Oft bin ich Vegetarier. Ein paar kleine Mettbrötchen habe ich aber immer im Rucksack dabei.
Oft fahre ich Auto. Ein Fahrrad habe ich aber immer im Kofferraum dabei.
Oft lese ich Proust. Ein paar Seiten Shades of Grey habe ich aber immer im Rucksack dabei.
Bevor Sie gleich glauben, jetzt sei ich völlig durchgedreht – keine Sorge, das hat alles seine Ordnung: Ich bemühe mich hier nur, wie ein guter Leser der Süddeutschen Zeitung rüberzukommen. Seit dem Launch dieser Seite (und diversen Anzeigen, die die SZ am Wochenende bei sich selbst geschaltet hat) wissen wir nämlich, dass diese nicht nur Jacketts mit Flicken an den Ärmeln tragen, so wie wir es immer vermutet hatten, sondern generell unfassbar schlau sind, super aussehen und Sätze wie diesen von sich geben:
„Oft lese ich sie online. Ein paar ausgeschnittene Artikel habe ich aber immer im Rucksack dabei.“
Ein weiterer Leser fordert
„Recherchiert gut, pflegt die klare Sprache und erspart mir das Unwichtige.“
Wenn man jetzt Letzteres auf Ersteres anwendete, müsste man sich fragen, wie plausibel es eigentlich ist, dass der 22-jährige Schauspielschüler, von dem das erste Zitat stammt, sich zumeist bei sueddeutsche.de informiert, aber dennoch die Printausgabe zu Hause hat, um sich daraus Artikel auszuschneiden und in den Rucksack zu stopfen, mit denen er sich dann in der Schauspielschule sehen lassen muss? Und warum ist das Testimonial der SZ überhaupt ein Schauspieler, den man über diese Seite buchen kann?
Aber, und das ist doch eine gute Nachricht: Anzeigenabteilung und Redaktion sind bei der SZ doch streng getrennt, sodass man das mit der Recherche und der klaren Sprache ausschließlich der Redaktion überlässt. Die Anzeigentexter können derweil ungehindert inhaltsleere Wortungetüme anhäufen und als Video auf die Kampagnenseite stellen. (Besonders empfehle ich das Gespräch zwischen Lara Höltkemeier und Heribert Prantl, in dem herauskommt, dass die SZ ein Angebot für dumme Frauen ist, die argumentativ mit ihren selbstredend viel eloquenteren Männern mithalten wollen – Höltkemeier verhaspelt sich, Prantl hilft mit dem Begriff „Eloquenzhelfer“ aus, und irgendwo schlägt Anne Wizorek mit dem Kopf dreimal hart auf die Tischplatte.)
Entgegen des Anfangsverdachts sind die anderen dahergelaufenen Leser Testimonials übrigens keine Schauspieler, sondern Fotograf, Künstler und, man will sich ja auch bodenständig zeigen, Produzentin von „Sturm der Liebe“.
[+++] Machen wir ein kleines Spiel: Sie denken an Medienjournalismus, ich frage Sie, was Sie in diesem Feld als Branchennachricht, was als Service und was als Relevant für Führungskräfte in der Medienbranche einordnen würden?
Wenn Sie darauf spontan eine Antwort haben, haben zumindest Sie verstanden, was in Zukunft kress.de, newsroom.de und den Kressreport voneinander unterscheiden soll. Gestern wurde bekannt, dass der Oberauer-Verlag die beiden Online-Angebote unter die gemeinsame Führung von Marc Bartl und Bülend Ürük stellen und deren Profile stärken will. Selbstredend gibt es dazu eine wortgewaltige Pressemitteilung:
„,Wir werden uns von dem weit verbreiteten Klickwahnsinn verabschieden und ausschließlich auf Relevanz setzen. Nachrichten wird es bei uns nur mehr dann geben, wenn tatsächlich etwas bedeutsam ist und nicht, weil dringend Klicks für die monatlichen IVW-Zahlen notwendig sind’, erklärt Herausgeber Johann Oberauer. (...) Im Zuge der Neupositionierung wird Newsroom.de im März einen weitreichenden Relaunch abschließen. Die Neuausrichtung von Kress.de wird bis Sommer 2015 schrittweise erfolgen. Die Marken Kress.de und der bisher gedruckte ,Kressreport’ werden in Zukunft unabhängig voneinander geführt.“
Da Newsroom bislang ein mit dpa-Meldungen aufgefülltes Blog von Bülend Ürük darstellt, und kress.de eine Abspielstation von Pressemitteilungen, ist eine Neuausrichtung sicherlich nicht die schlechteste Idee. Zumal beide Websites derzeit so aussehen, als seien sie aus dem Jahr 1995 zu uns gereist (und ja, hier spricht der Stolz des frisch gestarteten Colour-Blocking-Experiments, das wir evangelisch.de nennen). Falls die, nun ja: Vielseitigkeit der Collage unten rechts neben diesem Artikel jedoch darauf hinweisen sollte, wie die Zusammenführung aussehen soll, sollte man die Erwartungen nicht zu hoch schrauben.
Gleiches würde man instinktiv auch über die Zukunft des Printprodukts Kressreport sagen wollen, doch Verleger Johann Oberauer sieht das im Gespräch mit DWDL etwas anders:
„Einen Abschied vom Print-Magazin soll es auch auf längere Sicht nicht geben. Oberauer: ,Das Print-Produkt ist dauerhaft geplant und es hat große Bedeutung. Dazu wird es neue Formen digitaler redaktioneller Angebote geben, die durchaus Vorbild für andere sein können.’“
Die gedruckte Auflage des Produktes mit der großen Bedeutung lag zuletzt bei unter 2000 Exemplaren. Aber wie war das noch (erneuter Blick in die Pressemitteilung)?
„Der ,Kressreport’ wird als eigenständiger Bezahldienst für Führungskräfte in der Medienbranche weiterentwickelt.“
Hast Du eine geringe Auflage, sage einfach, dass Du eh nur die wirklich Wichtigen erreichen möchtest.
Eins muss man den Verlagen lassen: PR können sie.
[+++] Zumindest Sebastian Edathy wird es sicher freuen, das zu hören: Nur weil man mal vor Gericht gestanden hat, heißt das noch lange nicht, dass die Karriere vorbei ist. Zumindest, wenn man einen Rupert Murdoch und damit sein weitverzeigtes Unternehmensnetzwerk zum Freund hat. Rebekah Brooks, die einst nichts vom Abhören von Mailboxen durch ihre Redaktion gewusst haben will, fällt weich an sie Spitze von Storyful, wo man sich auf das Verifizierung von Social-Media-Nachrichten spezialisiert hat.
Ganz recht: Die ehemalige Chefin eines Boulevardblattes macht nun in Wahrheit, während Christian Zaschke beim Qualitätsblatt Süddeutsche Zeitung (siehe oben) ein paar schöne Gerüchte über Brooks zusammengetragen hat:
„Erste Gerüchte über eine Rückkehr von Rebekah Brooks in Murdochs Unternehmen gab es im November vergangenen Jahres, als sie im Konzern-Hauptquartier in New York gesehen wurde. Zudem besuchte sie im Januar die Technikmesse CES in Las Vegas mit einem Team von News Corp. Während unter Medienbeobachtern Einigkeit darüber herrscht, dass Brooks in Kürze einen Job bei News Corp übernimmt, gibt es Unstimmigkeiten bezüglich der Details. Die Daily Mail will erfahren haben, dass Brooks bereits mit Ehemann Charlie und Tochter Scarlett nach New York umgezogen sei. Dort wolle Charlie Brooks laut Guardian seine Karriere als Trainer von Rennpferden wieder aufnehmen. Die Financial Times geht hingegen davon aus, dass Brooks weiterhin im Vereinigten Königreich wohnen, künftig aber viel Zeit in Dublin verbringen wird, wo das Hauptquartier von Storyful liegt. Weder Brooks noch News Corp kommentierten die Berichte.“
Wer sich weniger für New York als Standort der Rennpferdezucht, aber mehr für Storyful interessiert, dem sei hier noch dieser Artikel im Guardian empfohlen, der Sinn und Zweck des Unternehmens, aber auch des Wechselns von Brooks beleuchtet:
„Why’s it in the news? The former chief executive of News International and woman who was acquitted of all charges arising from her years there during which corrupt practices and criminal activities were endemic at the newspaper under her charge, Rebekah Brooks, is about to work there.
Why? Because her former boss/Svengali/ministering angel Rupert Murdoch bought it a few years ago from founder Mark Little and she’s still kicking her innocent heels after the aforementioned phone hacking scandal.
I see. It’s a match made in hell. It’ll probably be in Dublin, actually, as that’s where Storyful is quartered.“
[+++] Den Jobwechsel des Tages in Deutschland legt Klaus Wowereit hin: Statt wie erwartet zu Gazprom geht er erstmal zu 105,5 Spreeradio, und zwar als Kolumnist.
„Ich kann mir keinen besseren Kolumnisten vorstellen, als einen Mann, der neben Barack Obama am Brandenburger Tor gesprochen - und auch auf dem ersten Wagen der Christopher Street Day–Parade gefeiert hat. Wir kennen und schätzen uns seit Jahren und ich bin froh, dass Klaus Wowereit in seinem ersten Job nach der Karriere in der Politik unser Expertenteam erweitert. Ob es um die Olympiabewerbung der Hauptstadt geht, die Leinenpflicht für Hunde oder ausverkaufte Kinosäle bei der ,50 Shades of Grey’- Premiere - Klaus Wowereit hat garantiert zu allem etwas zu sagen, worauf wir gespannt sein dürfen!“,
wird Programmdirektor Jochen Trus auf der Website des Spreeradios zitiert.
Mensch, was bin ich gespannt, ob Klaus Wowereit etwas anderes zur Oympiabewerbung zu sagen hat als seine Immer-noch-Parteikollegen, die sich derzeit die Münder fusselig reden in dem Bestreben, dem IOC vorzugaukeln, die Berliner und nicht nur sie selbst wären im Olympiafieber (ich habe vor einiger Zeit mal versucht, das in meinem Blog zu dokumentieren – die Verlinkung sei hier erlaubt).
Aber sehen wir es positiv: Die Hauptstadt hat einen Arbeitslosen weniger, und es hätte schlimmer kommen können. Sein einstiger Senatskollege Ulrich Nußbaum ist schließlich Kolumnist bei der BZ.
+++ 20 Minuten versucht es noch einmal in Deutschland, diesmal aber im Netz statt als Printausgabe, berichtet die Schweizer Handelszeitung. +++
+++ Falls Sie noch etwas über den Erfolg der Video-on-Demand-Plattformen und den Niedergang des linearen Fernsehens lesen können: taz und Tagesspiegel habe da etwas vorbereitet. +++
+++ Der zunehmende ökonomische Druck bei den Zeitungen bleibt nicht ohne Folgen für die redaktionelle Arbeit, und das ist schlecht. Ist die Sehrkurzfassung dieses langen Interviews bei Telepolis über eine Forschung zur Situation der Schweizer Medien, die auch auf Deutschland übertragbar sein dürfte. +++
+++ Nach einem Monat „Quizduell“ mit Jörg Pilawa kommt Jörg Pilawa zu dem Fazit, dass man besser „Das Quiz mit Jörg Pilawa“ zeigte: „Mich treibt immer auch die Frage um, ob man mit einem klassischen Quiz am Vorabend nicht möglicherweise erfolgreicher wäre. Es hätte dann nur nie so viel mediale Aufmerksamkeit gegeben wie mit diesem Experiment. Nur für wen machen wir Programm? Ich mache Fernsehen für die ,schweigende’ Mehrheit, die einfach ein wenig Entspannung und Unterhaltung sucht, nicht für die Presse“, sagt er im Interview mit DWDL. +++
+++ In der Türkei wurde mal wieder ein regierungskritischer Journalist festgenommen. Ihm wird Spionage vorgeworfen. Die taz berichtet. (Schlechten Witz über die Kombination der Worte Spionage und taz bitte selbst >hier< einfügen.) +++
+++ Apropos: Zu den Zeitungen, die den Spion, der aus der taz kam, beim Namen nennen, gehört jetzt auch der Guardian. +++
+++ Welche Bilder man in 95 Minuten Dokumentation über Winston Churchill zeigen kann, beschreibt Thilo Wydra im Tagesspiegel. „Sein Victory-Zeichen macht er bei jeder Gelegenheit. Es sind ikonografische Bilder, frappierende Aufnahmen dieses Mannes schon aus den 1910er Jahren, die hier restauriert und koloriert zu sehen sind. Selten auch die Privataufnahmen, etwa, wie er rücklings kopfüber die Rutsche am heimischen Pool hinuntersaust.“ „Sir Winston – Der Mann des Jahrhunderts“, läuft um 20.15 Uhr auf Arte. +++
+++ Danach im gleichen Sender: die Doku „Tschetschenien — Vergessen auf Befehl“. Hendrik Feindt in der SZ: „Nicht mehr sehen wir die Spuren von Gefecht und Belagerung, nicht mehr die Granatenkrater und die von schweren Geschossen aufgerissenen Fassaden, wie sie vergleichsweise seit bald einem Jahr aus der Ost-Ukraine über die Bildschirme zu uns kommen. Sondern die Hauptstadt Grosny erglänzt: Es gibt Hochhäuser aus Glas und aus Stahl, saubere Flaniermeilen und vielgeschossige Verwaltungs- oder Einkaufszentren, jüngst errichtete Moscheen sowie im Sonnenlicht gleißenden Asphalt. Man meint, eine jüngere, im Gebirge gelegene Schwester des arabischen Dubai vor Augen zu haben.“ +++
+++ Die Medienseite der FAZ widmet ihren Aufmacher mal wieder einer dieser Serien, die gerade in den USA anlaufen und dann irgendwann auf einem Fantasiekanal nach Deutschland kommen – und die damit für ziemlich viele der Menschen, die regelmäßig Print-FAZ lesen, unerreichbar sein dürfte.. „American Crime“ heißt sie diesmal; Nina Rehfeld ist ganz begeistert. „,American Crime’ zeigt eine Gesellschaft, die durchdrungen ist von Vorurteilen über Rasse, Klasse und Geschlechterrollen, in weißen, hispanischen, schwarzen und muslimischen Kontexten gleichermaßen – das mag das eigentliche Verbrechen in dieser elfteiligen Serie sein.“ +++
+++ Zum Abschluss noch ein Nachtrag vom Wochenende: Die Ausnahme vom Mindestlohn für Zeitungszusteller, mit der die Demokratie gerettet werden sollte, ist doch schlecht fürs Zeitungsgeschäft. Zwar sparen die abgebrannten Verleger über zwei Euro pro Austragungsstunde. Damit haben sie jetzt aber erreicht, dass Austräger fehlen und die Zeitungen nicht mehr morgens im Briefkasten liegen, und was das mit den Auflagen und der Demokratie macht, können Sie sich jetzt selber ausrechnen oder hier in Tagesspiegel-Interview von Joachim Huber mit Dieter Bähr, dem Chef der Berliner Zustell- und Vertriebsgesellschaft, nachlesen. Nur echt mit dem Fun-Fact, dass man Austräger von Ost- nach West-Berlin shutteln möchte, weil man im Osten morgens um vier noch für 6,38 Euro pro Stunde arbeiten möchte, im Westen nicht. +++
Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.