Mehr Quizze, weniger Liveticker? Mindestlohn für Selbstständige! Frische Ideen zur Finanzierung des "journalistischen Medienwesens" in Deutschland. Ein plattformkapitalistisches Arschloch-Problem? Natürlich frische Pegida-Leitartikel. Außerdem: Die TAZ-Kriegsreporterin ist wieder da!
Zu den Problemen, die 2014 nicht vollumfänglich gelost werden konnten und also ins Jahr 2015 mitgenommen werden mussten, zählt das der Journalismusfinanzierung.
Zur gestern hier vorgestellten DPA-Idee eines "Next Media Accelerators" (der Artikel des Journalistengewerkschaftshefts Journalist dazu ist nun frei online zu haben) hat Lorenz Matzat instruktive Anmerkungen verfasst. Der datenjournalist.de, auch Gründer jener Agentur, die gerade mit einem für harte Onliner lustigen Zeitungstod-Berechnungstool Aufmerksamkeit heischt (aber daran nicht mehr beteiligt), schreibt:
"Nötiger als ein Accelerator hätte das journalistische Medienwesen in Deutschland Einrichtungen der Forschung und Entwicklung (R&D). Hier herrscht großer Mangel; die journalistischen Ausbildungsstätten können in dem Bereich kaum etwas vorweisen; die Öffentlich-Rechtlichen haben es versäumt, Labore oder ähnliches einzurichten."
und:
"Ich hielte es für sinnvoller, dezentrale Strukturen aufzubauen und Anreize für die stetig wachsende Schar ehemaliger Redakteure/Verlagsmitarbeiter zu schaffen, ihr Wissen über Mängel und Marktlücken in redaktionellen und verlegerischen Abläufen in eine Geschäftsidee zu formen. Wenn ein Accelerator es schaffen würde, diese Erfahrungen mit dem Wissen junger Softwareentwickler zusammenzubringen, könnten auch jenseits der großen Metropolen tausend Blumen blühen."
Außerdem enthält der Beitrag (achten Sie auch auf den Kommentar der Ober-Acceleratorin Jenni Schwanenberg) eine Spitze gegen die "mehr oder minder schillernden professionellen Internetversteher".
####LINKS#### "Deutschlands bekanntester Digitalexperte" nun, Sascha Lobo, forderte kürzlich im Interview mit der Berliner Zeitung einen "Mindestlohn für Selbstständige", "um eine hochflexible Arbeitswelt trotzdem noch menschenwürdig zu gestalten". Das bezieht sich nicht direkt auf Journalisten. Schließlich gibt es für selbstständige Publizisten im Prinzip ja noch die Künstlersozialkasse, Lobo hat den "Plattformkapitalismus" von Unternehmen wie Airbnb und Uber im Blick, den er einer "kalifornischen Ideologie" zuschreibt ("... eine rücksichtslose Technikkaste..., die vorgibt, die Welt verbessern zu wollen, die aber extrem gefährlich ist"). Ob das "Arschlochproblem" des Silicon Valley, wie es in der Überschrift heißt, eher eines des Valley oder der übrigen Welt ist, kann man dann nachdenken.
Was macht Lobo in der BLZ? Da gibt die Frankfurter Rundschau, die das Interview dann auch brachte, unten drunter Aufschluss. BLZ-Redakteur Jonas Rest habe es für die ARD-"Panorama"-Sondersendung "Schöne neue Welt: Der Preis des Teilens" am Donnerstag geführt.
Leicht schillernde Widerrede zu Lobos Position gibt's auch. Außerdem eine News, die zeigt, wohin im im weitesten Sinne journalistischen deutschen Internet die Reise erst mal zu gehen droht: zu mehr "Quizzen und Persönlichkeitstests im Internet". Das haben "die Macher der Viralschleuder heftig.co" als Trend in Israel identifiziert und offenbar zu ihrem unter Finanzierern gespannt erwarteten neuen "Publishing-Projekt" bestimmt, berichtet gruenderszene.de, eine Axel-Springer-Beteiligung.
Was im engeren Sinne journalistisches deutsches Internet betrifft, bleibt Wolfgang Michals Artikel lesenswert, der "vier populäre Alternativ-Medien ..., die mehr als zehn Jahre durchgehalten haben" in diesem Internet, und die nun jeweils an einer Art Wendepunkt stünden, in eine Reihe stellt:
"Sie verfügen über ein klares Profil, das richtige Sendungsbewusstsein und die nötige Dickfelligkeit. Nun stehen sie an der Wende zur endgültigen Professionalisierung. Ihre Leser(gemeinden) sollen kräftiger spenden."
Ob Leserfinanzierung in nennenswert breitem Ausmaß gelingt, zählt sicher zu den spannendsten Medien-Fragen dieses Jahres. Den Reiz von Michals Zusammenstellung macht aber auch aus, dass höchstens drei der vier genannten Beispiele sich selbst in einer Reihe sehen dürften (woraus sich beinahe schon ein Quiz gestalten ließe): Der Bildblog, die Nachdenkseiten, netzpolitik.org und Die Achse des Guten sind's.
Doch Meinungspluralismus sollte halt auch Meinungen enthalten, die nicht die individuelle Lieblingsmeinung widerspiegeln ...
[+++] Damit frisch in die wogende Pegida-Debatte. Was genau Pluralismus noch mal war, fasst im Rahmen einer Subdebatte unser Frank Lübberding als "signifikantes, Beispiel für das, was in der Pegida-Debatte schief läuft", zusammen. Mit dem Ansatz:
"Für einen Moment kann es hilfreich sein, sich die Pegida als eine Art Start-up-Unternehmen vorzustellen. Die strukturellen Ähnlichkeiten erlauben diesen Vergleich. Das Start-up Pegida hat in geringer Zeit rasant viele Kunden gewonnen, allerdings fehlt es an einem Geschäftsmodell, präziser: an einer Idee, diese Kunden längere Zeit zu binden und ihr Interesse zu verwerten",
erstaunt dagegen Cornelius Pollmer (SZ, S. 4). So ein Vergleich, bei dem er offenkundig keine kalifornischen Start-ups, sondern eher hiesige vor Augen hat, hilft zumindest, wenn man kurzfristig etwas Distinktion im Meer der Pegida-Zeitungskommentare braucht. Von "Meinungskampf" leitartikelt Reinhard Müller oben vorn auf der FAZ. Sein Kommentar enthält u.a. den bemerkenswerten Satz "Die ... gern gescholtene 'Lügenpresse' ist es, die das Phänomen Pegida erst (bekannt) gemacht hat". Und sie, also die Presse, wertet es täglich weiter auf.
Ein wenig hinterfragt hat diese Mechanik tagesspiegel.de anlässlich der Berliner "Bärgida"-Demonstration:
"Wir waren mit mehreren Reportern unterwegs, wir haben aktuell mit Texten und Bildern berichtet, wir haben die Entwicklungen in ständigen Updates auf Tagesspiegel.de aufgezeigt ... Ein Live-Ticker aber erschien uns zu groß für gerade einmal 400 Demonstranten. Ein Live-Ticker, so unsere Entscheidung gestern Abend, würde eine Bewegung in Berlin als größer erscheinen lassen, als sie es ist",
schreiben Markus Hesselmann und Christian Tretbar unnd laden dann ihre Leser zur Diskussion ein, ob sie doch gerne einen Live-Ticker gelesen hätten. Im Licht der inzwischen oft bemüht wirkenden Kommunikation mit Lesern vielleicht kein schlechter Ansatz.
Ebenfalls im Tsp. ein Kommentar, der das Lichter-Ausschalten am Brandenburger Tor, in Köln am Dom und anderswo kritisiert ("Im Fernsehen mögen die dunklen Silhouetten nun wie eine stumme Mahnung wirken", schreibt Peter von Becker. Doch "statt der Verdunklung brauchen wir mehr Licht in der Debatte"). Einer, der es im Gegenteil lobt, wiederum aus inszenatorischen Gründen ("damit die Kathedrale Kögida nicht als Kulisse dienen konnte"), steht heute z.B. in der TAZ.
[+++] Und damit zu der Glosse, die das Thema wieder in den Bereicht der Medien im engen Sinn zurückführt. Sie steht auf der ersten FAZ-Feuilleton-Seite. Andreas Rossmann, der umtriebige nordrhein-westfälische Kulturkorrespondent, stand in der Fernsehsenderhochburg Köln am Rhein und schildert, wer am frühen Montagabend seine Lichter ausgeschaltet hat:
"Nicht ganz pünktlich um 18.31 Uhr war die Außenbeleuchtung der Hohen Domkirche abgeschaltet worden, um ein Zeichen gegen die ... Demonstration der 'Kögida' ... zu setzen. Wie ein Schatten hob sich das gotische Steingebirge, tiefschwarz und bedrohlich, von dem nicht ganz so dunklen Nachthimmel ab, während Deutz mit seiner weniger markanten Silhouette, wo der Privatsender RTL den Messeturm und die zum Tanzbrunnen gelegene Hälfte der Rheinhallen verdunkelt hatte, sich wie eine bescheiden illuminierte Kleinstadt ausnahm ..."
Viele weiteren kölschen Gebäude waren auch dunkel, etwa "das Schokoladenmuseum und das blaue Zelt des Musical-Doms, das die Oper als Ausweichquartier bespielt", ebenfalls die Rheinbrücken. Rossmann schildert das sehr detailliert.
"Nur einer ließ das Licht brennen, als hätte er von all dem nichts mitbekommen: Das Logo des WDR in der linken oberen Ecke des auf der Nord-Süd-Fahrt stehenden Archivhauses blieb, weiße Schrift auf blauem Grund, beleuchtet."
Bevor jetzt ungerechte Vorwürfe erklingen: Vielleicht konnte Tom Buhrow, der Intendant des in sehr vielen sehr großen Gebäuden mit unmittelbarem Domblick ansässigen WDR, so was nicht alleine entscheiden, vielleicht hätte es der Zustimmung der Gremienvorsitzendenkonferenz oder eines solchen Gremiums bedurft, das nicht so rasch einberufen werden konnte. Aber mindestens einen "Brennpunkt", vielleicht vor der nächsten "hart aber fair"-Show sollte das der Anstalt wert sein.
+++ Hurra, nach einer "kleinen Auszeit zurück" ist TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester. In ihrer heutigen XXL-Reportage geht's natürlich um Finanzierung des journalistischen Medienwesens im Print-Bereich, u.a. an Beispielen des zur wachsende Scharn ehemaliger Verlagsmitarbeiter kräftig beitragenden Verlags Gruner + Jahr ("ist ja schon vor einigen Jahren dazu übergegangen, Journalismus durch die Abbildung der Lebenswelt zu ersetzen, in der die MitarbeiterInnen leben. Oder: lebten") sowie des Spiegels ("letzte Woche ... mit einem Titel auf den Markt, von dem man annahm, er wäre dumm genug für die Hörzu ..."). +++
+++ Ein Satz, der (im Hinterkopf) zu bleiben verdiente: "Diffuse Medienkritik erzeugt nur diffuses Misstrauen". Er stammt aus einem Tweet von Lenz Jacobsen. +++
+++ Hopsala, eine exklusive Medien-Meldung bei der Berliner Zeitung? Nein, aus der Bild-Zeitung stammt sie, korrekt zitiert: Deutschlands allerjüngste "Tatort"-Kommissare, die aus Erfurt, werden in dieser Position nicht mehr alt. +++ Dagegen könnte man die Meldung vom Helene-Fischer-Kanal, für den ebenfalls der MDR den Zuschalg erhalten hat, fast für Satire halten ... +++
+++ "4.800 Fachartikel seien allein 2012 in kommunikationswissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert worden, 1999 seien es noch 980 gewesen. Niemand wird behaupten wollen, seither habe sich der Erkenntnisgewinn nahezu verfünffacht": lesenswerter Stephan Russ-Mohl-Artikel über "den alltäglichen Irrsinn der Medienforschung" im Standard. +++
+++ Der Medienwandel erfasst die Mittelwelle (bzw. sie wird einfach abgeschaltet, heise.de/ DPA). +++
+++ "Das Neue an der russischen Desinformationskampagne ist, dass sie den Glauben an die Existenz nachprüfbarer Fakten auszuhöhlen versucht. Diese Strategie wird im Echoraum der sozialen Medien und Onlinekommentare verstärkt". So versuche Russland, "das Vertrauen in nachprüfbare Tatsachen auszuhöhlen", kommentiert Claudia von Salzen im Tagesspiegel. +++ Desinformation nicht auch US-amerikanischen Institutionen zuzutrauen, wäre ebenfalls Desinformation. In der deutschen Wired informiert Sandro Gaycken über den Sony-Hack. +++
+++ "Die Stadt Boston hat eine App namens 'Street Bump' entwickelt, über die das Smartphone der Stadtverwaltung selbständig mitteilt, wenn eine Straße ein Schlagloch hat. Der Bürger wird Teil eines Sensoren-Netzwerks ..." Mit Bezug auf Salvador Allende und Evgeny Morozov geht Adrian Lobe auf der FAZ-Medienseite der Frage "Wie das Internet der Dinge die Politik verändert" nach. Dazu hat er offenbar auch eine exklusive Auskunft von einem der Erfinder des Internets eingeholt: "Tim O’Reilly teilt auf Nachfrage (selbstredend per E-Mail) mit: 'Niemand sagt, dass algorithmische Regulierung jedes Problem löst. Aber in der heutigen datengesteuerten Welt müssen die Regierungen entweder dieses Werkzeug anwenden, oder es wird von jemandem anderen eingesetzt - gegen die Öffentlichkeit, welche eine Regierung repräsentieren soll.'" +++
+++ Ganz aufs ARD-Programm konzentriert sich die SZ-Medienseite, mit Vorbesprechungen der späten Doku "Sünden an den Sängerknaben" und des 20.15-Uhr-Spielfilms "Nie mehr wie immer", den eigentlich niemand gut findet (siehe z.B. frei online Tagesspiegel). Okay, Tilmann P. Gangloff gelingt's doch. +++
+++ Die faz.net-Nachtkritik, wiederum von Frank Lübberding, gilt der "Akte"-Jubiläumssendung mit den bemerkenswert artigen Stargästen Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf. +++
+++ Gestorben ist mit 85 Jahren, Kurt Koszyk, der Gründer des Studiengangs Journalistik in Dortmund. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.