Zu Tisch mit Drew Barrymore
There simply is no better man than good old David Letterman. In Westfalen hat man noch nicht mitbekommen, dass die Zukunft längt Gegenwart ist. Katar hat seine ganz eigenen Vorstellungen von Pressefreiheit, Google sucht Twitter, und in diesem Jahr kann nicht nur eine aufs Cover der Cosmopolitan kommen.

Man weiß dieser Tage gar nicht, womit man seinen Überblick über die Medienthemen beginnen soll:

In Österreich und Luxemburg wurde gestern Strafanzeige gegen den BND und die Telekom gestellt.

Die New York Times versucht, das Dilemma der unrentablen Online-Werbung anzugehen und erfindet „Cost per Hour“, wo nicht nach Klicks, sondern nach Dauer abgerechnet wird.

(„Tests have proven not only a significant uplift in brand recognition and association among readers, but it also ensures 100% viewability of five seconds or more for clients. (...) In addition to better serving advertisers, time-based metrics will benefit publishers. CPH values quality content over quantity, or real reader engagement over clicks.“)

Und Norbert Lammert hat Phoenix eingeschaltet und dort immer noch zu wenig live übertragene Bundestagsdebatten entdeckt.

Doch wir lesen hier ja nicht jeden Tag die Medienseite der FAZ, ohne zu lernen, was wirklich zieht. Nämlich alles, was im US-amerikanischen Fernsehen läuft. Heute zum Beispiel das letzte Mal die „Late Show With David Letterman“.

Die Zeitungen geben sich zu diesem Anlass große Mühe, die denkwürdigste aller Late-Night-Szenen zu rekapitulieren.

„Es gibt dieses meisterhafte Mienenspiel von David Letterman. Es ist ein Dreiklang der Gesichtsgymnastik, den er schon vor 20 Jahren in seiner Late-Night-Show vollführte, als Drew Barrymore auf seinen Schreibtisch stieg. Die Schauspielerin kreiste mit den Hüften, schob ihren Pullover hoch und hielt Letterman ihre blanken Brüste entgegen. Der begann mit einem genervten Knautschgesicht - die Botschaft: ,Oh Mann, ich habe überhaupt keinen Bock darauf, was da gleich passieren wird.’ Es folgte eine Schockstarre mit ausgerenktem Unterkiefer und aufgerissenen Augen (,Ach du Scheiße, ist das gerade wirklich passiert?’) und mündete in dieses verschmitzte Lausbuben-Lächeln: ,Oh ja, das ist gerade wirklich passiert.’“ (Jürgen Schmieder, SZ)

„Mehr als 6000 Stunden Sendung hat Letterman in all der Zeit produziert und blieb dabei stets stoisch ruhig, unendlich höflich und trocken witzig - auch wenn um ihn herum Madonna fluchte, Drew Barrymore auf den Tisch sprang und ihr T-Shirt lüftete und Julia Roberts ihm einen Kuss auf den Mund gab.“ (dpa/Hamburger Abendblatt)

Drew Barrymore hüpfte auf seinen Tisch, und Julia Roberts küsste ihn auf den Mund. Jetzt geht er in Rente.“ (taz)

Das ist aber auch legendär (und jederzeit bei Youtube nachzuschauen), die Sache mit Drew, sodass es völlig unverständlich bleibt, warum der Tagesspiegel darauf verzichtet, lieber an Adam Sandlers Abschiedshymne erinnert und davon dann nur „,There simply is no better man’, sang Sandler, ,than good old David Letterman.’“ zitiert und nicht etwa schöne Dinge wie

„Now you're just the oldest dad at little league / And when you say goodbye and take your final drive in your Ferrari full of stolen office supplies / And we watch you go with eyes full of tears / I hope the cops pull you over and drag you back here for 30 more years“ (gibt es natürlich auch bei Youtube – bitteschön).

Immerhin hat keine deutsche Zeitung Lettermans Klassiker der Top-10-Listen aufgegriffen. Wie offenbar so ziemlich jede englischsprachige Publikation. Der Guardian weiß das schön zu verarbeiten:

„Since Letterman pioneered the meta-commentary of the late night talkshow, we’re going full meta and making a top 10 lists of the top 10 lists about The Late Show. You’re welcome.“

Nur die FAZ bespricht lieber die US-Serie „Outlander“, die ARD-Versicherungskomödie „Storno“ und die erste „heute+“-Ausgabe von Montag.

[+++] Das Rennen um den Shitstorm der Woche schien nach der Debatte um Thomas Gottschalk, Hugo Egon Balder und diverser BH-Trägerinnen gelaufen (Altpapier). Bis gestern Twitter-Nutzer @pannte_t diesen Tweet absetzte, der bewies, dass das Westfalen-Blatt nicht nur sein Layout aus dem 80er Jahren hat, sondern auch sein Weltbild (wir sprechen von den 1880ern, selbstverständlich).

„Aber bei allem Respekt, es muss nicht sein, sechs- und achtjährige Kinder einzuladen“,

war dort als „Guter Rat am Sonntag“ auf die Frage eines besorgten Vaters zu lesen, wie er denn mit dem Wunsch seines schwulen Bruders umgehen solle, seine Töchter bei dessen Hochzeit Blumen streuen zu lassen.

Mag @panne_t auch nur gut 80 Follower haben – wenn es um begrenzte Horizonte und dörfliche Einfalt geht, weiß das Internet, solche Informationen in Windeseile zu verbreiten. Nur beim Blatt selbst schien man nichts davon mitzubekommen. Zwar gibt es sowohl eine Facebookseite als auch einen Twitter-Account. So wenig Kommunikation wie dort war aber bei einer Zeitung wohl noch nie.

Nun könnte man meinen, das sei eine schlaue Haltung in Zeiten des Shitstorms. Wenn man sich jedoch anschaut, wie das Blatt seine sozialen Kanäle an Tagen ohne überregionale Öffentlichkeit bespielt, fällt auf, dass man es in Bielefeld generell nicht für nötig hält, diese Medien für irgendetwas anderes zu nutzen als das Abwerfen von Links.

„Die Zeitungen müssen findiger werden und sich vor allem anders aufstellen. Viele Redaktionen sind immer noch zu zögerlich. Wir müssen uns endlich fit machen für eine Zukunft, in der digitale Medien eine immer größere Rolle spielen. Es geht nicht mehr darum, über welchen Kanal eine Zeitung ihre Leser erreicht. Es geht darum, sie überhaupt zu erreichen.“

Das ist aus Sicht des Zeitungsforschers Horst Röper derzeit die größte Herausforderung für Lokalzeitungen im Land, wie er im Vorfeld des Forums Lokaljournalismus dem Kölner Stadtanzeiger erzählt hat.

Wenn man sich die sozialen Kanäle des Westfalen-Blattes anschaut, erkennt man, dass er besser dazusagen sollte, dass es nicht ausreicht, welche zu haben, sondern dass man diese auch ihrer Bestimmung gemäß benutzen sollte. Es mag meine private gewagte These sein – aber wenn man seinen Lesers durch Nicht-Beachtung jeden Tag zeigt, wie egal sie einem sind, ist das nicht die beste Weise, sie bei der Stange zu halten.

Dabei ist diese Unsicherheit in der digitalen Welt nur das eine Problem der Zeitung.

„Mindestens genauso wichtig ist es, dass sich die Redaktionen nicht länger von den Terminkalendern der Oberbürgermeister oder Stadträte abhängig machen. Eigene Themen finden – darum muss es gehen. (...) Der Zweispalter über die Kaninchenzüchter lässt sich heute nicht mehr verkaufen. Da verschwenden die Redaktionen wertvolle Ressourcen“, so Röper weiter.

Und jetzt ein Blick auf die (online-stehenden) lokalen Nachrichten des Westfalen-Blattes, die keine Polizeimeldungen sind (und das sind die allermeisten): "Albert-Hammond-Konzert verschoben", "Stadtmusikfest und 65 Jahre Spielmannszug Godelheim", „Erster Feuerwehr-Benefiz-Lauf ein Erfolg – 7500 Euro Spenden“.

Nun lässt man sich in Westfalen nicht davon verrückt machen, wenn da plötzlich irgendwo ein Internet erfunden wird, wo man seine Medienzeit ebenso gut verbringen kann. Doch auch dort sinken die Auflagen, beim Westfalen-Blatt laut IVW in den vergangenen zehn Jahren um etwa zehn Prozent. Diejenigen, die sich heute über die Homophobie der Zeitung aufregen, können also mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, dass diese mit ihrem bisherigen Kurs keine Zukunft hat. Ob das für diejenigen eine gute Aussicht ist, die gerade noch denken, ihr größter Fehler sein am Sonntag in der Printausgabe erschienen, ist die andere Frage.

Am späten Nachmittag hat man aus Bielefeld gestern doch noch ein Lebenszeichen gesendet und diese Stellungnahme auf die eigenen Website gestellt.

Sehr selbstkritisch müssen wir einräumen, dass in der Kolumne so formuliert wird, dass der Text Kritik geradezu herausfordert. Das ist unzweifelhaft eine gravierende journalistische Fehlleistung, die die Redaktion in vollem Umfang zu verantworten hat“,

schreibt dort Redaktionsleiter Ulrich Windolph, um sich danach argumentativ zwischen „die Töchter haben einen super Kontakt zu ihrem schwulen Onkel“ und „sie haben keine Ahnung von Homosexualität“ zu verlaufen.

Der klare Blick auf die moderne Welt, er fehlt beim Westfalen-Blatt offenbar. Was tragisch ist. Guter Lokaljournalismus wird schließlich überall gebraucht.


Altpapierkorb

+++ Gestern hier sträflich vernachlässigt, heute auf der Medienseite der SZ: In Katar wurden zwei BBC-Journalisten festgenommen, weil sie sich abseits vorgegebener Pressebesuchspfade bewegten. +++

+++ Dieser Tage erscheinen zwei Anthologien mit Texten von Frank Schirrmacher, die vor Augen führen, „dass man ihm doch sehr gerne beim Denken zugesehen hat auf den Seiten der Feuilletons in den beiden Frankfurter Allgemeinen Zeitungen“, wie Andrian Kreye auf Seite 14 der SZ schreibt: „Viele Texte hat man noch im Gedächtnis. Sie sind nicht chronologisch angeordnet, nicht einmal die Themenblöcke halten sich an die Reihenfolge der Gedanken und Ereignisse. Und doch zeigt der Band, wie sich Frank Schirrmacher in diesen 24 Jahren vom konservativen Verfechter eines traditionellen Bildungskanons in die Speerspitze der Auflösung intellektueller Sparten und ideologischer Lager verwandelte, wie er erst zum Gesellschafts- und schließlich zum Kapitalismuskritiker wurde.“ +++

+++ „Er langweilte niemanden, mit keinem Wort, er trumpfte nie auf, er nahm sich verlorener Fälle an, er zog Geduld, Kenntnis und Ironie der Sensation vor, er schrieb für Leute, deren Herz und Intelligenz er voraussetzte, und er verachtete nur jene, die selbst mit der Verachtung angefangen hatten, in Form von angeberischen Bauwerken, unsinnigen Stadtplanungen und rücksichtslosen Stadtplanierungen.“ Jügen Kaube erinnert auf der ersten Seite des FAZ-Feuilletons an Dieter Bartetzko, den gestern verstorbenen Architekturkritiker der Zeitung. +++

+++ Über die Krise bei Charlie Hebdo, die gestern hier schon Thema war, berichten nun auch Stafan Brändle im Standard und Hans-Hagen Bremer im Tagesspiegel. +++

+++ Falls sich jemand gefragt haben sollte, was die Cosmopolitan nun macht, da noch keine Germany’s next Topmodel geworden ist: Es kommen einfach alle aufs Cover (Meedia/DWDL). +++

+++ „We’re excited to team up with Google to bring Twitter’s unique, real-time content to Google’s search results“, verkündet Twitter auf seinem Blog. Umgesetzt wird das zunächst nur in den USA, aber andere Länder sollen folgen. +++

+++ „Neuer Griechen-Skandal: Verschob Varoufakis-Vize 80.000 Euro nach Luxemburg?“ So lautete eine Schlagzeile der Bild-Zeitung Anfang Mai. Nun klagt der Varoufakis-Vize dagegen, schreibt Ferry Batzoglou in der taz. „In der griechischen Gesetzgebung genießt der Schutz in der Öffentlichkeit stehender Personen vor verleumderischen Medienberichten eine hohe Bedeutung. Es drohen drakonische Geldstrafen - eine Obergrenze existiert nicht.“ +++

+++ Die taz-Kriegsreporterin reist immer noch mit der Bundeszentrale für politische Bildung durch Israel. +++

+++ Falls es noch eines Beweises bedurft hätte, dass RTL sein Casting-Personal gerne bis zur Unkenntlichkeit recycelt: Ende Juni soll die Doku-Soap „Beate und Irene – Das hat die Welt noch nicht gesehen“ starten, in der die immer einen Tiermotivpullover tragende und niemals einen Schwiegersohn für ihre Mutter findende Beate auf Reisen geschickt wird. „Zusammen mit ihrer Mutter Irene wird Beate auf Konfrontationskurs mit fremden Sitten und Gebräuchen, unbekannten Menschen und exotischen Tieren geschickt. Zwischen Bollywood und Sushi soll das Damen-Duo Möglichkeiten aufgezeigt bekommen, um den Horizont für die Suche nach dem Mann fürs Leben zu erweitern“, heißt es bei DWDL. +++

Frisches Altpapier gibt es morgen wieder.