Der günstigste Rohstoff aller Zeiten
Ist der Spiegel-Verlag in fünf Jahren pleite? Durfte sich Jürgen Todenhöfer bei der Medienberaterin des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad einschleimen, um ein Interview mit dem Massenmörder zu bekommen? Sind Instant Articles nur ein „Symptom einer größeren Entwicklung“? Außerdem: eine Journalistin über „ihren Weg in die Depression und die Rückkehr zurück ins Leben“; die juristischen Spätfolgen einer ARD-Dokumentation über Gregor Gysi.

Der Verlockung, damit einzusteigen, dass der bisherige Hauptstadtbüroleiter Nikolaus Blome „entspiegelt“ wurde (FAZ), dieser „leidenschaftliche politische Journalist“ (Klaus Brinkbäumer) also den Spiegel verlassen hat, ist nicht leicht zu widerstehen. Aber natürlich müssen wir an dieser Stelle auch gleich - wieder einmal - betonen, dass der Umfang der Berichterstattung über Personalangelegenheiten beim Spiegel seit dem vergangenen Jahr in einem krassen Missverhältnis zu der Bedeutung steht, die das Magazin hat. Wir würden andererseits vielleicht nicht so weit gehen, Folgendes zu prognostizieren:

„Bei Fortsetzung des gegenwärtigen Kurses hat das Blatt in fünf Jahren jede Bedeutung verloren, und der Verlag ist pleite.

So sieht es die Firma Hopp und Frenz, die in Hamburg Corporate-Publishing-Blätter produziert und nun den „Spiegelkritik-Salon Hamburg“ ankündigt - eine öffentliche Blattkritik-Reihe, die ab 1. Juni wöchentlich in den Redaktionsräumen der Firma in Hamburg-Eimsbüttel stattfinden soll.

Warum Herr Hopp und Frau Frenz diese Veranstaltungen organisieren wollen, begründen sie unter anderem so:

„Wir brauchen ein Blatt, zu dem wir aufblicken können.“

Tja, brauchen wir das wirklich, wenn wir älter als 20 sind?

Etwas plausibler klingt dies:

„Der Spiegel ist sich selbst fremd geworden. Kennt seine Verantwortung nicht mehr. Keine Haltung, trotz gefühligen Betroffenheitsgeschreibsels fast über das ganze Heft. Leitartikel, die sich oft wie Schulaufsätze lesen, bei denen einer nur versucht hat, nichts falsch zu machen. Eine Tragödie! (...)“ 

Allemal vorzuziehen sind solche Betrachtungen dem hirnerweichenden Geraune, das nun rund um den Abgang jenes Mannes verbreitet wird, den einst Kurzzeit-Chefredakteur Wolfgang Büchner zum Spiegel geholt hatte:

„Fachlich und kollegial gab es, wie zu hören ist, gegen Blome wenig einzuwenden. Als Büroleiter in Berlin machte er einen guten, professionellen Job.“ 

Das steht, warum auch immer, wortgleich im Tagesspiegel und bei meedia.de. Der Branchendienst fällt zudem durch die Überschrift „Projekt Büchner-Säuberung abgeschlossen“ auf, offenbar wollen die Büchner- und Blome-Versteher damit Erinnerungen an politische Säuberungen geweckt wissen. Da meedia.de ungefähr so leidenschaftlich gegen die deutsche Sprache kämpft, wie Nikolaus Blome politisch journaliert, konnte die Redaktion ihren kruden Gedanken aber nicht einmal korrekt formulieren. Der Begriff „Büchner-Säuberung“ bezeichnet streng genommen ja das, was der Ex-Chefredakteur jeden Morgen unter der Dusche vornimmt - womit wir aber nicht angedeutet haben möchten, uns lägen hard facts zu Büchners Körperpflege-Usancen vor.

Im Übrigen soll auch der geschäftsführende Redakteur und Ex-SpOn-Chefdakteur Rüdiger Ditz „das Unternehmen verlassen“ haben (SZ). Oder, um es mit Christian Meier (Die Welt, drittletzter Absatz) zu sagen: Er „soll bereits vorvergangene Woche das Haus verlassen haben“.

[+++] Der Verlierer des Tages ist - um mal eine Kategorie der Zeitung ins Spiel zu bringen, bei der der leidenschaftliche politische Journalist mal war - nicht Blome, sondern der Journalistendarsteller Jürgen Todenhöfer. Um ein Interview mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu bekommen, das der „Weltspiegel“ der ARD 2012 glaubte, in Ausschnitten senden zu müssen, nannte der Ex-Politiker dessen Medienberaterin in Briefen „Princess of the Middle East" und pries darin mehrfach den Massenmörder, für den diese „Prinzessin“ arbeitet („Assad ist der einzige, der einen friedlichen Weg zur Demokratie finden kann“; „Euer Präsident macht einen super Job - Glückwunsch"). Bastian Berbner schreibt dazu im „Zappenduster“-Blog des NDR:

„Todenhöfer kann die Aufregung nicht verstehen und verweist darauf, dass er einige der Emails mit Scheherazad Jaafari selbst in seinem Buch veröffentlicht hat. Tatsächlich hat Todenhöfer Mails veröffentlicht, aber die entscheidenden Passagen weggelassen. Wie sehr er Assad gelobt, wie sehr er sich auf dessen Seite gestellt hat, kommt darin nicht vor.“

Das wirft grundsätzliche Fragen auf:

Wie weit darf man gehen, um ein Interview zu bekommen? Darf man lügen, was seine politische Haltung angeht? Oder wenn man wie Todenhöfer überzeugt ist, dass Assad tatsächlich der einzige Weg zur Demokratie ist, darf man das in Interviewanfragen ausdrücken und sich so mit ihm gemein machen? Darf man von ‚uns‘ sprechen, als ginge es um ein gemeinsames Projekt?“

Auch Ambros Waibel (taz) greift die haarsträubenden Mails Todenhöfers auf, die die libanesische Website NOW zugänglich gemacht hat.

[+++] Zeit Online dreht die Debatte um die Facebook-Funktion „Instant Articles“ (siehe Altpapier) weiter, wobei Felix Stephan auch ein paar größere Fässer aufmacht, wie die Headline „Die Privatisierung der Meinungsfreiheit“ bereits andeutet.

„Problematisch sind Instant Articles tatsächlich, wenn man die Medien ausschließlich als quasi-staatliche Institutionen betrachtet, auf die eine Demokratie nicht verzichten kann. Allerdings waren Medien immer schon nur zur Hälfte verfassungsrechtlich geschützte Kontrollorgane. Sie waren auch vor dem digitalen Zeitalter marktwirtschaftliche Unternehmen, die über zeitgemäße Geschäftsmodelle verfügen mussten, um sich am Markt zu behaupten.“

Für Stephan sind Instant Articles 

„nur ein Symptom einer größeren Entwicklung, die von Europa aus mit sehr viel größerem Unbehagen beobachtet wird als in den USA. Es geht darum, dass der Kapitalismus mittlerweile auch immaterielle öffentliche Güter wie die Versammlungs- und Pressefreiheit privatisieren kann. Nachdem in den neunziger Jahren in Deutschland die Bahn, die Post und die Telekom privatisiert wurden, nachdem auch Krankenhäuser und Universitätsinstitute nicht mehr sakrosankt sind, scheinen nun demokratische Institutionen wie die Rechtssprechung und die Meinungsfreiheit an der Reihe zu sein.“

[+++] Kommen wir zu zwei längeren Interviews: Harald Schumann setzt bei Telepolis zu einem Rundumschlag gegen mächtige Institutionen und mächtige Chefredakteure und andere Vorgesetzte an („Je höher in der Hierarchie die Leute stehen, desto unkritischer wird ihre Einstellung zu Regierungs- und Konzernhandeln“). Und die konzertierte Gesprächsverweigerung von EZB, IWF und EU-Kommission, mit der er sich bei seinem Film „Macht ohne Kontrolle - Die Troika“ konfrontiert sah, zeige, „dass wir auf der Reise in die Postdemokratie doch schon viel weiter vorangekommen sind, als ich es erwartet habe.“

Um „implizite Korruption" geht es auch:

„Es ist doch so, wenn man, um es mal alt-links auszudrücken, den Mächtigen nach dem Maul schreibt, wird man auch eher eingeladen, dann kriegt man die besseren Moderations- und Vortragsangebote, die höheren Honorare. Man gehört dazu. Das ist nicht zu unterschätzen.“

Noch länger (14 Seiten!) ist das Gespräch, das Dieter Anschlag für die Medienkorrespondenz mit Tobias Schmid geführt hat, dem Vorstandsvorsitzenden des Lobbyverbandes VPRT und Medienpolitik-Chef der RTL-Gruppe. Dieser sagt zum Thema RTL-Programmqualität:

„Insgesamt verstehe ich den Fragenkomplex zur inhaltlichen Qualität nicht und das schon seit etwa 30 Jahren. Ich weiß nicht wirklich, woran sich das festmacht. An der Anzahl der Grimme-Preise würde ich das jetzt jedenfalls nicht festmachen. Bei allem Respekt vor dem Grimme-Institut.“

Schmid ist 45 Jahre alt, das heißt, die Formulierung „seit etwa 30 Jahren“ bedeutet, dass er sich schon als 15- oder 16-jähriger mit der Programmqualität von RTL beschäftigt hat - in einem Alter, in dem man möglicherweise Besseres zu tun hat. Vielleicht bringt es so eine Sozialisation ja mit sich, dass man heute Bonmots raushaut wie das, dass die „reine Kreativität“ der „günstigste Rohstoff aller Zeiten“ sei.

An einer Stelle macht Schmid aber einen Punkt:

„Wenn Sie sich den Hörfunkmarkt anschauen, dann müssen Sie feststellen, dass die ARD-Sender inzwischen die Wellen, die Werbung erzeugen, so auf Massentauglichkeit getrimmt haben, dass der akustische Unterschied zwischen diesen Wellen und denen der Privatanbieter wie Antenne Bayern, Radio Regenbogen oder RTL Radio in Berlin kaum noch wahrnehmbar ist. Sie haben bei der ARD die Morgenshow, sie haben die Komiker und sie haben ein Rückfahren der journalistischen Beiträge und sie haben die Ausrichtung am Mainstream bei der Musik.“

Dass manche journalistischen Beiträge im Radio sind, wie sie sind - das könnte auch mit der Recherchefaulheit einiger Hörfunkjournalisten zu haben. Siehe dazu Elke Wittich (Prinzessinnenreporter) und diverse Kommentatoren ihres Textes.  


Altpapierkorb

+++ In der Hamburger Staatsaanwaltschaft ist ein Streit darüber ausgebrochen, ob gegen den Linken-Politiker Gregor Gysi Anklage wegen des Verdachts einer falschen eidesstattlichen Versicherung erhoben werden soll. Die Eidesstattliche Versicherung hatte er abgegeben, um gegen die 2011 in der ARD ausgestrahlte NDR-Dokumentation „Die Akte Gysi" vorzugehen. Über den „Justiz-Eklat“ (SZ-Titelseite zum Beispiel) schreiben Georg Mascolo und Christian Deker für tagesschau.de, Georg Mascolo und Christian Baars für ndr.de und Georg Mascolo und Hans Leyendecker für die SZ.

+++ Kaum hat der Journalist Seymour Hersh behauptet, die offizielle Darstellung der Ergreifung und Tötung Osama Bin Ladens sei falsch (Debatte dazu siehe Altpapier), geben die USA nun „mehre hundert Dokumente“ frei, die „aus dem pakistanischen Versteck des Terrorführers“ stammen (Spiegel Online). Die Veröffentlichung habe aber nichts mit Hersh zu tun, sagt ein CIA-Sprecher Ryan Trapani ebd. Ein Überblick über das „recovered digital and hard copy material“ findet sich hier.

+++ Die österreichische Journalistin Sophia-Therese Fielhauer-Resei beschreibt bei kress.de „ihren Weg in die Depression und die Rückkehr zurück ins Leben“. Beigetragen zu ihrer Krankheit hätten auch Chefredakteure mit auffälligem Sozialverhalten: „Dass sich als Genies Gerühmte mit jungen Anfängern alles erlauben dürfen, dass sie (...) selbstherrlich und selbstgerecht regieren wie im Königreich - es ist ein Hohn. In einem deutschen Modeblatt läuft eine Dame herum, die ihre ‚Untergebenen‘ derzeit in den regelrechten Irrsinn treibt - auch das wird amüsant betrachtet.“ 

+++ Ebenfalls bei kress.de erzählt Christian Preiser, der Vorsitzende der „Deutschen Gesellschaft für Qualitätsjournalismus", was dieser Verein so will.

+++ Eine Äußerung des weltberühmten Arbeiterführers Sigmar Gabriel („Ein drittes Hilfspaket für Athen ist nur möglich, wenn die Reformen auch umgesetzt werden“) versetzt Heiner Flassbeck in Rage: „Dass in deutschen Talkshows fast jede Woche entsetzlich dummes und nationalistisches Geschwätz dominiert, wenn es um Griechenland geht, ist ja schon schlimm genug“, bloggt er. „Wenn aber der Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten exakt die Floskel der größten Ignoranten übernimmt, (...) ist das ungeheuerlich und unverantwortlich zugleich.“

+++ „Sie erreichen im Fernsehen zwischen 2,5 und gut drei Millionen Zuschauer. Ab wann wird es bedrohlich?“ - „Ich erkenne keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die ARD oder der WDR sich von seinen politischen Magazinen verabschieden will.“ Thomas Gehringer (Tagesspiegel) fragt „Monitor“-Redaktionsleiter Georg Restle anlässlich des 50. Geburtstages des Magazins.

+++ Den im Alter von 66 Jahren verstorbenen FAZ-Redakteur und Architekturkritiker Dieter Bartetzko (siehe Altpapier von Mittwoch) würdigt nun auch die SZ. „Wenn ein Mensch, mit dem man sich als Kritiker unendlich oft gemessen hat, dem man aber nie persönlich begegnet ist, plötzlich aus der Welt verschwindet, glaubt man, den Verlust fast schmerzhaft deutlich zu spüren“, schreibt Gottfried Knapp. 

+++ Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais wurde der Investigativjournalist Evany José Metzker enthauptet aufgefunden (Reporters without borders).

+++ Dem Westfalen-Blatt ist möglicherweise aufgefallen, dass seine Krisenkommunikationsstrategie suboptimal war (siehe erneut Altpapier von Mittwoch). Jetzt hat man sich von der homophoben Briefkastentante, die für das zur Verlagsgruppe gehörende Anzeigenblatt OWL am Sonntag im Einsatz war, getrennt.

+++ Wer hat die Listicles erfunden? Nicht Buzzfeed, sondern die Zeitungen des 19. Jahrhunderts (Nieman Lab, via @afro268).

+++ Fernsehereignis Schach? In Norwegen ist das mögllich, dank eines 24-jährigen Moderators, wie Zeit Online berichtet. „Auf deutsche Zuschauer wirkte die Veranstaltung wie ‚Wetten dass..?!‘ auf sehr hohem Niveau, mit einem frischen Moderator und mit Schach als Mittelpunkt.“ Hm, das klingt jetzt eher verwirrend.

+++ Mehr Sport: RTL Nitro zeigt ab Mitte des kommenden Monats „mindestens acht“ Fußball-EM-Qualifikationsspiele ohne deutsche Beteiligung (sid/Rheinische Post). „Die RTL-Gruppe (...) rüstet den Spartensender RTL Nitro zum Sportkanal um“, meldet die FAZ kurz.

+++ Anzeichen dafür, dass der in dem vergangenen Jahr in der Podcast-Serie „Serial“ aufgegriffene reale Kriminalfall vor Gericht „wiedereröffnet werden könnte“, hat die FAZ ebenfalls. Siehe auch SZ.

+++ Zum Schluss etwas vom Arbeitsmarkt: Die Redaktion von „ARD aktuell“ sucht für einen 20-Stunden-pro-Woche-Job „bis zu drei JournalistInnen“, die „eine neue Nachrichtenplattform via Messenger-Dienst entwickeln und produzieren“.

Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.