Zum Glück sind Sommerferien. Andernfalls bestünde überhaupt keine Hoffnung, dass all die Texte, die gerade mit dem Schlagwort Landesverrat versehen erscheinen, auch gelesen werden.
Was lässt sich heute zu diesem und diesem Altpapier noch ergänzen? Natürlich zunächst die aktuellsten Entwicklungen, die da wären:
„Wie Justizminister Heiko Maas hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel Zweifel am Vorwurf des Landesverrats gegen die Journalisten des Blogs Netzpolitik.org. Der Justizminister habe die volle Unterstützung der Bundeskanzlerin, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz. Innenminister Thomas de Maizière ließ ebenfalls mitteilen, er halte wie Maas den Vorwurf des Landesverrats für zweifelhaft. Die Merkel-Sprecherin wollte sich nicht dazu äußern, ob Range noch das uneingeschränkte Vertrauen der Kanzlerin genieße.“
Das vermeldete gestern tagesschau.de.
Angela Merkel hat Harald Range nicht ihr vollstes Vertrauen ausgesprochen; er ist also noch im Amt (Stand 08.25 Uhr; für 9.30 Uhr ist eine Pressekonferenz angekündigt). Bekam aber gestern im Laufe des Tages seine Website gehackt.
„Bis zum Montagnachmittag waren auf der Homepage generalbundesanwalt.de keine Pressemitteilungen mehr auffindbar. Dort hieß es unter dem Button ,Aktuelles’ lediglich: ,Datenbank existiert nicht.’ Am Nachmittag war die Seite wieder vollständig erreichbar, auch die Seite mit den Pressemitteilungen konnte wieder aufgerufen werden“,
berichtet der Tagesspiegel, was auch interessant ist, weil sich daraufhin die Tagesschau bemüßigt fühlte, sich die PM des Generalbundesanwalts zu den Ermittlungen im Original auf die Seite zu holen.
Als es am Freitag darum ging, die kritischen Dokumente von netzpolitik.org zu spiegeln, hatte ARD-aktuell-Chef Kai Gniffke im Tagesschau-Blog noch Folgendes verkündet:
„Im Ernst: Wichtig ist mir nicht Effekthascherei. Wichtig ist, dass alle Akteure in der Politik, in der Justiz oder in den Ermittlungsbehörden wissen: Wir haben ein Auge drauf, was da passiert. Wir lassen nicht zu, dass die Pressefreiheit beschädigt wird. Und deshalb hier noch einmal für alle Freunde des Landesverrats: Hier ist der Link zu den umstrittenen Dokumenten auf netzpolitik.org:“
So eindeutig solidarisch war wohl zuletzt Brutus. Aber hey, dafür haben sie sich nun getraut, das Originaldokument einer Generalbundesanwaltspressemitteilung zu veröffentlichen. Respekt.
Meanwhile, back at netzpolitik.org, hat sich Markus Beckedahl gestern selbst in der Bundespressekonferenz erkundigen können, was so eine Ermittlung denn konkret für Folgen hat.
„Und so wollte Beckedahl wissen, ob gegen ihn und seinen Netzpolitik-Kollegen bereits Überwachungsmaßnahmen in Gang gesetzt worden seien. Das könne er mangels Kenntnis nicht ausschließen, antwortete der Sprecher des Innenministeriums. Vom Vertreter des Justizministers wollte der Blogger deshalb erfahren, ob eine Überwachung ,rein rechtlich’ beim jetzigen Verfahrensstand überhaupt schon zulässig wäre. Der Sprecher von Heiko Maas drückte sich um eine eigene Antwort. Er verwies aber auf eine Erklärung des Generalbundesanwalts, wonach ,keine Maßnahmen’ gegen die Journalisten ergriffen werden sollen“,
berichtet Robert Roßmann auf Seite 6 der SZ. Eine ausführliche Dokumentation des Verlaufs hat auch netzpolitik.org selbst. Wo sich seit gestern Abend zudem noch ein Forderungskatalog nachlesen lässt
(„Wir fordern die Einstellung aller Ermittlungsverfahren gegen unsere Redaktionsmitglieder, aber auch gegen unsere mutmaßlichen Quellen. (...) Wir erwarten außerdem von den Verantwortlichen eine unzweifelhafte Klarstellung, dass der Vorwurf des Landesverrats absurd war und ist: rechtlich, faktisch und moralisch.“)
sowie der Spendenzwischenstand von 50.000 Euro, die man gerne in den Ausbau der Redaktion und nicht etwa in Rechtsbeistand investieren würde, wie Beckedahl schreibt.
Womit wir von den Fakten noch kurz zu den Einordnungen kommen können. Da hätten wir beim Freitag IT-Rechtler Thomas Stadler:
„Was aber zu diskutieren bleibt, ist die Frage, wer den Interessen des Staates mehr schadet, die Blogger oder Generalbundesanwalt Range. Es ist jedenfalls nicht die Aufgabe der dem Legalitätsprinzip verpflichteten Bundesanwaltschaft, ein Verfahren nur aus Gründen der Verbundenheit mit dem Verfassungsschutz einzuleiten, weil diesem die zunehmende Berichterstattung ein Dorn im Auge ist.“
Bei Spiegel Online einen Kommentar von Thomas Darnstädt:
„Die Frage an Heike Maas muss lauten: Warum haben Sie diese Ermittlungen nicht längst verboten? Dass der Bundesjustizminister sich jetzt hinter seinem Generalbundesanwalt duckt, macht ihn kleiner, als er ist. Justizminister sind nicht überflüssig. Sie haben diese einzige und allerwichtigste Aufgabe: ständig darüber zu wachen, dass innerhalb der Zitadelle der Exekutive in den Gerichten, bei den Staatsanwälten, kein Unheil geschieht.“
Und den Leitartikel auf der Titelseite der FAZ von Reinhard Müller, der gestern Abend zumindest in meinem Internet nach einem Tweet der Zeit schon für Miniaufregung sorgte, weil es dort unter anderem heißt:
„Schon bisher wird auch eine Schülerzeitung von der Pressefreiheit geschützt. Heute kann jeder Einzelne unbegrenzt viele Menschen erreichen. Wenn man daraus aber den Schluss zieht, dass sich jeder selbsternannte Blogwart auf die Pressefreiheit berufen kann, hätte das weitreichende Konsequenzen, etwa für das Zeugnisverweigerungsrecht wie auch für die Gesetze zum Schutz vor einer Gefährdung der Sicherheit.“
Es folgen Sätze, die aus dem Jahr 1995 abgeholt werden möchten und ausdrücken, wie groß die Angst der alten Printhäuser vor dem Internet und dem Verlust alter Hoheitsansprüche ist, worin dann leider ein wichtiger Punkt untergeht. Zum Glück vermag ihn Christoph Degenhart, Medienrechter von der Uni Leipzig, im Interview mit Ursula Scheer auf der FAZ-Medienseite wesentlich undogmatischer zu formulieren:
„Inwieweit profitieren auch ,Bürgermedien’ mit niedriger Zutrittsschwelle von den institutionellen Garantien der Pressefreiheit? Meine persönliche Meinung ist: Wer nach journalistischen Maßstäben arbeitet, etwa Beiträge redigiert, muss in gleicher Weise geschützt werden, hat aber auch die gleichen Sorgfaltspflichten.“
[+++] Apropos Sorgfaltspflichten: Dass die Bild-Zeitung nicht gerade das Sturmgeschütz für deren Einhaltung ist, ist ja bekannt. Nun hat sie ein Gericht in Celle von einem Prozess gegen zwei mutmaßliche IS-Rückkehrer ausgeschlossen, weil sie entgegen einer Anordnung des Gerichts deren Gesichter unverpixelt gezeigt hatte.
Julian Reichelt nannte das gegenüber Meedia gleich einen „inakzeptablen Angriff auf die Pressefreiheit“. Das Bildblog hat hingegen beim Gericht den Grund für die Ansage erfragt: Persönlichkeitsschutz. Allerdings hatte sich einer der Angeklagten zuvor freimütig vom NDR interviewen und zeigen lassen.
Warum das an dieser Stelle wichtig ist? Zum einen, um Herrn Müller daran zu erinnern, dass sich nicht nur seine so-called Blogwarte auf die Pressefreiheit berufen, sondern auch die Bild-Zeitung - und das, obwohl sie sich selbst ungern an journalistische Standards hält. Und zum anderen, um ganz kurz zu registrieren, wie selbstverständlich mal sich auf die Seite einer Gerichtsbarkeit schlägt, wenn diese nicht gerade gegen die sympathischen Kollegen von netzpolitik.org vorgeht.
[+++] And now for something completely different: Der Trend zur lokalen Zeitungsgründung bekommt mal wieder einen Schlag in den Nacken: Ende August erscheint die vorerst letzte Ausgabe der Wuppertaler Wochenzeitung talwaerts, die erst von einem Jahr an den Start gegangen ist (Altpapier).
„Die schwarze Null“ ist aktuell der Top-Artikel auf deren Internetseite überschrieben - 2017 sei in der als überschuldet geltenden Stadt ein ausgeglichener Haushalt drin, hieß es dort. Der Zeitung ist etwas Vergleichbares nicht gelungen:
„Wir haben in den 14 Monaten seit der ersten Ausgabe viele Hürden gemeistert und gezeigt, dass wir es schaffen, dauerhaft eine gute Zeitung zu produzieren. Damit die Zeitung auch wirtschaftlich funktioniert, sind wir jetzt an einem Punkt angekommen, an dem wir einige Dinge verändern müssen. Und genau das wollen wir tun. Trotz einer guten Marketingaktion vor einigen Tagen müssen wir feststellen, dass talwaerts sich in dieser Form nicht rechnet“,
schreiben die Macher auf ihrer Facebookseite. Statt der benötigten 1500 konnte man nur 330 Abonnenten gewinnen, und diesmal ist nicht mal die Gratiskultur Schuld, denn Talwaerts ist gedruckt erschienen. Das Team stellt vage eine Fortsetzung in anderer Art und Weise in Aussicht. Aber Refinanzierung von Journalismus ist ja bekanntermaßen die kleine Schwester der Raketentechnik und hat im Lokalen auch noch mit der zusätzlichen Schwierigkeitsstufe der per se begrenzten Reichweite zu kämpfen (Offenlegung: Ich habe gerade die Prenzlauer Berg Nachrichten mit durch ihre Crowdfunding-Kampagne geschleppt und weiß also, wovon ich rede). In anderen Worten: Das wird schwer.
+++ Wer nach einer neuen Herausforderung sucht und sich diese in Form des ZDF-Intendantenposten vorstellen könnte, sollte sich mit der Bewerbung beeilen. Denn schon im September soll die Wahl erfolgen, schreibt Joachim Huber im Tagesspiegel, deren einziger Kandidat bislang der Amtsinhaber ist. Auch Der Standard berichtet. +++
+++ „In einer Wohnung in Mexiko-Stadt ist ein Pressefotograf ermordet aufgefunden worden. Bei dem Mann handle es sich um den 31-jährigen Ruben Espinosa, der unter anderem für das renommierte Magazin ,Proceso' gearbeitet habe, teilte die Medienrechtsorganisation Articulo 19 am Sonntag (Ortszeit) mit. Sein Tod löste landesweite Proteste aus.“ (Quelle: Der Standard) +++
+++ Über den Mann, der 1983 einen vermeintlichen Atomangriff der USA auf die UdSSR als das erkannte, was er war, nämlich ein Fehlalarm, und der damit den Dritten Weltkrieg verhinderte, berichtet heute Abend auf Arte die Doku „The Man Who Saved the World“, worüber wiederum die FAZ-Medienseite berichtet. Wo sich zudem Platz findet, um über Frankreichs Forderung zu schreiben, das Recht auf Vergessen auch für google.com geltend zu machen, und dem Sommer-Dschungelcamp doch noch etwas Gutes abzugewinnen: „Doch bei diesen Relegationsspielen fürs echte Dschungelcamp reicht das völlig für Nervenflattern, und nur aus einem einzigen Grund: Die Kandidaten sind gerade erst frisch aus der Wohlfühlzone entführt worden. Eben noch war alles flauschig, das Sofa weich, das Getränk kühl. Und jetzt hat das Boot ein Loch!“ +++
+++ Die SZ widmet sich derweil dem „Mutcamp“ des Kika, dessen Fragwürdigkeit in diesem Altpapier schon diskutiert wurde. Sowie dem Film „Wet Hot American Summer“ von 2001, der so schlecht war, dass er schon wieder gut war, dass er schon wieder schlecht war und nun als Netflix-Serie wiedergeboren wurde. +++
+++ „Die bauen das Flugzeug, während sie schon damit fliegen“, sagt Zeit-Online-Chef Jochen Wegner über seine neuen Kollegen von Ze.tt (Altpapier) im taz-Text zum Thema von Daniel Bouhs. +++
+++ Falls es noch nicht aufgefallen sein sollte: Die „heute“-Nachrichten senden jetzt in HD, vermeldet DWDL. +++
+++ „Wir haben in einer Studie für die Zeitungsmarketinggesellschaft (ZMG) herausgefunden, dass die Möglichkeiten des Digitalen, wenn man sie intelligent einsetzt, den Zeitungen in vielerlei Hinsicht große Vorteile verschaffen können.“ Ei der Daus, da brat mir doch einer nen Storch: Wer hätte das gedacht?! Weniger zynisch formuliert: Die Drehscheibe hat Jens Lönneker vom Marktforschungsinstituts Rheingold Salon interviewt, warum auch Lokalzeitungen die moderne Technik und ihre Möglichkeiten nutzen sollten. +++
++ Die Funke-Gruppe lässt bei ihren Thüringer Regionaltiteln die Bezahlschranke herunter und Meedia hat das schönste Symbolbild dazu. +++
+++ Eine Axel-Springer-Fusion, die zu funktionieren scheint, ist die mit Ringier und deren Schweizer Zeitschriftengeschäft, schreibt kress.de. +++
Frisches Altpapier gibt es morgen wieder.