Manche Zeitungen mögen nicht zeigen, dass Charlie Hebdo wieder Karikaturen von Mohammed zeigt. Das bis vor sechs Tagen wichtigste Thema der Medienmedien ist wieder da. Die Tagesschau baut auf Gäste wie Bettina Schausten. Und beim ZDF versteckt sich hinter einem Product-Placement-Hinweis in Zukunft ein neues Produkt.
Nein, sie lassen sich nicht einschüchtern, sie lassen sich nicht abhalten und sie hören auch nicht auf, Mohammed abzubilden, nur weil vor sechs Tagen ihre Kollegen wegen Zeichnungen wie dieser erschossen wurden: Wenn morgen die drei Millionen Ausgaben der aktuellen Ausgabe von Charlie Hebdo erscheinen, wird der Prophet sogar den Titel zieren, in der Hand ein „Je suis Charlie“-Plakat, darüber der Spruch „Tout et pardonné“ – alles ist vergeben. Per Twitter hat die Libération, in deren Räumen die Charlie-Redaktion derzeit Unterschlupf findet, das Cover verbreitet.
„Der Anwalt des Magazins, Richard Malka, teilte am Montag mit, der Geist von ,Je suis Charlie’ bedeute auch ein ,Recht auf Blasphemie’. Seit 22 Jahren habe es keine Ausgabe des Magazins gegeben, in der nicht der Papst, Jesus Christus, Bischöfe, Rabbiner, Imame oder der Prophet Mohammed karikiert worden seien“,
heißt es bei sueddeutsche.de, wo das Titelbild ebenso weiterverbreitet wird wie zum Beispiel bei faz.net. Der Bericht des britischen Guardians hingegen beginnt mit dem Hinweis
„Warning: this article contains the image of the magazine cover, which some may find offensive.“
Als Aufmacherbild zeigt man lieber die Mitarbeiter von Charlie Hebdo; ein Bild der Titelseite findet sich am Ende des Artikels klein an der Seite. Dazu heißt es:
„Newspapers around Europe, including Libération, Le Monde and Frankfurter Allgemeine have used the image online. The BBC showed it briefly during a newspaper review on Newsnight. In the US, the Washington Post, USA Today, LA Times, Wall Street Journal, The Daily Beast and CBS News ran the cover but the New York Times did not. In Australia the ABC showed the image of the cartoon on its 24 hour rolling news programme but with a warning to viewers. The Guardian is running this cover as its news value warrants publication.“
Der Nachrichtenwert rechtfertigt die Veröffentlichung – ist das eine Entschuldigung? Ist das nur der nötige Respekt, den seriöse Zeitungen den Anhängern des Islam und ihren Glaubensgrundsätzen entgegenbringen sollten? Oder erkennt man an Guardian und NYT schon die Selbstzensur, auf die wir uns in Folge der Anschläge von Paris gefasst machen müssen?
####LINKS####Sueddeutsche.de, faz.net, Spiegel und Zeit Online – alle haben das Titelbild der morgen erscheinenden Charlie-Hebdo-Ausgabe derzeit auch auf ihrer Startseite, ohne Hinweise, einfach so. Angesichts der Polizeipräsenz, die derzeit auch vor deutschen Redaktionen zu beobachten ist, erscheint Gedankenlosigkeit als Ursache dafür weniger wahrscheinlich als die bewusste Entscheidung dafür, sich an die Empfehlungen der unzähligen Sonntagsreden auch zu halten und die Pressefreiheit zu zelebrieren.
Eine ähnliche Konsequenz im Handeln würde man sich auch von manchen Staatsoberhaupt wünschen, das am Sonntag zumindest vorgab, den Trauermarsch von Paris anzuführen.
„Bei genauerem Hinschauen war es dann aber doch erstaunlich, wer sich da alles eingehakt hatte. Der türkische Ministerpräsident zum Beispiel – dabei saßen 2013 in keinem anderen Land der Welt mehr Journalisten im Gefängnis als in der Türkei. Oder der Außenminister von Bahrain: Auf der Rangliste der Pressefreiheit, die die Organisation Reporter ohne Grenzen Jahr für Jahr aufstellt, rangierte das Land zuletzt auf Platz 163 von 180.“
So steht es heute auf der Medienseite der SZ. Karoline Meta Beisel hat dazu Christian Mihr interviewt, Geschäftsführer der Reporter ohne Grenzen, der auf die Frage, über wen er sich am meisten gewundert habe, sagt:
„Ach, da gab es eine lange Latte von überraschenden Kandidaten. Der türkische Premier natürlich, aber auch der russische Außenminister. Dabei mussten sich in Moskau in den vergangenen Tagen Aktivisten, die auf der Straße ein Schild mit ,Je suis Charlie’ hochgehalten haben, wegen einer Ordnungswidrigkeit verantworten. Darum ist es auch so wichtig, nicht nur an die Solidarität mit Charlie Hebdo zu denken. Man muss sich klarmachen, dass es noch ganz viele andere Charlies auf dieser Welt gibt, wenn man so will. Pressefreiheit ist nicht selbstverständlich, nicht einmal bei uns in Europa.“
Aber die Hoffnung gibt der Herr nicht auf:
„Wenn die Regierungen diese Bilder jetzt haben, müssen sie sich ja auch an ihnen messen lassen. Charlie Hebdo ist ein Medium, das die Pressefreiheit durch seine radikale Form der Satire immer auch sehr radikal eingefordert hat. Wenn man jetzt für dieses Medium auf die Straße geht, muss man sich auch Zuhause an vorderster Front für die Pressefreiheit einsetzen. Sonst werden die schönen PR-Bilder sehr schnell sehr unglaubwürdig. Insofern hat sich der ein oder andere, der am Sonntag in Paris mitgelaufen ist, vielleicht ein kleines Eigentor geschossen.“
[+++] Kommen wir nun zu einem Thema, das bis vor sechs Tagen noch als das dringlichste der Medienbranche galt, nämlich die Frage der Refinanzierung. Spätestens seit dem zumindest finanziellen Erfolg der Krautreporter geht die Hoffnung um, dass die Leser vielleicht doch bereit wären, für ihre Lektüre zu bezahlen. Nun zieht Golem nach knapp einem halben Jahr mit Abo-Modell für 2,50 Euro im Monat Bilanz, und die lautet:
„Eigentlich könnten wir deutlich mehr Abonnenten haben. Denn 1.600 Abonnenten entsprechen nicht einmal einem Prozent unserer Leser.“
Auf der Suche nach den Ursachen kommt Chefredakteur Benjamin Sterbenz mit Argumenten, die er sich aus den Reden von Politikern nach Wahlniederlagen geliehen hat:
„So müssen wir uns eingestehen, dass wir die Bewerbung des Abos aufgrund anderer Projekte sträflich vernachlässigt haben. Nach der Startphase gab es viele Wochen keinerlei Hinweise auf der Startseite, dass wir ein Abo haben.“
Etwas verkaufen wollen, ohne zu sagen, dass man es verkaufen will; auf diese Idee muss man auch erstmal kommen. Aber hätten wirklich mehr Leute FDP gewählt Golem abonniert, wenn die Werbung dafür besser gewesen wäre?
Auf der einen Seite kann ein IT-Nachrichten-Portal nicht mit der ganz großen „Wenn ihr nicht für uns bezahlt, dann schadet ihr der Demokratie!“-Keule wedeln wie zum Beispiel die leserfinanzierte Mediapart, über die heute die NZZ berichtet. Auf der anderen Seite hat es Fachmagazinen in Zeiten, als sie noch ausgedruckt wurden, eigentlich nicht an zahlungsbereiten Lesern gefehlt.
Lautet das Fazit dieses Altpapiers etwa, dass Journalisten in Zukunft mutig genug sein müssen, die Pressefreiheit bis zum Letzten zu verteidigen, und im Ausgleich dafür nicht mehr bezahlt werden können?
Enden wir lieber mit einer possierlichen Geschichte aus dem Haus, das am Sonntag keine Probleme damit hatte, uns die präsidialen PR-Bilder aus Paris als „Teilnahme am Trauermarsch“ zu verkaufen und sich zudem bis auf weiteres keine Gedanken über seine Finanzierung machen muss.
„Seit dem Wochenende hat die Tagesschau auf Twitter mehr als 500.000 Followerinnen und Follower. Und auch, wenn etwa 20mal so viele Menschen jeden Abend um 20 Uhr unsere Nachrichten im Fernsehen verfolgen, freuen wir uns sehr über diese halbe Million. Deshalb möchten wir Sie kennenlernen. Wir laden drei von Ihnen zu ARD-aktuell in Hamburg ein, Sie lernen unsere Social-Media-Redaktion und einen Tagesschau-Sprecher kennen und nehmen an einer Redaktionskonferenz teil. (...) Die Anreise nach Hamburg und Unterkunft müssen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst tragen.“
Wer vom Tagesschau-Blog eingeladen wird, sollte besser Typ Bettina Schausten sein.
Die prekäre Medienblase reagierte so pikiert, wie man es von ihr erwartet (wie genau, hat Vera Bunse in einem Storify zusammengetragen). Beim Tagesschau-Blog rang man sich daher noch zu folgendem Update durch:
„Eine große Aktion machen wir daraus nicht, denn wir gehen verantwortungsbewusst mit den uns anvertrauten Mitteln um. Wir hoffen auf das Verständnis unserer User und darauf, dass die ,Gewinner’ trotzdem auf ihre Kosten kommen.“
Selbstzahler, die auf ihre Kosten kommen: Brüller.
Die Sache mit dem verantwortungsbewussten Umgang mit den anvertrauten Mitteln kann man derweil bei Gelegenheit mal auf ein Zierkissen sticken. Etwa begleitend zum Genuss einer neuen Folge „Um Himmels Willen“ oder „Brisant“.
+++ Die FAS hat sich am Sonntag vor eine Verschwörungstheorie spannen lassen und damit für Tweets wie „#FAS Aufmacher Verschwörungstheorien. 30 Muslime befragt. Es waren die Zionisten, sagt der Friseur. Nicht Euer Ernst!“ gesorgt. Bei Newsroom hat Bülend Ürük die Reaktionen sowie eine Erklärung des Ausfalls zusammengetragen. („Wer mit Frankfurt spricht, hört als Entschuldigung: ,Die Redaktion ist völlig überlastet.’ Zwar seien die Umfänge von ,FAZ’ und ,FAS’ reduziert worden; nur durch den Wegfall von weiteren Anzeigen hätte sich die Arbeit für die Redaktion kaum verringert. ,Uns fehlt die Zeit zum Atmen’, heißt es aus der Redaktion.“) +++
+++ „Als jemand, der aus der muslimischen Kultur kommt, kenne ich meine Gesellschaft. Ich weiß sehr wohl, wo ich mich bewege. Wenn ich eine Zeichnung über Mohammed anfertigen würde, würde meine Zeitung dies nicht veröffentlichen. Und wenn sie es doch täte, würde heute im Zeitalter von Internet meine Lebenserwartung auf wenige Minuten zusammenschrumpfen, solange ich in Algier bin. Außerdem will ich die Menschen nicht schocken oder in ihrem Glauben verletzen. Das ist nicht meine Art. Es ist immerhin die Religion meiner Mutter und meiner Schwestern.“ Die taz interviewt den aus Algerien stammenden Karikaturisten Ali Dilem. +++
+++ Für die Medienseite der FAZ beschäftigt sich Ursula Scheer mit einem Magazin, dessen harmloser Name nach Inneneinrichtungsfachblatt klingt, das aber Inspiration zum Töten bieten soll. „Seit 2010 produziert Al Malahem das englischsprachige Dschihadisten-Magazin ,Inspire’ und verbreitet es als PDF-Datei im Internet. Im Dezember ist die dreizehnte Ausgabe erschienen. Sie hat dasselbe Ziel wie alle ihre Vorgänger: die Radikalisierung junger Muslime und ihre Anleitung zum Massenmord.“ +++
+++ „Der Auftakt hält erneut gewaltige Überraschungen bereit, so viel kann gesagt werden, ohne allzu viel zu verraten. (...) Sicher ist bei dieser Serie nur: Auf natürliche Weise scheidet kaum eine Figur aus (...) Die eingefleischten Fans der Produktion des US-Seriensenders HBO warten ohnehin bereits mit Hochspannung auf den April (...) Ihre große Beliebtheit verdankt die Serie, die in einer an das Mittelalter erinnernden Fantasy-Welt spielt, insbesondere ihrem Ensemble.“ Wer sich nun fragt, ob in der vierten Staffel „Game of Thrones“ auch für das leibliche Wohl gesorgt sein sollte und der Wettergott gnädig ist, der lese den kompletten Tagesspiegel-Artikel zu Thema hier. +++
+++ In Branchen, die gerne Ideen anderer kopieren, ist in die Zukunft sehen besonders einfach. Meint zumindest Peer Schader, der für die Krautreporter mal geschaut hat, was in anderen Ländern derzeit im Fernsehen läuft, was mit 78-prozentiger Wahrscheinlichkeit darauf hindeutet, dass wir es im Laufe des nächsten Jahrzehnts in einer Version mit Jörg Pilawa oder Joko und Klaas wiedersehen. +++
+++ Dürfen weiße Comichelden in der Verfilmung von Afroamerikanern gespielt werden und ist das der faire Ausgleich dafür, dass Elizabeth Taylor einst die ägyptische Königin Cleopatra gab? Das wird heute, aufgehängt an der Serie „The Flash“, auf der Medienseite der SZ diskutiert. +++
+++ So lange zum Schluss Eisbomben mit Wunderkerzen hereingetragen und von auf 1 und 3 klatschenden Rentnern in Empfang genommen werden, ist mir ziemlich egal, mit welchem Schiff Kapitän Burger Beatrice und Konsorten durch die Weltmeere schippert. Anderen nicht. Daher sei hier darauf hingewiesen, dass sich der Product-Placement-Hinweis zu Beginn jeder „Traumschiff“-Folge in Zukunft auf ein Boot des Reiseveranstalters Phoenix Reisen statt wie bislang auf die MS Deutschland beziehen wird (Pressemitteilung, DWDL, Meedia. Beim Tagesspiegel weiß man sogar etwas über den Schnitt des Schiffes). +++
+++ Derweil beschäftigt sich die Abendschau des RBB als Hauptnachrichtensendung für unsere Hauptstadt mit den wirklich wichtigen Themen. „Wanted: ein Berliner Paar, das schon 50+x Jahre verheiratet ist und uns das Geheimnis seiner Liebe verrät => abendschau@rbb-online.de Danke!“ twitterte sie gestern. Berlin: wo Goldene Hochzeiten noch einen Bericht wert sind. Und damit zurück in die angeschlossenen Funkhäuser. +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.