Mit Visionen zur Medienzukunft halten wir uns an dieser Stelle ja eher zurück. Aber hier kommt mal eine: In Deutschland werden vor allem zwei Pole die Zukunft der Medien bestimmen. Zum einen internationale, überwiegend bis ausschließlich US-amerikanische Digitalkonzerne, hoffentlich nicht nur zwei oder drei; ihren Europasitz werden sie vielleicht alle in Irland nehmen, das für Datenschutz ja das ist, was Luxemburg für Steuern war oder bleibt: ein Vermeidungsparadies. Heute hat Fridtjof Küchemann (FAZ) den neuen Twitter-AGBs, die man immer beim Einloggen automatisch akzeptiert, entnommen, dass dieses vergleichsweise sympathische, vielleicht daher von Profitabilität noch weit enfernte Netzwerk seine "Dienste nun von Twitter International Company, unserem Unternehmen mit Sitz in Dublin (Irland)", anbietet.
Den anderen starken Pol dürften die finanziell auch nicht übel ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bilden, die auf ihre Weise ja durchaus darum ringen, Anschluss zu halten. Privatwirtschaftlich organisierte Medien wird es natürlich geben. Ihre Probleme, die Fülle der bisherigen Angebote zu erhalten, werden aber steigen, zumal, wenn sie häufig Gedrucktes verkaufen wollen. Ein aufschlussreicher Beitrag des stets ambivalenten öffentlich-rechtlichen Medienmagazins "Zapp" (Video & Text) könnte ins Bild passen: Daniel Bouhs berichtete gestern, wie SPON und bild.de "jubeln" durften, dass sie unter Bedingungen wie der, nicht zu kritisch zu sein, das aktuellste Apple-Gerät zum Testen erhielten.
Für Medienkonsumenten wird es eine angenehme Situation sein, vor allem, wenn sie mit Log-in und Opt-out umzugehen verstehen und aktiv nur das wegfiltern, was sie tatsächlich nicht wollen. Wichtig wäre, dass die Politik, wie viele gerne verkürzend sagen, richtige Weichen stellt. Dass mit internationalen Digitalkonzernen EU-Institutionen umgehen müssen, während öffentlich-rechtlicher Rundfunk Bundesländersache ist, wissen Leser dieser Kolumne natürlich.
Rundfunk(-) und Netz(-politik) bestimmen auch dieses Altpapier.
[+++] Gestern haben die ARD-Hierarchen mal wieder getagt. Falls Sie begründete Hoffnungen hegen, auch mal IntendantIn zu werden, könnten Sie sich hier ein Stündchen lang die Pressekonferenz anschauen. Ansonsten tät's die Zusammenfassung der TAZ (Lesezeit: ca. 10 Sekunden). Oder Sie lesen einfach weiter.
Wichtigste Personalie: der neue Chefredakteur der ARD. Man könnte beinahe meinen, diese beiden Fotos zeigten denselben Herrn nach leichtem Facelifting; ein schneidiger Oberstleutnant könnte es sein, der vielleicht gerade Stellung zum viel diskutierten Sturmgewehr bezog. Es handelt sich aber um den neuen Chefredakteur Rainald Becker und den bisherigen, Thomas Baumann (KSTA/ EPD-Bericht mit obigem Bild, ARD-Pressemitteilung). Becker ist tatsächlich durch markige bzw. "akzentuierte" (ARD), jedenfalls viele "Tagesthemen"-Kommentare geläufig. Sowie aktuell, wie Altpapier-Autor René Martens twitterte, als "Fanboy" des in der großen Öffentlichkeit meistdiskutierten netzpolitischen Eisens Vorratsdatenspeicherung.
"Baumann (54) ist als Moderator zahlreicher Wahlsendungen, 'Brennpunkt'-Ausgaben und der Interview-Reihe 'Farbe bekennen' bekannt" (dwdl.de). Er selbst "habe den Wunsch geäußert, wieder mehr an der journalistischen Front arbeiten zu wollen", schreibt Hans Hoff in der SZ.
Ansonsten haben die Intendanten der ARD ein paar Verlautbarungen zum Jugendkanal, den ARD und ZDF gemeinsam im Internet betreiben werden, erlassen. Es lohnt, auf die Schreibweisen zu achten:
"ARD verständigt sich auf Konzept für Junges Angebot"
lautet die Überschrift dieser Pressemitteilung. Dann heißt es u.a.:
"Der ARD-Vorsitzende Lutz Marmor zeigte sich überzeugt, dass das zukünftige Junge Angebot Innovationsimpulse setzen werde: 'Junge Leute sollen Themen anstoßen, mitdiskutieren und das Angebot aktiv mitgestalten ...'"
"Junges Angebot" oder "das Junge Angebot", das könnten schon Markennamen sein. Um zu betonen, dass Junges dort konzentriert wird und anderswo weg muss, wäre das eine gute Lösung.
[+++] ZDF-Info - das ist der Digitalkanal des ZDF, der nicht im Rahmen der Jugendkanal-Einrichtung weg muss (das ist ZDF-Kultur). ZDF-Info wird bleiben und ist der Sender, der z.B. mal eine ganze Staffel der Guido-Knopp-Produktion "Die SS" am Stück, aber in umgekehrter Reihenfolge wiederholt. Man tut dem ZDF, 3sat, Arte, Phoenix und dem recht bekannten ZDF-Neo kein Unrecht mit der Behauptung, dass Info in der großen Senderfamilie des ZDF der unwichtigste bestehen bleibende Sender ist. Morgen um 19.45 Uhr bei ZDF-Info im Programm: "Der vergessene Völkermord - Das Schicksal der Armenier". Es handelt sich um eine 30-minütige Dokumentation von 2015.
U.a. die Programm-Entscheidung, die brisante Neuproduktion auf einem der obskurstmöglichen Sendeplätze verstecken, hat Michael Hanfeld zum heutigen Aufmacher auf seiner FAZ-Medienseite veranlasst:
"In dem Film, heißt es vorab, beklagen sich Bundestagsabgeordnete über die 'Zensurversuche' der Bundesregierung. ZDFinfo ist ein Digitalkanal, der nur ein kleines Publikum erreicht und noch dazu zu einer Zeit, wenn schon alles, vor allem die vielleicht spannende Bundestagsdebatte, vorbei ist. Darum muss man es der ARD schon fast hoch anrechnen, dass sie die epochale ... Dokumentation 'Aghet - ein Völkermord' von Eric Friedler aus dem Jahr 2010 am Donnerstag im Ersten wiederholt. Besser gesagt, in der Nacht von Donnerstag auf Freitag",
schreibt er. Und rechnet der ARD auch keineswegs hoch an, worüber in der laufenden Woche ihre vielen Talkmaster zu besseren Zeiten talkten ("Sandra Maischberger kümmerte sich um das Sachgebiet '... Haben die Gesundesser recht?' Bei Frank Plasberg ging es um die Frage, ob Arm und Reich im deutschen Justizsystem gleich behandelt werden. Anne Will hatte sich für den Mittwochabend abermals Griechenland ... vorgenommen"). Was also heißt, dass sie über Armenien und die Völkermord-Frage schwiegen.
[+++] Damit hinüber ins Netz. Wieder viele aktuelle Berichte und Einschätzungen, allen voran in der Süddeutschen.
"Die Netzpolitik der schwarz-roten Koalition ist ein Witz. Sie ist gekennzeichnet durch fehlenden Sachverstand und eine grundlegende Abwehrhaltung gegenüber der Digitalisierung", beklagt
Christian Heise, einer der umtriebigen Netzaktivisten, in der Rubrik "Außensicht" auf S.2 und auf sueddeutsche.de. Ein paar Seiten weiter hinten im Blatt erntet Georg Mascolo aus Enthüllungen des von ihm geleiteten, nicht unumstrittenen SZ/ ARD-Anstalten-Rechercheverbunds die Exklusivmeldung, dass sich erstmals "ein Schlüsselunternehmen der deutschen Telekommunikationsbranche juristisch gegen die Eingriffe der Geheimdienste wehrt" (tagesschau.de).
DE-CIX aus Frankfurt, Betreiber des weltweit größten Internetknotens, will also beim Bundesverwaltungsgericht den Bundesnachrichtendienst verklagen. Mascolo:
"In einem Vermerk warnte die zuständige Abteilung davor, was passieren könnte, wenn die Sache auffliegt: "Moratorium der G-10-Erfassung und parlamentarische Befassung mit unabsehbaren Folgen für FmA" (gemeint ist die Fernmeldeaufklärung, die Red.) des BND. Diese unabsehbaren Folgen sind nun eingetreten ..."
Denn der Justiz ist, gerade in der Netzpolitik, mehr Gestaltungswillen und Tatkraft als der Politik zuzutrauen.
Gerade erging auf anderen Ebenen ein netz-/ medienjuristisches Urteil, das es privatwirtschaftlichen Medien zumindest nicht erleichtert, sich im Internet zu finanzieren. Der Kölner Hersteller des Werbeblockers Adblock Plus hat vor dem Landgericht Hamburg gegen die Kläger zeit.de und handelsblatt.com [für das ich auch schreibe] gewonnen (horizont.net, Standard). Wie die FAZ-Medienseite meldet, haben die Kläger angekündigt, in die nächste Instanz zu gehen.
[+++] Wichtiges Netz-Medien-Thema heute: die jüngste Springer-Personalie. Christopher Lauer, bekannt als einer promintesten Piratenpolitiker, inzwischen nicht mehr Mitglied der Partei, aber weiterhin des Berliner Landesparlaments, "ist seit 1. April für den Springer-Konzern tätig. Er wird Leiter Strategische Innovationen" (Tagesspiegel).
Die Kooperation hat eine Vorgeschichte (Altpapierkorb aus dem Januar) und im Netz bzw. vor allem auf Twitter eine lange Vorvorgeschichte (presseschauer.de) und erregt im Netz und vor allem auf Twitter viel Kritik bei Piraten und den vielen, die mal Piraten waren oder sich den Piraten verbunden fühlten.
Wahrscheinlich weil Lauer als Autor journalistischer Artikel ja durchaus geschätzt ist (zuletzt Altpapierkorb vom Montag) sind die Zeitungen zufrieden mit der Personalie.
"Der Konzern holt sich einen kompetenten Kritiker, einen digitalen Vordenker ins Haus" (Tsp.), "wer ihm jetzt hinterherruft, er wechsle auf 'die dunkle Seite der Macht', hat Lauers durch und durch unabhängige Position nicht verstanden. Er ist mitten im Geschehen" (FAZ, wiederum Hanfeld). Lauer "ist außerdem klug, redegewandt und mit allen Facetten der Online-Kommunikation vertraut. Allerdings ist er auch unberechenbar, impulsiv und hat einen fatalen Hang zur Selbstüberschätzung", sieht es Hannah Beitzer bei sueddeutsche.de die Sache auch unter Berufung auf eine "Fuckup-Night in Hamburg" etwas skeptischer.
Andererseits, und damit zur angekündigten überraschendsten Laudatio auf Lauer, gehört Selbstüberschätzung wohl zu "jenem Typus des leicht unkonventionellen Alphatiers, das im Hause Axel Springer beste Aufstiegschancen hat". Mathias Döpfner war ja auch für die Döpfner-Kurve bekannt, bevor er zu Springer ging. Das mit dem Alphatier schreibt Martin Kaul in der TAZ:
"Damit könnte in der Verlagswelt eine wundervolle Beziehung beginnen - und der öffentlichen Debatte ein provokationserprobter und kluger Redenhalter abhandenkommen. Denn auf eines war bei Christopher Lauer, der mit dem Aufstieg und Fall der Piratenpartei zu einem gefragten Talkshow-Gast geworden ist, bislang immer Verlass: dass es mit ihm nicht langweilig wird."
Und die Selbstüberschätzung scheinen sie bei Springer schon einkalkuliert zu haben:
"Personalverantwortung, so verlautet es aus dem Haus, trage Lauer jedoch nur für sich selbst. Das dürfte eine weise Entscheidung sein - und schwer zu verwirklichen. Denn in der Vergangenheit war der schillernde Politiker Christopher Lauer mit dem überbordenden Strahlungsbewusstsein vor allem durch seine steilen Thesen ..."
Usw. usf.. Fast scheint die Überschrift "Einer, der Springer zersetzen kann" jemand formuliert zu haben, der wenigstens einen kleinen Kontrapunkt setzen oder säzzen wollte.
+++ Zu einem aktuellen Springer- und Altpapier-Thema (vorgestern, gestern) schreibt wolfgangmichal.de: "Politico ist kein gewöhnliches Online-Medium für die breite Öffentlichkeit, es ist eine politische Pressure Group, eine Art Think Tank oder Beratungsinstitut, das sich geschickt als Medium zu verkleiden weiß". Michal nimmt Bezug auf ein "aufschlussreiches Interview" Vera Linß' (vera-linss.de) mit Christoph Keese, noch so einem Springer-Alphatier und schließt: "Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man die politischen Service-Leistungen und den angeschlossenen Journalismus da noch sauber voneinander trennen kann." +++
+++ Das ist nicht Christopher Lauer, sondern Jürgen Vielmeier, der nun einen lesenswerten Journalismus-Zukunfts-Artikel geschrieben hat: "'Der Spiegel' konkurriert heute nicht mehr nur mit der 'Zeit', dem 'Focus' und dem Axel-Springer-Verlag. Und auch nicht bloß mit einem Buzzfeed, einem Mashable oder einer 'Huffington Post'. Er konkurriert mit dem neuen Rihanna-Video, den lustigsten Katzenbildern, den heißesten LetsPlays, dem neuesten Traumtor von Cristiano Ronaldo, der Frage ob das Kleid weiß oder blau ist. Schlicht: Mit allem, was irgendwie unsere Aufmerksamkeit erregt ..." +++
+++ Das deutsche Privatfernsehen gibt's auch noch, und es bemüht sich sogar wieder um eigene Produktionen jenseits der Formate-EIndeutschung und des Scripted-Genres. Wie der noch recht neue RTL 2-Chef Andreas Bartl auch Fiction-Eigenproduktionen und "jungen wilden Journalismus" ankündigte, schildert kress.de. +++ Über die ProSiebenSat.1-Webserie von und mit Kai Wiesinger berichtet Markus Ehrenberg im Tagesspiegel: "Binge-Watching, alle Folgen von 'Der Lack ist ab' am Stück gucken wie bei 'Breaking Bad', das geht nicht, obwohl das bei jeweils zehn Minuten kein Problem sein dürfte. Die zehnteilige Serie wird nicht komplett auf einmal, sondern im 4-3-3-Modus ins Netz gestellt, das heißt erst vier Episoden, dann nach ein paar Tagen die nächsten drei Folgen und so weiter ..." +++
+++ Unter Fernsehproduzenten herrscht weiter Umbenennungs-Fieber. "Rebranding" würden die Betroffenen sagen. Eyeworks Germany, das auch schon mal "StormyEyeworks" hieß, heißt künftig:"Warner Bros." (vllt auch "Germany"). Das berichtet dwdl.de. +++
+++ Vielleicht haben Sie in einem Großfeuilleton eine Besprechung von Marcel Ophüls' Autobiografie gelesen. Wenn ja, stand wohl kaum darin, dass der deutsch-französische Dokumentarfilmer eigentlich vor allem fürs Fernsehen gearbeitet. Das arbeitet Dietrich Leders Besprechung (Medienkorrespondenz) gut heraus. +++
+++ "Alle haben gezahlt: Rowohlt für Oliver Reeses Theaterstück 'Goebbels. Ein Selbstpalaver', der Bayerische Rundfunk jedes Mal, wenn er in bester volksbildnerischer Absicht Zitate von Goebbels bringt; der SWR bei einem ansonsten keineswegs unkritischen Feature über Hitlers Propagandaminister. Der Piper-Verlag beteiligte den Nachlassverwalter nicht nur an seiner Auswahl aus den Tagebüchern, sondern zahlt den Erben bis heute einen Anteil an jedem verkauften Exemplar der Goebbels-Biografie von Ralf Georg Reuth, die 1990 erschien. Als die Schauspielerin Iris Berben 2002 auf einer Lese-Tournee parallel aus den Tagebüchern von Goebbels und dem von Anne Frank vortrug, wurden wieder Tantiemen fällig, aber nur für Goebbels, denn die Anne-Frank-Stiftung hatte für diesen aufklärerischen Zweck auf ein Nutzungshonorar verzichtet" (großer Willi-Winkler-Artikel in der Süddeutschen über den Urheberrechtsstreit zwischen Random House/ Bertelsmann und der Rechtsnachfolgerin des Reichspropagandaministers). +++
+++ Auf der SZ-Medienseite geht's u.a. um die Auseinandersetzung zwischen dem Bayerischen Fußballverband und bayerischen Regionalzeitungen wie der Mittelbayerischen um das Recht Amateurfußballspiele für Portale wie fupa.net zu filmen. Siehe auch kress.de. +++
+++ Und auf der wie immer auch prallvollen FAZ-Medienseite geht es um einen Auftritt des noch immer amtierenden syrischen Präsidenten Baschar al Assad im französischen Fernsehen: "Der Nachrichtenmoderator David Pujadas, der in der vergangenen Woche für das Interview nach Damaskus gereist war und nicht wusste, wo genau es stattfand, verteidigt das Gespräch, auf das er eineinhalb Jahre warten musste. Im Gegensatz zu französischen Präsidenten habe Assad nicht einmal die Fragen im Voraus kennen wollen. Allerdings hatte er auch nicht die Absicht, sie zu beantworten. Die Fünfzehn-Minuten-Show machte seinen Zynismus sichtbar. Aber auch die Hilflosigkeit des Journalisten im Umgang mit dem Diktator. Das Interview war kein Skandal, zu dem es die anderen Medien jetzt stilisieren. Aber das Fernsehen sollte auf die Gattung des Tyrannen-Interviews wohl doch lieber verzichten", findet Jürg Altwegg. +++ Thema bei faz.net: um das Leaken chinesischer Zensurakten durch die Reporter ohne Grenzen. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.