Die frisch gebackene Bert-Donnepp-Preisträgerin und oft gut informierte Enthüllerin Ulrike Simon hat einen Artikel über den aktuell neuen Entwurf des ZDF-Staatsvertrags geschrieben, der auch in den sog. soz. Medien geteilt, also empfohlen wird: "Wer regiert beim ZDF?". Was schreibt sie denn?
Ups, gegen eine Paywall gefahren. Mindestens 99 Cent sowie ein Kennwort von mindestens acht und höchstens 16 Zeichen fordert die HAZ. Die Hannoversche Allgemeine ist sozusagen der Anführer des "Redaktions-Netzwerks Deutschland" (RND) der Madsack-Zeitungen, für das Simon inzwischen arbeitet.
"Was die Nutzer aber nicht mögen ist, hinter’s Licht geführt zu werden. Genauso wirkt es aber, wenn ein Link ohne Hinweis auf Paid Content verweist",
so formuliert und kondensiert auf seine unvergleichlich populärere Art Thomas Knüwer (indiskretionehrensache.de) just tagesaktuell dasselbe Phänomen als
"das erste Dilemma der Verlage: Sie glauben noch immer, Paid Content sei ihre Rettung. Gleichzeitig aber ist Social Media der wichtigste Nachrichtenfilter unserer Zeit - und seine Bedeutung steigt durch den Bereich Messaging noch einmal an. Je mehr sich die Medienhäuser durch Paid Content also abschotten, desto mehr steigt die Bedeutung jener News-Anbieter, die sich gen Social Media orientieren wie die Huffington Post oder Buzzfeed. Klassische Medien schotten sich also freiwillig von potenziellen neuen Nutzern ab - sie sind nicht mehr relevant."
Knüwer hat ein anderes, noch populäreres Beispiel. Da geht es um den Jägermeister-Hersteller, das Handelsblatt (für dessen Onlineredaktion ich auch schreibe) und um Facebook statt Twitter. Weil das Handelsblatt zwar online allerhand Bezahlschranken errichtet, aber halt auch mit seinen Inhalten handelt, findet Knüwer den Artikel dann auch gratis im Netz. Jedenfalls: Willkommen in der schillernden Welt der Dilemmata der um ihre Relevanz und ihre Einnahmen ringenden Presseverlage. Wie sie's auch machen, sie können's nur verkehrt machen.
####LINKS#### [+++] "Abwiegeln, bestreiten, fehlendes Problembewusstsein" hieß es gestern an dieser Stelle in Bezug auf den Daily Telegraph und die Süddeutsche Zeitung. Das Problem, das der britische Telegraph mit seinem mit einem Knall ausgeschiedenen Chefkommentator Peter Oborne hat, vermelden heute die TAZ knapp und die SZ-Medienseite etwas ausführlicher:
"Nicht weniger als 'Betrug am Leser' wirft Peter Oborne seinem früheren Arbeitgeber vor. In Großbritannien ist der 57-Jährige ein bekannter politischer Journalist und Autor, er war Chef-Kommentator der überregionalen Tageszeitung 'Daily Telegraph', deren Auflage bei einer guten halben Million liegt. Doch im Dezember kündigte er bei dem Blatt - und veröffentlichte nun die Begründung dafür in einem recht langen Text auf einer Internetseite."
Dabei kann, wer etwas zu sagen hat, das doch auch kurz tun, oder? Natürlich gibt es eine große englischsprachige Diskussion, aus der wir hier nur eine Stimme zitieren: "Yes, Peter Oborne, ads hurt press freedom. But the alternative is worse", kommentiert Simon Jenkins im Guardian-Internetauftritt: "Newspapers are institutionalised hypocrisy", und "Oborne is a maverick", meint er und folgert gelassen:
"There is no question that the private sector is an insecure way of financing a free press that does not make money. But all other ways are worse. There are still as many daily newspapers published in Britain (nine) as there were 50 years ago, a continuous diversity available to no other western country."
Man könnte jetzt nachzählen, ob es in Deutschland nicht doch mehr Zeitungsdiversität gibt, zumal nominell, oder überlegen, ob Jenkins das nicht zum sog. Westen zählt. Aber weiter.
Was das Problem der Süddeutschen, vielleicht weniger mit ihren Verlagsbeilagen als mit mit ihrem Umgang mit der Kritik an diesen Verlagsbeilagen betrifft, hat Sebastian Heiser gegen von offizieller SZ-Seite geäußerte Kritik an ihm nachgelegt - mit ausführlichen Transkriptionen seiner Gespräche mit seinem einstigen Ressortleiter bei der SZ aus dem Frühjahr 2007. So berechtigt Heisers Position inhaltlich ist (und auch wenn es erlaubt sein sollte, Gespräche aufzuzeichnen, wofür Heiser sich auf die Interpretation eines Oberlandesgerichts-Urteils von 2005 zu Volker Lilienthals ARD-Schleichwerbungs-Enthüllungen bezieht) - die alten Gesprächen dann gar noch via Soundcloud zum "Download als MP3" anzubieten, wirkt arg überzogen und unterminiert seine Position.
[+++] Am Dienstag wurde hier an dieser Stelle Johnny Häuslers "Verlage, stampft eure Websites ein!"-Artikel aus der deutschen Wired nicht nur erwähnt, sondern auch eingeordnet. Darauf und auf das freundliche Angebot an Verlage, das Hosten ihrer Inhalte im Internet gleich an Facebook abzugeben, das Facebook-Produktchef Chris Cox "bei einer Veranstaltung der Medienplattform Re/Code in den USA" unterbreitet hat, antwortet Meike Laaff heute in der TAZ. "Die Idee: Facebook könne dafür sorgen, dass Verlagsinhalte hübsch dargestellt werden und ihr Publikum finden."
Die Antwort lautet:
"Gerade die Antwort, wie sich die von ihm imaginierte Kooperation für die Verlage lohnen soll, die die Produktion von Inhalten ja auch bezahlen müssen, ist ... Cox ... schuldig geblieben. Über eigene Seiten zumindest könnten Verlage nach Cox' Idee keine Werbeeinnahmen mehr erzielen - und würden noch tiefer in die Abhängigkeit von Facebook und dessen Algorithmen rutschen."
[+++] Das einzige, was die Abhängigkeit von Facebooks Algorithmen relativiert, ist die Abhängigkeit von Google und dessen Algorithmen. Sie ist womöglich derzeit noch größer. Die Idee, an einer Stellschraube so zu drehen, dass die Position der Verlage in der dynamisch unklaren Gesamtlage noch einen Tick verschlechtert wird, kommt von einer Seite, von der das nicht unbedingt zu erwarten war: von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Mit der gleich nach der strahlenden Wahlsiegerin aus Hamburg immer noch zweitbekanntesten FDP-Politikerin, zugleich das deutsche Mitglied in Googles europäischem Löschbeirat, hat die FAZ heute ein großes Interview auf der Medienseite. Des Beirats Empfehlungen wurden kürzlich öffentlich gemacht (siehe diverse Altpapierkörbe bzw. TAZ, SZ).
Es ist ein fundiertes Gespräch über das neue "Recht ... auf erschwerte Auffindbarkeit, für das es bisher noch kein Vorbild gibt" (Interviewer Uwe Ebbinghaus), bzw. das Recht, "unter bestimmten Voraussetzungen nicht dauerhaft in der prallen Suchmaschinenöffentlichkeit zu stehen" (Leutheusser-Schnarrenberger). Allerdings fordert die ehemalige Bundesjustizministerin gleich am Anfang:
"Was Google dringend abstellen muss, ist das automatisierte Verfahren, Seitenbetreiber von Link-Löschungen zu unterrichten. Dieses Vorgehen ist nur statthaft, meinen wir, wenn es ausdrücklich gesetzlich erlaubt ist - und das ist nicht überall in Europa der Fall. Wir vertreten dabei die Auffassung, dass die Benachrichtigung bei einer Link-Löschung einer erneuten Verletzung der Privatsphäre entspricht."
Bloß in komplizierten Fällen könnten die Medien, deren Inhalt vom europäischen Google nicht mehr angezeigt werden soll, informiert werden:
"Wir empfehlen Google allerdings, bei komplizierten Fällen den Seitenverantwortlichen zu einer Stellungnahme aufzufordern. Nur so kann ein komplexer Sachverhalt wirklich angemessen eingeschätzt werden."
Was in der Praxis hieße, dass die Verlage mit bekanntlich zusehends weniger Mitarbeitern, von denen sich viele mit hübsch auf die Algorithmen von Google und Facebook zugeschnittener Darstellung der Verlagsinhalte beschäftigen, dann auch welche beauftragen müssten, komplexe Inhalte so zu erläutern, dass Googles Löschteam es richtig versteht ...
[+++] Jetzt ganz aus den Augen verloren: den ZDF-Staatsvertrag. Dabei verdient auch dessen Entwicklung Beachtung:
"Erstmals wird im Fernsehrat ein Vertreter des Islams sitzen. Anders als die Vertreter anderer Religionen, die direkt von den jeweiligen Kirchen entsandt werden, wird dieser jedoch vom Land Niedersachsen ausgewählt",
schreibt Ulrike Simon u.a. Wer ihren Artikel frei online lesen will, kann es via Leipzig tun.
+++ Zurück zur Süddeutschen: Das auch nicht immer unumstrittene Rechercheteam von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR hat wieder zugeschlagen. Gestern in der Anne-Will-Talkshow eingebettet, heute auf der SZ-Seite drei: "eine Reise in das Leben des IS-Anführers und gefährlichsten Terroristen der Welt: Abu Bakr al-Bagdadi aus Samarra", geschrieben bzw. -filmt von Georg Mascolo, Volkmar Kabisch und Amir Musawy. Bzw.: "Einem Team von Süddeutscher Zeitung und ARD ist es nun gelungen, sechs bisher unbekannte Fotos und zahlreiche Dokumente aus seinem", al-Bagdadis, "Leben zu finden" (daserste.de). +++ Hat denn faz.net, das wohl eifrigste Talkshowbeobachtungsportal, die Will-Sendung gesehen? Nein, dort schaute Jürg Altwegg Harald Schmidt im Schweizer Fernsehen an. Er war transparent schlecht gelaunt, Altwegg, weil er ein spannenderes Fußballspiel als das ZDF es übertrug, abbrechen musste ("Noch war das Spiel zwischen Basel und Porto nicht abgepfiffen, als man widerwillig umschalten musste, um sich Harald Schmidt zweite Moderation in der Schweiz anzuschauen"), und fand Schmidt, vielleicht deshalb, nicht so prickelnd. +++ Indes Will-Kritiken: bei tagesspiegel.de ("Fazit: akademische Diskussionsrunde mit guten Argumenten. Keine populistischen Querschüsse. Nur der Beitrag", der 15-minütige Film von Mascolo & Co, "wäre außerhalb der Sendung viel besser platziert gewesen"), der BLZ und welt.de. +++
+++ Eindrucksvoll den "Informationskrieg" (u.a. Angela Merkel) um die Ostukraine geben Jarina Kajafa und Klaus-Helge Donath in der TAZ wieder. Sie haben am Dienstag, als schwere Waffen abgezogen werden sollten, "ferngesehen und mitgeschrieben - auf beiden Seiten des Konflikts". +++
+++ Auf der SZ-Medienseite wirft Altpapier-Autor René Martens einen Blick in die bedrohte "Business-Nische" deutscher "Kleinstsender mit kargem Bewegtbildangebot, das durch sogenannte Bildschirmzeitungen ergänzt wird - Texttafeln in Endlosschleife". Anlass ist das thüringische Salve TV mit Bodo Ramelows eigener Sendung, die kürzlich Medienmedienaufmerksamkeit erregte. So einige Medienwächter äußern sich, denn: "Die Chefs der Medienanstalten sorgen sich auch aus einem anderen Grund: Mit jedem sterbenden Sender schwindet die Existenzberechtigung der vielen Aufsichtsbehörden. An von Medienanstalten in Auftrag gegebenen Studien, die die Relevanz des Lokalfernsehens belegen, fehlt es nicht. So hat die Uni Erfurt etwa ermittelt, dass die Sender Jena TV und TV Altenburg 'einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Meinungs- und Willensbildung' leisten." +++
+++ In der TAZ beschreibt Wilfried Urbe "das erste panafrikanische Medium", wie Euronews-Chef Michael Peters den in diesem Jahr von Brazzaville aus startenden Schwestersender Africanews nennt. (Und bei der Gelegenheit fragte Urbe auch noch bei der Mainzer Medien-Staatssekretären Jacqueline Kraege an, warum noch mal die deutschen Öffentlich-Rechtlichen bei Euronews nicht mehr mitmachen). +++
+++ Noch lesenswert, was Thomas Lückerath bei dwdl.de zur an den letzten Tagen auch hier gestreiften "Tatort"-Twitter-Frage schrieb: "Zahlreiche Medien entdeckten in den vergangenen Jahren die sehr bequeme und einfache Form der Artikelgestaltung durch eine mehr oder weniger aufwändig kuratierte Zusammenstellung von Tweets zu einzelnen Themen, gerne eben auch TV-Sendungen". U.a. daher habe Til Schweigers "Kritik an der selektiven Wiedergabe von zugespitzten Einzelmeinungen als vermeintlich repräsentatives Urteil des Publikums ... einen wahren Kern." +++
+++ "Gewalt in TV-Programmen, die Flut der Krimis, ist heute nicht nur in Beziehung zu menschlichen Ängsten zu setzen. Sie ist mittlerweile selbst zu einem selbstverständlichen Stück Realität geworden, in der das Vergewaltigen und Totschlagen, das Foltern und Erschießen nichts Außergewöhnliches mehr bedeutet, sondern achselzuckend, bestenfalls mit Bedauern zur Kenntnis genommen, politisch begründet oder sogar als Quelle der Unterhaltung genutzt wird": Da fordert einer der bekanntesten Ex-Medienwächter, Norbert Schneider, im epd medien-Tagebuch mehr Hypothesen zu den Folgen medialer Gewaltdarstellungen. +++
+++ Wer letzte Woche auf der Berlinale "Blochin" sah, dürfte wohl der Meinung sein, dass das goldene Zeitalter der deutschen TV-Serien doch noch nicht angebrochen ist (wie ich in einem Altpapier-Vorspann schon mal zuspitzte ...). Aber in Österreich geht's voran: "Der ORF stellt David Schalkos neue Serie 'Altes Geld' ab 27. März auf seine Abrufplattform Flimmit", um so "Werbung für das kostenpflichtige Videoportal zu machen", das inzwischen mehrheitlich dem ORF gehört (Standard). Einer der Schauspieler in "Altes Geld" ist Udo Kier. +++
+++ Ja, ist denn schon Sommerloch? Der Tagesspiegel hat jedenfalls mal Hanns Hatt, einen Biologen und Geruchsforscher von der Ruhr-Universität Bochum gefragt, warum Geruchsfernsehen und Geruchskino sich noch immer nicht durchgesetzt haben. "Jeder Mensch hat aber eine andere Vorstellung davon, wie eine Rose riecht", lautet eine der Antworten. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.