Andreas L.
Wenn man googelt, wer sich im vergangenen Monat noch dieser Abkürzung bediente, die längst überflüssig erschien, seitdem der komplette Name an anderen Stellen regelmäßig in Gebrauch war, erhält überraschende Ergebnisse: Focus Online. Die deutsche Huffington Post. Der Berliner Kurier. Bunte.de - letztere jedoch mit der einmaligen Fähigkeit, einmal im Text doch Lubitz statt L. zu schreiben. Aber netter Versuch.
Er wäre, das wissen wir seit gestern, zumindest aus Sicht des beliebten Zahnlostigers namens Presserat gar nicht nötig gewesen.
„Zunächst handelte es sich bei dem Germanwings-Unglück nach Ansicht des Presserats um eine außergewöhnlich schwere Tat, die in ihrer Art und Dimension einzigartig ist. Dies spricht für ein überwiegendes öffentliches Interesse an dem Fall insgesamt, jedoch könnte es auch Gründe geben, die dennoch eine Anonymisierung erfordern würden. So könnte z.B. durch die Nennung des Namens des Co-Piloten, seines Wohnortes und der Information, dass er auch im Elternhaus gelebt hat, die Identifizierung der Eltern ermöglicht werden. Aus Sicht des Presserats überwiegt jedoch in diesem außerordentlichen Fall das öffentliche Interesse an der Information über den Täter, soweit es die reine Nennung des Nachnamens betrifft. (...) Als sehr hoch zu bewerten ist die Schutzwürdigkeit der Opfer und ihrer Angehörigen. Deren Namen und Fotos dürfen aus Sicht des Presserats nur dann identifizierbar veröffentlicht werden, wenn es sich um berühmte Persönlichkeiten handelt oder eine ausdrückliche Zustimmung vorliegt.“
So lautet die zentrale Argumentation des freiwilligen Kontrollgremiums der Presse, die sich in der Pressemitteilung hier nachlesen lässt. Wer derartige Informationen lieber in der Nacherzählung von Medienmedien konsumiert, kann z.B. bei Tagesspiegel, Standard oder DWDL vorbeischauen.
Für Michael Hanfeld von der FAZ wurde mit dieser Entscheidung nicht weniger als die Pressefreiheit verteidigt.
„Hätte er [der Presserat] anders entschieden, wäre es der Presse unmöglich, den Absturz des Flugzeugs als das zu beschreiben, was er war: kein Unglück mit hundertfünfzig Opfern, sondern ein monströser Massenmord mit 149 Opfern und einem Täter, der seinen eigenen Tod in Kauf nahm. (...) Von der Presse zu fordern, den Namen von Andreas Lubitz nicht zu nennen, ihn nicht zu zeigen, nicht zu ergründen, was mit ihm los war und was sein Arbeitgeber wusste, das mutet geradezu aberwitzig an. Es verwischt die Kategorien, es hebt den Gegensatz zwischen Täter und Opfer auf“,
schreibt er heute auf der Medienseite der FAZ (auch online verfügbar).
Warum man zur Recherche zum Arbeitgeber unbedingt den Nachnamen des Co-Piloten nennen muss, wird wohl für immer Hanfelds Geheimnis bleiben. Dafür ist er aber unter den berichtenden Journalisten der einzige, der überhaupt eine Haltung und Einordnung anbietet.
430 Menschen hatten sich beim Presserat über die Berichterstattung in Zeiten des Flugzeugunglücks beschwert – so viele wie nie zuvor zu einem Ereignis. Auch wenn alle Kritik an der Namensnennung abgewiesen wurde, standen am Ende doch zwei öffentliche Rügen, sechs Missbilligungen und neun Hinweise – Sanktionen, deren Namen schon nach überforderter Gouvernante klingen, die versucht, das ungezogene Kind mit der Androhung einer Rüge von der weiteren Verwüstung der guten Stube abzuhalten.
Als besonders unartig, um im Bild zu bleiben, haben sich die geruckten und digitalen Ausgaben eben dieser Zeitung aus dem Springer-Verlag erwiesen. Mehrfach hatten sie Fotos von Opfern veröffentlicht (unverpixelt, was sich nach Wissen das Bildblogs sonst niemand gewagt hatte), diese auch beim Namen genannt, eine Todesanzeige mit den Namen der getöteten Schulkinder samt Klassenfoto gedruckt und Details über die Eltern des Co-Piloten in die Öffentlichkeit gezerrt.
Die Reaktion des Bild-Chefs Kai Diekmann dazu auf Twitter:
„Warum die Namens-Nennung von Todes-Pilot Andreas Lubitz aus Sicht des #Presserat zulässig ist. #4U9525“
Wer irgendetwas richtig gemacht hat, muss die zahlreichen angefallenen Fehler nicht beachten. Zumindest nicht, wenn er Kai Diekmann heißt.
Offen bleibt jedoch, warum er nach dieser Logik nicht auch erwähnte, dass sein alter Post-Bote Franz-Josef Wagner für diesen Brief an die „liebe[n] Absturz-Opfer“ unsanktioniert blieb.
„Wie war die Stimmung in dem Flugzeug, das in den Tod flog?
Ich hoffe, sie waren glücklich, bevor sie starben.
Nette Stewardessen?...“,
hatte er darin zu schreiben für eine gute Idee gehalten. Denn es ist ja weniger schlimm, gegen einen Berg gesteuert und um sein Leben gebracht zu werden, wenn die Stewardessen nett sind.
Nein, dazu fällt einem wahrlich nichts mehr ein, aber der Presserat ließ Wagner dennoch leer ausgehen:
„Ausschlaggebend war, dass in darin keine Äußerungen enthalten waren, welche gegen den Pressekodex verstoßen. Zu Entscheidungen über guten oder schlechten Geschmack ist der Presserat jedoch nicht berufen.“
Um das Bild von der Bild komplett zu machen, muss hier noch erwähnt werden, was Georg Altrogge bei Meedia als Nebenspielschaupatz ausgemacht zu haben meint:
„Diese Rügen, das schärfste Schwert des Selbstkontrollgremiums werden stets öffentlich ausgesprochen und via Pressemitteilung verbreitet. (...) Anders verhält es sich bei Missbilligungen. Diese werden regelmäßig in den Pressemitteilungen anonymisiert und zunächst den jeweiligen Medien zugestellt. Diese sind dann zwar aufgefordert, die Missbilligungen selbst zu veröffentlichen – eine Verpflichtung hierzu gibt es aber nicht. Im aktuellen Fall wich der Presserat von der gängigen Praxis jedoch ab und missbilligte Bild Online gleich zwei Mal öffentlich. Alle anderen Medien, die in diesem Fall ebenfalls Missbilligungen kassierten (insgesamt vier), wurden nicht konkret benannt“.
Altrogge erkennt darin eine Retourkutsche für die Veröffentlichung der Presseratstelefonnummer Anfang der Woche, als die Bild-Zeitung sich für eine Rüge in einem anderen Fall revanchierte (Altpapier am Mittwoch).
Der Presserat selbst hat dafür eine andere Erklärung: schlicht die Anzahl der Beschwerden über die Berichterstattung der Zeitung.
[+++] Noch einmal Umgang mit Kritik, aber ganz anderer Fall: „Was wir aus der Berichterstattung über den Bellingcat-Report lernen“ hat das fast in Vergessenheit geratene Spiegelblog diesen Text von Florian Harms überschrieben, der sich mit der zu großen Begeisterung für die vermeintlich gefälschten russischen Fotos vom abgeschossenen Malaysia-Airlines-Flugzeug bei Spiegel Online beschäftigt (Altpapierkorb gestern).
„Selbstkritisch müssen wir festhalten: Diese professionelle Skepsis im Umgang mit der Quellenlage, das Hinterfragen der Quelle hätten wir bereits in den vorherigen Artikeln stärker zum Ausdruck bringen sollen. Wir lernen daraus und nehmen uns vor, dies in künftigen Fällen zu beherzigen.“
Zumindest im Genre der selbstgerechten Selbstkritik ist man bei Spiegel noch führend.
„Alles schön und gut und richtig, aber wie oft kann man denn dieselbe Sache ,lernen’?“,
twitterte daraufhin Stefan Niggemeier.
Die einen freuen sich, wenn sie in einem Berg aus Fehlern den einen Punkt finden, zu dem sie etwas richtig gemacht haben. Die anderen lernen lieber lebenslang, als einmal zu sagen: Das haben wir falsch gemacht.
Wenn es um sie selbst geht, sind deutsche Medien dem Positivismus doch durchaus aufgeschlossen.
+++ Was Lokführer können, können Onlinejournalisten jetzt auch: Die Mitarbeiter von Gawker haben sich gewerkschaftlich organisiert, schreibt der Guardian. +++
+++ In zwei Wochen soll der neue ZDF-Staatsvertrag unterzeichnet werden, und dass im Fernsehrat des Senders aus Sicht eines Verfassungsrichters auch danach noch zu viele Politiker sitzen, berichtet Wolfgang Janisch heute auf der Medienseite der SZ. „Andreas Paulus, Richter im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts, hatte im Karlsruher ZDF-Urteil in einer abweichenden Meinung einen radikalen Bruch mit der politischen Besetzung der ZDF-Gremien gefordert. Staatliche Vertreter sollten – wenn überhaupt – nur noch in kleiner Zahl dort vertreten sein. Im Fernsehrat hatte das Gericht 44 von 77 Mitgliedern als ,staatlich oder staatsnah’ identifiziert – eine Art Politbüro. Der Senat bekräftigte zwar das ,Gebot der Staatsferne’, zog aber nicht die Paulus’sche Konsequenz. Eine Staatsquote von einem Drittel sei erlaubt.“ +++
+++ Mehr zum gestern hier schon angesprochenen Jugendkanal hat heute die taz. +++ Wo Daniel Bouhs außerdem die ersten Apple-Watch-Nutzer zu den Folgen für den Journalimus befragt: „,Nur weil es diese Uhren gibt, wird sich nicht der Journalismus verändern’, sagt [Technikredakteur Michael] Reimann. Eine Herausforderung sieht er allerdings: Schlagzeilen müssten jetzt eben auch auf dieses Gerät passen.“ +++
+++ Falls Sie am Wochenende planen, endlich mal Ihre neue Foto-Drohne auszuprobieren: Das Berliner Serviceblatt mit dem Namen Tagesspiegel hat zusammengetragen, worauf man im Umgang mit einem solchen Wundern der Technik achten sollte, u.a. besser nicht gegen Hindernisse wie Enrique Iglesias fliegen. +++
+++ „Der Zustand der deutschen Serie (...) gibt mehr und mehr Grund zur Hoffnung“, passt als Satz doch ganz gut zu einer Veranstaltung, die sich „Der Große Serien-Summit“ nennt. Wenn die Autorenzeile nicht trügt, war die gesamte DWDL-Redaktion da, um zu berichten. +++
+++ Apropos Serie: Derzeit wird für die ARD „Die Stadt und die Macht“ gedreht, und David Denk war für die SZ am Set. „,Die Stadt und die Macht’ ist der erste deutsche Versuch, im Drama-Genre realistisch aus der Welt der Politik zu erzählen, seit der gefloppten ZDF-Serie ,Kanzleramt’. Das ist zehn Jahre her. In der Zwischenzeit ist viel passiert: Publikumserfolge wie die Netflix-Eigenproduktion House of Cards oder das dänische Borgen haben Politik zum beliebten Serien-Sujet gemacht – aber auch die Latte ziemlich hochgelegt.“ +++
+++ Für alle, die schon immer mal virtuell über die Prager Karlsbrücke flanieren wollten, hat Springers Welt hier etwas vorbereitet. („Wir bei ,WeltN24’ experimentieren mit der Virtual Reality auch im Journalismus. Als erste große Nachrichtenseite in Deutschland veröffentlichen wir hier ein selbst gedrehtes 360°-Video.“) +++
+++ Das ZDF möchte uns auf heute.de erklären, wie so eine Berichterstattung vom G7-Gipfel funktioniert und hat sich entschlossen, dass auch für die Erwachsenen im Logo-Stil zu tun. („Dass diese Fahrzeuge möglichst immer zur rechten Zeit am rechten Ort sind, hat Kristionat fest im Blick. Der erfahrene Nachrichtenredakteur hat schon bei vielen Großereignissen die Zügel in der Hand gehabt.“). Wir sagen: fein gemacht! +++
+++ „I just hope I can afford the airfare to New York and that someone will let me sleep on their couch(...) so that I can be there in the [courthouse] press box to say, ,Hi guys! It’s been a long run, hasn’t it?’“ Ist nur ein wunderbares Zitat aus diesem Artikel aus der Washington Post, der den schottischen Investigativjournalisten Andrew Jennings porträtiert, ohne den Sepp Blatter wohl noch bis ans Ende seiner Tage auf dem Fifa-Chefsessel kleben geblieben wäre. Der Text ist zwar schon Mittwoch erschienen, aber angesichts der 15 Jahre, die Jennings recherchiert hat, geht das hoffentlich in Ordnung. +++
+++ Bleibt nur noch das heutige Fernsehprogramm. Die ARD sendet den Film „Eins ist nicht von Dir“ mit Michael Gwisdek - benannt nach dem Satz, dem die sterbende Frau Gwisdeks Schwerenöter-Charakter hinterlässt. Aber die FAZ rät eher ab, die taz auch. +++
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.