Ungelöste Facebook-Probleme
Endlich mal ein diskursiver Sieg gegen Rechts. Endlich ein Mittel gegen das 140-Zeichen-Problem bei Twitter. Was sagte Yanis Varoufakis wo wann wem? Die frischen Exklusiv- (und womöglich Inklusiv-)Interviews, das lustigste Exklusiv-Statement. Außerdem: was das "Häppchen-Format" im Fernsehen leisten können soll, was ein Privatsender-Wächter über den öffentlich-rechtlichen BR sagt.

Kaum wurde der diskursive Sieg der Rechtsextremen konstatiert, was die Begriffe in der Berichterstattung über ihre Veranstaltungen angeht (Altpapier gestern), kaum hat Sascha Lobo bei SPON noch mal seine angestammte Rolle als zuspitzender Verstärker wichtiger Diskurse erfüllt ("Attacken auf Flüchtlingsheime: Nennt sie endlich Terroristen!"), folgt eine diskursive Niederlage der Rechtsextremen.

Zumindest hat die Deutsche Presseagentur in Gestalt ihres Nachrichten- oder sogar Top-Themen-Team-Chefs Froben Homburger erklärt,

"die Teilnehmer an Protesten und Angriffen gegen Flüchtlinge künftig nicht mehr als 'Asylgegner' oder 'Asylkritiker' [zu] bezeichnen"

'"Das sind missverständliche Begriffe, die den tatsächlichen Sachverhalt verschleiern und beschönigen', sagt dpa-Chefredakteur Sven Gösmann"

in einem DPA-Artikel zum Thema, der über die Sächsische Zeitung (also aus einer zweifellos besonders betroffenen Region) frei online ging. Wie hilfreich der Artikel ist, der in klassischer Manier Experten-Auskünfte aneinanderreiht, darüber ließe sich freilcih schon wieder streiten.

"Für den Forscher [Anatol] Stefanowitsch gibt es viele Kampfbegriffe in der Flüchtlingsdebatte. 'Wirtschaftsflüchtling' etwa beschreibe nicht, dass die Menschen oft aus absoluter Armut fliehen. Medien und Politikern rät er, auf die Wörter 'Asylkritiker' und 'Asylgegner' zu verzichten. Sie seien nicht präzise und führten dazu, dass Menschen, die eine klarere Sprache nutzten, als Populisten bezeichnet würden. Er warnt aber auch vor anderen Pauschalisierungen. Es sei gut, zweimal über Begriffe wie Rassist oder Nazi nachzudenken. Aber wenn man zu dem Entschluss komme, solle man die Wörter nutzen."

Behaupten nicht u.a. auch Rechtsextreme, eine "klare Sprache" zu benutzen, und ist der Begriff "Populist" nicht geradezu ein Musterbeispiel für ausgesprochen unklare? Zweimal nachdenken ist aber immer gut, und die eigentliche Entscheidung der DPA natürlich auch.

Ein exemplarischer Diskurs aus den sogenannten sozialen Medien schließt sich an den schon verlinkten Homburger-Tweet an. Auch wenn ungefähr jeder natürlich erst mal "sondern?" fragt (und fast jeder die Antwort "dpa wird stattdessen die Teilnehmer und deren Motive oder Gesinnung in jedem Einzelfall möglichst konkret benennen" individuell erhält), auch wenn die bei Twitter vorgegebene Begrenzung auf 140 Zeichen die Komplexität oft mehr reduziert als dem Diskurs streng genommen gut täte, werden solche Diskurse leidenschaftlich geführt.

[+++] Wobei, für das 140-Zeichen-Problem bei Twitter haben findige Startup-Unternehmer nun eine Lösung gefunden. Twitlonger heißt sie und wurde hierzulande gerade von der TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester eingesetzt ("Das bitte ich zu berücksichtigen, wenn ich jetzt durch den Wolf gedreht werde"), nachdem sie selbst sich mit diesem Tweet in einen Diskurs verstrickt hatte, dessen "immer wildere Schleifen" in 140-Zeichen-Beiträgen dann wirklich nicht mehr sinnvoll zu führen waren.

Womit keineswegs gesagt sein soll, dass es in längeren Sätzen sinnvoll sein könnte, über "Hakenkreuzweitwurf" als jüdische Sportart zu diskutieren. Vielmehr würde ich dafür plädieren, nicht auf jedes veröffentlichte Meinungshäufchen mit einem eigenen Häufchen zu reagieren.

[+++] Jedenfalls, wenn sich bei Twitter endlich auch längere Beiträge posten lassen, könnte daraus doch noch so eine Pest wie Facebook werden, wo die Maccabi Games auf und vor allem noch unter ganz anderen Niveaus diskutiert werden (vice.com).

Während Lobo im oben verlinkten Artikel u.a. auch schreibt, dass Facebook "ein völlig ungelöstes Hatespeech-Problem" habe und derzeit bei jeder Gelegenheit eloquent beklagt, "was Leute unter Klarnamen im Netz veröffentlichen", vor allem bei Facebook (vgl. den Facebook-Auftritt der Maybrit-Illner-Show), geht der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit ein ganz anderes ungelöstes Facebook- Problem an.

"Herr Caspar, Sie wollen Facebook zwingen, Pseudonyme zuzulassen. Als Hamburger Datenschutzbeauftragter haben Sie eine Anordnung erlassen, die die Klarnamenpflicht des Netzwerks für unzulässig erklärt",

beginnt Ursula Scheer ihr FAZ-Medienseiten-Interview. Johannes Caspar legt dann seine Ansicht dar, dass das EuGH-Urteil gegen das spanische Google zum sog. Recht auf Vergessenwerden auch den deutschen Datenschutz und das im deutschen Telemediengesetz verankerte "Recht auf Verwendung eines Pseudonyms" betreffe (wozu diese Gegenmeinung gestern hier im Altpapierkorb verlinkt war). Wie aussichtsreich und wie sinnvoll diese auch international Aufsehen (Guardian: "Germany fights Facebook over real names policy") erregende Initiative ist, auch darüber ließe sich streiten. Zumindest macht Caspar im FAZ-Interview klar, worum es Facebook geht:

"Festzuhalten ist, dass für Facebook Nutzer mit Klarnamen ökonomisch besser verwertbar sind. Am Ende wird hier im Rahmen der Klarnamenpolitik auf eine Fiktion gesetzt, dass das Gegenüber stets der ist, für den er sich ausgibt."

[+++] Jetzt aber endlich zum Top-Chef-Thema dieser Woche, zu "Varoufakis’s Terminen" (meedia.de). Bzw.: Was sagt Yanis Varoufakis, und zwar wo wann wem? Die Vorgeschichte mit dem am Samstag erschienenen Spiegel-Interview erzählt übrigens auch die bereits erwähnte TAZ-Kriegsreporterin in ihrer aktuellen Kolumne.

Heute neu dazu auf den Markt stoßen frische Varoufakis-Interviews der Zeit bzw. ihres Magazins (Print-Anmutung, Vorabmeldung, schon was älterer zeit.de-Artikel) sowie des Stern (Print-Anmutung, Vorabmeldung, stern.de-Artikel).

An Dramatik fehlt es erwartungsgemäß jeweils nicht. Varoufakis' Äußerung "Es ist ein Desaster, was Europa in dieser Runde angetan wird" machte die Zeit ja schon vorab publik. Den Tag, "an dem die griechische Regierung das dritte Rettungspaket akzeptierte, bewertete" Varoufakis nun im Stern "als 'den größten Angriff auf die Demokratie seit Ende des Zweiten Weltkrieges'" - wobei bei zweimal Nachdenken Arno Luik oder auch Varoufakis selbst hätten drauf kommen können, dass das Ende des Zweiten Weltkrieges nicht die beste, heißt es benchmark?, sein könnte, um Angriffe auf die Demokratie einzuordnen.

An aufs deutsche Publikum zugeschnittenem human touch fehlt es ebenfalls nicht. Der Deutschen Welle im Stern ("... während der Militärdiktatur habe ich heimlich unter der Decke mit meinen Eltern die Sendungen der Deutschen Welle angehört. Das war unsere Verbindung in die Freiheit") entspricht Nina Hagen ("... war die Heldin meiner Jugend") in der Zeit.

Gleich zwei Betrachtungen der aktuellen Varoufakis-Lage hat die Süddeutsche angestellt. Während Ruth Schneeberger online darauf hinweist, dass Varoufakis den besten Grund, den alle Interviewpartner der vielfältigen deutschen Medienlandschaft fürs Interviewtwerden traditionell haben, ebenfalls hat (Buch erscheint), geht Alex Rühle auf der SZ-Medienseite (unfrei online) unter der hübschen Überschrift "Harter Starkurs" außer auf die beiden tagesaktuellen deutschen "Exklusivinterviews" auch auf die Frage ein, wo nun eigentlich all die Interviewer übernachtet hatten:

"Die Spiegel-Reporter vermuten, ihr Stern-Kollege habe 'mithören' wollen, wie sie beide mit Varoufakis reden. Wenn das stimmt, war das Spiegel-Gespräch das erste Inklusivinterview der Geschichte. Im Stern-Gespräch ist von der gespenstischen Abhöraktion eines Exklusivinterviews aber weit und breit nichts zu finden, in keiner der neun Etappen, die Arno Luik übrigens so kunstvoll zusammengewoben hat, das man von den Nächten, Etappen und unterschiedlichen Zeiten überhaupt nichts spürt. Es wirkt vielmehr wie aus einem exklusiven Guss. Der 'Stern'-Chefredakteur widerspricht dem 'Spiegel' denn auch vehement: Als die 'Spiegel'-Reporter eingetroffen seien, habe sich Arno Luik bereits von Varoufakis verabschiedet, allerdings mit dessen Ehefrau Danae Stratou in der Küche noch ein weiteres Gespräch geführt. Dieses Küchengespräch druckt der Stern dann wahrscheinlich nächste Woche. Bleibt die Frage, wo sich die 'Zeit'-Kollegen die ganze Zeit über versteckt gehalten haben. Sie behaupten, Varoufakis habe sie in ein Hotel gebeten. Wahrscheinlich war es in seiner Wohnung einfach schon zu voll. Wie dem auch sei, jedenfalls haben die 'Zeit'-Reporter in ihrem Interview Varoufakis das lustigste Exklusiv-Statement abgerungen: 'Man wollte nicht, dass ich gehört werde. Meine Worte haben die deutsche Öffentlichkeit nie erreicht.'"

Unterdessen hat des Leitmedium Spiegel Online "seine", Varoufakis' "beste Sätze" zum Durchklicken aufbereitet.


Altpapierkorb

+++ "Zum jetzigen Zeitpunkt wurde über einzelne Sendungen und Sendeplätze noch nicht entschieden": Bettina Reitz, noch Fernsehdirektorin des Bayerischen Rundfunks (aber nicht mehr lange, die gefragte Amts-Hopperin wird bald Präsidentin der Münchener Filmhochschule) klingt im Tagesspiegel-Interview über die BR-Reformpläne exakt so wie die ebenfalls reformierende Hörfunkdirektorin des Westdeutschen Rundfunks kürzlich auch klang. Reitz-Sätze wie "Das Häppchen-Format in der aktuellen Berichterstattung kann wichtige Informationen rund um die Literatur vermitteln und neugierig auf Bücher machen" lassen von der geplanten Umgestaltung des Dritten Programms beim BR aber durchaus Schlimmes befürchten, das Sätze wie "Auf wichtige Kulturdokumentationen und profunde Literaturangebote dürfen sich unsere Berliner Zuschauer auch zukünftig freuen" nicht wettmachen. +++

+++ Relativ sensationell, wenn sich strengstens nur für private Sender zuständige Medienwächter über Öffentlich-Rechtliches äußern. Im Standard tut's der ebenfalls bayerische, Siegfried Schneider von der Landeszentrale für neue Medien, und sagt zur schon beschlossenen, nur noch von Gerichten zu verhindernden Hörfunk-Entscheidung des BR, seinen Klassiksender ins Digitalradio zu entsorgen, um auf UKW Platz für einen jüngeren Popsender zu bekommen: "Wenn die Zukunft im Digitalen liegt, kann ich nicht die digital affinste junge Zielgruppe auf UKW schicken. Das ist politisch ein völlig falsches Signal." +++

+++ Der oberste Medienwächter, Jürgen Brautmeier als Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, wirft auf der SZ-Medienseite die Frage auf, ob Nutzer von Apps wie Periscope oder Meerkat, deren "Handy zum Sendestudio" wird, nicht Sender-Lizenzen benötigen, ist aber dagegen, "mit Kanonen auf Spatzen [zu] schießen". +++

+++ Was sich deutschen Journalisten selten vorwerfen lässt: Auskünfte von Unternehmssprechern sehr kritisch zu hinterfragen. Jedenfalls sagen viele Medien wegen förmlicher Aussagen zweier Unternehmssprecherinnen gegenüber Nachrichtenagenturen, dass ProSiebenSat.1 und Springer über eine neue Initiative, "um den Digitalstandort Deutschland auch international besser zu positionieren", hinaus keine weitere Zusammenarbeit planten, die gerade erst wieder hochgeschriebenen Fusions-Spekulationen gleich wieder ab. +++

+++ Frank Plasberg gibt die Arbeit aus Auftragnehmer für Veranstaltungen der Privatwirtschaft auf. Das Forum er für sein großes Zerknirschungs-Interview ("In meinem Kopf war immer klar: Da gibt es keine Vermengung  - weil wir uns nicht zensieren lassen. Jetzt muss ich erkennen: Was für mich immer klar war, ist nicht entscheidend"): dwdl.de. +++ "Wie will man auch gleichzeitig Geschäfte mit Lobbyisten machen und eine harte, faire Polittalkshow produzieren und beides ganz sauber trennen, wenn man nicht an einer veritablen Persönlichkeitsspaltung leidet?", fragt Ursula Scheer in der FAZ-Glosse. Hilft so eine Persönlichkeitsspaltung nicht beim Leiten einer Polittalkshow? +++ "Ob Interessenkonflikt oder nicht – es kann zu solchen Vorfällen nur kommen, weil die ARD einige ihrer wichtigsten Talkshows von senderfremden Produktionsfirmen herstellen lässt" (Christian Meier in Springers Welt). +++

+++ "Deutschlands größter Privatsender ist in einem trostlosen Zustand" (Peer Schader über RTL, Berliner Zeitung) +++

+++ Die SZ geht außerdem der gestern hier via Poynter erwähnten Meldung nach, wie wenige Journalisten es in den USA nurmehr gebe. "Bei US-Tageszeitungen waren 2014 nur noch 32900 Journalisten angestellt, über zehn Prozent weniger als ein Jahr zuvor", "in Deutschland sind nach Schätzungen der Journalistengewerkschaft DJV etwa 13500 Journalisten bei Tageszeitungen fest angestellt." +++

+++ Die FAZ-Medienseite bespricht viel Fernsehen, die dritte "Orange is the new black"-Staffel und den in der ARD gezeigten Kinofilm  "Heute bin ich blond" ("Wohlfühlfilm, der in die Schublade 'Schicksal als Chance' passt"). +++

+++ Inzwischen frei online: der gestrige Artikel zum ägyptischen Prozess gegen den Reporter Mohamed Fahmy, der seinerseits auch seinen Ex-Arbeitgeber Al Dschasira  anklagt. +++

+++ Dann hat Facebooks Produktentwicklungs-Vorstand Chris Cox der Zeit noch etwas Nettes über sie selbst sowie über "Harry Potter"-Romane gesagt. +++ Und Manuel Neuer geht seine Arbeit als Werbeträger so offensiv an wie die als Torwart, zeigt ein (nicht frei online verfügbares) Kicker-Interview. "Für Neuers Glaubwürdigkeit und die seiner Sponsoren ist das wenig hilfreich - der gewünschte Effekt dürfte sich vielmehr ins Gegenteil verkehren", hofft der Tagesspiegel. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.