Auf einmal wird Google doch nicht zerschlagen. Axel Springer und die Drähte der Schlapphüte. Hoffnungen auf Medienkrisen-Antworten hart im Clinch (aber fair!). Außerdem: frische Kommentare zur Kommentarkultur.
Den Satz, dass zwar schon alles gesagt worden ist, aber noch nicht von jedem, der schon zu Karl Valentins Zeiten so wahr war, hat inzwischen wahrscheinlich jeder mal benutzt.
Doch kommt es eben niemals allein darauf an, dass etwas gesagt bzw. gemeldet wird, sondern noch viel mehr darauf, wer es wie und wann meldet. Insofern können "alte Storys", die schon mal bekannt gewesen waren, neuen und im Vergleich größeren Wirbel entfachen, wie Wolfgang Michal kürzlich anhand der sog. Luxleaks-Enthüllungen und anhand einer älteren NSA-Enthüllung exemplifizierte.
Insofern kann zur wendungsreichen Vita des einstigen Zeitschriftenverlegerverbands-Hauptgeschäftsführers Horst Mahnke, der gleichzeitig für den Springer-Konzern und für den Bundesnachrichtendienst tätig war (Altpapier vom Montag und Dienstag), nun der Leiter des Investigative Recherche-Ressorts der Bild-Zeitung, Martin Heidemanns, im newsroom.de-Interview beteuern, dass das "seit Jahren bekannt" war, während in der Berliner Zeitung Andreas Förster ausführt, dass die Sache seit noch viel mehr Jahren bekannt ist:
"Schon 1998 veröffentlichte der BND-Experte Erich Schmidt-Eenboom mit 'Undercover' das Standardwerk über die sogenannten Pressesonderverbindungen des Bundesnachrichtendienstes. Hinter dieser euphemistischen Bezeichnung verbarg der BND eine seit den 1950er Jahren aufgebaute und bis 1970 sorgfältig gepflegte PR-Holding williger Journalisten, die gegen Geld oder Informationen verdeckt publizistisch für Pullach tätig waren",
schreibt Förster, auch er ja ein Veteran der journalistischen Beobachtung west- wie alt-ostdeutscher Schlapphüte. Von einem "direkten Draht des Verlages zum BND" wiederum sei schon in Michael Jürgs' Axel-Springer-Biografie aus dem Jahre 1995 die Rede gewesen. Nun solle der Konzern jetzt mal nicht so tun, wie Heidemanns (2012 übrigens wegen Wulff-Enthüllungen spektakulär mit einem Nannen-Bambi prämiert), gleichzeitig dennoch tut.
####LINKS#### [+++] Andererseits, wenn eine Info zur richtigen Zeit am richttigen Ort auftaucht, braucht sie selbst überhaupt nicht wahr zu sein, um Wirbel zu entfachen. Die Nachricht, dass sich das EU-Parlament an diesem Mittwoch mit der Rolle der Suchmaschine befasst (von Suchmaschinen im Plural zu schreiben, wäre auch eine Verzerrung ...), kam ebenfalls gestern im Altpapier vor. Zeitweise nahm sie noch mal Ausprägungen wie "Google: EU-Parlament stimmt über Zerschlagung ab" an (inzwischen hat's horizont.net in "Google: EU-Parlament debattiert über Aufspaltung" abgemildert).
Wie sie in die Welt gelangt sein könnte, hat der österreichische Grüne Michel Reimon bereits am Wochenende in seinem Blog nachgezeichnet:
"Ich bin nämlich im Wirtschaftsausschuss des EP für Wettbewerbsfragen zuständig und damit auch für die Untersuchungen zur Marktmacht von Google - und weiß nichts davon… wie kommt also diese Geschichte zustande? Antwort: Sie ist ein Musterbeispiel für die Medienarbeit von Industrielobbys und in diesem Fall vor allem der deutschen Medienindustrie und der CDU."
Dann nimmt Reimon mit diversen Onlineschlagzeilen-Screenshots die Entwicklung dieses Scoops auseinander, der übrigens auch transatlantisch nicht nur funktionierte, sondern weiter funktioniert. "US warns EU on Google probe" steht auf der kostenpflichtigen ft.com-Startseite weiterhin oben.
Natürlich haut Reimon dann auch wahlkämpferisch auf die Pauke ("Die Google-Untersuchung der Kommission ist für die deutsche Medienindustrie und damit auch für die deutsche Regierung längst zu einem Stellungskrieg geworden, den sie um jeden Preis gewinnen wollen, nachdem sie den letzten Vergleich abgelehnt haben").
Dass für die deutsche Bunderegierung Netzpolitik unter ferner laufen läuft, beweisen ja schon die Meldungen, die die rasch heraufgekochte Aufregung dann wieder runterkochten (heise.de, meedia.de). Auch sie weisen eine aufschlussreiche Volte auf: Das darin zitierte Machtwort des Digitalwirtschaftskommissars Günther Oettinger ("Keine Zerschlagung von Google") haben sie Roland Tichys Blog entnommen, der es "am Rande einer Veranstaltung der CDU-Mittelstandsvereinigung" gehört hatte.
Offenbar diese Veranstaltung am Montag, von der medienkompetente CDU-Leute bereits eine Menge Fotos gepostet haben, war's. Dort erhielt Oettinger "den Mittelstandspreis 2014 in der Kategorie 'Politik'", und warum genau, hatte wiederum Tichy, der Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung (heise.de nennt ihn irrtümlich noch als "Chefredakteur der Wirtschaftswoche"), per Laudatio erklärt.
Wenn die CDU Preise verleiht, geht es mindestens so überraschend zu wie es immer beim Nannen-Bambi war. Wenn News erst aufgeregt herausposaunt und dann im umso größeren Gestus relativiert werden können bis müssen, kommt es den Bedürfnissen der "Medienindustrie", die digital meist von Cents pro Klick lebt, natürlich entgegen. Und wenn in der langjährigsten deutschen Regierungspartei inzwischen halbwegs prominent unterschiedliche Meinungen zu Medien- und Netzpolitik ausgetauscht werden, ist das gewiss zu begrüßen.
[+++] Dass multiresistente Keime in Deutschland mehr Menschenleben kosten als bisher bekannt war, ja, "dass jedes Jahr tausende mehr Menschen sterben, als offiziell zugegeben wird" oder zumindest "immer mehr Menschen" sich damit infizieren - ist das eine neue und wahre Story?
Sie erschien vorige Woche u.a. in dem Umfeld, das hierzulande wohl am allerschönsten Reichweite und Renommee verbindet, zumindest seitdem der Spiegel nicht mehr ist, was er mal war: vorn auf der Wochenzeitung Die Zeit.
Hinter dem "u.a." verbergen sich Zeitungstitel der Funke-Mediengruppe, für die und eben die Zeit das Recherchebüro namens Correctiv bzw. in Originalschreibweise "Correct!v" diese Recherche angestellt hat. Es ist "die bisher am weitesten verbreitete Recherche des gemeinnützigen Journalistenteams", wie Jost Maurin gestern in der TAZ schrieb. Kann dieses von David Schraven geleitete, vor allem von einer Anneliese-Brost-Stiftung (also von altem WAZ-Kapital) finanzierte, für Spenden und Mitglieder aber offene Correctiv "die Hoffnungen erfüllen, eine Antwort auf die Medienkrise zu sein?"
Das war Maurins Frage in der TAZ. Er verneinte sie dann recht kräftig ("Blamage im Großformat"). Daniel Drepper antwortete namens der Rechercheure leicht schuldbewusst ("... mag sein, dass wir das im Zusammenhang nicht präzise genug dargestellt haben"), aber von seiner Mission weiterhin überzeugt ("... Das wird Menschenleben retten"). Schließlich hat die Funke-Zeitung, die immer noch WAZ heißt, schon Karl Lauterbach, den talkshow-bekannten SPD-Gesundheitspolitiker interviewt, der nun was tun will.
Wer Recht hat? Vermutlich jede Seite etwas, keine Ahnung.
Es ist schließlich eine medizinjournalistische oder medizinische Frage. Medienjournalistisch springt nur ins Auge, dass hier scharf und kontrovers diskutiert wird, am Ende vielleicht gar zwischen zwei hoffnungsvollen Antwort-Modellen auf die Medienkrise (der TAZ-Hausblog konnte gerade melden, mit dem freiwilligen "Taz-zahl-ich"-Modell von "FreizahlerInnen" mehr als 10.000 Euro im Monat einzunehmen) - und dennoch, scheint's, sachlich und fair! Das ist zurzeit auch einer Erwähnung wert.
Mit Kommentarkultur geht's weiter im Altpapierkorb.
+++ Dass die Grenzen zwischen "verrohter Kommentarkultur" und unverrohter nur in der Darstellung älterer Medien denen zwischen älteren Medien und Onlinekommentaren entsprechen, in Wahrheit aber ganz woanders verlaufen, arbeitet Stefan Niggemeier an einem im Deutschlandfunk gesendeten (und online verschriftlichten) Kommentar Burkhard Müller-Ulrichs heraus. +++ Dass ausgerechnet der Bayerische Rundfunk die männliche Endung ächten wollen könnte, ist für cicero.des Alexander Kissler nur ein Anlass zu einem Rant über "geschlechterkorrekte Sprache". Aus welchem "kleinen Leitfaden ..., bayrisch-blau und heiter-zitronig auf dem Titel, schwarz und blau auf Weiß im Innenteil" er da zitiert, ist leider noch unklar. Der andere Anlass: das kürzlich erschienene Glossar (PDF) der Neuen deutschen Medienmacher ("Wo eigentlich stecken die Macherinnen?") +++ Vielleicht tatsächlich ein Ausweg: den in früheren Epochen der deutschen Geschichte ja auch missbrauchten Begriff "Anstand" rehabilitieren und positiv besetzt in die aktuelle Debattenkultur wieder einzuführen? +++
+++ Die neueste NSA-Enthüllung betrifft 14 Staaten, darunter auch Deutschland direkt (The Intercept, deutsch zusammengefasst bei heise.de). +++ "Inzwischen liegt dem Tagesspiegel auch eine Einschätzung des Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik vor ...". +++
+++ "Die Anerkennung durch den International Emmy, die internationale Ausgabe des wichtigsten Fernsehpreises der Welt, hat dieses Stück wahrlich verdient": Da gratuliert in der FAZ Michael Hanfeld UMUV zum jüngsten Preis. +++ "Die Hauptdarsteller, Miriam Stein und Tom Schilling, äußerten sich am Dienstag im 'Morgenmagazin' des ZDF überrascht von dem Preis. 'So schlecht ist das deutsche Fernsehen dann doch nicht', sagte Schilling" (TAZ/ EPD). Die Fotostrecke mit entzückendem Jubel, u.a. von Heike Hempel, hat dwdl.de. Dort sieht man dann auch, wie einen weiteren Preis Carolin Kebekus überreicht. Bei aller Freude sollte der Sensations-Charakter dieses Preises sicher nicht überschätzt werden. +++
+++ Meanwhile schickt die Degeto nun auch eine jüdische Kriminalkommissarin zum Ermitteln. Sie "muss sie den Mord an einem israelischen DJ aufklären. Der Druck der Öffentlichkeit steigt immer weiter und schließlich gerät eine palästinensische Familie in den Fokus der Ermittlungen" (dwdl.de). Doch ... weitere Plotwendungen sowie Antwort auf die Frage, ob sich die Kommissarin denn verliebt, hält bereits die ARD selbst bereit. +++
+++ Mit Fotos online Geld verdienen? Geht, zumindest für Konzerne wie Yahoo als Besitzer des schon erwähnten Netzwerks Flickr (SZ-Feuilleton, netzpolitik.org). +++
+++ "Noch an demselben Abend haben Sie das Bild auf Facebook gepostet. Was geschah dann?" - "Erst mal nicht viel, vielleicht ein paar wenige Likes. Bis ein türkischer Freund das Bild teilte. Dann ist die Sache explodiert. Innerhalb weniger Stunden wurde das Bild 10.000-mal geteilt. Das liegt vermutlich auch daran, dass die Proteste am Abend vorher erst Fahrt aufgenommen hatten und es das erste ikonische Bild war, das kursierte. Hunderte Menschen verwendeten es als Profil- oder Titelbild. Zwei Tage später gab es das Bild als Poster und T-Shirt im Gezipark zu kaufen ...." Fotograf Daniel Etter im TAZ-Interview. Doch "das Bild hat Geld eingebracht, mehr, als ich normalerweise mit einem Bild verdiene. Die Businessweek hat es als doppelseitiges Titelbild einer Geschichte über die Proteste verwendet. Und im Time Magazine füllte es eine Doppelseite in einem Jahresrückblick...." +++
+++ Themen der SZ-Medienseite: wie Deutschlandradio Kultur und der WDR "an Produktionen, die Hörspiel und Gaming kombinieren", arbeiten (dazu hat Stefan Fischer bereits Programmtipps für Januar und Februar). +++ Und ein von Amazon als "Netflix-Killer" geplanter "werbefinanzierter Videostreamingdienst". +++
+++ Themen der FAZ-Medienseite: "Twittergate bei Twitter!" So nennt Ursula Scheer die breit vermeldete "leichte Twitter-Trotteligkeit" (NDR-Zapp) des Twitter-Finanzchefs Anthony Noto. +++ Außerdem werden "Serial", das amerikanische Radio-Podcast ("... verbindet ... Journalismus mit dem ausufernden Erzählen, das amerikanische Fernsehserien wie 'The Wire' kultiviert haben") gelobt und James Spader wegen einer bei RTL Crime laufenden Serie vorgestellt. +++
+++ "Ein wenig sehr märchenhaft ist die Geschichte, ein wenig zu betulich die Erzählweise, ein wenig zu aufgesagt, zu statuarisch, zu exemplarisch werden die Geschichten der einzelnen Charaktere ... verhandelt. Das ist zu gut, um wahr oder unterhaltsam zu sein. Anrührend ist es schon und wegen Herbert Knaup auch bis zum Ende anzusehen" (Hanfeld ebd. über den heutigen ARD-20.15 Uhr-Film "Das Glückskind". +++ Siehe auch TPG hier nebenan und NvF im Tagesspiegel. +++
+++ "Für sein Lebenswerk als Journalist und Autor wurde 'Welt'-Herausgeber Stefan Aust mit dem Georg-August-Zinn-Preis der hessischen SPD geehrt. ... ... Letzter Preisträger vor zwei Jahren war Jürgen Habermas" (welt.de). +++
"+++ "Berlin Stories – die Bücher einer Stadt" (21.45 Uhr auf Arte) im Kreuzfeuer der Meinungen: "Nach der Wende ist alles, was einen Namen hatte oder gern einen hätte, nach Berlin gezogen, wo, wie der Film mit Expertennachhilfe und ständig wechselnder Kameraperspektive blitzschnell herauspräpariert, eine 'Mischung aus Anarchie und Ordnung' herrscht. Berlin redet vielstimmig und ist bei seinem Lieblingsthema, bei Berlin. Dieses fabelhafte Berlin ... Ein französischer Autor kann sogar beitragen, dass es im langweiligen Paris keine Partyszene gebe, jedenfalls nichts mit Berlin Vergleichbares" (Willi Winkler, kein Berliner, auf der SZ-Medienseite). +++ "... Und da passt auch Ulrich Peltzers visionärer Berlin-und-Überwachungsroman 'Teil der Lösung' aus dem Jahr 2007 fast eine Idee zu perfekt in die NSA-Google-Facebook-Gegenwart. Der von Peltzer geschlagene Bogen ist aber wieder ein sehr schöner. Zu Beginn dieses Films bemerkt jemand an, dass es erstaunlich ist, dass es die Nischen und Freiräume Berlins immer noch gibt, dass es anscheinend nie aufhört mit den Club-Selbstverwirklichungs- und Freiheitsräuschen. Peltzer aber warnt: Die Stadt greift stark ein in die Körper ihrer Bewohner, die Nischen werden immer enger. Der Literatur allerdings muss das nicht schaden." (Gerrit Bartels, Berliner, im Tagesspiegel). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.