Der Ronald Pofalla des Journalismus
Der amerikanische Rolling Stone erlebt ein Debakel, das „die Glaubwürdigkeit liberaler und linker Medien“ beschädigen könnte. Der Aufruf „Empört euch!“ ist wieder aktuell. Ein Stuttgart-21-Fan der Stuttgarter Nachrichten wechselt zu Stuttgart 21. Außerdem: diverse Auseinandersetzungen mit dem deutschen Geschichtsfernsehen, unter anderem zu der Frage, für welche Ideologie Nico Hofmann steht.

Die Zahl des Tages? 12.644. So viele Wörter umfasst das mit Abstand längste medienkritische Stück des Osterwochenendes. Es ist, wie Spiegel Online anmerkt, länger als der Artikel, den er kritisiert. Anlass ist ein Artikel des amerikanischen Rolling Stone über eine Vergewaltigung an der Universität von Virginia, der schon länger in der Kritik steht. Diesen hat nun das Columbia Journalism Review (CJR) mit fast 13.000 Wörtern auseinander genommen - was zur Folge hatte, dass der Rolling Stone seine Geschichte zurückziehen musste.

faz.net fasst die Untersuchung so zusammen: 

„Die Autorin des Artikels, Rubin Erdely, habe sich auf die Aussagen ihrer einzigen Zeugin verlassen, die sie insgesamt sieben mal zum Interview getroffen hatte. Die Frau habe aber auch auf Nachfrage keine Namen der angeblichen Täter genannt, und die Reporterin habe nicht versucht, die Fakten bei der Studentenverbindung zu verifizieren. Jackie habe mehrfach gedroht, abzuspringen – und die Sorge, die Story ganz zu verlieren, war dann größer als jede handwerkliche Sorgfalt. Das ist ein Debakel für ein Magazin, das zuletzt versucht hatte, sich einen Namen als Plattform für investigativen Journalismus zu machen.“

Der Rolling Stone hat diese „anatomy of a journalistic failure“ im Übrigen auch auf seiner eigenen Seite publiziert. Die Selbstkritik des Magazins reicht manchen Kritikern aber nicht aus:

„The most incriminating detail is that nobody at the magazine seems to believe that its reporting, editorial, and fact-checking practices are in need of serious reform“,

moniert The Daily Beast. In einem weiteren Beitrag stellt das CJR die Frage in den Raum, ob nicht auch Köpfe hätten rollen müssen angesichts des Versagens von Autorin und Redaktion (was zumindest bisher nicht geschehen ist).

In der taz kommentiert Chefredakteurin Ines Pohl:

„Dass der Rolling Stone nun die Geschichte dieser jungen Frau, die ‚Jackie‘ genannt wird, zurückziehen muss, ist nicht nur für Autorin Sabrina Rubin Erdely und das renommierte Magazin ein Desaster. Es ist schon jetzt klar, dass dieser Vorfall künftig von allen missbraucht wird, die eine Aufklärung und mediale Begleitung von sexuellen Gewaltdelikten verhindern wollen. Erdely hat damit den Opfern sexueller Gewalt nachhaltig geschadet.“ 

Schaden nehmen werde, so Pohl, auch „die Glaubwürdigkeit liberaler und linker Medien“, im kommende(n) Präsidentschaftswahlkampf werde „der Fall ‚Jackie‘ ein gefundenes Fressen sein für jene, die der Qualitätspresse vorwerfen, nur Propaganda und keinen wirklichen Journalismus zu liefern“, befürchtet die taz-Chefin.

Die vor drei Wochen im Guardian formulierte These, die Tatsache, dass „Jackie“ teilweise die Unwahrheit gesagt habe, bedeute nicht zwingend, dass sie nicht vergewaltigt worden sei, kommt noch einmal im schon erwähnten Spiegel-Online-Artikel vor.

Einen Überblick über die verschiedenen Typen amerikanischer Journalismusskandale liefert aus Anlass des Debakels beim Rolling Stone die New York Times.

[+++] Der Aufruf „Empört euch!“ hatte 2010 und 2011 Konjunktur, dafür verantwortlich war der mittlerweile verstorbene Schriftsteller Stéphane Hessel. Bei Connected stellt der Blogger Tante die Parole nun in einen neuen Kontext: „Empört euch erst jetzt recht“ ist die Quintessenz des Beitrags, in dem sich der Autor mit dem vom politischen und medialen Establishment formulierten Unmut über die „digitale Empörung“ befasst:

„Anstatt die Diskussionen in sozialen Medien als mögliche Infusion neuen Lebens in eine zwischen Parteipolitik und Alternativlosigkeit geprägte Debatte zu betrachten, die gesellschaftliche Normen in großer Breite sichtbar debattiert, ist man pikiert darüber, dass plötzlich auch Menschen wie ein Harald Martenstein oder ein mittlerweile verstorbener FAZ Herausgeber öffentliche Ohrfeigen für ihre – mit der Macht und Gravitas uralter Zeitungen vorgetragene – teils abstrusen, teils menschenverachtenden, teils schlicht tumben Kommentare einstecken müssen. Empörung als Ausdruck der Kritik an der unreflektierten Grenzüberschreitung der Mächtigen wird von Mächtigen nicht gerne gesehen, who would have thought?

Tante kann aber auch etwas moderater:

„Die Möglichkeit, der eigenen Unzufriedenheit und auch (ganz unironisch) Empörung über das Verhalten von Menschen mit Reichweite Gehör zu verschaffen, ist kein Makel. Es ist ein Schritt zu einer Gesellschaft, in der Menschen auf lange Sicht respektvoller und umsichtiger miteinander umgehen.“

[+++] Es gibt heute verschiedene Anlässe, über Geschichtsfernsehen zu reden. Ein Anlass: Historienkracher von Nico „Ein Film über mich müsste ‚Der Pate‘ heißen“ Hofmann wirken meistens über den Ausstrahlungstag hinaus. So ist es nun auch bei „Nackt unter Wölfen“ (siehe Altpapier von Mittwoch). Georg Diez (Spiegel Online) fragt: 

„Was bedeutet es (...), dass gerade jetzt, wo die letzten Überlebenden des Holocaust nach und nach sterben, die deutsche Schuld im deutschen Fernsehen fast im Monatstakt zelebriert wird?“

Dieses Zelebrieren hat natürlich - auch - damit zu tun, dass sich in diesem Jahr die Befreiung der Konzentrationslager zum 70. Mal jährt. Doch nun weiter mit Diez:

„Was bedeutet es vor allem, dass diese Arbeit am großen Grauen mit einer Gründlichkeit geschieht und mit einer gespielten Genauigkeit, die fast etwas Pornografisches hat? (…) So ist das eben, im Melodram-Land D zur Melodram-Zeit 20.15/2015, so ist das, wenn sich die Deutschen staatlich subventioniert am Holocaust abarbeiten und dabei, das ist so ihre Art, das Plansoll übererfüllen: Das grausamste Grauen muss es sein, grob und voller Brutalitätslust, sie sind ja schließlich die Kinder und Enkel der Täter.“

Das Schlimmste an den Produktionen Hofmanns ist nicht, dass sie filmisch so „grausam“ (Diez) sind, sondern die ideologische Absicht, mit der dieser „Monopolist der deutschen Schuld“ sein „süßes Gift“ verbreitet:

„Man kann so einen Film als Zeichen sehen: Es ist praktisch immer Ideologie im Spiel, wenn es um Geschichte geht - gegenwärtig leben wir in der Epoche neuer deutscher Macht, dazu passt ideologisch anscheinend die Beschwörung des Grauens ohne Grund. Das Grauen wird Personen zugeordnet, die man mehr oder weniger verstehen kann in ihrer sehr schematischen Täter- oder Opferhaltung - das Grauen wird damit von der Gesellschaft, von Strukturen, von Interessen getrennt, das Grauen wird privatisiert und damit entpolitisiert. Dabei sind die Konzentrationslager eben genau das Ergebnis von institutionellen und ideologischen Kräften, die wir gut verstehen können.“

Nicht verantwortlich ist Hofmann für die Dokumentation, die die ARD als Dessert zum fiktionalen Hauptgang servierte. Auch dieser Film hat mindestens einen beträchtlichen Makel. Petra Sorge (Cicero)  greift ihn auf:

„Die ARD wollte mit dem Film ‚Nackt unter Wölfen‘ die Rettungsgeschichte des ‚Buchenwaldkinds‘ Stefan Jerzy Zweig neu aufarbeiten. Doch in der Begleit-Doku fehlt ein wichtiges Detail: dass an dessen statt der Sinto-Junge Willy Blum nach Auschwitz fuhr.“

Sorge zitiert mehrere für die Dokumentation interviewte Historiker, die nun auf diese Leerstelle hinweisen, etwa Karin Hartewig („Es ist der Dokumentation anzulasten, dass sie da nicht auf dem neuesten Forschungsstand ist“).

Die ideale Ergänzung zu Georg Diez‘ Text: die Filmkolumne im aktuellen Merkur, in der sich Simon Rothöler Gedanken über „Lagerbefreiungsbilder“ macht:

„Das im Zuge der Lagerbefreiungen gedrehte Material zirkulierte in Ausschnitten (...) sofort auf vielfältige Weise (...) Etliche der unmittelbar nach der Befreiung ... veröffentlichten Sequenzen wurden in den folgenden Jahrzehnten (und auch heute noch) derart häufig in beliebige audiovisuelle Montagezusammenhänge integriert, dass die ‚Ikonizität‘ als Effekt genau dieser routinierten medialen Einbindung erscheinen muss. ‚Ikonisch‘ heißt dann auch: der Tendenz nach dekontextualisiert - und somit auf ein weit entrücktes historisches Ereignis deutend, statt einzelne historische Akteure, Orte, Handlungen, Ereignisketten konkret zu rekonstruieren und zu benennen.“

Rothöler formuliert somit eine generelle Kritik, die der konkreten von Diez an „Nackt unter Wölfen“ nicht unähnlich ist:

„Ein Nebeneffekt der dabei perpetuierten medialen Geschichts- und Gedächtnisräume: Wo spezifische Dokumente unentwegt als vages Illustrationsmaterial operabel gemacht werden - bezüglich der deutschen Fernsehgeschichte wäre hier insbesondere (...) auf die ZDF-Redaktion Zeitgeschichte zu verweisen -, lassen sich auch Fragen nach identifizierbaren Schuldigen, Beteiligten, Mitwissenden leicht eskamotieren.“

Gibt es auch Positives über hiesiges Geschichtsfernsehen zu sagen. Gewiss, schließlich ist ist die historisch-investigative Reihe „Akte D“ vor zehn Tagen mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden. In seinem für die Medienkorrespondenz verfassten Bericht aus der Grimme-Jury Information & Kultur erläutert Fritz Wolf die Gründe dafür:

„Geschichtsthemen werden von den Jurys im Marler Grimme-Institut traditionell besonders aufmerksam betrachtet. Und da stach im jetzigen Jahrgang der Dreiteiler ‚Akte D‘ (ARD/WDR/MDR/BR) heraus – als Versuch, sich vom Zeitzeugenfernsehen wieder etwas zu lösen und zu einer Geschichtsschreibung erster Ordnung zurückzukommen: Dokumente, Fakten, Historiker sind die wesentlichen Auskunftgeber.“

Man kann daraus die Frage ableiten, ob angesichts dessen, dass fast alle Zeitzeugen fast alles gesagt haben und sehr bald gar keine Zeitzeugen mehr zur Verfügung stehen werden, noch andere Redaktionen und Filmemacher sich dazu entschließen werden, „zu einer Geschichtsschreibung erster Ordnung zurückzukommen“.

Anlass, über Geschichtsfernsehen zu reden, bietet auch das tagesaktuelle Programm: Heute läuft der ZDF/arte-Zweiteiler „Wir, Geiseln der SS“, an dem - so viel kann man vorwegnehmen - Georg Diez, Simon Rothöler und Fritz Wolf keinen Gefallen finden werden. Michael Hanfeld (FAZ) ist aber zufrieden: 

„Für 139 Häftlinge beginnt am 26. April 1945 (...) eine Fahrt in die Alpen, deren Zweck auch dem SS-Kommando, das den Konvoi führt, nicht ganz klar ist. Taugen diese besonders ‚wertvollen‘ Gefangenen als Faustpfand für Verhandlungen mit den Alliierten? (...) Oder soll man sie nicht gleich liquidieren? Die Dokumentation beginnt erzählerisch etwas aufgesetzt und schwerfällig, schlägt aber bald in Bann, weil (...) die Darsteller in den von dem Regisseur Carsten Gutschmidt betreuten Spielszenen die dramatische Handlung an sich ziehen. Das ist – angefangen bei Henriette Schmidt als Fey von Hassell und Tim Bergmann als Oberst von Bonin bis zu Uwe Bohm als sadistischem SS-Untersturmführer Bader – nicht die Statisterie, die bei fiktional ergänzten Doku-Stücken sonst häufig anzutreffen ist.“

Was Wilfried Urbe (taz) von dem Film hält, weiß man nicht, er teilt uns aber mit, was Stefan Brauburger aus der heute schon erwähnten Mainzer Zeitgeschichtsabteilung davon hält („Die Inszenierung mit aufwendigen Spielszenen in Verbindung mit einer subjektiven Erzählperspektive machen das Dokudrama aus der Sicht des Leiters der Redaktion Zeitgeschichte beim ZDF zu einer Besonderheit“). Meinungsfreudiger als die taz ist Funkes Hamburger Abendblatt:

„‚Wir, Geiseln der SS‘ (ist) nicht unproblematisch: Es fehlt der größere Kontext, um die Geschehnisse tatsächlich beurteilen zu können. Die deutsche Wehrmacht, die in diesem Fall wohl tatsächlich ein Massaker an Gefangenen verhindert hat, erscheint zu positiv.“

[+++] Von der Kritik am Geschichtsfernsehen nun zur Kritik am tagespolitischen Fernsehjournalismus. Robert Misik schreibt in der taz

„Die radikale Gesellschaftskritik heute muss sich ja als Humor tarnen. Von Jon Stewart bis zur ‚Anstalt‘, es sind die Satiresendungen die im Fernsehen jene grundlegende Information liefern, die man aus den ‚Tagesthemen‘ oder den Polittalkshows kaum mehr erhält.“

Das bezieht sich aktuell auf die potenziell legendäre Ausgabe der „Anstalt“ zum Thema Griechenland in der vergangenen Woche. Das Prinzip der Sendungsmacher - Wenn Satire alles darf, darf sie manchmal auch keine Satire sein - gilt ja schon länger, es kommt auch zum Tragen in der letztjährigen Sendung mit dem syrischen Flüchtlingschor. Warum diese den Grimme-Preis in der Kategorie Unterhaltung bekam, steht am Anfang von Senta Krassers Jurybericht für die Medienkorrespondenz.

Wenn man künftig über die Schwächen des öffentlich-rechtlichen Informationsfernsehens redet, sollte man sich vielleicht nicht nur auf die von Misik genannten „Tagesthemen“ und die Talkshows beschränken. Man könnte - Achtung, Eigenwerbung, ich habe das in meinem Bericht aus der Nominierungskommission Information & Kultur für das Grimme-Magazin (online hier) getan - auch mal die Frage in den Raum stellen, 

„ob die Informationsleistungsbilanz des deutschen Fernsehens vielleicht besser ausfiele, wenn es nicht so viele Reportage- und Dokusendeplätze gäbe, die wöchentlich zu füllen sind. Ob ‚Die Story‘, ‚Die Story im Ersten‘, ‚Exakt - die Story‘, ‚Panorama - die Reporter‘, ‚Gott und die Welt‘, ‚Menschen hautnah‘ (um nur einige zu nennen!) - hin und wieder beschlich die Kommission bei einem schwachen Film das Gefühl, dass die Macher auch anders und besser könnten, wenn sie mehr Zeit und Geld zur Verfügung hätten“.

Zur Berichterstattung in Sachen Griechenland, die Misik und - auf ihre sehr eigene Art - „Die Anstalt“ aufgreifen -, noch eine Anmerkung im najawohlkaum-Blog

„Für das schlechte Bild Griechenlands in der deutschen Öffentlichkeit gibt es schlicht keine sachlichen Gründe, sondern es beruht zum einen auf einer kolonialistisch-nationalistischen Haltung und zum anderen auf dem Ressentiment gegen vermeintlich Hilfsbedürftige. Es ist eine kolonialistische Haltung, wenn die Deutschen den Griechen unterstellen, kein Recht zu haben, der deutschen Regierung zu widersprechen.“ 

[+++] Glückwünsche stehen an dieser Stelle normalerweise selten, aber heute gibt es dafür einen guten Grund: Wir gratulieren herzlich dem Kollegen Jörg Hamann zu seinem Job, der vermutlich auch eine respektable Gehaltsaufbesserung mit sich bringen wird. Hamann ist noch Leiter des Ressorts „Stuttgart und Region“ bei den Stuttgarter Nachrichten, bald aber Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart 21. Man könnte das für einen dieser üblichen Karriere-Moves von Journalisten in die sog. Unternehmenskommunikation halten, die gern als „Seitenwechsel“ bezeichnet werden, obwohl oft gar nicht die Rede davon sein kann, dass jemand inhaltlich die Seiten wechselt. Die Wochenzeitung Kontext, die stets der Wochenendausgabe der taz beiliegt, mag das Ganze aber nicht unter Business as usual abbuchen, denn Hamann war ein „glühender Verfechter der tiefgelegten Schienen“, er polemisierte „im besten Boulevard-Stil“ gegen Gegner der Projekts. Die Wochenzeitung sieht in ihm nun ein „Beispiel für den Verfall journalistischer Moral“:

„Die Auseinandersetzung um die Tieferlegung des Kopfbahnhofs trug dazu bei, dass die CDU-Herrschaft im Südwesten nach 58 Jahren ihr Ende fand, der erste grüne Ministerpräsident der Republik hier vereidigt wurde. Medien, insbesondere denen an der Riesenbaustelle ansässigen beiden Stuttgarter Zeitungen, wäre die Aufgabe zugefallen, Bau wie Begleitumstände kritisch zu beleuchten. Schon allein, um dem Anspruch als Vierte Gewalt gerecht zu werden. Wie bekannt: es war nicht so (...) Der angekündigte Wechsel eines leitenden Redakteurs zum Bauherrn des Megaprojekts legt einen medienethischen Diskurs nahe, verlangt nach Erklärungen, wie es um die journalistische Moral in Medien und bei Medienschaffenden bestellt ist.“

Für Kontext ist Hamann daher so eine Art Ronald Pofalla des Journalismus. Der war bekanntlich in der Politik als Freund der Deutschen Bahn aufgefallen, bevor er dorthin wechselte.


Altpapierkorb

+++ Dass Jasper von Altenbockum in der FAZ auf den Nazi-Terror in Tröglitz mit einem Remix eines Liedes reagieren würde, in dem der anno 1992 wütende Lichtenhagener Mob als ein Art Avantgarde der Asylrechtsgesetzgebung auftaucht - darauf hätte man viel Geld setzen können. Der erwartbare Remix dieses Stückes (hier eine Replik auf die Originalversion) ist oben rechts auf Seite 1 der FAZ erschienen. Die Rede ist nun von „Konflikten in Tröglitz“ - eine geradezu preiswürdige Verniedlichung. Den „Fluch der Anschläge auf Asylbewerberheime“ werde man „bannen“ können, wenn „Gesetzgebung und Verwaltung“ auf die sich „überrumpelt“ fühlenden „Bürger“ vor Ort reagierten. 

+++ Aus unterschiedlichen Gründen standen an diesem Wochenende deutsche (Ex-)Auslandskorrespondenten im Fokus. In der SZ vom Wochenende äußern sich auf zwei Druckseiten ehemalige Russland-Korrespondenten und der heutige Gesandte der SZ über ihre Erfahrungen. Cicero hat einen Text des „heute journal“-Moderators Christian Sievers über seine Zeit in Israel online gestellt (der Text stammt aus der Januar-Ausgabe). Und Carsten Germis, der bisherige FAZ-Korrespondent in Japan, verabschiedet sich von seiner zwischenzeitlichen Heimat mit einem Beitrag für The Foreign Correspondent‘s Club of Japan.

+++ In der FAZ selbst ist ein Nachruf auf Walter Haubrich erschienen, den langjährigen Spanien-Korrespondenten des Blattes, der im Alter von 79 Jahren gestorben ist. Auch die Konkurrenz aus München würdigt ihn auf ihrer Medienseite („In Madrid war Walter Haubrich eine Institution“).

+++ Wie China sich als neue Macht im Bereich der TV-Sportübertragungsrechte etabliert hat (und welche Ziele dahinter stecken), analysiert der Deutschlandfunk. Und wie China den „Medienmarkt in Afrika aufrollt“, weiß der Tagesspiegel.

+++ Ebenfalls im Tagesspiegel: Wolfgang Prosinger dreht im am Sonntag erstmals erschienen Zeitungsteil „Causa“ mit einer Kritik an der Germanwings-Absturzberichterstattungskritik am großen kulturhistorischen Rad: „So berechtigt diese Medienkritik ist, so richtig das Entsetzen über den Verlust von Maßstäben, über den ‚Extremismus der Erregung‘, wie die Zeit schrieb, sie verkennt zugleich, dass das Bedürfnis nach großen Gefühlen sich nicht nur nach Relevanz richtet, sondern von urmenschlicher Natur ist. Wofür wären sonst das Kino oder gar die Oper erfunden worden?“

+++ „Everyone is getting turkey‘s twitter block wrong“ - Medium analyisiert, warum die Vergleiche mit Abschaltmaßnahmen anderer Staaten in die Irre führen.

+++ Kaput, das „Magazin für Insolvenz & Pop“, porträtiert die FAS-Redakteurin Antonia Baum (aktueller Beitrag: hier): „Raptexte seien (...) der wichtigste Einfluss auf ihr Schreiben. Aktuell ist Kendrick Lamars (...) neues Album ‚To pimp a butterfly‘ (...) das Maß aller Dinge. ‚Das ist einfach Literatur. Ich finde es unglaublich, was für Welten und Geschichten da drinstecken, mit welcher Komplexität da erzählt wird.‘“ Es ist zwar eine höchst naive Vorstellung, dass der Journalismus besser würde, wenn sich nun ganz viele Kollegen „To pimp a butterfly“ kaufen, aber mir gefällt sie.

+++ Innovativ: eine gedichtete Rezension eines miserablen Buchs. Andreas Platthaus hat für die FAZ gereimt. 

+++ Aus der Reihe TV-Serien und ihre - vermeintliche - Beziehung zur wirklichen Politik: „Die jemenitische Politik mit ihren Stammesklüngeln, Familienbanden, Intrigen und Verrätereien erinnert an ‚Game of Thrones‘, nur die Drachen und die Frauen fehlen“ (Jungle World). Und Vanity Fair berichtet, Mitarbeiter der realen CIA seien erfreut darüber, dass Carrie Mathison, die Protagonistin der Serie „Homeland“, ebd. künftig nicht mehr für die fiktionale CIA tätig sein wird.

+++ Wäre Buzzfeed nicht das geworden, was es wurde, wenn Gründer Jonah Peretti nicht den „Anti-Ödipus“ von Deleuze/Guattari gelesen und sogar wissenschaftlich interpretiert hätte? Die Frage wirft vox.com auf.

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.