Warum für das Schreiben von Artikeln Geld bezahlen, wenn man auch welches nehmen kann? Neue Brandbriefe schüren alte Hoffnungen. Huberts Burdas Handy und innovative Moderationsvariationen bei der RBB-„Abendschau“. Noch mehr Serien und Berlinale.
Dass noch niemand früher darauf gekommen ist! Anfang des Jahres beklagten deutsche Medienkonzerne noch, dass sie angesichts des bösen, bösen Mindestlohns nun keine Akademiker mehr über ein halbes Jahr für den Gegenwert einer Dose Hundefutter Praktikanten mehr beschäftigen dürfen, ohne sie mit mehr Geld zu entlohnen, als sie ihren Zustellern zusprechen. Nun zeigt ein Beispiel aus Großbritannien, dass es auch ganz anders laufen kann.
Newsquest, ein Zeitungshaus mit einer beeindruckend langen Liste an herausgegebenen Lokal- und Regionalzeitungen, will sich von Studenten dafür bezahlen lassen, deren Artikel zu veröffentlichen. In einem Brief an Universitäten, aus dem die National Unit of Journalists in einer Stellungnahme zitiert, schreibt Organisatorin Diana Jarvis:
„This opportunity is an exciting and unique chance to experience working for a local paper and allows students to build up a portfolio of their published work over the eight months. Unlike school students, the university students are studying the subject so will have an advantage of possibly getting their articles published in our actual newspapers around London."
Wäre das hier Human-Resources-Fantasiesprachen-Bullshit-Bingo, hätten wir nun einen Gewinner.
100 Pfund soll die Uni zahlen, 20 Pfund zusätzlich jeder Student, damit er über acht Monate lang einmal im Monat einen Artikel veröffentlichen darf und am Schluss ein schönes Zeugnis und eine Erwähnung in einer Abschlussbroschüre erhält.
Dem Guardian gegenüber erzählt ein weiterer Mitarbeiter des Verlagshauses, dass dieses Procedere bereits seit Jahren an Schulen durchgeführt und nun auf Unis ausgeweitet werde.
Michelle Stanistreet von der NUJ regt sich darüber wunderbar auf.
„While Newsquest is sacking professional staff on its titles, it is charging journalist students for writing articles for them. The unpaid intern has become the scourge of the media profession - now Newsquest is asking for journalist students to actually pay for a by-line. The company’s cynicism beggars belief, and preys on young people desperate to get a break in a competitive industry.“
####LINKS####Gleichzeitig sieht man deutschlandweit Verleger Medienunternehmer in die Tischkante beißen, weil sie jahrelang unter lustigen Namen (Yes, I am looking at you, Zeus and Zisch) Berge an Altpapier in die Schulen und sogar Kitas (Taki, anyone?) gekarrt und im Gegenzug kostenlos Artikel von 14-Jährigen veröffentlichten haben, die in deren Poesiealben besser aufgehoben gewesen wären. Eigentlich sollten so junge Generationen ans Zeitunglesen gewöhnt werden. Aber die jungen Bastarde haben einfach nicht abonniert.
Hätte man ihnen stattdessen erklärt, was für eine „exciting and unique chance (...) to build up a portfolio“ so eine Artikelveröffentlichung in der Lokalzeitung darstellt und sich dafür gut bezahlen lassen – Achtung, jetzt kommt eine Überleitung! –, dann müssten heute die Zeitungen nicht um die Wette fusionieren und die Mitarbeiter des Hamburger Abendblattes hätten niemals diesen Brandbrief formulieren müssen, der sich nun bei Newsroom wiederfindet.
„Die Konkurrenzsituation hat sich währenddessen verschärft: Die ,Zeit’ erscheint seit vergangenem Jahr mit einem Hamburg-Teil, mit der ,Welt’ tritt ab 1. Mai ein neuer Konkurrent auf den Plan, der vor allem auf den digitalen Bereich setzt, und auch die Bild am Sonntag plant einen Hamburg-Teil. Das Abendblatt reagiert in dieser Situation mit Sparprogrammen und Outsourcing: Ab Sommer 2015 werden die Seiten für Politik, Wissen und Allgemeines in Berlin von einer neuen GmbH produziert – weitere könnten folgen. Außerdem soll das Gehaltsniveau abgesenkt werden. Durch den Austritt bzw. Nicht-Eintritt in den Arbeitgeberverband gibt es keinerlei Tarifgebundenheit mehr. Es sind bereits viele Arbeitsverträge geschlossen worden, die dramatisch schlechtere Bedingungen beinhalten. Das ist inakzeptabel!“
Stattdessen erwarten sie etwas, von dem man sich beim neuen Abendblatt-Eigner Funke eigentlich längst verabschiedet hat:
„Die Entwicklung neuer Strategien, statt fantasielos beim Personal zu kürzen.“
Oder hat seit der Absage an Die Woche noch mal jemand etwas von einem Waz-Funke-Projekt gehört, in dem eine neue Strategie enthalten gewesen wäre, die nicht dem fantasielosen Kürzen von Personal entsprochen hätte?
Wobei, das sei der Fairness halber gesagt, die Funkes mit diesem Vorgehen nicht alleine sind: Auch Hubert Burda bekam gestern Post, weil sich 40 Schlussredakteure diverser Burda-Magazine nicht einfach so wegrationalisieren lassen wollen.
Ein schöner Satz aus dem Brief, der bei Meedia nachzulesen ist, lautet:
„Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass die Entscheidung, die Tätigkeiten auszulagern, rein rechnerisch und ohne genaue Kenntnis der Arbeitsabläufe erfolgt ist.“
Was natürlich ein schlimmer Vorwurf ist, so man doch spätestens seit dem großen Marias-Mann-Gedächtnis-Interview (Altpapierkorb am Dienstag) aus dem SZ-Magazin weiß, dass Hubert Burda Marcel Proust im Original gelesen hat; da wird er doch über die Vorgänge in einer lumpigen Schlussredaktion Bescheid wissen.
Selbstredend völlig ohne Zusammenhang dazu meine liebsten Zitate aus dem Interview:
„Ich telefoniere mit einem Nokia-Modell, das sicherlich über zehn Jahre alt ist. Ich hänge nun mal an diesem Ding.“
„Ab einer gewissen Uhrzeit will ich nichts mehr wissen. Deshalb schaue ich abends kaum fern. Mit ein paar Ausnahmen gehe ich um zehn ins Bett. (...) Wenn ich um zehn ins Bett gehe, bin ich um fünf auf. Dann lese ich Gedichte, im Moment von Philippe Jaccottet, oder Prosa von Handke. Seinen Roman ,Mein Jahr in der Niemandsbucht’ lese ich immer wieder. (...) Irgendwann setzt der Reflex ein: Was gibt es Neues? Dann gehe ich auf Focus Online und schaue mir die Seiten von Huffington Post und Bild.de an.“
„Weil ich Facebook nicht benutzt habe, habe ich den Anschluss an alles verloren, was danach kam, von Instagram über Pinterest bis Snapchat.“
„Mein Radioapparat ist dreißig oder vierzig Jahre alt. Auf einem Knopf steht Bayern 4. Den drücke ich jeden Morgen um sieben Uhr fünfzehn.“
Tja, 75 müsste man sein. Aber vielleicht kann trotzdem mal jemand bei Burdas vorbeigehen und das Missverständnis aufklären, die Schlussredaktion seien die Leute, die kleine Bleibuchstaben herumschieben und auf die man seit Erfindung dieses Dings, na, Computers doch sicher verzichten könne? Danke.
Ein Glück, dass heute der Tag ist, an dem einige Journalisten-Verbände der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF) in Brüssel eine „Münchner Erklärung“ übergeben, wie Newsroom berichtet, und die die Pressefreiheit und Meinungsvielfalt ist Gefahr sieht, weil:
„Tarifliche Standards werden zunehmend ausgehöhlt, umgangen oder komplett verweigert. (...) Freiberufliche Journalistinnen und Journalisten stehen gegenüber ihren Auftraggebern in einer unverändert schlechten Verhandlungsposition. (...) Dort, wo Arbeitgeber den Journalistinnen und Journalisten einen angemessenen sozialen Schutz verweigern, müssen Maßnahmen getroffen werden, um gesetzes- und vertragskonforme Zustände herzustellen. (...) Die Urheberrechte der Journalistinnen und Journalisten sind umfassend und effektiv zu schützen.“
Wie gesagt: So ein Glück, dass deutschsprachige Journalistenverbände das der EJF nun endlich mal mitteilen. Damit dürften nicht nur die Mitarbeiter der Funkes und Burdas, sondern wir alle endlich gerettet sein.
[+++] Zur Ehrenrettung und zum Schluss noch rasch ein paar schöne Zitate, die belegen, dass Hubert Burda nicht der einzige im Medienbusiness ist, der in einer Zeitschleife gefangen zu sein scheint. Gesellschaft leistet ihm dort Christoph Singelnstein, Chefredakteur des Rundfunks Berlin-Brandenburg, der im Interview mit Kurt Sagatz vom Tagesspiegel erklärt, wie Innovation bei der Berliner „Abendschau“ aussieht:
„Die ,Abendschau’ ist keine Sendung, mit der man experimentiert. Sonst ist die Gefahr zu groß, dass die Menschen sagen, das ist nicht mehr meine ,Abendschau’.
Dann planen Sie kleinere Veränderungen?
Das machen wir ständig, das merken Sie nur nicht. Im vergangenen Jahr haben wir die komplette Wettergrafik verändert. Auch sonst haben wir an den Grafiken gearbeitet, zudem ist das Zusammenspiel von Moderator und Nachrichtensprecher bei Begrüßung und Verabschiedung verändert.“
Die komplette Wettergrafik wurde verändert! Und das Zusammenspiel der Moderatoren! Wenn man sich mit solch bahnbrechenden Umwälzungen nicht das Recht erkauft, mindestens zehn weitere Jahre ungestört über umfallende Bäume in Steglitz berichten zu dürfen, dann weiß ich auch nicht.
+++ Spätestens jetzt dürfte klar sein: dieser Text entsteht gerade nicht in einer Karnevalshochburg. Was hier nur Erwähnung findet, um auf die jahreszeitengemäße Umfrage hinzuweisen, die Meedia aufbereitet. „Demnach finden 55 Prozent der 1.014 Befragten, dass das TV-Programm zu närrisch ist. 25 Prozent sind mit der Menge an Karnevalsprogramm zufrieden. (...) Die größte Abneigung besteht in den Bundesländern, in denen Karneval kaum bis gar nicht gefeiert wird.“ Umfragen sind ja Senderverantwortlichen meist herzlich egal. Da aber auch die Einschaltquoten sinken, will zumindest das ZDF in Zukunft nur noch eine Sitzung aus dem Kölner Karneval übertragen. +++
+++ Die Meldung, die bereits gestern Morgen die Runde machte, hat heute die Seite 3 der Süddeutschen Zeitung erreicht. Andrian Kreyle: „Die Momente, an denen einen das Fernsehen zu Tränen rührt, sind selten geworden. Am Dienstagabend kurz vor halb zwölf Uhr New Yorker Ortszeit gab es so einen. Da verkündete Jon Stewart, dass er nach mehr als 16 Jahren seinen Job als Kopf der satirischen Nachrichtensendung ,The Daily Show’ verlassen werde. Die Sendung sei der längste Job, den er je gehabt hätte. Das seien exakt 16 Jahre und fünf Monate länger als der Job vorher. Er habe nun viele Ideen, sagte er – Abendessen mit seiner Familie. Er habe gehört, da gebe es tolle Menschen in seiner Familie. Dann kamen ihm die Tränen. Jon Stewart rief: ,Verdammt, was ist das für eine Flüssigkeit?’“ Auch die FAZ widmet sich in ihrem Feuilleton-Aufmacher Jon Stewart. Patrick Bahners: „Als er die ,Daily Show’ 1999 übernahm, war dieses Alternativprogramm zu den spätabendlichen Talkshows erst drei Jahre alt. Gegenstände des Spotts waren hauptsächlich Prominente aus dem Showgeschäft. Stewart schaltete um und machte die Politik zum Thema – mit so nachhaltigem Erfolg, dass jüngere Zuschauer ihn als Lotsen in den trügerischen Gewässern der täglichen politischen Auseinandersetzungen verehren.“ +++
+++ Peter Hahne leiht sich seine Formulierungen bei der NPD und wird damit zum Teil einer Kampagne der Bild-Blätter gegen Zuwanderung aus dem Kosovo, schreibt Boris Rosenkranz im Blog von Stefan Niggemeier. +++
+++ Die Chinesen machen ihre Great Firewall noch ein wenig dichter, berichtet Felix Lee in der taz. „Tunneldienste braucht in China jeder, der auf Webseiten von Facebook oder der ,New York Times’ zugreifen möchte. (...) Den chinesischen Zensurbehörden war es zwar auch vorher technisch möglich, VPN-Zugänge zu blockieren. Doch bislang schien der chinesische Staat ein Interesse daran zu haben, dass zumindest bestimmte Kreise sich international vernetzen können. An Universitäten, in Unternehmen und sogar bei Staatsbehörden war die Nutzung der Tunneldienste üblich. Nun scheint aber ein anderer Wind zu wehen.“ +++
+++ Die Berlinale und die auf ihr präsentierten Serien (siehe vorgestriges Altpapier) haben nun auch DWDL erreicht. Torsten Zarges schreibt über Potentiale, Probleme und Dieter Kosslick als Totengräber. Auf der Medienseite der SZ berichten auch Karoline Meta Beisel und David Denk. Und zum Dritten: Lutz Meier in seinem stern.de-Blog. +++
+++ Wer noch nicht weiß, wie er den heutigen Abend verbringen soll: Das Erste einschalten scheint auch keine Lösung. Auszug aus der Rezension von „Der Metzger und der Tote im Haifischbecken“ von Ursula Scheer auf der Medienseite der FAZ: „Als Willibald Metzger die Bremsen versagen, weil vor seinen Augen eine Frau im Evakostüm in den See taucht, und er nach einer Bruchlandung mit Radel geradewegs vor ihren Füßen landet, gibt man dem Krimi schon fast keine Chance mehr. Erst recht nicht, weil vor der Nasenspitze des Gestürzten ein abgetrennter Finger mit Ehering auf einem Stein liegt, nach dem die inzwischen in einen Hotelbademantel gehüllte Schöne furchtlos greift.“ +++
Frisches Altpapier gibt es wieder am Freitag.