Kleiner Sumpf
Der WDR ist manchmal richtig gut und legt inzwischen sogar Wert auf ökonomische Abwicklungs-Lösungen. Thommy Gottschalks Marktwert gesenkt zu haben, bleibt sein Verdienst. Außerdem: Könnte sich theoretisch jede Zeitung auf jeden Verkaufstresen klagen? Und ein neues, schlechtes Gesetz.

Zum Thema, das seit gestern die Nachrichtenmedien rockt, dem mutmaßlich sehr großen Sumpf in der und um die FIFA, hat der WDR kürzlich eine ziemlich gute Doku hergestellt und gestern abend noch mal ins ARD-Programm gehoben. "Der verkaufte Fußball" ist, abgesehen vielleicht von der Rahmenhandlung mit der sympathischen ARD-Nase Peter Lohmeyer, sehenswert und übrigens noch bis Mai 2016 in der Mediathek abrufbar.

Zum Thema, das seriöse Nachrichtenmedien aus dem aktuellen Anlass des jüngsten Vorratsdatenspeicherungs-Beschlusses auch heute wieder beschäftigt, zeigt der WDR heute in seinem Dritten Programm und im Internet einen Themen- beziehungsweise "Überwachungsabend" namens "Supernerds". den die FAZ heute auf ihrer ersten Feuilletonseite ausführlich bespricht. Er hat dazu sogar "ein sogenanntes Suddenlife Gaming" aufgelegt, das dem gewiss nicht unkritischen SZ-Reporter David Denk Freude bereitete ("Hoppla, was ist das? Eine weitergeleitete Mail im Posteingang: 'Ich möchte jetzt nicht David D. sein. :)' Ein Satz - und plötzlich ist alles ein bisschen anders, ist man mittendrin statt nur dabei ..."). Eine Degeto-Wiederholung läuft erst am Samstag (!) wieder im WDR-Fernsehen.

Insofern ist das WDR-Fernsehen gar nicht mehr so schlimm, wie man womöglich noch denkt, seit Verena Kulenkampff es optimierte. Kulenkampff befindet sich seit über einem Jahr im Ruhestand, den hochrangige Mitarbeiter der Kölner Anstalt bekanntlich materiell besonders sorgenfrei genießen können. Der WDR schaut nicht immer auf die ökonomischste Lösung.

Aber bei Thommy Gottschalk schaute er darauf.

"Aus Sicht der damals Verantwortlichen war es daher die ökonomischste Lösung, von der Moderation weiterer Formate durch Thomas Gottschalk Abstand zu nehmen",

lautet der Schlüssel-Satz in der gestern veröffentlichten "Stellungnahme zu 'Gottschalk live'", also der Aufregung um die Zahlungen für geleistete und nicht mehr geleistete Moderationen (Altpapier vorgestern, gestern) des Entertainers.

"Abwicklung der Show nach Absetzung ordnungsgemäß",

lautet die kongenial kompakte Kurzform der News für solche User, die nicht ewig Zeit haben (wdr.de). Die Langform geht etwa insofern in die Details, als dass die Höhe der vereinbarten Honorare halt mit Gottschalks "Bekanntheit und seinem Marktwert als einer der beliebtesten Moderatoren in Deutschland" zusammengehangen habe. Und hey, was immer sich dem WDR vorwerfen lässt: Zur Reduzierung von Gottschalks Marktwert hat er seinen Beitrag gelastet. Schon deshalb kann so ein Fall sich kaum noch wiederholen. Vielleicht gibt es auch noch andere Gründe dafür. Der dreimalige Einsatz der Formulierung "aus Sicht/ nach Auskunft der damals Beteiligten/ Verantwortlichen" könnte darauf deuten, dass die an der Ausformulierung der Stellungnahme beteiligten Justiziare und der aktuell verantwortliche Intendant Tom Buhrow heute ohnehin anders handeln würden.

Klar ließe sich die Frage aufwerfen, ob die als Argument angeführten "Ausfallhonorare für andere Moderatoren" im Fall, dass der teuer eingekaufte Thommy Gottschalk einfach deren Moderationsjobs übernommen hätte, nicht niedriger gewesen wären. Ihr Marktwert war es seinerzeit ja wohl. Oder es ließe sich einwenden, dass die Formulierung "ausschließlich über Werbeeinnahmen finanziert" ein wenig zu sehr so klingt, als hätten Werbeeinnahmen öffentlich-rechtlicher Anstalten gar nichts mit Rundfunkgebühren und -beiträgen zu tun (oder als hätte die Idee, Thommy Gottschalk sehr langfristig fürs Werberahmenprogramm einzukaufen, sich auf diese Werbeeinnahmen positiv ausgewirkt).

"Das ist nur die halbe Wahrheit, denn wenn die Mediagroup Geld zum Fenster rauswirft, schmälert das am anderen Ende jenen Betrag, der an den Muttersender überwiesen wird",

schreibt Hans Hoff dazu in seinem SZ-Medienseiten-Artikel über die "butterweiche Stellungnahme" (frei online ähnlich). Am Ende scheint aber auch er die Hoffnung zu hegen, solche Deals könnten sich inzwischen nicht mehr wiederholen.

Was schreiben die anderen so? "Der Westdeutsche Rundfunk hat sich vom ordnungsgemäßen Zustand der 'Gottschalk Live'-Verträge überzeugt", scherzt Joachim Huber (Tagesspiegel) und zitiert dann die Grande Dame der nordrhein-westfälischen Rundfunkaufsicht, Ruth Hieronymi, "dass der Gottschalk-Vertrag den Gremien des Senders nicht vorgelegen habe. 'Der Grund dafür ist, dass die Produktion nicht aus Rundfunkgebühren finanziert wurde, sondern ausschließlich aus Werbeeinnahmen. Eine Zustimmung der Gebühren war nicht einzuholen.'" "Hieronymi (67) kritisiert die Vorgänge: 'Wir haben gemeinsam mit den Intendanten vereinbart, dass die Gremien über alle werbefinanzierten Produktionsverträge informiert werden.'" (Bild-Zeitung).

"Kritikern der Öffentlich-Rechtlichen, die vor allem die Gebührenzahler als Leidtragende sehen, ist mit der Erklärung zumindest ein wenig Wind aus den Segeln genommen" (Christian Meier, Springers Welt). Sensationell zahm stellt Michael Hanfeld in der FAZ "die Frage, ob dies dem angemessenen Handeln öffentlich-rechtlicher Sender entspricht".

Und die Kölner von dwdl.de bescheinigen ihrer Anstalt Glaubwürdigkeit: "Der WDR hat bestätigt, dass Thomas Gottschalk trotz der vorzeitigen Einstellung seiner Vorabendshow sein komplettes Gehalt bekommen hat. Dabei hätte man ihn quasi frei Haus für zwei Abendshows bekommen können, allein: Es fehlte eine Idee". Das Fehlen von Ideen für Unterhaltungssendungen beim WDR wirkt nun wirklich authentisch. War daran nicht auch "Gottschalk live" gescheitert?

Fazit: Der WDR ist auch noch ein Sumpf, aber im Vergleich mit der FIFA und erst recht mit den internationalen und nationalen Überwachungs-Institutionen und -Konzernen, die sich in der Datenflut tummeln und wieder neu in sie stürzen sollen, ein eher kleiner. Vielleicht trocknet er sogar ein bisschen.

[+++] Ebenfalls gestern im Altpapier stand die offene Frage, ob Verkäufer von Verleger-Erzeugnissen eigentlich so etwas wie den Tendenzschutz genießen, den Verleger geradezu grundgesetzlich haben.

Tun sie tatsächlich nicht. Dem hier, zunächst von schleckysilberstein.com geschilderten Fall des Edeka-Ladens aus Chemnitz, der keine Bild-Zeitung auslegen wollte und daher gar keine Presse mehr geliefert bekommt, sind dann auch die TAZ in Gestalt Marco Wedigs sowie wuv.de nachgegangen.

Wedig hat Beispiele von Spätis und Aral-Tankstellen zwischen Papenburg, Marburg und Bendorf zusammengetragen, die aus demselben Grund ebenfalls von ihren Grossisten unter Druck gesetzt wurden.

"Alex Bonilla-Cardona, Betreiber von Monsieur Renard‘s Garten in Stuttgart, sagt der taz, sein Vertriebler sei eine 'relativ coole Socke'. Doch die Süddeutsche Zeitungszentrale habe ihn trotzdem vor die Wahl gestellt, die Zeitung wieder zu verkaufen oder gar keine Zeitungen mehr zu erhalten. 'Leider haben wir uns für die Bild entschieden.' Anfragen der taz zu der Sache wurden von den genannten Vertriebsfirmen bislang nicht beantwortet."

Aber der für Chemnitz zuständige Vertrieb reagierte auf die TAZ-Anfrage:

"Der Mitteldeutsche Pressevertrieb ... leitete die Fragen der taz allerdings an den Springer-Verlag weiter. Dort beruft man sich auf das Presse-Grosso-System: 'Ein Zeitungshändler hat, abgesehen von seiner persönlichen Meinung, eine wichtige Funktion: Mit seiner Auslage ermöglicht er seinen Kunden, die Medienvielfalt in Deutschland überhaupt in Anspruch zu nehmen und sich ihre eigene Meinung zu bilden.'"

wuv.de zitiert dieselbe Auskunft und interpretiert:

"Dass Edeka Heymer mit dem 'Bild'-Bann eine Vorauswahl für den Leser getroffen hat, akzeptieren Grossist und Springer ergo nicht. Von 'Vertragsbruch' des Edeka-Händlers ist die Rede. Weiter heißt es beim Verlag, das Presse- und Meinungsfreit sei ein zentrales Gut in Deutschland. Und: 'Das Grosso-Dispositions-System sorgt dafür, dass Menschen in Deutschland beim Zeitungs- und Zeitschriftenhändler genau diese Pressefreiheit durch ein vielfältiges Angebot an Medien erleben können' ..."

Was im Umkehrschluss hieße, dass sich auch jede linke Zeitung auf den Verkaufstresen jedes Aufbackshops woauchimmer klagen könnte, auf dem außer der raumgreifenden Bild-Zeitung höchstens noch zwei weitere Blätter passen, oder? Das Thema bleibt spannend.

[+++] "Das Gesetz ist schlecht", schreibt Heribert Prantl auf der SZ-Meinungsseite aber über das neue Vorratsdatenspeicherungs-Vorhaben der CDU/ SPD-Bundesregierung:

"Es verschärft die Überwachungs-Gesamtbilanz massiv. Aber selbst diejenigen, die eine Speicherung der Daten unbescholtener Bürger grundsätzlich akzeptieren, werden zugeben müssen: Das Gesetz ist schlecht gemacht ... Geradezu unverschämt ist es, dass die Strafbarkeit der Datenhehlerei ins Gesetz geschmuggelt wurde: das führt zur Kriminalisierung der Whistleblower, Blogger und Journalisten, die mit heiklen Daten arbeiten. Berichte, wie man sie heute über geheimdienstliche Illegalitäten lesen kann, wären künftig strafbar."

Auch weil das Gesetz dorthin gehört, geht's weiter im ....


Altpapierkorb

+++ "#VDS lehne ich entschieden ab - verstößt gg Recht auf Privatheit u Datenschutz. Kein deutsches Gesetz u keine EU-RL": "Zwischen diesem Tweet von Justizminister Maas und seinem Gesetzesentwurf zur Vorratsdatenspeicherung lagen gerade einmal fünf Monate", weiß die elektronische Presse des schon erwähnten WDR, der Blog Digitalistan. +++ Und was Maas aktuell sagte, steuert netzpolitik.org per Audio-Mitschnitt und Transcript bei. +++

+++ Lesenswert, zurzeit noch nicht frei online: was Adrian Lobe auf der FAZ-Medienseite über archive.org schreibt. "Die durchschnittliche Halbwertszeit einer Website beträgt rund hundert Tage. Das ist ein zwiespältiger Befund, schließlich meinen wir, das Netz vergesse nie. Was einmal im Netz landet, hat Bestand, ist eingemeißelt für die Ewigkeit – denkt man. In Wirklichkeit werden haufenweise Seiten gelöscht. 2006 sagte der jetzige britische Premier David Cameron in einer Rede, Google demokratisiere die Welt, 'weil es den Menschen Informationen zugänglicher macht'. Sieben Jahre später nahmen die Torys zehn Jahre Redematerial von ihrer Website, inklusive der genannten. Was interessiert schon das Geschwätz von gestern? Das Portal BuzzFeed löschte mehr als 4000 Artikel seiner Redakteure, angeblich, weil sie mit der Zeit immer lächerlicher und dümmlicher wirkten ..." Die Non-Profit-Organisation archiviert all das, dürfte "angesichts der exponentiell wachsenden Datenmenge" damit aber irgendwann überfordert sein. +++

+++ Erst im Juni bei Arte zu sehen ist Diana Löbls und Peter Onnekens ZDF-Doku "Schlank durch Schokolade", die allerdings wohl weniger von schlankmachender Schokolade als vom Zustand des Journalismus berichtet: "'Man vertraute einfach der Pressemitteilung, in der wir ein Märchen erzählt haben', sagt Onneken" auf der SZ-Medienseite. "Und schämt sich auch für manche Kollegen. Ob er mit sich im Reinen sei, obwohl er wieder die Vorurteile gegen die angebliche Lügenpresse befeuere? Er habe ein schlechtes Gewissen, sagt Onneken, 'dass ich in einer Branche arbeite, die offensichtlich immer mal wieder nach einem Motto vorgeht: 'Wenn die Geschichte zu gut ist, dann bloß nicht recherchieren.'" +++

+++ Sine ira et studio hat sich Alexandra Mostyn in Prag die am Dienstag im Altpapierkorb und Tagesspiegel erwähnte Show "Urlaub im Protektorat", "in der das tschechische Fernsehen, pünktlich zum 70. Jahrestag des Beginns der Vertreibung der Deutschen, die Nazidiktatur im Land wieder aufleben lässt", für die TAZ angesehen: "Zweimal die Woche läuft das Format, die erste Folge sahen mehr als eine halbe Million Zuschauer, ein Marktanteil von 16 Prozent ..." +++

+++ Noch eine neue öffentlich-rechtlich-private Recherche-Gemeinschaft: Das ZDF in Gestalt Elmar Theveßens und der Stern berichten über mögliche neue geheimdienstliche Illegalitäten (heute.de). +++

+++ Über einen weiteren Adblocker-Gerichtsprozess, den wiederum dagegen klagende Medienunternehmen (nun private Fernsehsender) verloren, berichtet u.a. horizont.net. +++ "Alle Beteiligten gehen davon aus, dass der Streit, der auch von anderen Klägern noch vor weiteren Gerichten geführt wird, letztlich erst vom Bundesgerichtshof entschieden wird", so die SZ, die ebenfalls klagt. +++

+++ In seiner FAZ-Besprechung der WDR-Doku "Digitale Dissidenten" (heute, 22.00 Uhr) schreibt Michael Hanfeld, dass Julian Assange "nicht in eine Reihe mit Snowden und den anderen" gehöre: "Er kippt Datenmassen ohne Rücksicht auf Verluste aus, zuletzt mit den sogenannten 'Sony Leaks', deshalb haben ihn die Medien, die zunächst mit ihm gemeinsame Enthüllungssache machten, inzwischen verlassen." +++

+++ Ferner in der FAZ: Der bevorstehende Verkauf von "Frankreichs letzter großer unabhängiger Tageszeitung", des Boulevardblatts Le Parisien an LVMH. +++ Und als Schauspielerin, "die mit einem Mut zur Selbstverleugnung sondergleichen zur Tat schritt", würdigt Ursula Scheer die verstorbene Elisabeth Wiedemann. +++

+++ Horst Röper, "was sind im Jahr 2015 die größten Herausforderungen für die deutschen Lokalzeitungen?" -  "Die Leser bei der Stange halten und die Auflagenverluste begrenzen, besser noch beenden ..." (newsroom.de-Interview). +++

+++ Eine "legendäre" (Die Zeit, ZDF) TV-Show noch ohne Thommy Gottschalk, aber immer mit einem Platz für "einen prominenten Gast", kehrt ab Oktober zurück. +++ "Gastgeber ist der Literaturkritiker Volker Weidermann (ehemals 'Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung', jetzt 'Spiegel'), seine 'Mitstreiter' sind Christine Westermann (Moderatorin beim WDR) und der Schriftsteller und Kolumnist (F.A.S.) Maxim Biller" (FAZ). +++ "Insbesondere die Verpflichtung Maxim Billers, einst berühmt-berüchtigt für seine Kolumne '100 Zeilen Hass' im Lifestylemagazin Tempo, bürgt dafür, dass Polemik und Kontroverse im Literatur-Stuhlkreis nicht zu kurz kommen." (SZ).  +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.