In Berlin passieren morgens um sechs doch die krassesten Dinge. Deutsche Lokalzeitungsverlage betreiben Flurbereinigung, wovon sich Verdi wahre Wunder erwartet. Männer und die Pressefreiheit, das Bildblog und das liebe Geld und die schönsten Abgänge bei der NZZ seit 1780.
Sie müssen jetzt ganz stark sein. Zumindest, wenn Sie gerade in München oder Herne oder Köthen oder vielleicht sogar im Ausland sitzen, aber nicht in Berlin, der Stadt, die so unsagbar cool und ereignisreich ist, dass man sich vor lauter Aufregung nur die Haare raufen möchte. Wie, das wagen Sie zu bezweifeln? Zum Glück gibt es seit gestern den Liveticker des Tagesspiegels, in dem die Hammer-Ereignisse des Morgens und Vormittags festgehalten werden. (Danach passiert erstmal nichts Spannendes mehr, denn kurz nach 12 geht der geneigte Berghain-Gast zu Bett.)
Nur aber: Halten Sie sich fest! Heute Morgen, 6 Uhr in Berlin:
„6.00 Uhr, es ward Licht am Bahnhof Zoo: Guten Morgen! Kollege Ku'damm-Blogger Cay Dobberke ging jetzt unter der Hardenbergbrücke ein Licht auf - und nicht nur eins und nicht nur ihm. Unter der breiten Brücke in der Hardenbergstraße zwischen dem Bahnhof Zoo und dem Ullrich-Supermarkt blickten Passanten und Fahrgäste an den BVG-Bushaltestellen auf düstere, triste Zustände in der westlichen Innenstadt. Nun schauen sie ins Helle, denn seit gestern Abend erstrahlt der einst schummrige Ort wenn schon nicht in neuem Glanz so doch mit Lampen.“
Crazy shit. Eine Lichtinstallation am Bahnhof Zoo, wie konnte man nur all die Morgen zuvor ohne derartige Informationen leben?
Müsste ich jetzt hier nicht Altpapier schreiben, ich lüde die Seite im Sekundentakt nach, um zu überprüfen, ob der Ticker heute mit dem von gestern („9.08 Uhr, Tipps für die Winterferien“, „10.33 Uhr, heute öffentlich Fläschchen fürs Tigerbaby“,12.25 Uhr, ,Mahlzeit’“) mithalten kann. So bleibt mir nur, es als schäbige Überleitung zu nehmen für den Überlebenskampf der Lokalzeitungen, den wir derzeit beobachten können, und in dem die Internet-Aktivitäten des Tagesspiegels ja auch nur einem zusätzlichen Strampler und damit dem Versuch gleichkommen, sich noch eben auf eine schwankende Planke zu retten, bevor das Schiff komplett untergeht. Denn ja, dies sei noch gesagt: Der Liveticker ist vorwiegend eine Ansammlung von Teasern mit Links auf Tagesspiegel-Texte, die man für vertiefende Informationen bitte lesen soll. Früher nannte man so etwas Homepage. Doch die ist ja tot.
Und damit zu dem Ereignis, das Turi2 gestern so schön als „Flurbereinigung“ bezeichnete: Die Verlagsgruppe Rhein-Mein kauft die angeschlagenen Echo Medien und weitet sein Verbreitungsgebiet damit weiter nach Hessen aus.
Dass das Ganze selbstredend nur dem Journalismus und der Vielfalt nützt, lässt sich in grunerundjahresken Floskeln in der Pressemitteilung der Echo Medien nachlesen (oder wie man es bei kress.de nennt: ein Artikel von Marc Bartl).
„Indem die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit deutlich gestärkt wird, wird die Meinungsvielfalt sowie die journalistische Handlungsfähigkeit in der Region Südhessen nachhaltig gewährleistet.“
„,Die VRM kennt die Entwicklungen und Schwierigkeiten unserer Branche und arbeitet auf einem hohen Level an Antworten auf die drängenden Fragen der Zukunft. Wir freuen uns, künftig mit der VRM mehr Flughöhe, mehr Reichweite und mehr Schlagkraft zu erreichen’, so (Verleger Hans-Peter) Bach weiter.“
Die Befürchtungen, dass die zahlreichen Entlassungen beim Darmstädter Echo vom vergangenen Herbst (Altpapier) nur dem Zweck der besseren Vermarktbarkeit der Zeitung dienen sollten, hätten sich bewahrheitet, zitiert Meedia Manfred Moos vom ver.di-Fachbereich Medien:
„Wir erwarten vom neuen Eigentümer, dass nunmehr ein langfristig tragfähiges Konzept für die Echo-Zeitungen vorgelegt wird und es nicht zu weiteren Arbeitsplatzverlusten kommt.“
####LINKS####Bei der Gelegenheit wünschen wir uns auch ein Pony, dass die S-Bahn trotz Schnee heute pünktlich kommt und Weltfrieden. Denn mal ehrlich: „Ein langfristig tragfähiges Konzept“ entwickeln hieße, den gordischen Knoten des Erlösmodells zu zerschlagen, und ohne der Verlagsgruppe Rhein-Main zu nahe treten zu wollen: Ein Blick etwa auf die Website der in der VRM erscheinenden Main-Spitze lässt jetzt nicht unbedingt vermuten, dass man dort das Internet und die Monetarisierung dort erscheinender Inhalte besser verstanden hätte als etwa beim Rüsselsheimer Echo. Wobei diese Auswahl kein Zufall ist: Genau bei diesen beiden Zeitungen liegt die örtliche Überschneidung der Echo Medien mit der Verlagsgruppe Rhein-Main.
In wie weit es nun ein Verlust für die Demokratie wäre, wenn in Zukunft nicht mehr zwei Titel über die Jahreshauptversammlung der Freiwilligen Feuerwehr Königstädten berichteten, mögen andere beurteilen. Mir bleibt im Hinterkopf ein Satz aus dem Wolfgang-Blau-Interview aus den Standard (Altpapier vom Freitag), der da lautet:
„Verlage sind keine Stiftungen, und die meisten Tageszeitungen haben nun einmal keine plausible digitale Zukunft, sondern nur eine mittelfristige Zukunft als Printmedien, und danach ist es leider vorbei.“
Wer sich jetzt noch interessiert, wie es derweil um den Lokaljournalismus in der Schweiz bestellt ist, dem sei dieser Artikel aus der heutigen NZZ empfohlen (Spoiler: geht so), und dann können wir das Lokale endlich Richtung große, weite Welt (im Sinne von Hamburg) verlassen.
[+++] Wo kann man sich eigentlich ein so dickes Fell zulegen, wie das Nachrichtenmagazin Spiegel eines hat? Da hagelt es in Folge der ganzen Pegida-/Lügenpresse-/Glaubwürdigkeits-Debatte nur so an Kritik an Covern wie „Mekka Deutschland – Die stille Islamisierung“ oder „Stoppt Putin jetzt“. Und was macht man in dieser Woche beim so-called Nachrichtenmagazin? Das hier. „Geisterfahrer“, „Europas Alptraum“, kleiner hatte man es wohl nicht, um deutlich zu machen, dass die Griechen ja gerne frei wählen dürfen, aber doch nicht so.
Oder, wie es Robert Misik im Interview mit Carta formuliert:
„Was der SPIEGEL in dieser Titelgeschichte gemacht hat, hat das ,Sturmgeschütz der Demokratie’ in ein ,Sturmgeschütz der Merkel-Schäuble-Doktrin’ verwandelt. Es wird mit einer derartigen Fülle an Gehässigkeiten, Lügen, Fehl- und Halbwahrheiten gearbeitet, dass man ja überhaupt nicht weiß, wo man beginnen soll mit dem Richtigstellen.“
Misik versucht es dann doch, und nimmt die spiegelesken Floskeln, die viel behaupten und wenig belegen, an mehreren Beispielen auseinander, um zu dem Schluss zu kommen:
„Das Problem ist, dass natürlich viele Leser gut genug informiert sind, um zu merken, was ihnen da für eine üble Brühe präsentiert wird. In Zeiten der Legitimationskrise von Medien und ,Lügenpresse’-Vorwürfen brauchen wir solche Kollegen wie einen Kropf.“
Allerdings, die gute Nachricht: Der Spiegel erscheint nicht auf Englisch und versteckt sich hinter einer Paywall, und so besteht die Hoffnung, dass man in Griechenland niemals von dieser Titelgeschichte erfahren wird – anders, als es dem Economist mit seinem „Go ahead Angela, make my day“-Cover ergangen ist.
„,Es ist total widerlich und lächerlich zu suggerieren, wir würden Europa erpressen’, sagte (ein) Regierungsvertreter am Montag in London während eines Treffens der beiden Finanzminister Giannis Varoufakis und George Osborne. Er warf den britischen Medien und insbesondere dem ,Economist’ vor, mit Ablehnung auf den Wahlsieg der linken Syriza reagiert zu haben. Doch hätte seine Regierung nicht erwartet, dass das Magazin für seine ,negative Botschaft ein antikes griechisches Denkmal missbrauchen’ würde“,
schreibt der Tagesspiegel.
Falls es da, wo die dicken Felle herkommen, auch etwas mehr Sachlichkeit zu ordern gäbe: Nun wäre ein guter Zeitpunkt, zuzuschlagen. Die Debatte schreit danach.
[+++] Zum Abschluss noch eine Frage, die ich als jemand, der gestern zum ersten Mal von der Existenz des Magazins Männer und seines Chefredakteurs David Berger erfahren hat, auf die Schnelle nicht beantworten kann, aber hiermit gerne an Sie weitergebe: Wurde Berger gestern von seinem Verlag vor die Tür gesetzt, weil er die Redaktion auf einen rechtspopulistischen Kurs gelenkt hatte, in dem umstrittene Autoren wie Daniel Krause umstrittene Artikel über „De(n) Islamismus und die queere Szene“ schreiben durften? Oder war der Rauswurf ein Angriff auf die Pressefreiheit und entsprach dem Einknicken gegenüber einem großen Werbekunden, der angesichts des neuen Kurses abgesprungen war?
Letzteres ist selbstredend die Meinung des Ex-Chefs Berger, wie auf seiner Facebookseite nachzulesen ist.
Aber auch Jan Feddersen von der taz tendiert zu dieser Lesart.
„Vielleicht war David Bergers Problem am heftigsten in einer Sache begründet, die jeder Verein, jede Organisation, jedes Medium stiftet: Er, der gelernte Theologe, verfügt nicht über diesen gewissen Stallgeruch der schwulen Szene der Bundesrepublik. Einer, der sich buchstabiert wie: Homoehe ist doof und unnötig, politischer alternativer Lifestyle in queerer Hinsicht ist obligatorisch, wichtig ist das schwule Milieu und ein Blick über den eigenen Tellerrand hinaus eher nicht so von Gewicht. Berger ist ein homosexueller Journalist, der Kontroversen ins Leben rief und die Pros und Contras in den Ring holte: Das ist ungefähr das, was all seine Vorgänger im Job nicht vermochten.“
Der Artikel des Anstoßes, der im Männer-Kanal der Huffington-Post erschien, wurde mittlerweile gelöscht, sodass man sich davon kein eigenes Bild mehr zu machen vermag. Das letzte unter Bergers Führung entstandene Heft kann man aber noch ordern.
+++ „La rédaction, fortement émue et soutenue par votre formidable élan de solidarité, ne vous oublie pas et vous donne rendez-vous dans les prochaines semaines dans les kiosques.“ So steht es derzeit auf der Website von Charlie Hebdo. Was Spiegel Online und Meedia im Laufe des gestrigen Tages wie folgt übersetzten: „Charlie Hebdo pausiert“. Aber nur bis zum 25. Februar, wie dann am Abend Charlie-Redakteur Laurant Léger twitterte. Nicht, dass jemand denkt, das Magazin ließe sich nachhaltig einschüchtern. +++
+++ Das Bildblog ist aus der verlängerten Weihnachts- und Spendensammel-Pause zurück, was Martin Schneider und Claudia Tieschky zum Anlass nehmen, sich auf der Medienseite der SZ noch einmal Gedanken über Leser-Finanzierung zu machen. Derartige Pläne der SZ selbst werden nicht erwähnt, man lässt aber Krautreporter Sebastian Esser die Leserschaft mit dem Satz „Mitgliedermodelle wie Krautreporter seien im Trend, glaubt Esser und führt Konzepte ins Feld wie die des Guardian, den man als ,Partner’ oder ,Patron’ unterstützen kann oder der New York Times, die Käufern des ,Premier’-Angebots ,Insider-Erfahrungen’ verspricht“ anwärmen. +++
+++ Was macht dieses Internet mit Politik und Demokratie? Das ist die Frage, der sich Politikwissenschaftler Markus Linden heute auf der Medienseite der FAZ annimmt. „Vor dem Hintergrund von Protestbewegungen, selbst wenn sie virtueller Natur bleiben, wird die demobilisierende Wirkung des Internets zu wenig beachtet, denn ebenso sehr wie die Aufwallung werden auch die Ausdifferenzierung und Spaltung von Bewegungen durch das Medium befördert.“ +++
+++ „Nach einer monatelangen weltweiten Kampagne für seine Freilassung unter dem Slogan ,Journalismus ist kein Verbrechen’ wurde am Sonntag Peter Greste, der australische Korrespondent des englischsprachigen Fernsehsenders Al-Jazeera International nach 400 Tagen Gefängnis in Ägypten freigelassen. Er wurde in sein Heimatland abgeschoben. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Seine beiden Kollegen, Al-Jazeera-Bürochef Muhammad Fahmy und Produzent Baher Muhammed, verbrachten am Sonntag den 401. Tag hinter Gittern in Ägypten.“ Die ganze Geschichte dröselt Karim El-Gawhari heute in der taz auseinander. +++
+++ Einfach mal überraschend den Chefredakteur zu feuern, das ist sich die NZZ mit ihrer Geschichte schuldig. Scheint irgendwie der Subtext dieses NZZ-Artikels zu sein, in dem der Historiker Thomas Maissen die schönsten Abgänge seit 1780 zusammengetragen hat. +++
+++ Wo Angela Merkel ist, da ist auch unsere Aufmerksamkeit, und das bringt mit sich, dass wir nun bei Krautreporter etwas über die Pressefreiheit in Ungarn lesen können, für die dort ausgerechnet RTL kämpft, wie Keno Verseck schreibt: „RTL Klub, der mit Abstand einflussreichste Fernsehsender Ungarns, hat der Popularität der ungarischen Regierungspartei Fidesz mit seiner Berichterstattung offenbar zugesetzt (...). Deshalb bot die ungarische Regierung RTL offenbar eine ,Aussöhnung’ an, wie ungarische Medien in den letzten Tagen berichteten: Die Regierung wäre demnach bereit, die umstrittene Werbesteuer stark zu senken und RTL zu entlasten, im Gegenzug müsste RTL Klub seine regierungskritische Berichterstattung zurückfahren oder einstellen.“ +++
+++ Zwar erscheint eine „Günther Jauch“-Ausgabe von Sonntagabend an einem Dienstagmorgen in etwa so weit entfernt wie der Heilige See zu Potsdam von Berlin-Marzahn. Doch der Vollständigkeit halber sei hier nachgetragen, dass trotz des Stromausfalls, von dem im Altpapier gestern bereits die Rede war, die Zuschauer zu keinen Zeitpunkt gefährdet waren, und dass eine „Tagesschau“ in vergleichbarer Situation besser vorbereitet gewesen wäre. Wer hat’s herausgefunden? Der Tagesspiegel. +++
Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.