Geschwundenes Vertrauen in die Medien wird umfangreich analysiert. Und "dieses Pegida-Gefühl" auch (womöglich aus einem Schaumbad heraus). Außerdem: Ein Alphajournalist wird Pressesprecher seines eigenen Ladens, eine legendäre Zeitschrift wurde doch kein Erfolg bei der Berliner Bohème.
Um auf seine heutige Sendung gespannt zu machen, hat das NDR-Medienmagazin "Zapp" gestern eine ausführliche Meinungsumfrage bzw. sogar "Studie" mit "alarmierenden Zahlen" bekannt gemacht und auch schon mit allerhand Bonusmaterial ins Netz gestellt:
"Insgesamt ist das Vertrauen in die Medien so schlecht wie lange nicht mehr. Haben im April 2012 noch 40 Prozent der Befragten angegeben, großes oder sehr großes Vertrauen zu den Medien zu haben, sind es jetzt, im Dezember 2014, nur noch 29 Prozent",
hat Infratest Dimap im Rahmen seiner "ARD-DeutschlandTREND"-Umfragen dieses Dezembers bei 1.002 "zufällig ausgewählten Testpersonen ..., die in ihrer Gesamtheit die soziodemographischen Daten der deutschen Bevölkerung widerspiegeln", herausgefunden.
Der NDR fokussiert sich besonders auf die Ukraine-Berichterstattung, in die 63 Prozent der Befragten "wenig oder gar kein Vertrauen" haben. Vielleicht noch aufschlussreicher oder erschreckender: "Bei den Medienberichten über den Vormarsch der Terrormiliz 'Islamischer Staat'" gilt das für 53 Prozent, wie der Tagesspiegel-Bericht über dieselbe Studie betont.
Wie groß das jeweilige Vertrauen in solche Umfragen ist, die von ARD und Infratest zum Zweck der Nachrichtengenerierung ja regelmäßig veranstaltet werden, und so interessant gerade in diesem Zusammenhang weitere Korrelationen wären (wie groß das Vertrauen in Internetdienste wie Google und Facebook ist, die schließlich in allerhand Narrativen als Gegenpole zu "den Medien" da stehen, und wie es mit Auswirkungen von Späh- und Folterpraktiken der westlichen Führungsmacht aussieht ...), es sind jedenfalls harte Zahlen.
Zum Bonus-Material des Zapp-Internetauftritts zählen außer einem 25-minütigen Videointerview mit Stefan Niggemeier auch Einschätzungen hochrangiger Würdenträger des Journalismus, die bemerkenswert gegensätzlich ausfallen.
TAZ-Chefredakteurin Ines Pohl etwa "glaubt, dass die Medien in der letzten Zeit viel Selbstvertrauen verloren hätten, was sich nun widerspiegele. Das führe zu einer aufgeregteren Berichterstattung". Es brauche also wieder Selbstbewusstsein. Zu den Problemen Kai Gniffkes zählt so etwas bekanntlich nicht. Die Umfrage-Ergebnisse "würden 'nichts daran ändern, dass wir jeden Tag nach bestem Wissen und Gewissen Nachrichten machen, dass wir das tun, was Journalismus ausmacht, nämlich ...", heißt's in der oben verlinkten NDR-Pressemitteilung.
Solch Selbstbewusstsein ist kein Vorrecht des Ersten Chefredakteurs von ARD-aktuell, wie Gniffkes Titel lautet, sondern beim Zweiten, Christian Nitsche, mindestens genauso ausgeprägt:
"Beachtlich ist, dass durch die Wiederholung solch verschwörerischer Parolen tatsächlich breite Bevölkerungsschichten erreicht werden. Verkannt wird, dass es vielen Kritikern, so pauschal und voreingenommen wie sie argumentieren, gar nicht um die Stärkung des unabhängigen Journalismus geht, sondern um die Diskreditierung der Qualitätsmedien insgesamt, darum ihren Einfluss zu schwächen und den eigenen zu erhöhen ..."
So haut Nitsche im Tagesschau-Blog auf die Pauke, nicht exakt im selben Kontext, aber doch auch mit Bezug auf andere Ergebnisse desselben "ARD-DeutschlandTRENDs" (den Nitsche allerdings "ARD-DeutschlandTrend" schreibt) und zur Ukraine-Berichtererstattung.
####LINKS#### Vielleicht trügt der Eindruck, dass sich die ARD hier nochmals schwungvoll im Kreis dreht. Vielleicht wäre das Medienvertrauen auch etwas größer, wenn die kritischen Analysen nicht immer in solchen Nischen stattfänden wie heute abend um, in harten Zahlen: 23.30 Uhr im NDR-Fernsehen - im Anschluss an "Der XXL-Ostfriese - Herd statt Pferd" (Kochen mit nicht nur Johann Lafer, der schließlich kein Norddeutscher ist, aber doch auch mit Lafer), an zwei Folgen der von einigen Beobachtern geschätzten Serie "Der Tatort-Reiniger" sowie an die Satiressendung "extra 3 - Best of 2014", zu deren Illustration im Programmablauf schon wieder ein Putin-Bilderwitz dient.
[+++] Auch die renommierten Zeitungen drehen sich mit. Heute vorn dabei Jasper von Altenbockum, der im Leitartikel auf Seite 1 der FAZ quasi zum gleichen Problem Stellung bezieht:
"Es wundert deshalb nicht, dass der beliebteste Schlachtruf in der Dresdner Innenstadt am Montagabend nicht 'Wir sind das Volk!' war, sondern 'Lügenpresse!'. Darin äußert sich zwar einer von vielen Widersprüchen, mit denen die Demonstranten keine Schwierigkeiten haben: Sie fordern Meinungsvielfalt, neigen aber dazu, ihre Meinung als Wahrheit, alle anderen Äußerungen als Lüge zu sehen. Doch die Wut auf böswillige Berichterstattung führt zum Kern der Motive ..."
Bzw., wie er es auch formuliert: zu "diesem Pegida-Gefühl". Die Unterzeile "Pegida ist ein anderes Wort für die Sehnsucht nach politischer Führung. Wer nimmt sie wahr?" veranlasste heut morgen übrigens Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart, der Altenbockums Positionen sicher nicht in allen Belangen fern steht, zur Äußerung seines "Gefühls, nach dem Tod ihres Herausgebers Frank Schirrmacher hat die FAZ das Schaumbad der nationalen Nostalgie bestiegen".
Da ist könnte man glatt gespannt werden auf die nächste Talkshow. Anne Wills zum Thema "Flüchtlinge herzlich willkommen - Aber auch vor meiner Haustür?", nicht allein mal wieder mit Wolfgang Bosbach, bringt der NDR heute um 23.30 Uhr ins sog. Erste ein. Wer doch lieber "Zapp" gucken will: Die Will-Wiederholung bringt der NDR um 0.30 Uhr, fast im Anschluss.
Die Medienseite von Pohls TAZ hat einen sympathischen anderen Weg gewählt, ein sehr ähnliches Thema zu beschreiben.
Mit ost- (mittel?)-europäischer Fabulierlust schildert dort Dmitrij Kapitelman, wie er vor einem Flusskrebssalat-Essen mit seiner Mutter "fast vier Stunden" lang "zwanzig Minuten 'RT Deutsch'" geguckt hat. Die Dauer erklärt sich daraus, dass beide in Streit über die Nachrichtenlagen geraten und jeweils Belege für ihre Einschätzungen anführen. Die Mutter hat "mit Krimtataren gechattet" oder sagt es zumindest, Dmitrij als "der verblendete Westmediensohn" zitiert Zeit Online. Die Synthese, zu der schließlich gelangt:
"Der Krieg ist inzwischen so sehr in den Köpfen, dass jeder nur noch hört, was sie oder er will. Osteuropäische Familien, die seit zwanzig Jahren keine osteuropäische Familie sind, bilden da keine Ausnahme."
Die mehr oder minder bewusst gewählte Voreinstellung, nur noch oder vor allem zu hören, was man will, könnte auch ein allgemeineres Phänomen sein.
[+++] "Scheiße, ich würde meine Einladung zu den nächsten zehn Henri-Nannen-Preis-Verleihungen darauf verwetten, dass...", so geht ein Beispiel der Kapitelmanschen Fabulierlust. Speziell dies konnte er vielleicht seiner Mudder erzählen, nicht aber Altpapier-Lesern, die natürlich wissen, dass es diese angesehene Veranstaltung einstweilen gar nicht mehr gibt.
Wer die Formulierung, dass der Preis aber "mit Blick auf die Zukunft in Zeiten tiefgreifender Veränderungen der Medienlandschaft modernisiert und weiterentwickelt werden könnte" ziseliert hat, glänzt hier (links) in einer meedia.de-Foto-Montage. Dazu weint der Gruner + Jahr-Versteher Georg Altrogge dem nun scheidenden G+J-Sprecher Claus-Peter Schrack, einem "der Top-Mediensprecher der Verlagsbranche", ein paar Tränen nach: "Für seine Art, den Change-Prozess zu begleiten und zu vermitteln, hat der Kommunikator sich am Baumwall wie bei den Medienjournalisten Respekt verdient", schreibt Altrogge, als hätte er diesen "Change-Prozess" tatsächlich verstanden.
Man braucht ihn aber nicht verstanden zu haben, um Schracks Schritt zu verstehen. "Vielleicht hat er, etwa nach der 'FTD'-Einstellung, der plötzlichen Absetzung von Dominik Wichmann als 'Stern'-Chef und den jüngsten Entlassungen keine Lust mehr auf Defensivthemen ohne Aussicht auf belegbare News einer Vorwärts- oder gar Akquisitionsstrategie", vermutet das mindestens so pressesprecher-freundliche horizont.net. Pressesprechern bieten sich nun wirklich erfreulichere Branche als solche, die Zeitschriften verkaufen.
Noch interessanter, wer ab März die Herausforderung übernimmt, künftige Gruner + Jahr-Meldungen zu formulieren: Frank Thomsen ist's. Twitter führt ihn, außer als @thomsenfrank, gar auch noch als @ChefredeakteurS, soll(te) heißen: "Chefredakteur des Stern", auch wenn der Account selbst seit fast drei Jahren nicht mehr bewirtschaftet wird.
Ja, Thomsen war gar mal ein "Alphajournalist". Zumindest hatte ich für das Buch "Die Alpha-Journalisten 2.0" ein Porträt von ihm geschrieben. Damals war er tatsächlich der alleinige stern.de-Chefredakteur und drauf und dran war, zum Überholen von Spiegel Online anzusetzen. Und jetzt muss er harte Zahlen in Formulierungen à la "agiles, kreatives und flexibles Kompetenzteam" (unter Schracks Ägide im Oktober für die künftig von schreibenden Redakteuren befreite Redaktion der Zeitschrift Brigitte) abfedern ...
Dieses Buch aus dem Halem-Verlag ist noch lieferbar - für 2009 erschienene Titel auch nicht selbstverständlich. Ich würde aber sagen: Wenn, dann verdiente es vor allem historisches Interesse.
+++ Margit J. Mayer "stand in dem Ruf, über ausreichend Schrulligkeit im besten Sinne zu verfügen, um es zur Pflichtlektüre der Berliner Bohème zu machen". Doch laufen Berlinerinnen selten mit einer Harper’s Bazaar unterm Arm herum und nun soll "gar Hubert Burda selbst die Geduld verloren haben, was auch mit Beschwerden von Anzeigenkunden zu tun haben soll", analysiert Claudia Fromme auf der SZ-Medienseite die Burda'sche Pressemitteilung, in der Mayer dürrer "Dank für ihr Engagement bei der Aufbauarbeit für die deutsche Ausgabe dieses legendären Mode-Mediums" erstattet wird. Und die Nachfolgerin genannt wird, Kerstin Schneider. +++
+++ Der Datendiebstahl bei Sony ist für die FAZ Anlass zu einem Umberto-Eco-basierten Feuilleton über "die Universalgrammatik eines James-Bond-Films" und für den Tagesspiegel, Kritik des "The Newsroom"-Autors Aaron Sorkin an denen, die Sony Inhalte wie das aktuelle Bond-Film-Drehbuch veröffentlichten, wiederum auf die aktuellen Mediendebatten umzuleiten. "Er scheint zu glauben, dass Medien immer noch als die Schleusenwärter der Infowelt arbeiten. Darüber bestimmen, was die Öffentlichkeit erfahren soll. Längst ist die Verantwortung auf den einzelnen Konsumenten übergesprungen", schreibt Joachim Huber. +++
+++ Der wichtigsten Grund, regelmäßig im Online-Medienressort der Berliner Zeitung zu schauen, ob es etwas anderes Neues gibt als die verbreitetsten DPA-Meldungen, besteht nicht mehr: Ulrike Simon berichtet künftig für Madsacks Redaktions-Netzwerk Deutschland (newsroom.de). +++ Zurzeit gibt's dennoch einen anderen ganz guten Grund, berliner-zeitung.de zu klicken: Der Brüsseler Korrespondent Peter Riesbeck interviewt Udo van Kampen, der nun in den Ruhestand geht. +++
+++ Die Spiegel-Mitarbeiter KG kann sich über dwdl.des Goldenen Günter 2014 "in der Kategorie 'Dilemma des Jahres'" freuen. +++ "Mit Wolfgang Büchner war es genauso wie mit Christian Wulff. Er war von Beginn an der falsche Mann für den zu vergebenden Posten, und das wussten eigentlich auch diejenigen, die ihn gewählt haben" (Michael Ridder in epd medien). +++
+++ Weiteres FAZ-Thema: eine Umschau zu "Gegenwind" für Google in Europa. +++ Die Abschaltung von Google News in Spanien ist auch Thema im Standard ("Der spanische Zeitungsverband, der sich für das neue Gesetz stark gemacht hatte, beklagt inzwischen, dass die Einstellung von Google News 'negative Auswirkungen' auf Spaniens Bürger und Unternehmen haben werde"). +++ "External traffic to Spanish news sites plummets after Google move", weiß gigaom.com passgenau zu melden. +++
+++ Der Schauspieler, der den "Schimanski"-Buddie Thanner verkörperte, Eberhard Feik, "ist jahrelang von der DDR-Staatssicherheit als Inoffizieller Mitarbeiter ... geführt worden", so wie auch seine Frau (Zeit-Magazin). "Feik gehörte Mitte der 70er Jahre, als das Paar in West-Berlin lebte, zum Ensemble der Schaubühne am Halleschen Ufer und war zeitweise in linksradikalen Kreisen politisch aktiv. Seine Frau studierte an der Filmakademie dffb" (SZ). +++
+++ 25 Jahre "Die Simpsons" sind Thema auf SZ-Medienseite (größer; "Es war einmal ein Alleinstellungsmerkmal der 'Simpsons', dass man jede Folge zwei- oder dreimal hintereinander ansehen konnte und immer noch neue Details und Anspielungen fand. Das ist heute - von den 'Sopranos' über 'The Wire' bis 'Game of Thrones' - nichts Besonderes mehr", erkennt Wolfgang Luef als "Ironie" ihrer Wirkungsgeschichte) und auf der FAZ-Medienseite (kleiner; "Mittlerweile könnte Bart, der zuerst als einziger Protagonist auftreten sollte, seine eigene Familie haben und vielleicht eine Halbglatze tragen. Doch seit der ersten Folge ist er zehn Jahre alt, trägt eine Frisur, die einer abgerissenen Papiertüte gleicht, und immer dieselbe kurze, blaue Hose, die er früher runterzog ... Die 'Simpsons' altern nicht. Weder in der Serie noch für ihr Publikum", staunt Felix-Emeric Tota). +++ Frei online was dazu bei der BLZ. +++
+++ Nun "warnen auch die Redakteure der 'Neuen Zürcher Zeitung'", ganze 163, "vor der Ernennung eines Chefredakteurs mit nationalkonservativer Gesinnung" (Standard; siehe Altpapier gestern). +++
+++ "Man stelle sich vor, es gäbe die BBC nicht mehr auf Englisch oder France 24 nicht mehr en français. Die Senderchefs hätten es noch nicht ausgesprochen, da säßen sie schon auf der Straße", glossiert Michael Hanfeld im FAZ-Feuilleton die Sprachen-Frage "der 'German Wave' alias Deutsche Welle". +++ Zu dem seit Tagen rumorenden Thema gab es bei handelsblatt.com eine umfassende Politiker-Umfrage und bei netzpolitik.org eine Würdigung des bedrohten deutschsprachigen Programms aus eigener Betroffenheit. Der Blog "fände ich das Ende des deutschen TV-Programms mehr als bedauerlich, denn – und das ist der Bezug zu unserem Blog – die DW leistet eine meistens erfreulich kenntnisreiche Berichterstattung zu netzpolitischen Themen". +++
+++ Der deutsche Ableger der schweizerischen joiz AG, ist insolvent. "Die hohen Distributions- und Personalkosten einerseits und die zu geringen TV-Werbeumsätze anderseits seien die Gründe dafür, dass man am Dienstag einen Antrag auf Sanierung zur Weiterführung des Unternehmens in Eigenverwaltung gestellt habe" (dwdl.de). +++
+++ Und Tatjana Kerschbaumer vom Tagesspiegel empfiehlt das Glossar der Neuen deutschen Medienmacher (wie auch ich neulich hier). Hier ist's als PDF zu haben. +++
Der Altpapierkorb füllt sich wieder am Donnerstag.