Bad Bank Charlie

Von deutschen Youtubern empfohlen: besser mal kein Rassist werden. Wer jetzt nicht für die Pressefreiheit kämpft, versagt im Sebastian-Haffner-Gedächtnis-Test. Pegida braucht keine Jubelperser, Hubert Burda ist Innovationspapst, und ab 2016 ist im WDR kein Zimmer mehr frei.

Du weißt, dass deutsche Medienangebote mittlerweile genug Texte mit dem Tenor „Sie haben sicher noch nie etwas von LeFloid gehört, aber bei Youtube verzeichnet er Fantastilliarden Klicks“ veröffentlicht haben, wenn Jens Riewa in der Tagesschau“ um 20 Uhr in dem Tonfall, in dem er sonst „aus Regierungskreisen“ zitiert, verkündet:

„Mittlerweile verbünden sich auch prominente Videoblogger auf Youtube gegen Pegida und Islamfeindlichkeit.“ (Zitat aus der Sendung am Sonntag)

Die Youtube-Stars sind im Mainstream angekommen, und machen dort etwas, dem Mainstream gebührt: gegen Hass mobil. Allerdings differenziert.

„Wichtig ist aber: #YouGeHa ist keine Kampagne ausschließlich gegen Pegida. Einige der Stimmen, die im Rahmen von Pegida-Demonstrationen laut werden, haben die Aktion zwar deutlich beeinflusst. Aber wir sind uns bewusst, dass man die Teilnehmer der Pegida-Demos und deren Anliegen nicht in eine Schublade stecken kann. #YouGeHa steht generell für Toleranz - auch gegenüber anderen Religionen.“

Heißt es auf der dazugehörigen Internetseite (für Video-affine Menschen gibt es selbstredend auch einen Trailer).

Woraus wir lernen: Im Abwiegeln sind die prominenten Videoblogger fast so gut wie der Chef der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Und mit ihrer Namensfindung haben Hogesa und Pegida einen echten Trend gesetzt, an dem selbst coole Youtube-Kids nicht vorbeikommen. Wer will seine Kampagne schon „Youtuber gegen Hass“ nennen, wenn sie auch „#YouGeHa“ heißen kann?

Doch was kann es, dieses YouGeHa?

Marcus Richter stellte gestern beim Deutschlandradio Kultur folgende These auf:

„Der Effekt wird meiner Meinung nach also nicht sein, dass Rassisten von einer anderen Meinung überzeugt werden. Aber all die, die unsicher sind oder sich noch gar nicht mit dem Thema beschäftigt haben, finden hier die richtigen Denkanstösse.“

Unsicher. Rassismus (schlägt mit der Stirn dreimal fest auf die Tischkante):

####LINKS####In was für einer Welt leben wir eigentlich, in der Menschen offenbar Gedankengängen folgen wie „Hm, ja, das mit dem Rassismus klingt schon recht attraktiv. Ganz entschieden habe ich mich aber noch nicht. Vorher schaue ich mir lieber noch mal ein paar andere Anbieter an, Toleranz zum Beispiel, Ignoranz soll ja auch ganz gut sein. Ach, Mensch, jetzt, wo ich dieses Youtube-Video gesehen habe, lasse ich von Rassismus doch lieber die Finger. Hatte wohl seine Gründe, dass der jetzt schon so lange ziemlich out ist. Damit kann man sich echt nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen lassen“?

 

Man verliert schon ein wenig den Glauben an das Konzept Mensch, wenn bei ihm ausgerechnet das Feature Menschlichkeit nicht ab Werk mitgeliefert wird, sondern sich dieses erst mühsam draufgeschafft und die Funktionalität dann auch noch regelmäßig überprüft werden muss.

[+++] Regelmäßig schauen, ob noch alles funktioniert, wie es soll, diese Wiederholung führt uns in einer gewohnt gewagten Überleitung wieder zu den Medien und der Frage, die uns schon in der vergangenen Woche beschäftigte, als Charlie Hebdo einfach nicht aufhören wollte, den Propheten Mohammed abzubilden und sich die Zeitungen weltweit nicht sicher waren, ob sie ihre Job richtig machen, wenn sie es dem Magazin gleichtun, oder eben nicht.

In der NZZ von heute plädiert Milosz Matuschek eindeutig für Ersteres.

„Der Anschlag auf ,Charlie Hebdo’ war ein Erdbeben. Aber es legte letztlich nur erneut frei, was seit dem Streit um die Veröffentlichung der Mohammed Karikaturen in der dänischen Zeitung ,Jyllands-Posten’ im Jahr 2005 bereits klar und nur etwas verschüttet war: Durch die freie Welt geht ein Riss, und die Medienlandschaft als Index der Freiheiten zeigt ihn an.

Auf der einen Seite stehen die mutigen Publikationen, die kein Jota von den westlichen Errungenschaften der Pressefreiheit abweichen, dafür aber in letzter Konsequenz den Kopf hinhalten. Und dann gibt es den grossen Rest, für den Freiheit zuvörderst das Recht zu schweigen zu sein scheint. Zeitschriften wie ,Charlie Hebdo’ sind die Bad Bank der westlichen Wertegemeinschaft. Bei Charlie & Co. lagern die toxischen Papiere, die niemand in seinen Büchern haben will. Die Dividende der Freiheit hingegen wird an alle ausgezahlt. Wenn etwas passiert, folgt die Solidaritätsbekundung zum Minimalpreis.“

Doch eine so wichtige Sache wie den Kampf für die Pressefreiheit einer Bad Bank zu überlassen, sei auf die Dauer keine gute Idee, so Matuschek weiter (und ja, jetzt kommt ein Hitler-Vergleich):

„Wir erleben gerade einen ,Sebastian-Haffner-Moment’. Der Chronist des Dritten Reiches beschreibt, wie er 1933 in der Gerichtsbibliothek des Berliner Kammergerichts sitzt und Zeuge davon wird, wie die SA alle jüdischen Juristen abführt. Plötzlich steht ein schnaufender SA-Mann auch vor ihm. ,Sind Sie arisch?’ Haffner, der diese Kategorie immer abgelehnt hatte, antwortet überrumpelt mit Ja. Und wird in Ruhe gelassen. In seinen Aufzeichnungen notiert er den Satz: ,Versagt in der ersten Prüfung!’“

Woran sich die Frage anschließt, ob wir gerade wirklich noch die erste Prüfung absolvieren, oder nicht doch schon eine der letzten?

Es mag ein wenig komisch daherkommen, in diesem Moment ins Lokale zu schalten und damit ins Blog von Ralf Heimann, der sich einmal mehr an der zu großen Nähe der Lokalzeitungen zu ihren örtlichen Institutionen abarbeitet. Aber es macht Sinn:

„Aber viele Menschen waren wirklich überrascht, wenn ich ihnen erzählte, dass man über Unternehmen oder Vereine berichten darf, ohne vorher den Chef um Erlaubnis gefragt zu haben. Dass das so wenig bekannt ist, liegt wahrscheinlich auch an der Presse selbst. In Unternehmen hat man über die Jahre gelernt: Mit der Zeitung kann man es ja machen. In Pressestellen lacht man sich tot, wenn ihnen Zeitungsredakteure mit der Pressefreiheit kommen, denn die gilt ja eh nur da, wo keine Anzeigen und Abonnenten im Spiel sind. Wer Freiheit gegen Geld eintauscht, hat schon relativ bald beides verloren“,

schreibt er.

Und weiter:

„Es hat natürlich auch was Komisches, wenn auch diese Medien jetzt im Schulterschluss Mohammed-Karikaturen veröffentlichen, um die Pressefreiheit verteidigen, die sie selbst in Teilen schon verscherbelt haben. Aber für den Fall, dass man jetzt noch einen verspäteten Vorsatz für das laufende Jahr suchen sollte, wäre das doch vielleicht keine schlechte Idee: die Pressefreiheit etwas ernster nehmen. Vor allem im Kleinen.“

(Das müssen die Christen im Allgemeinen und evanelisch.de im Speziellen jetzt aushalten:) Amen.

[+++] Von der großen Pressefreiheit nun auf so etwas Banales wie neue Medienprojekte zu kommen, ist eine der Spezialitäten des Altpapiers.

Der neueste heiße Scheiß kommt aus der Schweiz, hört auf den Namen Niuws, ist ein Aggregator für kuratierte Nachrichten und richtet sich an Kadermitarbeiter, was nach Politbüro und Führungsoffizier klingt, aber wohl nur die Schweizer Variante des auch nicht besseren Begriffs Entscheider ist.

Dahinter steckt Peter Hogenkamp, einst Digitalchef der NZZ, der das Ganze am Wochenende im Interview bei persoenlich.com wie folgt erklärte:

„Wir gehen nicht davon aus, dass irgendjemand unseretwegen die NZZ-App vom Smartphone löscht. Aber die Leute haben ja unterschiedliche primäre News-Quellen, und kaum jemand wird – wie ich dummerweise – zwei Dutzend News-Apps auf seinem iPhone installiert haben. Der Platz der sekundären Quelle, bei der man sich regelmässig informiert, nachdem man die Breaking News anderswo gelesen hat, scheint mir sehr attraktiv. (...) Niuws soll ein bisschen sein, wie Twitter ohne das nervige Drumherum.“

Seitdem durch häufige Wiederholung der These die Startseite wirklich tot sein dürfte, stellt sich ja tatsächlich auch für ungekaderte Mitarbeiter die Frage, wie sie am bequemsten an ihre Inhalte kommen. Eine App mit Empfehlungen zu verschiedenen Themenbereichen – why not? Allerdings ist noch nicht ganz klar, was das Leistungsschutzrecht eigentlich dazu sagt, und wer auf die Dauer die ganzen Inhalte liefern soll, wenn plötzlich alle nur noch kuratieren mögen.


Altpapierkorb

+++ „Wir lieben ,Zimmer frei!’, machen das schrecklich gern, haben uns aber mit dem WDR geeinigt, dass wir jetzt schon die Schlagzahl reduzieren. Deshalb gibt es gerade eine etwas längere Weihnachtspause, aber ,Zimmer frei!’ geht definitiv weiter, auch noch im Jahr 2016 – und dann werden wir aufhören. Bis dahin haben wir wahrscheinlich auch alle Sahnetorten dieser Welt im Gesicht gehabt.“ So verkündet Götz Alsmann das Ende der Sendung im kommenden Jahr im Interview mit der SZ. +++ Die zudem auf ihrer Medienseite heute über den Start des österreichischen Online-Ablegers der NZZ morgen und die Pläne, irgendwann auch nach Deutschland zu expandieren, berichtet. +++

+++ Seit Jahren überlegen wir (Hubert Burda natürlich noch viel länger), warum es zwischen Verlagen und Innnovationen nicht richtig funzt. Zum Glück gibt es Thomas Knüwer, der nicht nur endlich die Erklärung gefunden, sondern diese auch in sein Blog geschrieben hat. +++

+++ Joachim Huber vom Tagesspiegel hat knallhart recherchiert und für dessen heutige Medienseite in Erfahrung gebracht: Die Menschen, die am Sonntagabend bei „Günther Jauch“ die Aussagen der Pegida-Vertreterin Kathrin Oertel beklatschten, waren keine bestellten Jubelperser, sondern spontan angetan von Sätzen wie „Pegida will eigentlich wachrütteln“, „Die Menschen in Dresden werden mit einer ungeheuren Masse von Asylbewerbern konfrontiert“ oder „In Deutschland wird auch gegen die Abholzung des Regenwaldes demonstriert, obwohl es hier keinen Regenwald gibt.“ +++

+++ Bodo Ramelow ist in manchem der Erste, nun auch der erste Ministerpräsident mit eigenem Fernsehprogramm, wie auf der Medienseite der FAZ nachzulesen ist.  „,Ramelow & Co’, benannt nach dem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow von der Linkspartei, heißt das Format, in dessen Intro der Sender verspricht: ,Wir zeigen Ihnen das politische Laboratorium fair und transparent.’ Im Abstand von zwei Wochen werde Ramelow gebeten, die jeweiligen Ereignisse aus seinem politischen Leben der zurückliegenden Tage vor der Kamera zusammenzufassen und zu reflektieren. So lautet das Konzept des Lokalsenders, der mit Geldern aus der Zwangsrundfunkabgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mitfinanziert wird. Die Landesmedienanstalt unterstützt die Kabeleinspeisung von Sendern wie Salve TV mit knapp 100 000 Euro im Jahr.“ Die Opposition ist not amused; heute beschäftigt sich die Anstalt mit dem Fall. +++

+++ Außerdem in der FAZ: Über die Schwierigkeit, in der Türkei ein Satireblatt zu machen. +++

+++ Um es mal vorsichtig zu formulieren: Ganz so wichtig scheinen diese Sperrfristen nicht zu sein, wenn erst heute auffällt, dass sie mit Epapern unterwandert werden. „Die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin im Fernsehen etwa ging vielen Redaktionen schon am Tag vor der Ausstrahlung zu, gesperrt bis Mitternacht und dabei explizit freigegeben für die Tageszeitungen des Ausstrahlungstages. In den digitalen Ausgaben aber waren Angela Merkels Botschaften schon früh am Abend zu lesen, in einigen Zeitungs-Apps schon von 19 Uhr an“, schreibt Daniel Bouhs dazu in der taz. Yoah.

Frisches Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.