Zumindest die Medienjournalisten haben noch ab und an eingeschaltet. Mit dieser Erkenntnis können sich die Verantwortlichen bei Sat1 heute trösten, wenn sie die Artikel über das Aus für „Newtopia“ lesen und darin Insiderwissen in Form einer übersatten Kuh namens Clyde, Besuchs-Pionier Rainer Langhans und Sex im Bauwagen begegnen.
Doch das Interesse aus der Branche hat nicht gereicht. Statt im Februar nächsten Jahres ist nun schon am kommenden Freitag Schluss mit Utopie auf dem Sender, der seine letzte gute Idee bereits im vergangenen Jahr eingestellt hat.
„Das Experiment ist beendet. Zusammen mit Talpa Germany hat SAT.1 viel Sendezeit, Herzblut und Ideen in die Fortsetzung von ‚Newtopia‘ gesteckt. Leider ohne den erhofften Erfolg. Aber nur wer wagt, gewinnt. Wir versprechen: SAT.1 wird sich auch weiterhin trauen, mutige TV-Ideen auf den Bildschirm zu bringen“,
verkündet SAT.1-Geschäftsführer Nicolas Paalzow in der Pressemitteilung, die mit dem Satz endet
„Ab Montag, 27. Juli 2015, zeigt SAT.1 montags bis freitags um 19:00 Uhr das Daily Drama ,In Gefahr – ein verhängnisvoller Moment’."
Kleiner Spoiler: Wer versucht, nur fünf Minuten dieser von Laiendarstellern dargebrachten Flachzangengeschichten zu ertragen, wird mit dem dringenden Bedürfnis bestraft, 35-zeilige Thomas-Mann-Schachtel-Sätze mit mindestens acht beschreibenden, sich aber nicht wiederholenden, sondern ergänzenden Adjektiven zu konsumieren, um sich zu vergewissern, dass die deutsche Sprache sowohl Nebensätze ermöglicht und als auch mehr Vokabular beinhaltet als „krass“ und „boah“.
In anderen Worten: Das ist kein Fernsehen mehr, das sind verfilmte Facebookkommentarstränge und damit Kapitulation, gegen die „Newtopia“ wie ein Hort des Erfindungsreichtums und intellektueller Debatten wirkt.
Doch warum hat das nicht funktioniert?
„Trotz des im Namen behaupteten utopischen Charakters dominierte auch bei ,Newtopia’ das hinlänglich bekannte Geläster und Gezicke einer Gruppe gemeinsam kasernierter Menschen, von dem auch Formate wie ,Big Brother’ oder ,Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!’ leben: Lagerkoller als Fernsehunterhaltung. Dass die Zuschauer davon etwas ermüdet sind, ist – siehe ,Newtopia’-Quoten – nicht zu leugnen“,
schreibt David Denk heute auf der Medienseite der SZ und erklärt zudem:
„Dennoch kann es Pro Sieben Sat [1] nicht lassen und bringt 15 Jahre nach der ersten Staffel ,Big Brother’ im Herbst beim Spartensender Sixx zurück ins deutsche Fernsehen. Hoffnung macht die Absetzung von ,Newtopia’ da nicht gerade.“
Diese Sorge teilt auch Joachim Huber im Tagesspiegel:
„Das Ende von ,Newtopia’ kann Schadenfreude hervorrufen, muss es freilich nicht. Denn die Konsequenz daraus wird weiterer Programm-Opportunismus des kommerziellen Fernsehens sein. Senden, was andere senden. Das Privatfernsehen akzeptiert seine Krise, indem es jeden Formatmut sinken lässt.“
Wohin das führt, ist oben beschrieben, was auch bedeutet, dass Sie nun Sat1 getrost auf der Fernbedienung auf die 45 (hinter ServusTV und QVC) legen können. Falls Sie denn überhaupt noch einen Fernseher haben.
Doch der Sender ist nicht der einzige Leittragende des Aus: Auch Königs-Wusterhausen, Ortsteil Zeesen geht mit dem Abbau des „Newtopia“-Hofes sowohl eine Attraktion als auch ein Wirtschaftsfaktor verloren, den Alexander Krei bei DWDL wie folgt zusammenfasst:
„,Newtopia’ erstreckte sich auf zwei Hektar Land mit einer 450 Quadratmeter großen Scheune, einem 90 Quadratmeter messenden Stall, 300 Quadratmeter Teich, 3.000 Quadratmeter Weide und 1.200 Quadratmeter Ackerfläche. Für Acker und Weide wurden rund 1.250 m³ fruchtbarer Boden neu angelegt. Hinzu kamen 105 Kameras, die Tag und Nacht erfassen sollten, was die 15 Pioniere erlebten. Für die Show wurde eine eigene Produktionsstadt mit insgesamt 138 Baucontainern errichtet, in denen rund 100 Menschen in drei Schichten Tag und Nacht arbeiteten.“
Dieser Verlust ist hart für Zeesen. Außer, dass nicht, wie die Märkische Allgemeine als örtliche Lokalzeitung erfragt hat:
„Beim Bäcker, der nur wenige hundert Meter vom Produktionsgelände entfernt liegt, reagiert man mit Achselzucken auf die Nachricht. (...)
Frithjof von Rottkay (Wir für KW), Ortsvorsteher von Zeesen, räumt ein, dass die Produktion einigen ortsansässigen Handwerksbetrieben Aufträge verschafft hat. ,Darüber hinaus hat es die Zeesener aber überhaupt nicht berührt. Es ist eher schade um das vergeudete Geld und die Bäume, die beim Einfrieden des Geländes zugeschüttet wurden’, sagt er. (...)
Anwohner Markus Kühn etwa fand das Format anfangs noch interessant. ,Aber was die Produktionsfirma dann daraus gemacht hat, hat mir überhaupt nicht mehr gefallen.’ Auch Petra Reuter mochte am Ende nicht mehr hinsehen. ,Ein bisschen schade ist es schon, aber wenn jetzt Schluss sein soll mit Newtopia, dann ist es auch gut. Dann kann man künftig ab 19 Uhr etwas anderes schauen.’“
[+++] Höchste Zeit, zu einem ernsthaften Thema überzuleiten, dabei aber noch kurz beim Lokaljournalismus zu verweilen: Rouven Kühbauch hat sich für dessen Fachblatt, die Drehscheibe, einmal umgehört, wie sie es zwei Jahre nach dessen Beginn mit der Berichterstattung über den NSU-Prozess handhaben. Damals hatte, wir erinnern uns, Paul-Josef Raue als Chef der Thüringer Allgemeinen ganz schön auf den Putz gehauen, als überregionale Medien sich im Wettbewerb um die raren Presseakkreditierungen mehr im Recht sahen als ihre lokalen Kollegen.
„Es sind die Regionalzeitungen aus Thüringen und Sachsen, die wohl am besten, am genauesten und am fairsten über den Prozess in München berichten können. Wir kennen die Milieus, die Eltern, Verwandten und Freunde der Angeklagten – und wir schreiben für die Menschen, die in eine Art Kollektivschuld genommen werden“,
erklärte er damals in seinem Blog. Und siehe da: Die Lokalzeitungen, sonst stets sehr sparsam mit Personal, sind bis heute im Gerichtssaal vertreten:
„Die ,Thüringer Allgemeine’ hat nach wie vor großes Interesse am Prozess und engagiert sich wie kaum eine andere in der Berichterstattung. Für die Zeitung sind zwei Mitarbeiter abwechselnd im Gericht. Es sei immer einer der beiden Korrespondenten anwesend, erzählt Chefredakteur Paul-Josef Raue. Da viele Zeugen, Ereignisse und Verdächtige aus dem Verbreitungsgebiet kommen, habe man ein großes Interesse am Prozessverlauf. Man veröffentliche Vor- und Nachberichte zu jedem Prozesstag, inzwischen seien wohl mehr als 1000 Artikel erschienen. Die Texte stelle man zahlreichen anderen Zeitungen zur Verfügung – vom ,Standard’ in Österreich über das ,Hamburger Abendblatt’ bis hin zur ,Braunschweiger Zeitung’. Und obwohl der Aufwand durchaus Kosten verursache, alleine wegen der Reisen der Reporter nach München, erhielten die Kollegen der Partnerblätter die Artikel kostenfrei.“
Ganz recht: Man wollte sich kurz über den guten Job freuen, den die Kollegen da machen dürfen, da begegnet einem im letzten Satz schon wieder das Gespenst, das in der Lokalbranche umgeht und ihre Existenz gefährdet: die Zusammenlegeritis. Schließlich gehören das Hamburger Abendblatt und die Braunschweiger Zeitung ebenso wie die Thüringer Allgemeine zur Funke-Gruppe, und dass man sich dort gegenseitig umsonst Texte überlässt, ist keine kollegiale Freundlichkeit, sondern Sinn der Sache.
[+++] Dass das Altpapier meist ein Zeichenmonster ist, dessen Lektüre sich nicht in drei Sekunden absolvieren lässt, sieht man auch heute wieder. Andere Medien haben auch lange Texte und versuchen, Leute mit Zeitmangel mit einen tl;dr – too long, didn’t read - zu trösten. Bei den Prinzessinnenreportern steht, warum es das weder dort noch hier jemals geben wird, gekrönt mit der Zusammenfassung:
„tl;dr bzw. für eilige Leser der Prinzessinnenreporter:
Geht weg“
+++ Schlechte Nachrichten für alle, die nicht die Landlust verkaufen: Die Print-Auflagen sinken weiter. Bei DWDL und Meedia gibt es die dazugehörigen IVW-Zahlen. +++
+++ Die FAZ hat heute auf ihrer Medienseite Thementag Störerhaftung und lässt zum einen Andrea Diener erklären, was das noch mal ist, und zum anderen Kornelius Friz Ilja Braun interviewen, der als Referent für Digitales beim Bundesverband der Verbraucherzentralen unter anderem Folgendes sagt: „Uns geht es vor allem um private Accessprovider, also Freifunker, die mit ihrem offenen W-Lan-Router lediglich die Infrastruktur stellen. Der Post kann man auch keine Vorwürfe machen, wenn sie Pakete zustellt, deren Inhalt illegal ist. Diese Änderung wäre ein massiver Rückschritt auf dem Weg zu einem flächendeckenden und kostenfreien W-Lan. Solange die Haftung umstritten ist, trauen sich viele nicht, ihren Zugang für Fremde zu öffnen. Obwohl die Regierung freies Wlan fördern wollte, tut sie genau das Gegenteil.“ +++
+++ Zudem ist in der FAZ Platz für die Meldung, dass man in Bayern aus den Erfahrungen im Fall Hoeneß lernen und in Zukunft Gerichtsurteile schneller zugänglich machen will. In anderen Bundesländern bleiben Gerichte jedoch weiterhin auf ihren Urteilen sitzen. +++
+++ Der Pearson-Verlag erwägt den Verkauf der Financial Times, und das Unternehmen namens Axel Springer könnte am Erwerb interessiert sein, meint Der Standard. +++
+++ „Ich wusste auch, dass ich überwacht und abgehört wurde. Aber dass ich wegen angeblicher Unterstützung einer terroristischen Gruppe festgehalten würde, kam dann doch überraschend.“ Sagt der türkische Investigativ-Journalist Ahmet Sik im Interview mit der NZZ. Die zudem heute die Knallermeldung im Gepäck hat, dass wir bei gutem Wetter seltener fernsehen. Das haben britische Forscher nun herausgefunden. +++
+++ „Denn die durch eine Indiskretion in der Finanzbranche bekannt gewordenen Gespräche mit Döpfner und Pro-Sieben-Sat-1-Chef Thomas Ebeling klingen wie ein süßes Lied, das die Phantasie in der Medienbranche beflügelt. Doch bei genauerem Besehen wird klar, eine Übernahme der Unterföhringer Sender- und Internetgruppe durch den ,Bild’-Konzern ist derzeit chancenlos.“ Meint Hans-Peter Siebenhaar in seiner aktuellen Handelsblatt-Kolumne. +++
+++ Der Umgang mit Aufregung und Hass in Zeiten des Internets, der schon in vielen Altpapieren Thema war, zuletzt gestern, hat nun Johnny Haeusler endgültig in die Resignation getrieben, wie er in seiner aktuellen Wired-Kolumne dokumentiert: „In all den Kämpfen, die auf diese Weise und in diesem Ton längst nicht nur online geführt werden, kann niemand gewinnen, sondern wir werden alle nur verlieren. Unsere Würde, unseren Großmut, unsere Empathie und unsere Hoffnung auf gesellschaftlichen Fortschritt. Unsere Menschlichkeit. All die Möglichkeiten, die wir mit dem Internet hätten haben können, werden verloren sein.“ Was nun zu tun ist, weiß er aber auch nicht. +++
+++ Steven Spielberg ist an dem Stoff gescheitert; seine US-Serienfassung der Lebensgeschichte von Albert Espinosa wurde nach zehn Folgen abgesetzt. Nun versucht sich Vox mit „Club der roten Bänder“ an der Verfilmung, und scheint laut Hans Hoffs Bericht auf der Medienseite der SZ seinen Job ganz gut zu machen. „Eine ganz normale Krankenhausserie soll es aber eben genau nicht werden. Zwar spielt die Serie in der Klinik, aber im Mittelpunkt stehen jene Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren, die wissen, dass sie das Krankenhaus sehr lange nicht verlassen werden. Trotzdem verzweifelt niemand. Es ist gerade diese Mischung aus großem Ernst und jugendlicher Leichtigkeit, die den ,Club der roten Bänder’ so besonders macht. Bei aller Tragik bleibt viel Platz für spontanen Witz.“ +++
+++ „Gossip, Klatsch & Tratsch: Weltgeschehen können Sie hier nicht erwarten“ ist nur eine der Schlagzeilen der ehrlichen Focus-Online-Startseite, die Torben Friedrich gebastelt und in sein Blog gestellt hat. +++
Frisches Altpapier gibt es morgen wieder.