Als vor rund einem Monat u.a. in diesem und diesem Altpapier die von Neonazis ausgehenden Todesdrohungen gegen verschiedene Journalisten ein Thema waren, kam dabei auch eine Einschätzung der Buchautorin und Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpcke zur Sprache, die tagesschau.de folgendermaßen zusammengefasst hatte:
„Die Fachjournalistin sieht insbesondere Lokaljournalisten (...) gefährdet, denn diese seien vor Ort bekannt - auch privat.“
Das bewahrheitet sich aktuell anhand eines Vorfalls beim NSU-Prozess, wo am Donnerstag der Chef eines Chemnitzer Naziklamottenladens als Zeuge aussagte. Annette Ramelsberger (SZ.de) berichtet, was danach passierte:
„Da springt auf der Besuchertribüne, unter den Journalisten, plötzlich ein Mann auf, kurze Haare, sportlich angezogen. Er hat zwei Ringe am Finger, die schwarze Sonne, ein Zeichen der Neonazis, und den Thorshammer. Unterm Hemd ist er wild tätowiert. Ganz offensichtlich gehört er zum Zeugen. Im Vorbeigehen ruft der Mann dem Korrespondenten der Chemnitzer Freien Presse zu: ‚P-Straße Nummer x! Wie läuft's?‘“
Auch n-tv und der betroffene Journalist selbst gehen auf den Vorfall ein. Letzterer beschreibt am Ende eines ausführlichen Prozessberichts für seine Zeitung den Auftritt des Mannes mit dem Nazifingerschmuck:
„(Er) verließ nach Entlassung des Zeugen Hendrik L. nicht auf direktem Weg die Empore. Vielmehr ging er zum Platz des vom Zeugen zuvor kritisierten Reporters der Freien Presse, beugte sich vor und raunte diesem dessen angeblich herausgefundene Privatadresse zu, versehen mit der Bemerkung: ‚Alles klar?‘ Im Wortlaut selbst lag keine Drohung, doch verstanden alle Journalisten auf den umliegenden Sitzen den Sinngehalt der Bemerkung gleich: Pass auf, wir wissen, wo du wohnst!“
Ob der braune Kamerad nun rief, wie Ramelsberger schreibt, oder raunte, wie der betroffene Kollege aus Chemnitz es wahrgenommen hat: Die von Röpcke anlässlich der gefaketen Todesanzeigen konstatierte Gefahr für Journalisten regionaler Medien besteht im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess noch aus einem anderen Grund: Zeitungen aus Sachsen und Thüringen, aus jenen Regionen also, aus denen die Täter (und ihre Helfer) stammten und wo sie unbehelligt im Untergrund leben konnten, berichten aufgrund dieser Art von örtlicher Betroffenheit ausführlicher über den Prozess als überregionale Medien - und das oft auch unter Berücksichtigung dessen, dass die Szene, aus der die NSU-Täter stammen, ja keineswegs verschwunden ist.
[+++] Um Bedrohungen, denen Journalisten ausgesetzt sind, geht es auch im Haupttext auf der SZ-Medienseite, der auf der Titelseite angerissen wird mit „Das neue Reizklima in den Fußballstadien.“ Ralf Wiegand versucht hier, die Attacken auf den Fußballkommentator Marcel Reif (siehe Altpapier von Donnerstag) in größere Kontexte einzuordnen:
„Das echte Leben ist im Fußball angekommen. Das Klima für Journalisten ist insgesamt gefährlicher geworden, (...) hierzulande hat das das Pegida-Schlagwort von der Lügenpresse das neue Klima eindrucksvoll, gegrölt von Tausenden in Dresden und anderswo.“
Zwei Sätze weiter heißt es dann:
„Allerdings hat sich auch im Spaßbetrieb Bundesliga das Klima verändert. Fans, vor allem die als Ultras bekannten, die die Stimmung in die Stadien zaubern, schauen oftmals nicht länger zu, sie reden mit.“
„Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, und wenn es nur der Kommentator ist – so ist da die Stimmung. Fußball ist keine Oase mehr. Der NDR hatte einem Reporter Anfang des Jahres einen Beschützer mit ins Trainingslager von Hansa Rostock mitgeben müssen, weil dieser bedroht worden sei. Und bei einer schon legendären Mitgliederversammlung des HSV vor einigen Jahren johlte der anwesende Fanblock ‚Presse raus, Presse raus‘, als ein Antrag auf Ausschluss der Medien Erfolg hatte.“
Dazu könnte man einiges anfügen: Die „vor einigen Jahren“ über die Bühne gegangene, „schon legendäre“ Mitgliederversammlung in Hamburg fand 2006 statt, da war Facebook noch kein Massenphänomen, und generell spielte das Internet, anders als es die Übergänge im SZ-Artikel suggerieren, noch keine nennenswerte Rolle beim Aufwiegeln. Der Rauswurf der Presse aus dem Tagungssaal, angesichts des Niveaus des Hamburger Sportjournalismus nicht einmal völlig unnachvollziehbar, war im Übrigen eine harmlose Sache, verglichen jedenfalls mit den Erscheinungsformen der Anti-Presse-Haltung mancher Rostocker Fußballfreunde - die zudem 2011 (siehe hier und hier) viel bedrohlicher waren, als es in dem erwähnten aktuellen Fall zum Ausdruck kommt.
Aber so was kann natürlich passieren: Man versucht, einen größeren Zusammenhang herzustellen, zählt dieses und jenes auf, haut den einen oder anderen knackigen Übergang raus, und am Ende steht dann plötzlich ein Text, in dem Dinge in Beziehung gesetzt werden, die nichts miteinander zu tun haben.
[+++] Klingt das eben Gesagte möglicherweise a bisserl belehrend? Könnte was zu tun haben mit dieser im Netz allgegenwärtigen „Belehrungsenergie“, von der Sascha Lobo in seiner dieswöchigen SpOn-Kolumne spricht:
„Ob politisch links, rechts, in der Mitte oder dazwischen hin- und hertaumelnd, nirgends mangelt es an Belehrungsenergie.“
Und wie sollte man damit umgehen? Jedenfalls nicht wie „die Community-Moderatoren verschiedener klassischer Medien“:
„Seit etwa 2014 antworten (sie) auf merkwürdige bis absurde Kommentare nicht mehr nur nach den Regeln des zivilisierten Netzumgangs (...) Stattdessen wird mitunter Hohn, Spott und Verachtung ausgegossen. Insbesondere bei Kommentaren, die noch dem letzten Holzpflock erlauben, sich intellektuell überlegen zu fühlen. Anschließend werden Screenshot-Beweise der gleißenden Überlegenheit verbreitet, wie man es dem staubdummen Pöbel endlich mal so richtig gezeigt hat (...) Näher an einen Pyrrhussieg kann man als Pressemedium im Internet kaum herankommen. Denn mit dem peinlichen Überlegenheitsgeschrei wird zugleich eine fatale Botschaft ausgesendet: die Illustration der eigenen Großartigkeit durch superwitzige Publikumsdemütigung.“
Ähnliche Zweifel hatte der BR-Sender Puls vor einiger Zeit geäußert,
[+++] Ist die Pressemitteilung des Beitragsservice, der zu entnehmen ist, dass die Prognosen zur Höhe der bis 2016 aus dem Rundfunkbeitrag anfallenden Überschüsse zutreffend sind, einige Zeilen wert? Ja, finden zum Beispiel FAZ und Tagesspiegel. Medienpolitisch mehr Diskussionsstoff her gibt da die von Michael Hanfeld für die FAZ unter der Headline „Ran den Speck“ verfasste kritische Würdigung eines Zeit-Artikels des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Torsten Albig. Zu dessen Vorschlägen (siehe Altpapier) - Stichworte: Medienstaatsvertrag statt Rundfunkstaatsvertrag, Kampf gegen „digitale Informationsmonopole“ - sagt Hanfeld: Im Prinzip richtig, aber nicht neu. Erwähnt sind im FAZ-Text auch aktuelle medienpolitische Reformideen der KEK, die zum Beispiel Ralf Müller-Terpitz, der stellvertretende Vorsitzende des Gremiums, bei medienpolitik.net formuliert:
„Nur eine Betrachtung, die in stärkerem Maße als bislang alle meinungsrelevanten Angebote in die konzentrationsrechtliche Bewertung einbezieht, ermöglicht (...) eine reale Einschätzung der Meinungsvielfalt und der insoweit bestehenden Herrschaftsverhältnisse auf den Medienmärkten. Nur sie vermag eine wirksame crossmediale Konzentrationskontrolle zu gewährleisten“,
Um es mit Schlagworten zu sagen: Es geht um den Wandel von einer „fernsehzentrierten Medienkonzentrationskontrolle“ zu einer „fernsehbasierten Medienkonzentrationskontrolle“.
[+++] Von Medienpolitikern zu jenen Politikern, die von Medien eher wenig zu verstehen scheinen. In dem Streit zwischen dem Berliner Senat und dem Blog Metronaut, in dem es um eine Satire in Sachen Olympia geht, liegt nun eine Antwort des Senats auf eine Anfrage des Abgeordneten Klaus Lederer (Die Linke) vor, die teilweise unfreiwillig komisch ist. Der Metronaut referiert in eigener Sache.
Frage: Wo beginnt und wo endet aus Sicht des Senats Satire, die sich mit seiner politischen Agenda auseinandersetzt?
Der Senat bewertet weder den Beginn, noch das Ende von Satire und hat dies auch zu keiner Zeit getan.
Ein Satz, der i.Ü. auch zeigt, dass der Senat Probleme mit den Kommaregeln hat. Der Blog hält auch ein PDF mit der kompletten Antwort parat. Besonders hübsch:
„Fiktive Sachverhalte können vom Senat nicht beurteilt werden.“
ALTPAPIERKORB
+++ „Tagelang wurde debattiert, nun ist es doch passiert: Dem italienischen Fotografen Giovanni Troilo wurde der renommierte World Press Photo Award aberkannt“ - Andrea Diener berichtet für die FAZ. Siehe auch das Altpapier von vergangenem Freitag.
+++ Fußball im Fernsehen war heute im Zusammenhang mit Marcel Reif schon einmal ein Thema. In der Medienkorrespondenz geht es um die Frage, ob „die Politik“ Anlass sähe für Maßnahmen, falls durch eine von diversen Fußballgeschäftsmännern ins Spiel gebrachte Zersplitterung des Spieltages die samstägliche Zusammenfassung in der „Sportschau“ der ARD in Gefahr geriete: „Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) verwies auf MK-Nachfrage auf den Rundfunkstaatsvertrag, in dem bereits geregelt sei, ‚dass allen Sendern ein Recht auf Kurzberichterstattung bei allen für die Öffentlichkeit wichtigen Ereignissen zusteht‘ (...) Diese Regelung gebe „den Sendern auch für künftige Verhandlungen mit der DFL eine gute Basis, um jenseits von gesetzlichen Ansprüchen zu individuellen vertraglichen Vereinbarungen zu gelangen (...) Insofern hoffe ich, dass es wie bisher aufgrund entsprechender Vereinbarungen zwischen den öffentlich-rechtlichen Sendern und der DFL auch künftig möglich ist, den Zuschauerinnen und Zuschauern diese Informationen in der gewohnten Form der Zusammenfassung im Vorabendprogramm am Samstagnachmittag zu bieten.“ Angesichts dessen, dass die Erstligaspiele in der „Sportschau“ immer erst ab 18.30 Uhr laufen, ist die Formulierung „Vorabendprogramm am Samstagnachmittag“ nicht uninteressant.
+++ Die Medienkorrespondenz berichtet auch darüber, wen das WDR Fernsehen als „Eroberungszielgruppe“ ausgemacht hat: Menschen, die sich „in der Rushhour des Lebens“ befinden.
+++ Nachtrag zu den Grimme-Jury-Entscheidungen; Ex-Altpapier-Autor Matthias Dell, der Mitglied der Jury Fiktion war, berichtet aus dem Innenleben des Gremiums (Deutschland Radio Kultur)
+++ „Die internationale Presse in Israel ist nicht Beobachter, sondern pro-palästinensische Partei“ - diese Einschätzung stammt von dem Ex-Israel-Korrespondenten Matt Friedman. In einem Vortrag, aus dem die Jüdische Allgemeine Auszüge veröffentlicht hat, sagt er: „Von 2006 bis 2011 habe ich für die amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press (AP) aus Israel geschrieben. In diesen fünfeinhalb Jahren sind mir bestimmte Fehlentwicklungen in der Israelberichterstattung nach und nach bewusst geworden: wiederholte Auslassungen von Fakten, wiederholtes Aufblasen bestimmter Themen, Entscheidungen nicht nach journalistischen, sondern nach politischen Kriterien – und das bei einem Berichtsgegenstand, der intensiver abgedeckt ist als sonst einer auf der Welt.“ Und heute, vier Jahre, nachdem Friedman seine Korrespondententätigkeit beendet hat? „Man sollte denken, dass die Entwicklung neuer und komplexer Konfliktlagen im Nahen Osten die Fixierung der Medien auf Israel etwas abgemildert hätte. Israel ist schließlich nur ein Nebenkriegsschauplatz. An einem Vormittag im Irak sterben mehr Menschen als im Westjordanland und Jerusalem im ganzen Jahr. Stattdessen hat sich die Israel-Obsession der Medien gerade in den vergangenen Jahren paradoxerweise noch weiter verfestigt.“
+++ Zwei Seiten (inclusive Todesanzeigen) widmet die Zeit ihrem langjährigem Feuilletonchef Fritz J. Raddatz, der Ende der vergangenen Woche verstarb (siehe Altpapier). Ulrich Greiner schreibt: „Er liebte das Verschwenderische, das Großzügige. Und er verschwendete sich selbst an andere. Ich erinnere mich an eine Weihnachtsfeier des Ressorts, im Il Giardino am Hamburger Stadtpark, wie Raddatz, als Weihnachtsmann verkleidet, mit einem riesigen Sack über der Schulter in den Raum trat und uns alle üppig beschenkte.“ Hach, schöne Zeiten waren das wohl.
+++ Und der Tagesspiegel stellte die heute im Deutschlandfunk startende Reihe „Koran erklärt“ vor.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.