Hund im Dachsbau

Kai Diekmann schlägt zurück. Uh-oh, a European wide Leistungsschutzrecht? Sind Zeitungen wie Kutschen? Zumindest die Konzentration stirbt aus. Das deutsche Fernsehen bleibt ergiebig. Charlie Hebdo schwimmt in Geld. In Hanau siegt die Meinungsfreiheit (aber nicht die Pressevielfalt).

Es tut sich was in der inzwischen häufig als monolithisch empfundenen, teilweise als "Lügenpresse" beschimpften deutschen Presse- bzw. Medienlandschaft. Offenbar konnte Kai Diekmann es nicht auf sich sitzen lassen, kürzlich als "Menschenfreund, nicht Brandstifter", "liberalst" etc. verglimpft worden zu sein.

Einerseits hat seine Bild-Zeitung gestern den Spiegel attackiert (meedia.de), der seit einem Wechsel eines hochrangigen Hauptstadtjournalisten aus der einen Chefredaktion in die andere in einen ganz großen Freundeskreis eingemeindet schien.

Andererseits attackiert die Bild-Zeitung auch die Pegida-Demonstranten, was zwar keine ganz neue Entwicklung ist (sondern sogar zum eingangs zitierten euphorischen Lob Gabor Steingarts führte, das im Original übrigens nicht mehr nachlesbar ist, weil Steingarts "Morning Briefings" aus dem Netz immer schon "nach einem Tag ... wieder verschwunden" sind). Allerdings tut sie's nicht mehr inhaltlich, sondern sozusagen urheberrechtlich.  

Den "'Bild' entlarvt Frau Pegida!"-Artikel, in dem Springers Blatt den Talkshow-Auftritt der Pegida-Sprecherin analysierte, hat nun Lalon Sander für die TAZ analysiert:

"'Bild' ... verspricht die 'Wahrheit' über die Pegida-Thesen. Geht es um den rassistischen und islamophoben Kern auf dem die Dresdner Demos basieren? Nicht ganz. Es geht darum, dass die Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel behauptet, man habe jahrelang 'weder das Wort Asyl in den Mund nehmen, noch über Migranten sprechen können'. Das, schreibt Bild, ist falsch: Die Bild habe schon lange vor Pegida diese 'brisanten Themen' angeschnitten."

Dafür hat die TAZ diverse Beispiele hervorgeholt, unter anderem aus dem (aktuell noch winterpausierenden) Bildblog. So war - hätten Sie's noch gewusst? - Thilo Sarrazin gar nicht als gesellschaftlicher Underdog zu dem geworden, als was er weiterhin gilt, sondern unter anderem durch Vorabdrucke in der Bild-Zeitung und im Spiegel.

Die aktuelle Auseinandersetzung dieser beiden Leitmedien, in der die Zeitung der Zeitschrift u.a. vorwarf, dass einige der Autoren eines NSA-kritischen Artikels "teilweise mit Datensicherheit ihr Geld verdienen, also von der Angst vor der NSA profitieren", und zu der der Spiegel in seinem selten brisanten Spiegel-Blog Stellung genommen hat, kommentiert am prägnantesten netzpolitik.orgs Markus Beckedahl:

"Bleibt die Frage: Was ist überhaupt ein Journalist und was unterscheidet Kai Diekmann von Jacob Appelbaum bei ihrer publizistischen Tätigkeit? Immerhin verdient die Bild ihr Geld damit, durch Angst und Schrecken (u.a. vor Terroranschlägen) ihre Auflage zu verkaufen".

Grundsätzlich ist es gewiss gut und sinnvoll, wenn die deutschen Leitmedien ihre Meinungen wieder etwas weiter auseinander differenzieren und auch mal streiten, anstatt dass alle immerzu im Prinzip dasselbe meinen, das dann auch noch die Meinung der großen Bundesregierungs-Koalition ist (oder dazu wird). Das dürfte es "Lügenpresse" rufenden Kritikern auch schwerer machen.

####LINKS#### [+++] Eine Stärke der deutschen Medienlandschaft bleibt ihre Dezentralität. München und Frankfurt beherbergten gerade glamouröse Kongresse, Marl und Hanau setzten interessante Akzente.


In München war wieder "Digital-Life-Design" (DLD)-Karneval. "Konzentration ist eine aussterbende Kunst", bilanziert Stefan Winterbauer in einem vielschichtigen Veranstaltungsbericht, wie man ihn meedia.de gar nicht mehr zutraut:

"Bemerkenswert, wie gering die Aufmerksamkeitsspanne der digitalen Elite ist. Bei Vorträgen war immer zu beobachten, dass kaum jemand den Diskussionen auf der Bühne lauscht. Gefühlte 80 Prozent des Publikums starrte in Handy, iPad oder Laptop und twitterte, bis die virtuelle Tatstatur glühte. Bei persönlichen Gesprächen, sucht der Blick des Gegenübers ständig nach weiteren bekannten Gesichtern in der Menge."

Gesagt wurde dennoch das eine oder andere, u.a. vom europäischen Digital-Wirtschafts-Kommissar Günther Oettinger. "Uh-oh, a European wide Leistungsschutzrecht?", twitterte Jeff Jarvis. Zusammenfassungen der Ankündigung haben netzpolitik.org und newsroom.de/ DPA.

Und dann reiste der Kommissar gleich weiter nach Frankfurt, wo der bekannte Deutsche Medienkongress tanzte. Am ausführlichsten bzw. eigentlich ausschließlich berichtet Ausrichter horizont.net.

Oettinger brachte in einer "gut 20 Minuten währenden Rede" u.a. die Beobachtung "Nirgendwo ist Spießbürgertum so gut organisiert wie in Deutschland". Außerdem sagte er: "Es geht ums Ganze. Wir können jetzt alles gewinnen - oder alles verlieren" (nachdem er in München noch gegenläufig metaphert hatte).

Dass gedruckte Medien durchaus alles verlieren könnten, betonte Bundeskartellamts-Präsident Andreas Mundt so offen wie vielleicht noch nie, indem er "die Zeit, in der Kutschen von Autos abgelöst wurden", als Vergleichsmaßstab setzte. Und wer wissen möchte, was klassische Zeitungs-Journalisten älterer Schule sonst noch traurig macht, wird mit einer Aussage der BLZ-Chefredakteurin Brigitte Fehrle aus der Chefredakteurs-Runde ebd., in der faz.net-Chef Mathias Müller von Blumencron sich nicht zu Unrecht "wie in eine Diskussionsrunde aus dem Jahr 2005 ... zurückgesetzt" fühlte, gut bedient:

"'Bei uns war der Artikel über den Hund, der sich in den Dachsbau gräbt und dann nicht mehr herauskommt, über Tage die bestgeklickte Meldung', erzählt Fehrle von der 'Berliner Zeitung'."

In derselben Runde soll Müller von Blumencron auch "Pegida hat das Rechtstabu in Deutschland gebrochen" gesagt haben. Da würde man gerne wissen, wie er das gemeint hat. Aber horizont.net ist halt ein Werber-Medium, das sich eher dafür interessiert, wie die Werbung drumrum funzt, als für das, was genau in den Kutschen oder Autos dazwischen abgeht.

[+++] "(Marl)" "'Insgesamt erweist sich auch 2014 als ein sehr ertragreiches Fernsehjahr, bei der sich die Fiktion weiter eher an bewährten Genres wie dem Krimi hält und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Stoffen etwas zurückgeht', so Gerlach."

Die neue Grimme-Instituts-Direktorin Frauke Gerlach hat gestern die Nominierten für die nächsten Grimme-Preise bekannt gegeben.

Was sie so verlautbart, schließt so nahtlos an das an, was ihr Vorgänger Uwe Kammann letztes Jahr sagte ("Dem Fernsehjahr 2013 lässt sich insgesamt ein gutes Niveau bescheinigen" bzw. "Auch der Jubiläumsjahrgang bietet herausragende Fernsehproduktionen mit einer großen Bandbreite an Formen, Inhalten und ganz individuellen Handschriften"), dass man schon jetzt auf 2016 gespannt sein darf.

Das Spannendste an der noch ausstehenden Kür der tatsächlichen Preisträger aus dem Kreis der 62 Nominierten, davon 58 aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen,  bringen die wohl engsten Freunde des real existierenden deutschen Fernsehens, die von dwdl.de, in der Oberzeile ihrer Meldung auf den Punkt "Schafft der 'Tatortreiniger' das Triple?"

[+++] Und Hanau? Dort ist, wie die FAZ-Medien aus dem Umland ihres Erscheinungsortes mitteilen, ein kleiner Sieg für Meinungsfreiheit errungen worden. Allerdings erst, nachdem es zwischenzeitlich nach einer umso peinlicheren Niederlage derselben aussah. Eine geplante Ausstellung der vor allem aus der FAZ bekannten Karikaturisten Greser und Lenz war gestern wegen Sicherheitsbedenken bzw. wegen der Zusatzkosten dieser Bedenken abgesagt worden (Bericht, Kommentar). Dann aber wurde die Absage zurückgenommen.

Diese Berichte stammen aus Lokalressorts. In der Glosse der ersten Feuilletonseite streift Andreas Platthaus diese News heute im internationalen Kontext:

"Wer heute an die französischen Kioske eilt, wird zu hören bekommen: kein neues 'Charlie Hebdo'. Obwohl hebdo doch ein Wochenmagazin bezeichnet. Das Publikum wartet offensichtlich derart sehnsüchtig auf die Nachauflage der Ausgabe von vergangener Woche, dass sich niemand zu wundern scheint über die Unterbrechung eines Erscheinungsrhythmus, der in den bald 45 Jahren seit der Gründung der Satirezeitschrift nur dann aus dem Takt geriet, wenn das Blatt finanziell am Ende war."

Das ist es gerade nicht. "Mit dem Reinerlös von mehr als zehn Millionen Euro hat die Ausgabe 1178 den letzten Jahresumsatz von 'Charlie Hebdo' bereits übertroffen", das Heft "schwimmt erfreulicherweise im Geld". Aber auf diese Weise möchte man es natürlich niemandem wünschen.

In Hanau aber alles in Ordnung?

Da war doch noch etwas: "Deutschland verliert eine weitere publizistische Einheit. Und diesmal trifft es die älteste noch existierende deutsche Tageszeitung mit Vollredaktion", meldete newsroom.de vorgestern - und das galt dem Hanauer Anzeiger.
 


Altpapierkorb

+++ "Hier verabschieden wir uns vom Journalismus": Da skizziert Horst Röper, der immer gern zitierte Dortmunder Medienwissenschaftler, für die Thüringer Allgemeine das Konzept von "Ramelow & Co", der gestern in der FAZ (inzwischen frei online) kritisierten Fernsehsendung des thüringischen Ministerpräsidenten. +++

+++ Breit buntes Thema heute: der Verzicht der englischen Sun auf "barbusigen Frauen". "Im Netz sind Nacktfotos immer nur einen Klick entfernt, Aufreizendes findet sich kostenlos auf unzähligen Seiten. Daher kauften wohl zuletzt nur wenige Männer Sun oder Bild mit der Absicht, endlich mal eine junge Frau ohne Oberteil sehen zu können", analysiert die SZ-Medienseite. +++

+++ Wird Blumencrons faz.net das neue SPON? "Bei RTL fallen endgültig die Ekel-Schranken. Zwei Kandidaten haben ein Menü vor sich, das man gar nicht beschreiben kann", teasert Michael Hanfeld seine Dschungelcamp-Berichterstattung an, beschreibt's dann aber doch, bis er zu "ein paar Dingen, deren Nennung schon nicht jugendfrei wäre", gelangt ... +++

+++ "Eine offenere Tür" hätte SPONs Markus Becker "nicht einrennen können", findet Diemut Roether (epd medien) angesichts der Blasphemieparagraf-Berichterstattung des Leitmediums. +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite listet Sascha Lobo "fünf typische Irrtümer der Anonymitätsdebatte" auf, um am Ende zum Ergebnis zu gelangen, dass der verstorbene Frank Schirrmacher schon 2012 Recht hatte, als er twitterte: "Nicht die Anonymität, sondern der ansteigende Grad der nicht-anonymen Hass-Kommentare und Mails, von Sarrazin bis Grass, ist beunruhigend." +++ Ebd. steht die wohl erste Print-Rezension des frischen WDR-Youtube-Formats "3sechzich": "Überbemüht lustig kommentierte Moderatorin 'M3lly' die Pegida-Demonstration in Duisburg aus einer Dönerbude, in der sie eine Folienkartoffel bestellt hatte. Das sollte wohl das Schlagwort von der Islamisierung des Abendlandes konterkarieren, war aber eher klamaukig bis langweilig." +++

+++ Die nur 777 Exemplare enthaltende "F.A.Z.-Special-Edition des Eames Aluminium Lounge Chair" bespricht die TAZ. +++

+++ "Verunsicherung kann entstehen, wenn sogar Halbsätze aus Livegesprächen in einer Programm-Beschwerde aufgegriffen und als nicht belegt kritisiert werden" (ARD-Korrespondent Udo Lielischkies im Tsp.-Interview über den "Propagandakrieg", den Russland führe). +++

+++ Spiegel-Auflagen-News bei meedia.de: " ... Der Spiegel verlor sogar 4,0%. Warum dann ein Plus im Gesamtverkauf? Vor allem, weil das Magazin im Gegensatz zum Vorjahr nun auch seine ePaper ausweist. Und dort gibt es neben den 23.824 Vollzahler-Abos auch 26.125 sonstige Verkäufe, hinter denen sich Abonnenten verbergen, die das ePaper zusätzlich zu ihrem Papier-Abo bekommen. Zudem verteilte Der Spiegel 5.000 Bordexemplare mehr." +++

+++ Vorauseilende Nachrufe auf die 2016 endenden WDR-Show "Zimmer frei" haben die TAZ und die FAZ. +++

+++ Ob Genüsslichkeit es trifft? Jedenfalls: "Quer durch alle arabischen Länder und deren Fernsehsender wird derzeit nichts so genüsslich seziert und parodiert wie der IS" (NZZ). +++ "Unabhängige Magazine mit hohem Anspruch - optisch wie auch inhaltlich", die "auf der arabischen Halbinsel boomen" und vor allem in Dubai herausgegeben werden, stellt die SZ-Medienseite vor. +++

+++ Das gibts auch nicht oft, dass ein ZDF-Mann sagt, "ein CDU-Politiker 'verkennt die Realität'". Es geht aber bloß um den Berliner und Handball-Freund Frank Steffel (Tagesspiegel). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.