Immer neue Stöckchen
Alles prima bei Axel Springer, außer vielleicht der Rest-Journalismus. Der aber digital "reifer" wird. Außerdem: Spuckend Fotos für Facebook machen. Nur "Tatort", kein "-reiniger" beim Grimmepreis (und keine Privatsender); betrübtes ZDF.

Axel Springer, der bekannte Konzern, der mal ein richtiger Verlag war und zu gewissen Anteilen derzeit sicher noch ist, hat wieder neue Geschäftszahlen veröffentlicht. So was geschieht bei börsennotierten Unternehmen nicht gerade selten, allerdings sind Jahresbilanzen immer etwas wichtiger als Viertelsjahres-Ergebnisse.

"Alles prima. Wie immer. Die Geschichte, die der Konzern Axel Springer seit einigen Jahren schreibt, liest sich wie ein Fortsetzungsroman, in dem Kapitel für Kapitel die gleiche Story erzählt wird",

scherzt Jürn Kruse in der TAZ. Für die gedrucktere Version des Artikels hat er dann auch eine pfiffigere Überschrift als "'Alle Ziele erreicht'". Und in beiden Versionen eine hübsche Pointe, die zugleich als tl;dr taugt:

"Tja, jede Firma umgeht halt die Tarife, die sie umgehen kann."

Da geht's darum, dass Springer-Star Mathias Döpfner bei seinem Bilanzpressekonferenz-Auftritt (offizielles "Webcast-Replay") natürlich wieder Ärger über Google geäußert hat, weil Google das Leistungsschutzrecht unter- oder eher überlaufen habe. "Das Leistungsschutzrecht wurde durch das Powerplay eines Konzerns seiner Wirkung beraubt", zitiert ihn die TAZ. Worauf Kruse dann den Betriebsrat der Springer-Zeitung Die Welt zitiert, der "Mitarbeitern vor Kurzem noch" geraten habe, "in naher Zukunft auf Beförderungen zu verzichten. Wer einen neuen Vertrag unterschreibe, könnte am Ende schlechtergestellt sein als zuvor." Darauf dann das "Tja".

Grundsätzlich wie gesagt alles prima. "53 Prozent der Gesamterlöse erwirtschaftet Springer mittlerweile im Digitalen" usw. Das lässt sich auch noch kraftvoller ausdrücken. Im Rennen um die kraftvollste Power-Überschrift hat mal wieder meedia.de die Nase vorn, knapp vor kress.de, das aber auch den von Döpfner für die feingeistigeren Analysten vorbereiteten Satz ("Wir nähern uns langsam einer reiferen Phase des digitalen Journalismus") dokumentiert.

Das ganze Zahlenmaterial, an dessen gefälliger "Kräftiges Wachstum"-Präsentation in großen AGs/ SEs immer viele gut bezahlte Controller arbeiten, lässt sich aber auch noch anders aufbereiten. Wir blättern mal nach hinten in der FAZ, ins Wirtschaftsressort (S. 19, derzeit nicht frei online).

"Axel Springer glaubt an die Bezahlschranke im Internet/ Doch die digitalen Vertriebserlöse fallen bescheiden aus", lautet da die nüchterne Überschrift.

Henning Peitsmeier liest aus dem Zahlenmaterial heraus, dass diese "digitalen Vertriebserlöse", also Einnahmen mit Onlinejournalismus, "einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag" ergeben, der nicht ausreiche, "um den Rückgang bei den Werbeeinnahmen im Zeitungs- und Zeitschriftengeschäft auszugleichen", das ja ziemlich überschaubar geworden, aber dennoch weiterhin Springers "größtes Segment" ist. Und

"das Geschäft mit Kleinanzeigen bei Immobilien-, Stellen- und Autoportalen ist für Döpfner der wichtigste Wachstumstreiber. Hier wurde in der Vergangenheit immer wieder Umsatz dazugekauft, und hier kann sich der Vorstand noch weitere Akquisitionen vorstellen."

Die freilich mit Journalismus auch im weiteren Sinne nichts zu tun haben dürften.

[+++] Anderes Thema, aber mehr Springer-Zahlen. Es geht um den absoluten Boom-Sektor mobiles Internet:

"Im Januar 2015 war die App von 'Bild' mit über 128 Millionen Visits das meistgeklickte mobile Nachrichtenangebot, gefolgt von Spiegel Online (79 Millionen), Focus Online (57 Millionen) und der App des Nachrichtensenders n-tv (50 Millionen)."

Das steht auf der SZ-Medienseite (in einem kurzen Artikel zu den hier am Dienstag erwähnten Plänen der schweizerischen Boulevardzeitung 20 Minuten, noch mal einen Versuch in Deutschland, aber nur im Internet zu wagen).

Heißen Smartphones immer noch Smartphones, wenn sie m.bild.de anzeigen? Jedenfalls bleibt wichtig, dass kräftige Polarisierer wie Kai Diekmann und zusehends Julian Reichelt der Community ihrer oft auch kritischen Follower immer neue Stöckchen (Selfie-Stäbe?) hinhalten, über die auch möglichst viele springen. Sonst ginge es mit Springers Rest-Journalismus noch schneller vorbei.


[+++] Die andere Springer-Zeitung, Die Welt, hat gerade ein Interview mit dem Sport-Fernsehmoderator Marcel Reif geführt:

"Jetzt spucken und pöbeln die Leute und machen dabei noch Fotos für Facebook",

lautet der eindrücklichste Satz daraus. Früher hätten sie zwar auch gepöbelt, aber sich dann eher geschämt oder sogar entschuldigt. Interview-Anlass war, dass Reif in Fußballstadien, auf dem Weg zu oder von seinem Arbeitsplatz, von Fans solcher Mannschaften, deren sportliche Leistungen (oder deren Jubel) er nicht hoch bewertet hatte, körperlich angegriffen wurde.

[+++] Falls es einer Überleitung bedürfte: Reif war ja auch mal Grimmepreis-Träger (anno 2003).

Gestern gab das Institut endlich die neuen bekannt. Um sofort die spannendste Frage zu beantworten, "Schafft der 'Tatortreiniger' das Triple?" (die übrigens nicht polemisch ist, sondern der Oberzeile einer Nominierungsbekanntgabe-News entnommen war): Nö. Er hat's nicht geschafft (so wie "Tatortreiniger"-Regisseur Arne Feldhusen vergangene Woche mit seinem ARD-20.15 Uhr-Debüt übrigens auch das Einschaltquoten-Rennen gegen ein spielstarkes Bayer Leverkusen verloren hat; er ist aber noch jung und hat alle Chancen, im Verlauf seines Lebenswerks Dominik Graf und Heinrich Breloer einzuholen ...).

Sonst noch spannend bei Grimme: "Die Privatsender gehen diesmal völlig leer aus" (dwdl.de), es sei denn, man teilt den originellen Ansatz der Nachrichtenagentur EPD Medien: "Lediglich an einer einzigen ausgezeichneten Produktion ist der britische Privatsender Channel 4 beteiligt: 'Die Kinder von Aleppo' (ZDF/Arte/Channel 4), eine Dokumentation über eine Familie im syrischen Bürgerkrieg."

Und "über die Hälfte der Auszeichnungen werden an ARD-Koproduktionen verliehen" (meedia.de). Ja, wenn "neun der insgesamt 12 Grimme-Preise ... an ARD-Koproduktionen" gehen, könnte man beinahe von drei Vierteln sprechen. Allerdings fand das ZDF dank der traditionell nicht wenigen Nebenpreise auch Wege, sich selbst immerhin fünf Grimmepreise zuzurechnen (heute.de). Grimmepreisgewinn-Pressemitteilungen werden kaum weniger sorgfältig erstellt als Geschäftszahlen-Pressemitteilungen bei Springer.

Freunde von "Die Anstalt" werden sich über den Preis für "Die Anstalt" freuen. Dass das ZDF für seine zahlreichen Fernsehfilme gar keinen Grimmepreis bekommt, muss den Sender, der "sich wenigstens mit dem Dreiteiler 'Tannbach' Chancen ausgerechnet hatte, betrüben", schreibt Tagesspiegels Joachim Huber im Zuge des wie oft launigsten Preiskommentars ("In Schmerz und Scherz geboren").

Die dezidiertesten eigenen Meinungen bringt wie immer Michael Hanfeld in seinem unter. Er beklagt in der FAZ,

"dass man in Marl kein Herz für fulminantes Klassiker-Actionfernsehen hat wie etwa den 'Götz von Berlichingen' von RTL. Also hält man sich ans Übliche, an das, was die Öffentlich-Rechtlichen wirklich gut können und sich bis zu zehn Millionen Zuschauer sonntagabends ansehen - den 'Tatort'. Und zwar nicht irgendeinen, sondern den theatralischsten und blutigsten aller Zeiten, den 'Tatort - Im Schmerz geboren' mit Ulrich Tukur, Ulrich Matthes und Alexander Held, an dessen Ende ein Showdown sondergleichen vor dem Wiesbadener Kurhaus stand. Dass Matthes und Tukur für ihr Duell unter alten Kollegen und Freunden einen Preis verdient haben (Buch, Regie und Redaktion auch), unterliegt keinem Zweifel."

Zumindest einem Zweifel unterliegt indes, was genau die Unterzeile der Überschrift über dem gleichen Artikel auf der heutigen FAZ-Medienseite, "Ein eher müdes Jahr/ Der Grimme-Preis findet kaum noch Abnehmer", bedeutet.

Wenn allein die ARD in diesem Jahr 152 Fernsehfilm-Erstausstrahlungen bringt, von denen höchstens 100 sehr schlecht sein dürften, werden auch anno 2016 für circa zwölf Grimmepreise immer noch mehr als genug Abnehmer übrig bleiben.


Altpapierkorb

+++ Michael Hanfeld ist der Mann für die lange, nicht selten auch große Strecke - nicht allein, was Zeitungszeilen und Zeichen, auch was Stunden vor dem Fernseher angeht. Schon seit dem frühen Morgen lässt sich bei faz.net lesen, wie geflasht er gestern spätabends vom ARD-Programm war: "Anne Will in Hochform. Bei ihr wird über Wladimir Putin endlich mal Tacheles geredet", und davor hat er erst Fußball geguckt und dann das "sonst stets leichte Fußball-Palaver mit Alexander Bommes, bei dem es im Gespräch mit Béla Réthy, Tom Bartels und Marcel Reif plötzlich um etwas ganz anderes geht - nämlich den Hass" auf Reif, von dem weiter oben auch schon die Rede war. +++

+++ Ein neuer medienpolitisch interessierter Ministerpräsident betritt die Diskurslandschaft, und das mit gar nicht so üblen Argumenten. Torsten Albig aus Schleswig-Holstein bringt in der Zeit medienstaatsvertragliche Regelungen für eine "eine diskriminierungsfreie Anzeige von Suchergebnissen" und "Transparenzverpflichtungen für meinungsrelevante Algorithmen" ins Spiel (Vorabmeldung). +++

+++ "Wie packend Online-Journalismus auf Basis scheinbar langweiliger Zahlenreihen sein kann", zeige der Datenjournalist, der "das Interaktiv-Team der Berliner Morgenpost" leitet. Dieser Julius Tröger wird auf vocer.org vorgestellt. +++

+++ "Die Lobbyisten der datenverarbeitenden Industrie, der Marketingagenturen und Versandhäuser, der Adressverkäufer und Callcenter sind immer noch viel zu stark." (Svenja Bergt in der TAZ). +++

+++ Natürlich wird auch heute wieder auf einer Medienseite eine amerikanische Serie besprochen. Zum 15-jährigen Jubiläum eines "der erfolgreichsten Fernseh-Franchises weltweit" versucht Jürgen Schmieder auf der SZ-Medienseite eine "Ehrenrettung": "Inklusive der Ableger 'CSI: Miami' und 'CSI: NY' wurden mittlerweile 764 Episoden gezeigt, es gibt Bücher, Videospiele und die interaktive Ausstellung 'CSI: The Experience'". "Der" (das?) "neue Spin-off" heißt "CSI: Cyber" und ist auf dem Sender namens "RTL Crime" zu sehen. +++

+++ Außerdem auf der SZ-Medienseite: Neben Rupert Murdochs Zeitungen haben in England auch andere Prominenten-Telefone gehackt und abgehört. +++

+++ Es gibt frische Radiohörer-Zahlen (Tagesspiegel mit Berlin-Fokus). "Die Mediengattung Radio hat im vergangenen halben Jahr deutlich verloren". Was die SZ dazu meldet ("Allerdings gewinnen viele junge Wellen der ARD gegen den Trend Publikum hinzu: Den größten prozentualen Zuwachs, etwa 20 Prozent, hat You FM (HR). N-Joy (NDR) erzielt das beste Resultat seiner Geschichte. Zugelegt haben auch 1Live (WDR) und Das Ding (SWR)") widerspricht dem SZ-Artikel der vergangenen Woche darüber, dass diese "jungen Wellen" ihre junge Zielgruppe immer weniger erreichen würden (Altpapier) ... +++

+++ Immer als erster am Drehort spektakulär scheinender neuer TV-Filme: die FAZ. Heute berichtet sie aus dem "Hof des ehemaligen Berliner Militärgefängnisses Lehrter Straße", in dem Uwe Ochsenknecht gerade "Udo Honig" spielt, für einen Sat.1-Film, "der mit dem Fall Uli Hoeneß angeblich fast nichts zu tun hat". Wie die Produktionsfirma Ufa das Projekt ankündigt, hat allerdings allerhand mit Hoeneß zu tun. In der FAZ spricht Regisseur Uwe Janson dann gerne über "Freude an der satirischen Überhöhung". "Schließlich seien außer Charlie Chaplins 'Der große Diktator' alle Spielfilme über Hitler gescheitert, die versuchten, ihn möglichst authentisch wiederzugeben" ... +++

+++ Wie war Klaus Wowi Wowereit im Radio? "Philosophisch: 'Die Wahrheit, ja. Aber was ist die Wahrheit?'", sagte er unter anderem (Tagesspiegel). +++

+++  "Merkel macht aus Facebook ein Regierungsfernsehen", das Konrad Adenauer gefallen hätte: Da greift Robin Alexander in Springers Welt zu einem steilen Vergleich. Schließlich hätte in Adenauers Regierungsfernsehen der 1960er Jahre niemand auf anderen Kanälen Fotos posten können, die er womöglich spuckend aufgenommen hat. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.