"Gedruckt oder digital ist mir gleich - meine Seite Drei brauche ich täglich."
So lautet im Rahmen der neulich hier behandelten Leser-Kampagne der SZ der Spruch der Süddeutsche Zeitungs-Leserin Johanna Schulz. Heute macht dieses Motiv (das man auf produkte.sueddeutsche.de/leser, wenn man geduldig hinab klickt, auch findet; da kann man Schulz sogar im gefilmten, ähm ... Diskurs mit Alexander Gorkow sehen) in der gedruckten Süddeutschen die großen Mode- und Handtaschenhersteller wieder darauf aufmerksam, dass an dieser Stelle ja auch ihre Werbung hätte stehen können. Ralph Lauren hat für heute aber nur in der FAZ geschaltet ...
Während die SZ-Drei aus Israel vom Wahlkampf berichtet, ist die Drei der FAZ für die Medien-Nische interessant. "Tief im Rechten" heißt einer der beiden Artikel dort. Reiner Burger berichtet anlässlich des gestern (Altpapier) gemeldeten Angriffs auf einen freien Journalisten aus Dortmund, dieser "Hochburg des Rechtsextremismus":
"Am Montagabend recherchierte [Marcus] Arndt im Stadtteil Derne, wo die Partei 'Die Rechte' ihre zweite 'Mahnwache gegen Asylmissbrauch' abhielt. Auf dem Heimweg hatte er in der Innenstadt das dräuende Gefühl, verfolgt zu werden. Wenig später riefen mehrere mit Sturmmasken vermummte Gestalten: 'Wir töten dich, du linke Sau!' Arndt berichte, dass ihn dann zwei Steine am Oberkörper und ein dritter am Kopf trafen. 'Erst als ich meine Schreckschusspistole zog, rannten die Angreifer davon.' Der Journalist hatte sich die Pistole samt Waffenschein besorgt, nachdem die perfiden Todesanzeigen im Internet aufgetaucht waren. Seit Montag steht Arndt nun unter Polizeischutz. Der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange stockte die erst vorige Woche gebildete Sonderkommission 'Rechts' am Dienstag um zwölf weitere Beamte auf ..."
Was die zwölf nun tun?
In alle Richtungen ermitteln, wie Zuschauer das aus dem "Tatort" kennen, u.a., wie die Funke-WAZ (derwesten.de) berichtet, gegen Arndt selbst - wegen der erwähnten Schreckschusspistole:
"Arndt ist zwar berechtigt, eine solche Waffe zu tragen. Allerdings war er zuvor in der Nähe eines Aufmarsches von Rechtsextremen in Derne. Dort, bei einer Versammlung, hätte er die Waffe nicht tragen dürfen."
Immerhin, mit "Polizeischutz" für Arndt beschäftigen sich die Beamten auch.
Die Medien und Journalisten, die sich in der ohnehin schwierigen Finanzierungskrise gegen die aus mehreren Ecken kommenden, überwiegend natürlich unberechtigten, bislang überwiegend verbal gebliebenen "Lügenpresse"-Vorwürfe schon lange zur Wehr setzen, beschäftigt die Dortmunder Attacke sehr. Der Chef der Journalistengewerkschaft DJV, Michael Konken, spricht von einer "neuen Eskalationsstufe".
Noch weiter geht "ein hochrangiger Sicherheitsexperte":
"Das ist eine Strategie wie bei der NSDAP",
zitiert ihn der Tagesspiegel. Es geht aus dem Artikel nicht eindeutig hervor, ob das Berliner Blatt dadurch, dass es den Namen nicht nennt, nur die Hochrangigkeit seines Experten beschützt oder diesen selbst. Jedenfalls hat der ungenannte Experte folgenden Ratschlag:
"die Prävention deutlich zu stärken. Aussteigerprogramme müssten ausgeweitet und an jede Schule zwei Sozialarbeiter geschickt werden - 'einen wegen der Rechten, einen wegen der Salafisten'."
Tatsächlich zählt zu Vorwürfen, die sich Dortmund machen ließen, keineswegs der, dass samstags in der Innenstadt keine Salafisten zu finden wären. (Und falls jemand Dortmund vorwerfen wollen würde, wie hässlich es ist: Der Luftangriff, den die Wikipedia den "schwersten konventionellen" nennt, "der im gesamten Verlauf des Zweiten Weltkriegs jemals gegen eine Stadt in Europa durchgeführt" wurde, fand heute vor 70 Jahren statt). Umso schlimmer die aktuelle Nazi-Dichte. (Aktuell auf ungewöhnliche Weise ums selbe Thema kreist übrigens auch die neulich hier erwähnte Graphic Novel "Weisse Wölfe" ...).
Bloß ohne diese Überschift steht der Artikel auch frei online. Es geht um den, nun ja: Auftritt eines jungen Mannes, der zwar den Namen eines prominenten Propheten trägt, jedoch ein weltoffener "Facebook-Star" ist, wie ihn sich Mark Zuckerberg nicht anders wünschen könnte.
"Sein Aufstieg in die Liga der Super-Performer mit hunderttausendfach gelikten Posts vollzog sich rasant ... ... Die Logik: Wer so viele Likes hat, der muss ein Star sein! Aufmerksamkeit zieht Aufmerksamkeit nach sich. Satiane selbst führt seine große Fangemeinde auf sein Entertainment-Talent sowie sein thematisches Gespür zurück. 'Ich mache immer Videos zu Themen, wo die Menschen sagen können: 'Das kenn’ ich auch!'' Der amerikanische Schriftsteller Daniel Boorstin hat Celebrities einst als 'pseudo-events' bezeichnet, als Menschen, die bekannt sind für ihre Bekanntheit. Mohamed Satiane ist dafür bekannt, Mohamed Satiane zu sein. Sein Alltagsleben ist sein Narrativ",
verknüpft Melanie Mühl gekonnt die sog. soz. Medien mit klassischem Feuilleton. Hier lässt sich sehen, was der Performer so performt. Er kommt übrigens aus Frankfurt und ging in Dortmund nur einkaufen. Wäre er selbst Dortmunder, hätten sich die Dortmunder sicher an diese "Person des öffentlichen Lebens" gewöhnt wie, nur zum Beispiel, an Kevin Großkreutz.
[+++] Was geht sonst bei Facebook? Die Aushorchung voran. Noch mal vier Seiten weiter in derselben FAZ, auf der Medienseite, würdigt Michael Hanfeld das neue Facebook-Tool namens "Topic Data" ("Learn What Matters to Your Audience") anhand eines Beispiels, das auch Mohamed-Satiane-Fangirls verstehen müssten (wenn sie bloß FAZ läsen):
"Firmen können bei Facebook vielmehr 1,4 Milliarden Menschen aushorchen, mit Fragekatalogen noch und nöcher. Zunächst gibt es das Angebot nur in den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Und das alles soll streng anonymisiert sein, versteht sich. Facebook-Nutzer werden sich vielleicht trotzdem wundern, dass sie noch gezielter mit Werbung beschossen werden. Je nachdem, wie ihr Haar gerade fällt, werden sie auf festigende Produkte starren oder auf solche, die für Geschmeidigkeit und Glanz sorgen, um bei dem von Facebook selbst angebotenen, unverfänglichen Beispiel zu bleiben."
Frei online steht dieser Artikel nicht, aber ein anderer zum selben Thema bei faz.net.
[+++] Wäre es nicht sinnvoll, jungen Performern die Möglichkeit zu geben, nicht alles, was sie immerzu so hervorbringen und teilen möchten, gleich auf ewig in Facebooks Welt-Vermarktungs-Hölle einfließen zu lassen?
Auch daran arbeitet Kalifornien. Die gestern hier im Altpapierkorb erwähnte App namens "Meerkat" ist eine Software, die es erlaubt, Videos live im Prinzip mit der ganzen Welt zu teilen, doch
"sobald ein Stream vorbei ist, werden die Videoinhalte gelöscht. In der Cloud bleiben allerdings die letzten drei Sekunden einer Übertragung für ein paar Minuten gespeichert. Sollte also tatsächlich jemand Interesse daran haben, dann könnte er theoretisch an diese Aufnahmen herankommen. Allerdings nur in den fünf Minuten, nachdem ein Stream beendet wurde."
Das beteuert Firmenchef Ben Rubin im kress.de-Interview mit Jörgen Camrath (der das gestern im SZ-Feuilleton beschriebene, via Meerkat 22-fach angeschaute Abenteuer einer Turmbesteigung in Frankfurt am Main unternommen hat).
Bleibt noch die Frage nach dem Namen:
"Wer ist auf den Namen Meerkat (deutsch: Erdmännchen) gekommen?"
Rubin: "Mein Mitgründer Roi Tirosh hatte diese Idee.
"Und warum Erdmännchen - und nicht zum Beispiel Pinguin?"
"Weil Erdmännchen die sozialsten Tiere auf der Welt sind. Sie leben in Kolonien und stehen immer herum und schauen zu. Es ist wie bei der App. Wir stehen auch alle und sehen zu."
+++ Cool, Deutschland ist erster! Und zwar in der lobbyplag.eu-Liste, "which national governments are working on lowering or raising data protection laws in Europe". +++ Eine deutschsprachige Einordnung gibt's in Sascha Lobos Kolumne über "die häufigsten Geschmacksrichtungen des Bullshits" bei SPON. +++ Immerhin: In der Liste der "Feinde des Internets 2015" taucht Deutschland nicht auf. Heute ist auch "Welttag gegen Internetzensur". +++
+++ Prominente Galionsfiguren des öffentlich-rechtlichen Fernsehens üben im Interview mal etwas spektakuläre Kritik I: "Warum muss jede deutsche Stadt, in der mehr als 150.000 Menschen leben, einen eigenen Ermittler haben? Das ist inflationär und endet in der totalen Beliebigkeit" (Ulrich Tukur exklusiv in Funkes Hörzu/ Pressemitteilung). Seine nächste eigene "Tatort"-Episode wird aber wohl allenfalls seine vorletzte sein. +++
+++ Prominente Galionsfiguren des öffentlich-rechtlichen Fernsehens üben im Interview mal etwas spektakuläre Kritik II: "Warum wird im o?ffentlich-rechtlichen Fernsehen so viel ermittelt und immer weniger vermittelt?" (Dr. Eckart von Hirschhausen in der Zeit; mehr als in der Pressemitteilung bei meedia.de). +++
+++ Die neue Chefredaktion der Neuen Zürcher Zeitung, die das renommierte Blatt "nach monatelanger Suche" (SZ) fand, und zu der auch "die ehemalige Stellvertretende Chefredaktorin des 'Sterns', Anita Zielina", gehört, hat mit dem Team der "Schweizer Erfolgsserie 'Der Bestatter'", die "ab Ende April im WDR Fernsehen ihre Deutschland-Premiere feiern" wird, nichts, aber auch gar nichts gemeinsam, außer halt etwas Posieren fürs Foto. +++
+++ Viel bunter Wirbel um Jeremy Clarkson, den "vielleicht umstrittensten Moderator des Vereinigten Königreichs", den die BBC nun feuerte: "Geschätzt 350 Millionen Zuschauer weltweit haben die Show bereits gesehen, in der die Männer Autos testen und dabei Witze reißen. Etwa 150 Millionen Pfund hat die BBC bisher mit dem Verkauf der Rechte eingenommen. Das die Reihe begleitende 'Top Gear Magazine' erscheint weltweit in einer Auflage von 1,7 Millionen Exemplaren ..." (SZ). "Seinen Humor hat der Moderator, der mit der Show pro Jahr 600 000 Pfund verdienen soll, nicht verloren" (FAZ). +++
+++ "RTL legt Wert darauf, dass die [ungarische] Regierung nicht über die ungarische Geschäftsführung [des dortigen RTL-Senders] entscheidet": Da berichtet Jan Hauser (FAZ-Blog) über das für RTL ungewohnte Gefühl, auf einmal politisch relevant zu sein, und darüber, dass der bisherige Vorstandsvorsitzende für Ungarn, Dirk Gerkens, mit seiner womöglich auf Wunsch allein Bertelsmanns beschlossenen Ablösung wohl nicht einverstanden ist. +++
+++ Mit "Block B" hat das deutsche RTL eine neue selbstproduzierte Serie im Programm, eine Gefängnisserie, die auf mindestens einer Gefängnisserie basiert und bei allen Rezensenten Gefängnisserien-Seherfahrungen beschwört. "Die Serie pendelt zwischen der rohen Brutalität von 'Wentworth', dem spröden Humor von 'Orange Is the New Black' und dem Trash-Charakter von 'Hinter Gittern', und kann sich nicht entscheiden, was sie eigentlich sein möchte" (SZ). +++ "Damit es nicht weh tut, wird alles in Videoclip-Ästhetik gehüllt, Farbentsättiger an, Schärferegler auf und zu, Zeitlupe, Blick von oben, Blick von ganz nah, Musik. Als setzten die Regisseure (Kai Meyer-Ricks, Tina Kriwitz, Jörg Mielich) alles daran, ihre Schauspieler nicht spielen zu lassen" (FAZ). +++ "Die Serie liefere 'die Radikalität, nach der das deutsche Feuilleton unter Bezugnahme auf amerikanische Serien-Produktionen gerne ruft', heißt es im Begleittext des Senders. Vielleicht hätte das Feuilleton noch dazu rufen können, dass das Nachdrehen von Serien aus dem Ausland damit eher nicht gemeint war" (dwdl.de). +++
+++ Noch mal großes Kino rund um Tilo Jung (nicht ohne Seitenhiebe gegen eine prominente "Altherrenzeitung"): Stefan Schulz bei sozialtheoristen.de. +++ Bei seiner dort angekündigten Nichtverlängerung des Krautreporter-Abos gilt es, spezielle AGBs zu beachten, auf die der Tagesspiegel aufmerksam macht. +++
+++ Über die Organisation "Reporters Instructed in Saving Colleagues", die freiberuflichen Reporter kostenloses Krisentraining für Kriegs- und Krisengebiete anbietet, berichtet die TAZ. +++
+++ Und lesenswert ist dann noch das Interview, das Mats Schönauer für bildblog.de mit dem Hamburger Kioskbesitzer, der seinen Kunden aus Überzeugung keine Bild-Zeitung zum Kauf anbietet ("Man muss nur ein paar Meter weiter gehen, zum Griechen, der verkauft sie noch ..."). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.