All good things are three
Ist Deutschland digital ein Failed State? Zumindest rocken Digitalunternehmer seine Hauptstadt (Mathias Döpfner Applechef-hafter denn je!). Das Tellerrand-Problem der Überwachungs-Kritik. Das Stuttgarter Modell war besser als der Stuttgarter Weg. Kann es auch zu viele Zeitungen geben? Außerdem: das dänische "UMUV" auf Arte ...

Hopsala, Berlin wurde schon wieder gerockt. Bei Axel Springer sind sie ganz aus dem Häuschen:

"Marco Rodzynek, Gründer und Geschäftsführer der NOAH Conference: 'NOAH rockt Berlin! Wir haben es geschafft, die Elite der Digitalwirtschaft in Berlin zu versammeln. Das überwältigende Feedback zeigt, dass die Konferenz ihrer großen Schwester in London schon im ersten Jahr in nichts nachsteht. Ich danke allen Teilnehmern, Sponsoren, Rednern und unserem Partner Axel Springer herzlich. Bis zum nächsten Jahr, Berlin. Europe is back!' ...",

teilt der Co-Host unter der Überschrift "Die NOAH Conference begeistert die digitale Elite" mit. Und wer die Fotos von den stylishen Kulissen anguckt, in denen Mathias Döpfner Applechef-hafter denn je rüber kommt (wenngleich nicht gar so Applechef-haft wie Springers Digital Ventures-Chef Jens Müffelmann; zum Vergleich aber: Sigmar Gabriel ebd.) und dann noch den Youtube-Kanal der Veranstaltung aufruft, auf dem jener Marco Rodzynek als Conferencier gleich in fabelhaftem Denglish ("All good things are three ... and more") zum Oliver-Samwer-Interview überleitet, der wird wohl auch ein wenig Gerocktheit verspüren.

Wer dann noch rasch das Medienecho überfliegt, am besten mithilfe des Hashtags #noah15, und etwa liest, wie die wirtschaftsnahe elektronische Presse an den Lippen des Stargasts Eric Schmidt hängt (Springers Welt, handelsblatt.com: "Auf der Internetkonferenz Noah in Berlin wird Mr. Google willkommen geheißen"), aber auch an denen des lokalen Schuhpaket-Lieferhelden Samwer -

"Einen seiner berüchtigten Vergleiche brachte der Rocket-Chef, als er über die Arbeit der Start-up-Schmiede sprach. 'Ich bin ein Bäcker', sagte Samwer. Er musste den Satz noch einmal wiederholen, das Publikum lachte zunächst. 'Ich backe Kuchen aus drei Zutaten: Ideen, Menschen und Kapital.' Allerdings muss der Geschäftsführer von Deutschlands größter Start-up-Schmiede mit einem Problem leben: 'Irgendwo gibt es immer einen Engpass: Manchmal haben wir nicht genügend Ideen, manchmal nicht genügend gute Leute, manchmal nicht genügend Kapital.' ..." (gruender.wiwo.de)

... wer all das überflogen hat, versteht vielleicht ein bisschen besser, warum Deutschland ein "Digitally Failed State" sein soll.

[+++] Die Zitrone hat noch Saft, Sascha Lobo gelang es, seine ebenso unterhaltsame wie didaktische Verbitterung weiter auszupressen:

"Deutschland ist ein Digitally Failed State. Und Sie tragen die Schuld. Sie, der Durchschnittsbürger. Eigentlich sind die Bürger, die Wählerschaft, das Publikum der Mittelpunkt der Medienlandschaft wie auch der der Demokratie. Leute also, die man nicht beschimpfen sollte. Aber ..."

ruft er in seiner aktuellen SPON-Kolumne einer aus rhetorischen Gründen, um effektvoller vor einer "digitale[n] Scheißwelt, vollüberwacht, vollkommerzialisiert, vollidiotisch" warnen zu können, etwas diffusen Zielgruppe zu.

"Wenn Sie so etwas hören wie digitale Gesellschaft, glauben Sie, es handele sich um eine irre Zukunftsvision von Netzenthusiasten wie mir. Irrtum: Die digitale Gesellschaft gibt es längst, Sie frühstücken mit ihr. Sie erkennen sie daran, dass sie in jeder Minute des Tages mit dem Smartphone unterwegs ist.

Aber ist diese existierende digitale Gesellschaft besser oder wacher? Oder nutzt sie ihre sog. Smartphones beim Frühstücken und wenn sie in Berlin durch die Straßen stapft, eher um stets die günstigsten Zalando-Schnäppchen zu googeln?

Der erheblich bessere Lobo wäre in diesem Fall Wolfgang Michal, der gerade herausarbeitete, "dass es die deutsche Überwachungskritik bislang nicht wagt, über den Tellerrand ihres Themas hinauszublicken", um schließlich "eine Verknüpfung der Überwachungskritik mit der Kritik der gegenwärtigen Machtpolitik" zu fordern.

Sein jüngster Blogeintrag lässt sich gut komplementär zu Lobos dieswöchiger Wutrede lesen. Aber Michal trägt, vielleicht einfach aus Altersgründen, keinen Iro. Und mit der Faustregel, dass man bei Spiegel Online alles schreiben kann außer differenziert käme er wahrscheinlich auch nicht lange zurecht.

[+++] Wo die Digitalisierung bekanntlich funzt: beim nachhaltigen Aus- oder Unterhöhlen des Geschäftsmodells gedruckter Zeitungen. Damit nach Stuttgart, dessen Vielfalts-Sparmaßnahme (Altpapier gestern) bzw., wie es die beteiligten Blätter ja nennen, "Zukunftsprogramm" namens "Der neue Stuttgarter Weg", heute auch die TAZ beschreibt.

Diesem "Weg" stellt Horizont-Chefredakteur Uwe Vorkötter in einem Kommentar das alte "Stuttgarter Modell" von anno 1972 gegenüber, das nun abgelöst wird und das zum Beispiel Berliner Tageszeitungen ganz gern übernommen hätten, aber nicht durften:

"Im Jahr 1972 entwickelte der legendäre Verlagsgeschäftsführer Eugen Kurz das Stuttgarter Modell:  Zwei Zeitungen erscheinen unter einem Dach, mit gemeinsamer Anzeigenvermarktung, gemeinsamer Technik, gemeinsamen Verlagsabteilungen - aber redaktionell strikt getrennt."

Als Ex-Chef einer schrumpfenden Großstadtzeitung kennt Vorkötter sich ja in der Materie aus, äußert entsprechendes Verständnis ("Diese Vorgabe ist nicht eben rabiat, die neue Gemeinschaftsredaktion soll immerhin 240 Vollzeitstellen umfassen") und schreibt dennoch von einem "Bruch, in dem ein Stück Zeitungsgeschichte und -kultur" untergehe. Pointe seines Textes ist, dass dafür die Süddeutsche Zeitung, die bekanntlich demselben hochverschachtelten Konzern gehört bzw. bei deren teurem Kauf dieser sich "überschätzt" haben könnte (TAZ heute), nun "ganz und gar eigenständig" bleiben dürfe. Wäre es nicht zur rein stuttgarterischen Vielfalts-Sparmaßnahme gekommen, wären die SZ und die StZ "miteinander verknüpft" worden.

[+++] Rasch zwei Blicke über den Tellerrand: Der Zeile "Zu viele Zeitungen für ein zu kleines Land" begegnet man nicht oft, aber nun im NDR-"Zapp"-Artikel (zuzüglich Video aus der gestrigen Sendung) über die Pressefreiheit in Bulgarien. Dass Bulgarien größer werden müsse, will Caroline Ebner sicher nicht sagen. Problem sei: Die meisten Medien im EU-Mitgliedsstaat mit der niedrigsten Position in der Pressefreiheits-Rangliste der Reporter ohne Grenzen

"tragen sich wirtschaftlich nicht. Weil viele von ihnen rote Zahlen schreiben, sind sie wiederum auf Fördermittel aus der Politik angewiesen. Mal kommen die über die bulgarische Regierung aus den Töpfen der EU, mal sind es Werbegelder. Denn der Staat ist Spahr zufolge der größte Werbekunde. ... Und wechsle die Regierung, änderten die Medien auch schnell ihre Ausrichtung - je nachdem, wer gerade an der Macht sei. Damit sind dem Leiter des Medienprogramms der Stiftung für Südosteuropa zufolge 'vor allem Printmedien mehr ein Instrument in den Händen bestimmter Eliten als tatsächlich ein Medium, um bestimmte Bevölkerungsschichten zu informieren'".

Es ließe sich drüber streiten, ob die Konrad-Adenauer-Stiftung, auf deren Medienprogramm Südosteuropa und dessen Leiter Christian Spahr sich "Zapp" bezieht, und die ebenfalls im Beitrag vorkommende Friedrich-Naumann-Stiftung ideale Gewährsleute sind. Aber als Baustein für weniger erfreuliche Medienzukunfts-Szenarien auch jenseits Bulgariens ist der Beitrag interessant.

Zwischendurch ein kleiner positiver Akzent, auch vom Balkan:

"Hätte es 1991 schon soziale Medien gegeben, dann hätte der Jugoslawienkrieg vermutlich nie stattgefunden - die Menschen wären ganz anders 'propagandisiert' worden",

zitiert der Standard Nedad Memic, den Chefredakteur der ebenfalls österreichischen Zeitschrift Kosmo, von einer Wiener Konferenz zum Thema "Medienfreiheit im Donauraum". Das heißt aber nicht, dass dort die schöne, aber spätestens durch den Krieg in der Ukraine erledigte Idee, die Entwicklung der Medien könnte zumindest in Europa Kriege grundsätzlich verhindern, verfolgt wurde. Vielmehr herrschte an pessimistischen Einschätzungen aus europäischen Staaten auch dort kein Mangel.
 


Altpapierkorb

+++ "Hören Sie auf sich folgenlos zu beschweren und schauen Sie fern, bis Sie unvernetzt vom Sofa fallen", lautet noch ein Satz aus Sascha Lobos aktueller Wutrede. Aber was schauen? Am besten mittwochs spätabends Dokumentarfilme: Die Forderung der rührigen AG Dok, den nach Günther Jauchs ARD-Abschied freiwerdenden Anne-Will-Termin zu einem "regelmäßigen Sendeplatz für den Dokumentarfilm" zu machen, vermelden FAZ und TAZ via DPA. +++

+++ Am gestrigen Mittwoch-Hauptabend präsentierten sich ARD und ZDF mal wieder von ihrer erbärmlichsten Seite. "Das Erste überträgt am Mittwoch ein Fußball-Länderspiel, schon reagiert das Zweite mit Rosemunde-Pilcher-und-Inga-Lindström-Kitsch. Information wie das 'Auslandsjournal' wird glatt rausgeschmissen", kommentierte Joachim Huber im Tagesspiegel ... +++ Indes würdigt die Medienkorrespondenz die Meldungen der ARD-"Tagesschau" zu den ARD-Talkern Jauch und Will. +++

+++ Zurück zum digitalen Failed State: Dass Vodafones Kabel Deutschland gerne die Netzneutralität aufheben würde, wenn Netflix und/ oder dessen Kunden dafür bezahlten, meldet netzpolitik.org. +++ Und "ein Misthaufen bleibt auch dann einer, wenn man drei Packungen Lametta hineinschüttet" (Heribert Prantl auf der SZ-Meinungsseite über das aktuelle Vorratsdatenspeicherungs-Gesetz). +++

+++ Auf dem frischen Instagram-Account der Bundeskanzlerin hatten "die Diskussionen, die Nutzer neben den gratis teilbaren Fotos führen können, sich .. übrigens vor allem in kyrillisch geschriebene Sprachen verlagert", berichteten wir hier neulich. "Medienkrieger in St. Petersburg", "Putins Troll-Armee" "müllen es zu mit gehässigen, teils sogar beleidigenden Kommentaren", so der Tagesspiegel, der nun Ex-Trolle vorstellt. +++

+++ Kostenlose Mediatheken "kontraproduktiv" nannte Wolf Bauer, Chef der Bertelsmann-Firma UFA, beim Kölner Medienforum (dwdl.de), auf dem auch mal wieder die Aufhebung der Sieben-Tage-Fristen gefordert wurde. +++

+++ "Werden die Weppers nun also mit gesellschaftlichen Themen und schwerem Ernst zu so einer Art 'Tatort'-Duo?" Die SZ-Medienseite scheint Gefallen an der heutigen ARD-Krimischmonzette "Mord in bester Gesellschaft" gefunden zu haben (wie auch TPG hier nebenan). +++ Außerdem sollten in Standardverträgen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens investigative freie Fernsehmacher besser juristisch, also gegen Klagedrohungen geschützt werden. "Produktionen wie 'Donau von oben' sind leichter zu tragen. Die Donau verklagt niemanden", sagt der Dokumentarfilmer Stephan Lamby im Namen der Produzentenallianz. +++

+++ Und um ein neues Printerzeugnis geht es ebd.: Toolbox, die "neue Zeitung für die junge, wissbegierige Leserschaft" der Neuen Zürcher. "Lesenswerte Stücke um den Themenschwerpunkt 'Big Data', darunter ein Whatsapp-Interview mit einem Netzelektrik-Azubi beim Kabelverlegen im Tunnel. ... Knuffig eine Kolumne über die Schwierigkeit, Liebeserklärungen auf Schweizerdeutsch auszusprechen". +++

+++ Die auch noch recht neue, "von Männern für Frauen" gestaltete  Zeitschrift Weiberkram sei "Mackermist", findet Michaela Hütig (epd medien). +++ Indes ein "Sorgenkind": Neon, eine der bekannteren Gruner+Jahr-Zeitschriften. Das berichtet Henning Konrfeld semi-kostenpflichtig im journalist. +++

+++ Im Jahre 1864 haben die Dänen einen Krieg gegen preußische und andere Deutsche verloren. "Und weil sie in Sachen Qualitätsfernsehen international derzeit so viel siegreicher sind als die Deutschen, haben sie" darüber nun "die bislang größte dänische TV-Serie (23 Millionen Euro, 160 Schauspieler, 6000 Statisten, über 60 Prozent Marktanteil) gedreht." "1864" startet heute auf Arte, "will ein bildgewaltiges Epos mit existentiellem Wums sein" und ist dann "eine Gratwanderung zwischen skrupulöser Geschichtsstunde und dick aufgetragenem, dabei nicht humorfreiem Melodram" (Jens Müller, TAZ). +++ Sie sei "das 'Unsere Mütter, unsere Väter' der Dänen" und "partout darauf aus, der atmosphärisch gestörten Gegenwart einen Spiegel vorzuhalten, und dieser angestrengte Versuch tut dem von Regisseur Hans Ole Bornedal verfassten Drehbuch nicht immer gut", beklagt Matthias Hannemann in der FAZ. +++

+++ Außerdem hat die FAZ den Passauer Strafrechts-Professor Holm Putzke nach dem vorpommerschen Urteil gegen den Nordkurier wegen des Wortes "Rabauke" gefragt und gehört, "dass sich der Generalstaatsanwalt" Mecklenburg-Vorpommerns "selbst strafbar gemacht" habe: "Paragraph 344 des Strafgesetzbuches sieht für die 'Verfolgung Unschuldiger' eine Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren vor. 'In der Äußerung des 'Nordkurier'-Chefredakteurs liegt offenkundig keine Straftat vor', sagt Putzke ..." Zugleich folgt die FAZ der Nordkurier-Fährte, die lokale Justizministerin von der CDU könne dahinterstecken. +++ Der aufmerksamkeitsheischenden Aktion des Handelsblatt-Redakteurs Norbert Häring, den Rundfunkbeitrag unbedingt bar bezahlen zu wollen, gibt sie wenig Chancen: "Wer sich also partout den Banken verweigern will, müsste eben regelmäßig nach Köln pendeln und den Haushaltsbeitrag in bar einzahlen. Einen Schalter, der beispielsweise jeden Montagmorgen von zehn bis zwölf  Uhr geöffnet hat, wird die Mammutbehörde mit mehr als tausend  Mitarbeitern schon noch einrichten können." +++

+++ Aus Lorenz Maroldts heutigem "Checkpoint"-Newsletter: "Lange nichts gehört von Olympia - aber jetzt: Die Senatskanzlei geht nicht weiter juristisch gegen die Nazi-Satire des Blogs 'Metronaut' vor. Von dem Geld, das Unterstützer für den Rechtsstreit gesammelt hatten, begleicht Metronaut seine Anwaltskosten (887,03 Euro), spendet 877,95 Euro an netzpolitik.org, Reporter ohne Grenzen und Correctiv - und schenkt dem Regierenden Bürgermeister ein Jahresabo der 'Titanic' (48 Euro). Schade, dass der das nicht annehmen kann (übersteigt den zulässigen Wert von Geschenken im Öffentlichen Dienst)." Zum Zusammenhang siehe dieses Altpapier. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.