere Zeit versetzt fühlen, in die Zeit der Spiegel-Affäre. Den Durchsuchungen und Festnahmen im Jahr 1962 lag ein 25 Seiten starkes Gutachten des Bundesverteidigungsministeriums zugrunde, in dem unter ‚Gesamtbeurteilung‘ stand: ‚Ein gegnerischer Nachrichtendienst wird den Spiegel-Artikel grundsätzlich ernst nehmen‘. Er habe ‚für die Sowjetunion und deren Satelliten‘ große Bedeutung. Die Melodie in dem BfV-Gutachten klingt vertraut. Die unheimliche feindliche fremde Macht wird auch diesmal als unwissend und wissbegierig vorgestellt.“

Zeit für einen historischen Exkurs: Vor netzpolitik.org war neben dem Spiegel auch das Magazin konkret dem Landesverratsvorwurf ausgesetzt gewesen. Der am Freitag noch nicht auffindbare konkret-Artikel aus dem März 1982 steht seit Dienstag online. Es ging darin um Machenschaften des Bundesnachrichtendienstes:

„Der BND (hat) unter der Bezeichnung ‚Operation EVA‘ über viele Jahre weltweit Politik gemacht (...) Vom politisch verantwortlichen Bundeskanzleramt unkontrolliert. ja sogar angestiftet. Unter seinen Präsidenten Reinhard Gehlen und Gerhard Wessel, zwei Generälen, spionierte Pullach nicht nur in Ost und West, in Vietnam wie im Vatikan, sondern spitzelte auch bei Verbündeten der Bundesrepublik Deutschland (...) Der BND spionierte auch in den USA und bespitzelte US-Politiker. Der gravierendste Fall: EVA-Operation ‚Monica II‘. Zielperson: Richard Nixon, Präsident der USA.“

Im Lichte der Enthüllungen in Sachen NSA und der Verteufelungen des US-Geheimdienstes liest sich das noch einmal anders als vor 33 Jahren. Die Frage, die sich im Nachhinein stellt: Hörte der BND, nachdem Gehlen (Amtszeit: 1956-1968) und Wessel (1968-1978) den Laden verlassen hatten, damit auf, bei „Verbündeten“ zu „spitzeln“?

Auch 1982 bzw. 1983 (als die Ermittlungen gegen konkret begannen) war interessant, welche Rolle die Ministerien spielten. Der Spiegel schrieb im Januar 1983, nachdem die Wohnungen des damaligen konkret-Chefredakteurs Manfred Bissinger (!), des Autors Jürgen Saupe und die Redaktion durchsucht worden waren, Bissinger sei von dieser Aktion „völlig überrascht" gewesen: 

„Denn noch vor dem Bonner Regierungswechsel, sagt Bissinger, habe ihn der damalige BND-Chef Klaus Kinkel mehrfach beruhigt: ‚Von Ihnen wollen wir doch gar nix.‘ Nach der Wende entschied Kinkel, nun Staatssekretär im Bundesjustizministerium, anders: Er empfahl dem für BND-Angelegenheiten zuständigen Kanzleramt, dem Ermittlungsbegehren der Bundesanwaltschaft zuzustimmen.“

Dass sowohl Kinkel als auch der Neu-Rentner Range Mitglied der FDP sind, muss natürlich nichts bedeuten. Inclusive Zwischenüberschriften und eines Kastens hat der konkret-Text 52.000 Zeichen, und für Journalisten, die mit reichhaltigen historischen Recherchen aufgeladene Texte schreiben, dürften hier einige Anregungen enthalten sein. Wer sich für den Großvater des Mannes, den sie „Gutti“ nannten, interessiert, erfährt hier auch so einiges.

Dieser historische Exkurs sei hiermit beendet - und gleich folgt der nächste, der noch weiter zurückreicht (Kant! Schiller!), aber auch wieder in die Gegenwart führt. Hans Hütt schreibt bei Zeit Online:

„Keine Geheimnisse zu haben ist keine Schutzbehauptung aus dem Neuland des Internets. Tatsächlich gibt es gute Gründe, mit Schillers ‚Braut von Messina‘, also seit über zweihundert Jahren an der Idee des Geheimnisses selbst zu zweifeln: ‚Sie wissen alles! Hier / Ist kein Geheimnis mehr.‘ In das Geheimnis ist das Offenkundige werksseitig mit eingebaut. Fachlich, amtlich oder theologisch wird es durch Weitergabe, Einweihung oder Offenbarung überliefert.“

Die folgende Passage bringt es auf den Punkt:

„Offenkundig beachten die Sicherheitsdienste die ihnen durch Verfassungsnormen und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gesetzten Grenzen nicht. Sie wollen nach Stand der neuesten Technik alles wissen und erklären das, wie sie und was sie so zu Tage fördern, umstandslos zum Staatsgeheimnis. Sie stellen sich damit in die Tradition des deutschen Obrigkeitsstaats und verwechseln ihr Amt mit dem Gemeinwohl, das es zu schützen gilt. Die Autoren von Netzpolitik dagegen operieren nach Maßgabe neuer Traditionen. Die Normen der neuen Tradition entsprechen dem zivilgesellschaftlichen Verständnis der neuen Technologien und ihrer verantwortlichen Nutzung. Sie entwickeln die Normen weiter, wie sich die Gesellschaft über sich selbst informiert. Sie stehen und handeln damit in der Tradition der im Grundgesetz niedergelegten Grundrechte. Die Tradition, in der das Bundesamt für Verfassungsschutz handelt, verrät dagegen Geist und Wortlaut der Verfassung. Sie verrät die Verfassung, die sie zu schützen beauftragt ist.“

Das würde Reinhard „Dann macht es bumm“ Müller (FAZ) so ganz gewiss nicht formulieren. Am Dienstag wurde hier schon erwähnt, dass er im Zusammenhang mit der Landesverratssache einer seiner Buchstabensuppen die Zutat „Blogwart“ hinzugefügt hat („Es macht die Sache freilich nicht leichter, dass heute jeder sein eigenes Medium ist. Jeder kann sich als Blogwart selbständig machen“). Und nun lässt sich sagen: Oops, he did it again! Zum zweiten Mal innerhalb von weniger als 24 Stunden bringt er den „Blogwart“ ins Spiel:

„Heute kann jeder Einzelne unbegrenzt viele Menschen erreichen. Wenn man daraus aber den Schluss zieht, dass sich jeder selbsternannte Blogwart auf die Pressefreiheit berufen kann, hätte das weitreichende Konsequenzen, etwa für das Zeugnisverweigerungsrecht.“

[+++] Bleiben wir beim Thema - zumindest insofern, als es um Pressefreiheit geht: Was in Mexiko Journalisten drohen kann, die eben diese für sich in Anspruch nehmen, hat anlässlich der Ermordung des Fotoreporters Ruben Espinosa (siehe Altpapier) der Guardian aufgeschrieben: 

„Espinosa was the 13th journalist working in Veracruz to be killed since Governor Javier Duarte from the ruling Institutional Revolutionary party (PRI) came to power in 2011. According to the press freedom organisation Article 19, the state is now the most dangerous place to be a journalist in Latin America (...) According to the Committee to Protect Journalists, about 90% of journalist murders in Mexico since 1992 have gone unpunished.“

Und in Istanbul hat die dortige Staatsanwaltschaft

„wegen der Veröffentlichung von Fotos einer tödlich verlaufenden Geiselnahme (...) mehrjährige Haftstrafen für 18 angeklagte Journalisten gefordert“. 

Das berichtet die Agentur AFP, aufgegriffen hat die Meldung unter anderem Spiegel Online.

[+++] Schon vor zwei Wochen in der Weltwoche erschienen, aber seit diesem Montag in der sozial-medialen Umlaufbahn, weil republiziert vom European Journalism Observatory: eine Abrechnung mit - nicht nur - dem Schweizer Medienjournalismus, aus der ein leicht variiertes Karl-Marx-Zitat heraussticht:

„Im Medienjournalismus sind die herrschenden Verhältnisse die Verhältnisse der Herrschenden.” 

Denn: 

„Medienjournalismus ist stets ein internes Risiko für externe Geschäftsbeziehungen. Exemplarisch zeigt sich dieses Dilemma beim Medienteil der NZZ. Die Redaktion verzichtet völlig auf recherchierte Storys und Hintergründe zu den anderen Großverlagen wie Tamedia, Ringier und AZ-Mediengruppe. Die Gefahr für Konflikte ist offenbar zu groß. Stattdessen schreibt die Medienseite lieber über unverfängliche Themen, zuletzt etwa über türkische Comics, über britische Radios und über Schwulenmagazine in Uganda.“ 

Der eine oder andere regelmäßige Altpapier-Leser wird vielleicht den Eindruck haben, dass es auch bei hiesigen Medienseiten den Trend zu „unverfänglichen Themen“ gibt. Kann eigentlich die Otto-Brenner-Stiftung das nicht mal untersuchen?


Altpapierkorb

+++ Angesichts des Ausschlusses der Bild-Zeitung von einem Gerichtsverfahren gegen ehemalige IS-Mitglieder in Celle - eine Entscheidung, mit der das dortige Oberlandesgericht auf  eine Spielregelverletzung bei der Prozessberichterstattung reagierte (siehe Altpapier) - schließt diese „einen Gang bis vors Bundesverfassungsgericht nicht aus“ (Tagesspiegel). Die SZ (Seite 27) zitiert Christian Schertz, „der die Entscheidung des OLG kritisch sieht“.

+++ Paul Wrusch (taz) hat Julian Reichelt, dem Starfighter im Kampf gegen den Ausschluss von der Prozessberichtererstattung, einen „Liebesbrief“ geschrieben: „Was für ein Mann! Markante Gesichtszüge, Brusthaar, Designerbrille. Du kannst dich sehen lassen – und du zeigst das auch.“

+++ Ebenfalls in der taz: Sportredakteur Markus Völker über die ritualisierte Empörung über Doping. „Ist (...) allen entgangen, dass kommerzieller Hochleistungssport, aufgeführt vor einer ständig größer werdenden Masse von Sportfans und angetrieben von prestigesüchtigen Sportfunktionären, Doping begünstigt? Auf dem Humus des globalisierten Event-Sports gedeiht der Betrug.“

+++ Gegen den ARD-Film, der die aktuelle Empörungswelle ausgelöst hat, kündigt der Leichtathletik-Weltband IAAF juristische Schritte an (dpa/Tagesspiegel).

+++ Das Nieman Lab hat Tweets von Mark Pfennighaus, „executive creative director of brand and marketing“ bei der New York Times, zu einem griffigen Statement zusammengefasst, das sich nicht nur auf seine Zeitung beziehen lässt: „Being a beloved brand is a double-edged sword. When people love who you are, they don’t want you to change. If they love you as the Grey Lady, then they have a hard time seeing you nerding out with clever apps. It’s like seeing your grandpa at a nightclub. I’m going to henceforth refer to our core brand challenge as the ‚grandpa in a nightclub‘ problem. Every single thing we do as an organization should avoid the ‚nightclub grandpa‘ effect if we hope to survive the next decade.“

+++ Eine instagrammte „Inszenierung“ zum Thema Flucht aus Afrika, gemäß dem für diese Inszenierung verantwortlichen Fotografen „vergleichbar mit dem legendären Radiohörspiel ‚Krieg der Welten‘ von Orson Welles, das 1938 in den USA viele Zuhörer in Panik versetzte, weil sie an einen echten Angriff von Marsmenschen glaubten“, haben diverse Medien nicht als Inszenierung erkannt (Watson). Dass das Ganze eine PR-Aktion für ein Fotografie-Festival war - darüber berichten auch: Wired, Buzzfeed, Time und taz. Wenn „Orson Welles lebt!“ in diesem Jahr nicht bereits Headline einer Altpapier-Kolumne gewesen wäre, hätte es heute gut gepasst. 

[+++] Infosperber war unter anderem bei von der OSZE veranstalteten Konferenz „Meinungsfreiheit, Medienvielfalt und (Selbst)-Zensur“ in Belgrad zugegen - und berichtet Folgendes: Viele der in Belgrad anwesenden Medienschaffenden aus den Balkanstaaten fühlen sich im Stich gelassen. Über ihre dramatische Lage werde in den internationalen Medien nur noch selten berichtet, weil es in Ex-Jugoslawien keine offenen Konflikte mehr gebe. Übersehen werde, dass die Ursachen der Kriege in den 90er-Jahren noch lange nicht bewältigt seien.“

+++ Silke Burmester entschuldigt sich in einer Mail an die Jerusalem Post für ihre „foolish tweets“ in Sachen jüdischer Sport (siehe Altpapier). Siehe dazu auch ihre taz-Kolumne in eigener Sache.

+++ Die Dokureihe „Make Love“ - am Dienstag lief im ZDF die zweite Folge der dritten Staffel - nimmt Jürgen Kaube (FAZ) zum Anlass, über die Entwicklung des Schamgefühls zu kontemplieren: „Die Älteren erinnern sich noch, welche Unruhe auf Pausenhöfen entstand, als Nastassja Kinski im März 1977 kurz nach 20.15 Uhr ihren nackten Oberkörper zeigte. Beim Dreh war sie fünfzehn. Vierzig Jahre später mutet selbst der Hinweis, für Jugendliche unter 16 sei der ZDF-Ratgeber mit seinen Bildern von G-Zonen-Erschließungen ungeeignet, sowie die Sperrung des Mediathekzugangs vor 22 Uhr nur noch rührend an Wird öffentlich gezeigte Sexualität vor allem unter Gesichtspunkten moralischer Ächtung diskutiert, gerät eine Regung aus dem Blick, die womöglich eine viel stärkere Gegenkraft zu ihr war. Das Zurücktreten des Schamgefühls nämlich ist die Voraussetzung dafür, dass gezeigt und getan wird, was sich anschließend moralisieren lässt. Schließlich hätte das ZDF wenig in seinem Sinne zu senden gehabt, hätten sich die Paare vor Scham gar nicht oder nur mit hochroten Köpfen vor der Kamera körperlich und seelisch entblättert.“ Aber: „Nichts wäre nun gewonnen, wenn man dieses Zurücktreten des Schamgefühls moralisierte.“

+++ Ebenfalls in der FAZ lobt Heike Hupertz den heute in der Reihe „Filmdebüt im Ersten“ zu sehenden Berliner-Schule-Film „Halbschatten“ von Nicolas Wackerbarth: „Bewusst verzichtet er auf die übliche Dramaturgie, setzt stille Beobachtungen, filmische Ausforschung von Bewegungen und Bildern, selbst das Rauschen des Windes in den Blättern und das Gebell eines Hundes in den Mittelpunkt einer Handlung, die sich ein wenig, aber nicht allzu weit entwickelt. Gesprochen wird hauptsächlich Französisch mit deutschen Untertiteln (...) Den betreuenden Redakteuren (Andrea Hanke vom WDR und Georg Steinert von Arte) sei dafür gedankt, dass es wenigstens im Sommerfernsehen einmal eine Produktion zu sehen gibt, die keine sichere Bank für die Erfüllung von Zuschauererwartungen ist.“

+++ „Kameramann? Nein, das heißt Bildregisseur.“ Susan Vahabzadeh würdigt im SZ-Feuilleton Michael Ballhaus anlässlich seines 80. Geburtstages: „Es sprach sich bald herum, dass dieser Mann aus Deutschland seinen Bildern einen ungewöhnlichen Drive gab, und so hat Ballhaus dann nach dem deutschen Fernsehen und dem Neuen Deutschen Film auch noch ein Stückchen Hollywood erobert.“

+++ Ein deutscher Ableger des Business Insider startet „noch im vierten Quartal“ (meedia.de), und zwar bei Springer. Siehe auch SZ.de.

+++ Über Wirbel um die „Leipziger Zeitung“, der im Frühjahr (siehe Altpapier) gestarteten (gedruckten) Wochenzeitung, berichtet die SZ auf ihrer Medienseite. Es geht um internen Streit und „miese Zahlen“,  wobei sich Autor Cornelius Pollmer auf einen Text bezieht, der beim LZ-Konkurrenten Kreuzer erschienen ist. 

+++ Und ein Veranstaltungstipp für Menschen aus Hamburg und kurzfristig Anreisende: Am Wochenende findet auf Kampnagel die von der Missy-Magazine-Mitherausgeberin Margarita Tsomou mitorganisierte Konferenz „This is not Greece“ statt. Teil der Veranstaltung ist am Freitag um 18 Uhr eine Diskussion zu „Griechenland in den deutschen Medien“ mit Robert Misik, Harald Schumann (Tagesspiegel) und Georg Diez (Spiegel). 

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.