Don’t mention the paywall!
Was haben das heute gestartete Bezahlmodell der SZ und Lord Voldemort gemeinsam? Sie herrschen, aber niemand darf sie beim Namen nennen. Außerdem: Helmut Kohl polarisiert wie eh und je, Tilo Jung und Sascha Lobo haben keinen Bock mehr, Journalismus ist ein Beruf im Kommunikationsbereich und ein Béla Réthy zweifelt nie an sich.

Dienstag ist einfach ein guter Tag, um im Online-Journalismus Neues auszuprobieren. Oder das völlig neue, viel schönere und nebenher nun auch kostenpflichtige Angebot der Süddeutschen Zeitung im Netz startet, wie einst die Krautreporter, an einem Dienstag, um noch bei Horizont und W&V Erwähnung zu finden, wie Thomas Knüwer damals knüwerte orakelte.

Wie dem auch sei: Heute ist Dienstag, und hier kann man sich selbst anschauen, wie im neuen Design bei sueddeutsche.de Online-Auftritt, Zeitung und Magazin friedlich koexistieren.

(Kurze Anstandspause, um Mitarbeiter von Spiegel Online die Gelegenheit zu geben, kurz in die Tischkante zu beißen.)

Wer sich lieber Dinge erklären lässt, als sie langwierig selbst herauszufinden, dem bieten die SZler hier Erklärung und Einführung in das neue Konzept.

„In den vergangenen zwei Jahren haben wir an einer neuen SZ im Netz gearbeitet. Wir haben viele von Ihnen gefragt, was sie sich von uns wünschen. Wir haben analysiert, wie Sie SZ.de nutzen, und in Lesertests überprüft, ob wir in die richtige Richtung denken. Jetzt freuen wir uns, Ihnen die neue Seite vorzustellen. Aufgeräumter, simpler zu bedienen, auf allen Geräten zu Hause und erstmals mit der kompletten SZ im Netz“,

steht da.

„Es ist in der Summe ein digitales Angebot, das Sie in der Qualität und Tiefe auf keiner anderen Seite finden werden“,

sagt Stefan Plöchinger in einem Video. Es folgt:

„Für eine Zeitung im modern verstandenen Sinne soll es keinen Unterschied mehr machen, wo und wie sie erscheint, ob als ständig aktualisierte Nachrichtenseite oder als tägliche Ausgabe, digital oder auf Papier.“

Und erst dann kommt:

„SZ.de mit allen Nachrichten, Videos, Fotostrecken und bis zu zehn Autorentexten pro Woche und Gerät können Sie auch in Zukunft kostenlos lesen. Das Premium-Angebot SZ Plus ermöglicht Ihnen darüber hinaus den Vollzugang in die digitale SZ-Welt: mit der ganzen Zeitung und dem Magazin, mit exklusiven Reportagen und großen Lesestücken, auf allen digitalen Plattformen von SZ.de bis zu den digitalen Ausgaben.“

Wobei die SZ von ihren Lesern erwartet, dass sie den Unterschied zwischen Nachrichten und Autorentexten kennen sowie selbst ahnen, dass „Premium-Angebot“ etwas sein wird, für das man bezahlen muss; vom „Wie viel?“ ganz zu schweigen. Das kommt erst nach der nächsten Maus.

In seinem Blog hatte Plöchinger gestern geschrieben:

„In dieser Woche werden wir von der SZ unsere Webseite grundlegend überarbeiten, auffrischen, erweitern und mit einem digitalen Abomodell versehen. Es ist symptomatisch für unsere Branche, dass sie nur über letzteren Aspekt spricht – Paywall-Debatte rauf und runter, als wäre die journalistische Welt wieder heile, wenn das nur klappt.“

Nun kann man verstehen, wie nervig es sein muss, monatelang an einem Relaunch zu arbeiten, und alles, was die Leute interessiert, ist, ob es hinterher Geld kostet. Doch ebenso albern wirkt es, ohne Ende Aufgeräumtheit, Qualität und Tiefe zu preisen, und am Ende verschämt zu erwähnen, dass der ganze Spaß übrigens auch Geld kosten wird, aber natürlich noch nicht jetzt, denn jetzt kann man noch 14 Tage kostenfrei testen.

Auf der einen Seite sollen die Leser wieder lernen, dass man eine Zeitung nicht umsonst erstellen kann, weil auch Journalisten lästige Dinge wie Wohnen, Essen und für die Rente Sparen (kleiner Scherz, Letzteres) absolvieren müssen. Weil das Anzeigengeschäft eingebrochen ist und deutsche Verlage mit Klickstrecken und Bullshit-Artikeln sichergestellt haben, dass Online-Werbung sich nur bei Fantastilliarden an Seitenaufrufen annähernd rechnet, sollen die Leser einspringen.

Auf der anderen Seite mag ihnen das aber niemand direkt sagen.

Etwas tiefer im Erklärblock versteckt findet sich ein Video, in dem SZ-Mitarbeiter erklären, warum das Angebot nicht kostenlos ist. „Aktuell“, „Mehr“, „Qualität“, „Qualität“, „Qualität“ sind dort die zentralen Argumente, und natürlich ist auch vom legendären Cappuccino die Rede, der mehr koste als ein Tag SZ Plus.

Allerdings weiß ich bei einem Cappuccino genau, wofür ich meine 2,40 Euro (oder in München: 8,60 Euro) ausgebe. Espresso und Milch ist halt haptischer als Qualität.

Vielleicht wird es Zeit, dass die Journalisten in diesen wunderbaren Geld-Werbe-Videos anfangen, zu sagen, was ist: Nämlich, dass sie sich bald keinen Cappuccino und auch sonst nichts mehr leisten können, wenn nicht endlich jemand diese Refinanzierungsfrage klärt. Aber wer sagt schon gerne „Ich hätte gerne Geld für Essen“, wenn er auch sagen kann „Ich möchte die Demokratie verteidigen“?

In anderen Worten: Freuen wir uns schon jetzt auf große Gesten und das Beschwören von Qualität und demokratischer Bedeutung von Spiegel Online, wo sich im Laufe des Jahres ebenfalls der Bezahlvorhang senken soll, wie am Wochenende bekannt wurde.

„Wir wollen noch in diesem Jahr erste Konzepte ausprobieren. In der Online-Welt funktioniert es aber nicht, von heute auf morgen ein Rollo herunterzulassen und dem Leser zu befehlen: So, das musst du ab jetzt bezahlen. Man muss Bezahlangebote smarter konzipieren: Mit welchen Produkten können wir die spezifischen Bedürfnisse von unterschiedlichen Zielgruppen passgenau bedienen, einen echten Mehrwert bieten? Für die Nutzer muss es so einfach wie möglich sein“,

erklärte Spiegel-Online-Chef Florian Harms im Interview mit dem Hamburger Abendblatt.

Wenn man mit diesem Satz im Hinterkopf noch einmal auf das neue sueddeutsche.de schaut, ist es wohl genau das: smart.

Ob die Leser das auch so sehen, wird uns sicher im Tagestakt in den kommenden Wochen Meedia vertickern. Die Zeit bis dahin lässt sich mit der Zusammenfassung des aktuellen Pay-Stands-der-Dinge in diesem Artikel von Ulrike Simon überbrücken.

Wie üblich lässt sich die harte Paywall, hinter der sich die von Simon für Madsack geschriebenen Texte normalerweise verstecken, mit einem Umweg über die Leipziger Volkszeitung überlisten.

[+++] Nach so viel Online-Zukunftsmusik mag sich mancher nach den vielleicht nicht unbedingt guten, aber doch alten Dingen sehnen. Und siehe da, die Medienseiten haben Erbarmen und besprechen ausführlich „Helmut Kohl – Das Interview“, das die ARD heute und morgen Nacht zeigen und zudem bei dbate.de dokumentiert wird.

In der FAZ nimmt das Michael Hanfeld zum Anlass, das Pathos aus dem Schrank zu holen.

„Es geht um Krieg und Frieden, um Europa, um die gemeinsame Währung, die deutsche Einheit und um die Rolle der Bundesrepublik in der Welt. Es spricht: Helmut Kohl. (...)Es ist eines der letzten umfassenden Gespräche, die Kohl vor der Kamera führte, seit einem Sturz vor sieben Jahren fällt ihm das Sprechen schwer, sein politisches Vermächtnis heute aktuell mitzuteilen ist ihm weitgehend versagt. Als Kontrapunkt zu den fortlaufenden Einschätzungen des anderen Altkanzlers – Helmut Schmidt – wären sie von höchstem Interesse. (...) Wer Visionen habe, sagt Helmut Schmidt, solle einen Arzt konsultieren. Die Visionäre, sagt Helmut Kohl und will damit Churchill, Adenauer und de Gasperi recht geben, seien die eigentlichen Realisten.“

Die SZ hingehen erkennt in dem Interview zehn Regeln, die die Kommunikation eines wahren Machtmenschen ausmachen, unter anderem

„2. Fehler, die man gemacht hat, gibt man nur dann zu, wenn sie gerichtskundig sind.“

„4. Kritikern sollte man den Wind aus den Segeln nehmen, indem man deren bedauerliche Unfähigkeit herausstreicht.“

„Und am wichtigsten Nummer 10: Man muss selbst glauben, was man sagt.“

Im Tagesspiegel schafft man es, gleichzeitig fasziniert und abgestoßen zu sein:

„ Seit seinem schweren Unfall 2008 kann der halb Gelähmte kaum noch sprechen. 2003 konnte er, und wie! Seit vier Jahren abgewählt, die Spendenaffäre frisch in Erinnerung, sitzt Kohl im Haus in Oggersheim vor der Bücherwand, der Ikonensammlung und dem Foto der verstorbenen Frau Hannelore. Er erzählt sein Leben, wie er es sah. So hatte er das abgemacht mit den Journalisten – Helmut Kohl unplugged.“

Und selbst die dpa kann sich bei aller Neutralität nicht verkneifen, einen gewichtigen Gewichts-Witz in diesem Artikel zu verstecken.

Woraus wir lernen: Medienrevolution oder nicht – auf Helmut Kohl als Polarisierer ist Verlass.


Altpapierkorb

+++ Der griechische Premierminister besucht Berlin, die Bild-Zeitung ist empört und Satiriker machen, was Satiriker eben machen müssen. (Achtung! Es könnte sich bei dem Abgebildeten um Satire handeln.) +++

+++ Jemand, der Satire nicht so gut versteht, ist Facebook – erst recht, wenn diese auf Kosten von Jungkapitalisten geht. „Schulfrei im Frankfurter Osten! Die EZB-Banker lassen sich einiges einfallen, um sich bei den Jungkapitalisten einzuschleimen“, hatte der hessische Landesverband Der Partei in der vergangenen Woche auf seine Facebookseite gepostet, die daraufhin gesperrt wurde. Matthias Meisner berichtet im Tagesspiegel. +++

+++ Apropos Facebook: Wer dort gerne Artikel mit Fotos teilt, sollte in Zukunft besser aufpassen, Bildrechte und so, schreibt Meedia. Noch interessanter wird es, wenn man dazu auch Stefan Niggemeier liest. +++

+++ Und Satire zum Dritten: Jemand hat Kot & Köter verklagt, weil dort zum Hundemord aufgerufen worden sein soll (u.a. Meedia, kress.de). +++

+++ Kein Scherz: Tilo Jung hat keinen Block mehr auf Journalismus, twittert-augenzeugt Turi2, und Sascha Lobo will auf der diesjährigen Republica nicht zur Nation sprechen. +++

+++ Die Wolf-Schneider-Gedächtnis-Analyse des heutigen Tages widmet sich diesem Tweet von Kress, der da lautet: „Job des Tages: Journalist (m/w) im Bereich Kommunikation in Berlin gesucht“. Nun könnte man argumentieren, dass Journalisten wesentlich häufiger im Bereich der Kommunikation als dem des Gartenbaus oder der Fahrstuhlfertigung anzutreffen sind, wäre da nicht die Tatsache, dass in dem Bereich Kommunikation, der hier gemeint ist, gar kein Journalismus möglich ist. Wer sein Hintergrundwissen dazu noch einmal auffrischen will, lese dieses Interview mit Stephan Russ-Mohl im Standard vom Wochenende. +++

+++ Die Berliner Zeitung hat das mit dem Medienjournalimus nun endgültig aufgegeben. +++

+++ Andorra ist im Pressefreiheits-Ranking der Reporter ohne Grenzen abgestürzt. Auf der Medienseite der SZ (und damit seit heute auch definitiv online, aber vielleicht Paywall-geschützt) steht, woran das liegt: „Antoine Héry, bei Reporter ohne Grenzen verantwortlich für die Länder Europas, reiste im vorigen Sommer nach Andorra, um sich ein Bild zu machen. Das Hauptproblem für die Pressefreiheit im Fürstentum laut Héry: ,Jeder kennt dort jeden.’ Journalisten, Politiker und Bankiers seien häufig zusammen in die Schule gegangen.“ Skandal. Oder, wie andere sagen: Lokaljournalismus. +++

+++ Bei der NZZ widmet man sich heute dem Phänomen Podcasts sowie dem neuesten Bericht des Medien-Vielfalts-Monitors, der die ARD auf dem Meinungsmarkt ganz vorne sieht. +++

+++ „Kamen trotz allem irgendwann einmal Zweifel, dass Kommentieren und Fernsehreporter sein doch nicht das Richtige für Sie ist?“ - Nein, noch nie. Ich habe bei jedem Turnier sämtliche Umfragen des beliebtesten Reporters gewonnen.“ Weitere schöne Fragen von Josef Opfermann und erhellende Antworten vom Béla Réthy gibt es bei Vocer. +++

+++ Die Glaubwürdigkeitskrise der Medien wurde am Sonntag in der Berliner Schaubühne diskutiert. Anne Fromm war für die taz dabei und erklärt: „Der Soziologe Bude sieht ein Gefühl der ,Embeddedheit’: Viele Menschen fühlten sich Politik und Gesellschaft zunehmend ausgeliefert. Die ideologisch-radikalisierte Variante der Medienkritiker hätte vorgefertigte Meinungen, in die es sich schnell ,hineingoogeln’ ließe: Wer sucht, findet auch einen Beweis dafür, wer eigentlich hinter dem Absturz der MH-17 stecke, und noch einen und noch einen. Bildeten die Medien das nicht ab, entstünde eine ,Repräsentationskrise’ zwischen Leser und Zeitungsmacher.“ +++

+++ RTL verfilmt „Winnetou“ neu, und Wotan Wilke Möhring wird den Old Shatterhand geben. Für den Tagesspiegel ein schöner Anlass für ein – nennen wir es Portrait, in dem Möhring selbst einmal zu Wort kommt mit einem Satz, den Sie sich jetzt mitschreiben sollten, denn den kann man immer mal gebrauchen: „Heutzutage ist es schwerer denn je, etwas zu machen, was eindeutig richtig ist.“ Die FAZ hat derweil Vorschläge für die Besetzung des Winnetou: „Bloß keinen Amerikaner mit indianischen Wurzeln! In Frage kämen vielmehr: Bülent Ceylan (die Haare), Michael Bully Herbig (der Witz), Benno Fürmann oder Jan Josef Liefers (die spielen sowieso jeden), Bruno Ganz (die Weisheit), Til Schweiger (die stoische Miene), Elyas M’Barek (das Lächeln), Erol Sander (der Body), Heino Ferch (klasssische Gegenbesetzung), Erdogan Atalay (passionierter Dressurreiter). Oder wie wäre es mit einer Frau, damit endlich auch im Wilden Westen Gendergerechtigkeit herrscht?“ Online ist der Spaß als Klickstrecke verfügbar.+++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.