Diktatur des Mittelmaßes
Ed Snowden (indirekt) am Film-Drehort Bayern. Eine übermächtige (öffentlich-rechtliche!) Sendergruppe vorm Bundesgerichtshof. Ein neuer Brandbrief aus der Totholz-Branche. Die (multimediale) Allianz des kleinsten gemeinsamen Nenners ...

Vor dem sog. Schwarzbrot der langsam oder auch gar nicht mahlenden Mühlen der Was-mit-Medien-Gesetzgebung und ihren Auslegungen in den Instanzen erst mal eine waschechte Glamour-News. Dabei sind: Eine Führungskraft unserer konservativsten Partei links von der AfD, ein echter Oscar®-Preisträger und der vielleicht größte Held des laufenden Jahrhunderts. Oder doch Verräter? Wären wir ein Leitmedium, müsste man da gleich ein Voting starten...

Jedenfalls hat mitten in Bayern Oliver Stone zunächst klammheimlich, bis die PR-Agentur Just Publicity es gestern publik machte, begonnen, fürs Kino die Edward-Snowden-Story zu ver-spiel-filmen. Wir schalten zu einem der Flaggschiffe eines unserer renommiertesten Houses of Content:

"Der internationale Thriller erzählt die Geschichte von Whistleblower Edward Snowden, der mit seinen pikanten Enthüllungen eine der wohl brisantesten aktuellen politischen Affären ins Rollen brachte."

Die Metaebenen-Pointe besteht darin, dass Regisseur Stone, für den neben der bekannten Exzellenz der bayerischen Filmindustrie auch die in der deutschen Filmlandschaft reichlich vergossenen Subventionen den Ausschlag gegeben haben dürften, "sich dafür extra bei der Bayerischen Staatsministerin Ilse Aigner (50, CSU) 'für ihre großzügige Unterstützung'" bedankt hat.

Nun müsste jemand die CSU-Spitzenkraft Aigner fragen, was sie täte, wenn sie im Englischen Garten dem echten Edward Snowden begegnen sollte. Ihn festhalten, bis zufällig US-amerikanische Militärpolizei vorbeikommt? Horst Seehofer anrufen, der Angela Merkel anruft, die nach drei Wochen voller Talkshows entscheidet, dass Snowden dieses Mal noch in ein sicheres Drittland ausreisen darf, das sich nun bitte melden soll?

Egal, als Drehort internationaler Filmproduktionen bleibt Deutschland voll im Trend. War nicht Tarantino kürzlich erst in Babelsberg?

[+++] Jetzt, wo der Glamour abgehakt ist, zu den dürreren Themen. "Treffen der Giganten", schreiben die gewieften Seitenmacher von der SZ zwar in ihrer Medienseiten-Überschrift. Doch führe "der Fall ... tief ins Unterholz eines durchregulierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks", ist also eher trocken.

Seit dem gestrigen Dienstag stehen sich in der letzten Instanz, vor dem Bundesgerichtshof, einerseits Kabel Deutschland und andererseits "ARD und ZDF, Deutschlandradio und Arte" (SZ) gegenüber. Es geht um die ältere Frage, ob die genannten Anstalten an den Kabelnetzbetreiber für ihre Verbreitung zahlen müssen oder nicht, wie sie es seit 2013 tun. Frei online berichten Tagesspiegel/ DPA und zitieren Jörg Nothdurft vom Bundeskartellamt (wenn Sie's genau wissen wollen: "Dir. b. BKartA NOT" ist er dort) vom ersten Verhandlungstag mit der Aussage:

"Es handelt sich hier um einen Machtkampf einer überaus mächtigen Sendergruppe mit einem überaus mächtigen Kabelnetzbetreiber".

Durchaus spektakulär, schließlich gelten ARD, ZDF undsoweiter im komplex verschachtelten und -krusteten Medien- bzw. Rundfunkrecht gerade überhaupt nicht als "Sendergruppe" und werden von den für sie zuständigen Aufsichtsgremien und Institutionen (zu denen das Kartellamt nicht zählt) auch nicht im geringsten so behandelt.

Das BGH-Urteil sollte im Juni fallen und darf gespannt erwartet werden. In der SZ schreibt Wolfgang Janisch:

"In der BGH-Verhandlung mussten freilich alle Beteiligten einräumen: So detailversessen Staatsverträge und Mediengesetze auch sein mögen – ob die Sender den Netzbetreibern dafür etwas zahlen müssen, hat der Gesetzgeber schlicht offengelassen."

Eine salomonisch klingende, doch wie bereits zuvor in unteren Instanzen Kabel Deutschlands Wunsch nach entgangenen Millionen nicht erfüllende Lösung sei aber schon angeklungen. Was übrigens weder der Tsp. noch die SZ (wie gesagt unter der Überschrift "Treffen der Giganten") erwähnen: Der Kabelnetzbetreiber gehört inzwischen ja zu Vodafone, also einem Premium-Kollaborateur der amerikanisch-britischen Geheimdienste bei ihren von Edward Snowden aufgedeckten Unterfangen. (Und eine Meldung, wonach der global operierende britische Konzern diese teuer eingekaufte Marke, obwohl sie mit enormem Werbedruck wohl jedem Besitzer eines deutschen Briefkastens eingehämmert worden ist, aufgeben möchte, hatten wir hier neulich auch verlinkt).

[+++] Unterholz, von dem eben metaphorisch die Rede war, lebt, ist also kein Totholz. Von Totholz bzw. der Zeitungskrise ist dieser Jahre dauernd metaphorisch die Rede. Einen frischen Brandbrief aus der Südwestdeutschen Medienholding hat kress.de öffentlich gemacht. Der Betriebsrat beklagt "Stellenabbau, Flucht aus den Tarifverträgen und Fremdvergaben sowie ... massive Arbeitsverdichtung bei den übriggebliebenen Beschäftigten". Also das Übliche.

Interessanter ist zum einen, dass das Akronym "Optiv" den Anlass gibt, welches die erst letzte Woche (als das auftragsgemäß optimistisch ausgefallene Ergebnis ihrer "Trendumfrage" für den Zeitungsverlegerverband bekannt gegeben wurden) hier erwähnte, nach eigenen Angaben "als hidden champion" geltende Unternehmensberatung Schickler ersonnen hat. Für "Optimierung interner Verlagsprozesse" steht es.

Interessant ist aber auch die Südwestdeutsche Medienholding selbst, zu der naheliegerweise allerhand baden-württembergische Zeitungstitel gehören, aber auch eine altwest-altostdeutsche Lokalzeitungsgruppe - und die schon erwähnte Süddeutsche Zeitung, deren kraftvolle neue Leserwerbungs-Initiative gestern hier Topthema war und deren neue Bezahlschranke seit Wochen täglich gespannt erwartet wird.

[+++] Ähnlich faszinierend wie das oben gestreifte deutsche Rundfunkrecht, schon weil im Gesetzestext womöglich "der einzige Superlativ in einem deutschen Gesetz" enthalten ist, bloß noch nicht verkrustet, weil praktisch noch gar nicht angewendet: das Leistungsschutzrecht für Presseverleger.

Was sich an der Front neu ereignet hat, erfährt man bei stefan-niggemeier.de und netzpolitik.org. Bzw., das eher Neuere (eine Diskussion des "bekannten Medienjournalisten und Leistungsschutzgeld-Gegners Stefan Niggemeier und des Wirtschaftsprofessors Justus Haucap" mit Vertretern der SPD und Grünen) erfährt man bei netzpolitik, während Niggemeier als neuere Veröffentlichung eine umso ältere eigene Diskussion mit Christoph Keese, "Executive Vice President bei Axel Springer und der wohl wichtigste Kämpfer für das Leistungsschutzrecht für Presseverlage", nun zur Belustigung freigab kommentiert veröffentlichte:

"Keese: Ja. Aber nur mal angenommen, die Verlage würden sich, nur als Gedankenspiel, dafür entschieden haben, dass Überschriften 3000 Zeichen lang sind. ..."

Dann könnte so eine Überschrift schwerlich einer jener "kleinsten Textausschnitte" sein, von denen paradox-superlativisch das Gesetz spricht. Am Ende dürfte der BGH entscheiden ...

[+++] "Ein solches System, welches eher am gesicherten Vorteil von einigen denn an einem Wettbewerb um die beste Qualität unter allen interessiert ist, neigt dazu, eine Diktatur des Mittelmaßes zu errichten. Es bestätigt sich in seinen eigenen Wertvorstellungen und Strukturen unablässig selbst und immunisiert sich gegen Risiko. ... Das System zementiert im Interesse der Besitzstände von Fernsehanstalten, Förderern, wenigen Produzenten, Verleihern und Kinobesitzern eine Allianz des kleinsten gemeinsamen Nenners. Dass die meisten Filme, die dieses System hervorbringt, offenbar weder die breite Masse ins Kino bringen noch künstlerisch begeistern können, trübt die gute Laune kaum. Das System zielt auf den eigenen Erhalt, nicht auf bessere Filme. Auf den roten Teppichen und Branchentreffs gaukelt man sich vor, alles sei ein riesiger Erfolg. ... Allenfalls dürfen sich die Geschäftsführer der deutschen Filmförderer auf den Laufstegen internationaler Filmfestivals mit jenen ausländischen Produktionen zeigen, in die sie sich hineingefördert haben. Dafür müssen diese Produktionen dann ein paar Standorteffekte auslösen."

Wer sich dafür interessiert, kennt den Sound: Mal wieder eine der seit den 1960ern regelmäßig genau so berechtigten wie verhallenden Wutreden gegen das deutsche Filmförderungssystem, das aus seinen zahlreichen Töpfen jährlich immer noch mehr ARD/ ZDF-geeignete tägliche Fernsehstoff hervorbringt, ist's.

Heute hat Lars Henrik Gass, der Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, eine veröffentlicht, die sich in vielen Aspekten auch auf andere Aspekte des Medienbetriebs übertragen lässt (FAZ-S. 12, derzeit nicht frei online).


Altpapierkorb

+++ "Natürlich konnte ich dem Link von turi2 zum wohlmöglich 'dämlichsten Artikel des Jahres' nicht widerstehen und las über das Treffen einer jungen Frau mit einem Hollywoodschauspieler. Und ich muss sagen: Ja, das kommt dabei raus, wenn man Platz füllen, aber nix zahlen will und irgendwelche Was-mit-Medien-Suppenhühner-Hospitanzen machen lässt": Heute zieht die TAZ-Kriegsreporterin jene inzwischen bedauernswerte stern.de-Autorin, die wohl jeder Alpha-Platzhirsch der Medienmedien-Nische (oder wer es werden möchte) seiner Community schon zum Spott vorgeworfen hat, auch noch mal durch den kalt gewordenen Kakao. Am Absatz-Ende dann eine turi-oide Implikation, dass man sich im People-Journalismus doch hochschlafen könne, oder wie? +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite stellt Michael Hanfeld Naguib Sawiris (Twitter-Account) vor, der eine Mehrheitsbeteiligung am fast gesamteuropäischen, bloß nicht deutschen Sender Euronews erwerben will: "Der koptische Christ ... spricht Arabisch, Deutsch, Englisch und Französisch. Sein Abitur machte er an der Deutschen Evangelischen Schule in Kairo, an der ETH Zürich studierte er Betriebswirtschaft und Maschinenbau", und sei "Ägyptens einziger Global Player, mit zeitweise mehr als 100.000 Beschäftigten, mehr als 120 Millionen Mobilfunkkunden und einem Jahresumsatz, der drei Milliarden Euro übersteigt. ... ... Dass die Muslimbrüder und die Salafisten ihn zu ihrem Lieblingsfeind erkoren, verwundert nicht." +++

+++ "Es gibt schon so viele tolle Projekte im Bereich Medienpädagogik und Informatik, die sich praktisch und erfolgreich mit Medienkompetenz befassen. Da müssen wir gar nicht so viel neu erfinden, sondern die vorhandenen Ideen und Akteure stärker fördern": Das ist der parteiübergreifende Sound der Medienpolitik. Sarah Emminghaus hat wegen YouNow, dem Portal, auf dem sich junge Mädchen vor Nutzern mit Nicknamens wie "Manfred, Wolfgang oder Bernd" offenbar gerne live entkleiden, mal herumgefragt. Als Gegenüberstellung von digitalen Realitäten und Politiker-Stellungnahmen ein spannungsreicher Artikel ... +++

+++ "Die Justiz sollte sich dringend angewöhnen, mehr und verständlicher mit den Leuten zu sprechen." (Stefan Winterbauer bei meedia.de anlässlich von Til-Schweiger-Äußerungen und "Ausfälligkeiten" eines Ex-'Promi Big Brother#-Insassen" zum Edathy-Fall). +++

+++ Das "Great European Disaster Movie" der BBC oder eher die (nicht so überraschenden) Reaktionen darauf sind ein Thema im Tagesspiegel. +++

 +++ Der sich auch noch mit dem jüngsten Streich des Bild-Zeitungs-Chefredakteurs ("Es wird in Diekmanns Brust nicht doch ein Herz schlagen?") beschäftigt ...+++

+++ "Nach dem Aus für den 'Tatort' vom Bodensee ist in Baden-Württemberg ein Streit darüber entbrannt, wer als nächste Stadt der Krimireihe Obdach geben darf. Einige Oberbürgermeister hängen sich richtig rein, weil TV-Leichen den Tourismus so schön ankurbeln": Die SZ-Medienseite macht mit einem bunten Sommerloch-Artikel auf. Das nicht so viele überregional Wissenswerte gab es kürzlich ähnlich anderswo zu lesen. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.